polyphon: Nackte Zahlen, nackte Körper - Pornographie in Zeiten des Internets

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Jeder tut es, aber kaum jemand redet darüber: Pornos schauen. Pornographie gab es zwar schon immer, doch mit der Verbreitung des Internets hat sich auch die Pornographie gewandelt. Aus den Pornomagazinen und Rotlichtbezirken ist eine Multimilliardendollar-Industrie entstanden. Pornos sind heute für jeden sofort verfügbar, kostenlos, schnell und unkompliziert – und der Pornokonsum fängt immer früher an – das durchschnittliche Einstiegsalter für Jungen liegt derzeit bei 11 ½ Jahren.

Dazu werden die Darstellungen immer brutaler. Pornographische Bilder begegnen uns heute ständig im Alltag. Halbnackte Frauen bewerben alles von Autos über Parfum bis hin zu Lebensmitteln. Die Internet-Pornographie muss sich von diesen „harmlosen“ Darstellungen abheben und die Produzenten greifen zu immer gewalttätigeren, drastischeren Bildern.

Die Pornoperspektive ist dabei fast durchweg eine männliche – Frauen werden darin zu Objekten der männlichen Befriedigung degradiert.

Doch was macht das mit unserer Gesellschaft, wenn junge Männer zu gewaltverherrlichenden, herabwürdigenden Darstellungen von Frauen masturbieren? Macht es überhaupt etwas mit ihnen, oder ist das alles nur Fiktion?
Audio
03:42:55 h, 51 MB, mp3
mp3, 32 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 10.10.2015 / 18:18

Dateizugriffe: 7

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Frauen/Lesben, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Thomas, Frida, Philippe von polyphon
Radio: RaBe, Bern im www
Produktionsdatum: 29.09.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
[Moderation]
Hallo und herzlich willkommen.
Ich bin der Philippe und du hörst polyphon.
Heute werfen wir einen Blick auf ein omnipräsentes Tabuthema. Wir sprechen über nackte Körper und nackte Zahlen - über Pornographie in Zeiten des Internets.
[teaser 1]
In den letzten 20 Jahren hat sich Pornographie grundlegend gewandelt. Musste man oder frau in den 80er Jahren noch ein schmuddeliges Kino aufsuchen oder in der Videothek die Pornoecke finden, so gibt es heute pornographisches Material mit zwei Klicks jederzeit und überall auf deinem Smartphone zu haben.
Mit dem Internet ist die Pornoindustrie sowas wie erwachsen geworden. In den USA, dem grössten Produzenten von Pornographie, erzielt die Pornoindustrie jährlich ein Umsatz von 13 Milliarden Dollar. Das sind satte 3 Milliarden mehr als der Jahresumsatz von Hollywood.
Kinder wachsen heute selbstverständlich mit Pornographie auf. Das durchschnittliche Alter, in dem ein Junge das erste Mal Hardcore Pornographie konsumiert, ist 11½ Jahre und auch das Dökterlispiel im Kindergarten ist oftmals nicht mehr so harmlos wie einst.
[teaser 2]
Wegen der Konkurrenz dieses Industriezweigs gibt es heute deutlich frauenverachtendere Pornos als noch vor dem Internet. Herabwürdigende Beschimpfungen, fiktive Vergewaltigungen und pseudo-Kinderpornographie, in der junge Frauen angezogen wie Teenager auftreten, gehören heute selbstverständlich in diese Bilderwelt.
Für die heutige Sendung haben wir ein langes Gespräch mit der weltweit führenden feministischen Forscherin zu Mainstream Pornographie geführt. Gail Dines [„Geyl Dains“] ist Professorin für Soziologie und Frauenforschung am Wheelock College in Boston.
Im Beitrag von Thomas und Frida hörst du, was sie über die Grösse der Pornoindustrie, über die Bilder, die man als Feminist oder Feministin schwer ertragen kann, über die Auswirkungen von Pornographie auf unsere Sexualität und über die Pornographisierung der Gesellschaft sagt.
