"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Späte Einsichten -

ID 72865
 
AnhörenDownload
Gesetzt der Fall, eure Frau Bundeskanzlerin verfügte tatsächlich über so viel Macht, wie man sie ihr da und dort zuschreibt, dann wäre das wohl ein wichtiger Teil der Erklärung eines ansonsten unerklärlichen Naturphänomens ...
Audio
09:31 min, 22 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.09.2015 / 13:53

Dateizugriffe: 731

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Frauen/Lesben, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 30.09.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
... Dass sich die US-amerikanische Kinnlade bzw. der Ketchup-Pelikan, dessen Ehefrau Teresa Heinz übrigens mit weniger als 4% am Heinz-Tomatenimperium beteiligt ist, während immerhin der Vater von Kerrys erster Frau bereits Landon Ketchup Thorne geheißen hatte; dass sich also der US-Außenminister und mit ihm oder gegebenenfalls schon vor ihm die gesamte US-Regierung dazu durchgerungen hat, den syrischen Regierungschef, egal ob Diktator oder gewählter Staatspräsident, als Faktor im Kampf gegen den Islamischen Staat anzu­er­kennen. Vielleicht ging es Frau Merkel weniger um den IS als um die Flüchtlingsströme, aber auch hier lässt sich Ursachenbekämpfung ohne Baschir al Assad nur sehr schlecht betreiben. Und damit haben sich all die schönen Pläne der USA zerschlagen, den Russen gänzlich aus dem Mittelmeer zu vertreiben, konkret vom letzten Marinestützpunkt beim syrischen Latakia. Nun, was nicht ist, kann noch werden, aber vorderhand stellt man aus der gebührenden Distanz einfach fest, dass plötzlich Ruhe herrscht an allen Fronten, zuvörderst in der Ostukraine, und wie gesagt, da unsereins nicht an übernatürliche Erklärungen von Naturphäno­me­nen glaubt, gehen wir einfach davon aus, dass ein Burgfriede geschlossen wurde. Nur ein paar eingebettete Journalisten haben das noch nicht gemerkt und veröffentlichen nach wie vor Fotos von zerstörten Häusern in Syrien, für deren Zerstörung immer und ausschließlich Baschir al Assad verantwortlich war. Alle Toten und Flüchtlinge im syrischen Bürgerkrieg – alles geht auf das Konto des Machthabers, der die Unverschämtheit besaß, den Hut nicht einfach abzugeben, als die von den Türken und den Amerikaner unterstützten Rebellen ihre eigenen arabischen Maibäume errichteten. Und seither wirft al Assad Fassbomben und vergiftet seine Bevölkerung mit Chemiewaffen, während die Rebellen mit humanitären und desinfizierten Wattebäuschchen schießen. So zumindest sieht es in der Darstellung unserer Medien aus. Darüber, also über diese behämmerte Darstellung habe ich mich schon mehrfach echauffiert, und ich würde mich gerne noch mehr erhitzen, weil es sich bei jenen Menschen, die für die Darstellung verantwortlich sind, um einen Berufsstand handelt, welcher nach wie vor glorifiziert und gehätschelt wird, zum Beispiel jetzt grad wieder im neuesten Band der Millennium-Kriminalromane mit dem Journalisten Mikael Blomqvist, «Verschwörung» von David Lagercrantz in Vertretung des leider vor zwölf Jahren verstorbenen Stieg Larsson. In der Realität decken diese Damen und Herren kaum einmal Verschwörungen und Machenschaften auf, sondern betreiben einfach nur Gestaltung der öffentlichen Meinung in den Ziel- und Herkunftsländern, und zwar mit Informationsmaterial, das ihnen von interessierter Seite in ebendiesen Ziel- und Herkunftsländern zugesteckt worden ist.