[Thomas]
Pornographie hat seit jeher Feministinnen und Feministen gespalten. Die PorNO-Kampagnen der 80er Jahre haben sie grundsätzlich als frauenverachtend abgelehnt. Frauen werden zu Objekten degradiert. Der Cumshot, das Abspritzen ins Gesicht der Darstellerin am Ende fast eines jeden Films steht wie nichts anderes symbolisch für die Erniedrigung von Frauen in diesem Genre.
Andererseits haben sich viele Feministinnen irgendwann alternativen Formen des Pornos zugewandt. Ursprüngliche Aktivistinnen wie Petra Joy sind selbst zu Produzentinnen geworden. Sie haben sowas wie Richtlinien für feministischen Porno entwickelt. Es gibt alternative Labels, Internetseiten, Filmfestivals. Im Feminismus ist es still geworden um die Mainstream Pornographie. Wenige beschäftigen sich damit noch intensiv. Im Vergleich zur Grösse der Industrie und den sexistischen Bildern, die sie produziert, gibt es vergleichsweise wenig Forschung in den Gender Studies. Dem Fach, das einst aus der zweiten Frauenbewegung heraus entstanden ist. Nur sehr wenige beschäftigen sich noch intensiv damit aus einer feministischen Perspektive. [1.14]
[Vorstellung, 0.32]
Mein Name ist Dr. Gail Dines und ich bin Professorin für Soziologie und Women’s Studies am Wheelock College in Boston. Zudem bin ich Gründerin der non-profit Organisation „Culture Reframed“ und Autorin des Buches „Pornland – How Porn has hijacked our Sexuality“. Ich engagiere mich seit über zwanzig Jahren gegen die Porno-Industrie und den Schaden, den sie anrichtet. Denn Pornographie ist kein individuelles Problem sondern ein kulturelles.
Pornhub, youporn, alphatube, sex.com, redtube, porndig, guterporn.com. Die Pornoindustrie ist mit dem Internet gross geworden. Und das Internet ist mit der Pornoindustrie gross geworden. Viele Sachen, die heute selbstverständlich sind – Bezahlsysteme, pop-ups, Werbung – waren ursprünglich Erfindungen der Pornolabel, die als erste das Internet für sich entdeckten.
Gail Dines beschreibt in ihrem Buch Pornland auf den ersten 6 Seiten nüchtern und detailliert, auf was man alles stösst, wenn man bei Google Porn eingibt. Danach war mir erst mal schlecht. Aufgelistet sind die gängigen Praxen, von denen ein Grossteil die Pornodarstellerin möglichst erniedrigt zeigen. Auf der Seite GagFactor.com zu deutsch Würg-Faktor gibt es ausschliesslich das sogenannte Deep-Throating in allen erdenklichen Variationen. Begrüsst wird man mit der sympatischen Einladung: Jetzt Mitglied werden und Zugang zur kompletten Entwürdigung erhalten.“ Ich möchte euch die Details der Seite gern ersparen. [1.14]
[wie dazu gekommen 1.49]
du beschäftigst dich schon lang mit Pornographie. Seit vielleicht fünfzehn Jahren über. Du hast sehr viel dazu geschrieben und bist politisch engangiert. Wie kam es dazu?
Das kam eher durch Zufall. Ich hab in einem Zentrum für Vergewaltigungsopfer gearbeitet und da eine Menge Polizeiberichte gelesen. Das war noch in der vor-Internet-Zeit, und was mir auffiel, war, dass fast alle Serienvergewaltiger grosse Pornosammlungen hatten, die bei den Durchsuchungen gefunden wurden. Zur gleichen Zeit gab es da eine Veranstaltung von „Feminists against Pornography“ in New York. Und als ich dort hinging, konnte ich es einfach nicht glauben – die Gewalt dieser Bilder. Ich konnte nicht glauben, dass A) Männer solche Bilder machen und dass B) andere Männer davon erregt waren.
Es war für mich ein echtes Erwachen. Ich wusste immer Bescheid über Gewalt gegen Frauen und über Misogynie. Aber bis ich diese Bilder gesehen hatte, hatte ich nicht wirklich begriffen in was für einer Frauen-hassenden Kultur wir eigentlich leben. Zu der Zeit schrieb ich meine Doktorarbeit und eigentlich sollte es um Soziologie und Bildung gehen. Aber ich verwarf das Thema und schrieb stattdessen über die Soziologie von Pornographie. Ich glaube ich war die erste Person, die eine Dissertation über die negativen Auswirkungen der Pornographie aus einer soziologischen Perspektive geschrieben hat. Es gab zu dem Thema nicht viel Literatur, also habe ich ein theoretisches Modell entwickelt, um zu erklären, wie Pornos die Sicht von Männern auf Frauen beeinflussen. Als Individuen und als Klasse, denn Pornographie ist heute die wichtigste Form der Sexualerziehung. Die meisten Jungen in der westlichen Welt lernen Sex durch Pornos. Und etwas das eine solche Macht hat, sollten wir als Akademikerinnen und Akademiker untersuchen.
[wie damit umgehen 0.50]
Als ich dein Buch „Pornland“ gelesen habe, hatte ich manchmal echt Schwierigkeiten, weil du gewisse Szenen bis ins Detail beschreibst. Der grösste Teil der heutigen Pornos ist extrem gewalttätig und sexistisch und als Feministin oder Feminist ist es schwer, sich das anzuschaun. Wie gehst du damit um? Wie hältst du das aus?
Es war hart das zu schreiben. Ich musste mich eingehend damit beschäftigen. Siese Szenen, die habe ich innerhalb von fünfzehn Sekunden gesehen, nachdem ich „Porno“ bei Google eingegeben hatte. Also, wenn ich diese Szenen innerhalb von fünfzehn Sekunden zu sehen bekomme, kann man davon ausgehen, dass ein durchschnittlicher zwölfjähriger Junge die innerhalb von zehn Sekunden auf dem Bildschirm hat. Ich gehe damit um, wie jede andere Aktivistin, die sich mit sexueller Gewalt und Folter beschäftigen muss – ich habe mir ein gutes Leben darum herum aufgebaut, umgebe mich mit gleichgesinnten Aktivistinnen und Aktivisten. Das heisst aber nicht, dass ich mich nicht manchmal in eine Ecke verkriechen und einfach heulen will. Aber jede Aktivistin muss sich ein Leben voller Hoffnung aufbauen, sonst kann man diese Arbeit nicht ertragen.
[porn industry goes internet 2:30]
Du schreibst, dass die Pornoindustrie ja mit dem Internet erst erwachsen geworden ist. Was ist in den letzten zwei Jahrzehnten passiert?
Ich glaube es war so um 2000 herum, dass die Porno-Industrie angefangen hat zu verstehen, dass das Internet mehr und mehr die Kommunikation übernehmen würde. Es war nicht nur das Internet, das die Pornographie beflügelt hat – es war die Pornographie, die das Internet beflügelt hat. Viele Dinge die wir heute im Internet sehen, Pop-Ups, private Zahlungssysteme, wurden von der Porno-Industrie entwickelt.
Denn das Internet hat drei Dinge verändert: Es hat Pornos bezahlbar, zugänglich und anonym gemacht. Diese drei Entwicklungen befördern die Nachfrage. Je alltäglicher das Internet wurde, desto mehr Pornos gab es auch im Internet. Statistiken deuten darauf hin dass ein Drittel aller Suchanfragen heute das Wort „Porno“ enthalten. Tatsächlich hat also die Porno-Industrie das Internet ausgeschlachtet. Und weil Pornos jetzt für jeden zugänglich sind, steigert das die Nachfrage nach besonders grausamen Bildern.