Mich ärgert so was enorm, nicht zuletzt deshalb, weil ich am Schluss selber fast so aussehe, als wäre ich etwa ein Sympathisant von Bashir Al Assad, und das bin ich durchaus nicht; bloß halte ich ihn für das deutlich kleinere Übel als all die Trotteleien, welche sich die US-amerikanische Außen­po­litik, egal, ob unter der Regierung des Busch-Idioten Wilhelm oder des schwarzen Präsidenten Obama in dieser Region geleistet hat. Diesen radikal konzept- und kenntnisfreien Anstrengungen mit dem einzigen Ziel, die Erdölquellen im Nahen Osten im Griff zu behalten, sind viel mehr Tote und Verletzte und Zerstörungen zuzuschreiben, als dies Baschir al Assad auf seine Kappe nehmen könnte, noch wenn er es wollte. So schauts nämlich aus. Aber das nützt natürlich jenen Menschen auch wieder nichts, die tatsächlich vor dem Bürgerkrieg fliehen, ganz egal, ob vor den Truppen Assads oder vor der Freien Syrischen Armee oder vor dem Islamischen Staat.

Wie auch immer: Offenbar hat die Vernunft gegenwärtig etwas Freigang in der US-amerikanischen Regierung, auch wenn man das natürlich nicht so offen zugibt, und dementsprechend kann man davon ausgehen, dass sich im Nahen Osten bis Ende des Jahres ein paar Veränderungen ergeben werden, vor allem in Sachen Islamischer Staat, immer unter der Voraussetzung, dass auch der türkische Despot Erdogan demnächst aufhört, unter dem Deckmantel des Kriegs gegen den IS die Kurden zu bekämpfen. Aller plumpen Logik nach ist dies unmittelbar dann der Fall, wenn Erdogan mit seiner Neuwahlen-Inszenierung dann doch die absolute Macht im Parlament herbei geputscht hat und die Kurden wieder rausgeworfen hat. Auch dieses Spielchen ist ziemlich dreckig, braucht einen aber ebenso wenig aufzuregen wie alle anderen, vielleicht mit der Ausnahme, dass man dem Erdogan früher ein paar positive Errungenschaften gutgeschrieben hatte, die er jetzt in Windeseile wieder zunichte macht.

Sei’s drum: Man kann davon ausgehen, dass die Flüchtlingsbewegung aus dem Nahen Osten nach Europa demnächst wieder verebbt, sodass man es in den nächsten Jahren wieder mit den normalen Quoten von ein- oder zweihunderttausend Menschen pro Jahr zu tun hat, während, Insch’Allah beziehungsweise so Gott will, und anders kann man es bei diesen unerforschlichen Entwicklungen nun wirklich nicht sagen beziehungsweise, als Nebenhinweis für die Geschichtswissenschaft: Hier hat die Kategorie «der liebe Gott» endlich einmal eine materielle Dimension angenommen, aber eben: wir wissen einfach nicht, wie sich die Region in den nächsten Jahren entwickelt, gehen aber weiter davon aus, dass sich gewisse Einsichten und vor allem gewisse materielle Errungenschaften mit der Zeit dann doch durchsetzen werden, so wie dies ja bereits mit der Mobiltelefonie der Fall war.

In der Zwischenzeit stecken oder verstecken wir die herbei geströmten Flüchtlingsmassen so gut wie möglich in Unterkünfte und unternehmen ernsthafte Versuche zu ihrer Integration, und hierbei möchte ich noch anmerken, dass es in der Entwicklung der modernen Gesellschaften ja eine höchst widersprüchliche Tendenz gibt: Einerseits spuckt die Wirtschaft am Laufmeter Arbeitskräfte aller Art aus ihren Prozessen aus in der Folge der Automatisierung und der Globalisierung, Ihr wisst schon, und aber anderseits erweist sich immer mehr, dass die menschlichen Fähigkeiten, auf Englisch: The Human Resources im Gesamtprozess immer wichtiger werden, und so finden wir sozusagen auf ökonomischer Ebene bestätigt, was wir auf der menschlichen Ebene schon längstens wussten: Nehmen wir diese Neuankömmlinge doch einfach als einen Zuschuss an menschlicher Qualität und an menschlichen Qualitäten und versuchen wir, so viel als möglich von ihnen zu lernen, das macht nämlich das Leben in unseren Gesellschaften ebenfalls viel spannender. Sie haben ja allein durch ihre Wanderung schon bewirkt, dass wir die meisten sozialen Fragen nicht mehr statisch betrachten, also im Rahmen einer mehr oder weniger für die lange Zeit gestrickten Gesellschaftsordnung, in welcher man im Rahmen des Sozialstaates noch über die Höhe und über die Verteilung von Sozialausgaben streiten kann, aber eigentlich schon längstens nicht mehr über die Strukturen; und jetzt sind solche Fragen plötzlich wieder sperrangelweit offen, und allein deshalb müsste man ihnen schon verschiedene Preise verleihen.

Davon abgesehen will ich doch hoffen, dass Ihr die VW-Eskapade nicht nur für einen Kurzschluss im Hirn genutzt habt, wie alle anderen Menschen mit intaktem Denkvermögen auch – ich sage es jetzt halt doch noch mal, weil es so schön parabelhaft ist: Die Automobilindustrie hat nicht nur ihre Lobbyisten in allen Parlamenten und ihre Quasi-Experten in allen zuständigen Gremien in den Vereinigten Staaten und in der EU und bestimmt mithin selber, wo die Abgas-Grenzwerte sind, sondern zusätzlich bescheißt sie noch ihre eigenen Standards, das ist ja wirklich völlig jenseitig – aber abgesehen davon also will ich hoffen, dass ihr diese tatsächlich memorable Eskapade genutzt habt zum Kauf von VW-Aktien. Die waren nämlich am 17. März noch 254 Euro wert, und im Moment schleichen sie bei etwas über 100 Euro herum, das wird sich in den nächsten Wochen, wo nicht schon Tagen wieder tüchtig ändern, und da könnt Ihr ganz einfach zu-schnäppern. Rein in VW! – Oder Ihr könnt auch Call-Optionen erwerben zum aktuellen Kurs, da braucht Ihr das Kapital für die Aktien gar nicht erst aufzubringen, sondern erst zu jenem Zeitpunkt, da ihr die Option einlösen könnt, und zu diesem Zeitpunkt kriegt ihr dafür mit Sicherheit jede Menge Kredit.

Sodann haben wir vernommen, dass Präsident Obama dem chinesischen Staats- und Parteichef ordentlich die Leviten gelesen hat, weil die so grauenhaft herum spionieren, die Chinesen, und vielleicht auch, weil sie so grausam aufrüsten, die Chinesen, und vielleicht auch noch, weil sie einen so grausamen Energiebedarf haben, die Chinesen. Ja, das sind wirklich herbe Vorwürfe. Und dann kommen noch als Garnitur die Menschenrechte zur Sprache, versteht sich, oder die Frauenrechte, weil China offenbar kürzlich einige Frauenrechtlerinnen in den Knast hat werfen lassen. Umgekehrt wird Xi Jinping vielleicht jenen Satz aus dem neuesten Millennium-Krimi zitiert haben, wonach in den USA heute die Juristen die modernen Schlägerbanden seien und geistiges Eigentum mit allen Rechtstricks enteigneten – diesen Vorwurf höre ich übrigens nicht zum ersten Mal, aber da ich weder geistige noch sonstige Güter mein eigen nenne, löst er bei mir keine Panik aus.

Und schließlich haben sich die Oberösterreicher dafür entschieden, die Dummheit in ihrer politischen nationalistischen Form zu honorieren, nachdem der Flüchtlingsstrom die Bevölkerung in ihrer Gemütlichkeit einzuschränken droht. Daraus lässt sich nur ein Schluss ziehen: Es reicht noch nicht. Die österreichische Gesellschaft ist in ihren Grundfesten noch nicht genügend erschüttert worden, um sich kollektiv wieder mal ein paar anständige Gedanken zu leisten. Es muss soweit kommen, dass die endgültige Teilung von Österreich und Ungarn auch auf diesem Gebiet vollzogen wird. Endlich.