Wenn wir eine oder zwei Generationen zurückgehen, an einen dreizehn- oder vierzehnjährigen Jungen denken, bei dem die Hormone verrückt spielen, dann würde dieser Junge ab und zu einen Blick in die Playboy-Hefte seines Vaters werfen. Aber ansonsten hätte er einen begrenzten Zugang zu Pornos. Diese Jungen, die damals aufgewachsen sind, haben irgendwann eine Frau gefunden und sich von Pornos emanzipiert.
Heute hingegen fangen sie gleich mit Hardcore-Pornos an und im Internet sind sie nur einen Klick von den gewalttätigsten Bildern entfernt. Die Veränderungen im Gehirn von Jungen in diesem Alter sind beträchtlich. Je mehr Pornos sie sich ansehen, desto mehr verändern sich ihre Gehirne.
Davon abgesehen ist es heute cool geworden, Pornos zu schauen. Immer mehr Jungen fangen damit immer früher an. Diese Jungen haben heute bereits eine fünfzehn- oder zwanzigjährige Beziehung mit Pornos hinter sich. So wie bei jeder Gewöhnung oder Sucht brauchen sie immer stärkeren Stoff. Meiner Meinung nach hat sich die Porno-Industrie damit selbst ein Bein gestellt, weil sie so schnell so hardcore geworden sind. Wenn man heute Menschen aus der Porno-Industrie befragt, sagen die, dass sie mit der Nachfrage nicht mehr mithalten können. Irgendwann kann sich auch die Porno-Industrie nicht mehr steigern. Es gibt nichts mehr, was sie dem weiblichen Körper noch nicht angetan haben – abgesehen vom Mord direkt vor der Kamera.
[Musik 2]
Big black cock, asian sluts, gang bang, interracial porn, amateure, double penetration. Die Kategorien, die wir auf Pornoseiten finden, sind unendlich ausdifferenziert. Doch es gibt einige, die sind viel populärer als andere. Und es gibt die populärste Sparte, die sooft gesucht wird wie keine andere: pseudo-Kinderpornographie. Oder, wie sie auf den Porno-Seiten genannt wird: Teen-Porn. Hier werden junge Frauen 18 Jahre oder ein wenig älter rekrutiert. In den Pornos, die sie darstellen, sehen sie dann aus wie Schulmädchen oder Kinder. Manche Produzenten versuchen sich dadurch hervorzuheben, dass sie nur junge Darstellerinnen zeigen, die noch nie in einem Porno zu sehen waren. [0.51]
[pcp, 1.29]
Der wichtigste Suchbegriff für Pornos ist „Teenporn“. Er ist häufiger als alle anderen Suchbegriffe. Ich habe ein paar Vergewaltiger interviewt, die alle im Gefängnis sassen, weil sie Kinderpornos heruntergeladen und Kinder vergewaltigt hatten. Doch diese Männer waren keine Pädophilen. Der Begriff pädophil hat eine sehr begrenzte Definition, er beschreibt jemanden, der Sex mit Kindern dem Sex mit Erwachsenen vorzieht. Alle diese Männer bevorzugten eigentlich Sex mit erwachsenen Frauen und hatten bis in ihren Dreissigern oder Vierzigern, niemals ein Kind belästigt, während Pädophile meistens mit vierzehn oder fünfzehn entdecken, dass sie sich zu Kindern hingezogen fühlen. Diese Männer konnten also nicht als Pädophile klassifiziert werden. Und als ich sie fragte, ob sie pädophil waren, da waren sie regelrecht beleidigt und sagten: Nein, natürlich nicht. Also habe ich sie gefragt: Warum hast du dir Kinderpornos angesehen? Warum hast du ein Kind vergewaltigt?
Und sie sagten: Wir haben uns gelangweilt. Wir hatten keine Lust mehr auf diese Huren und dreckigen Schlampen in den Pornos. Wir wollten etwas Unschuldiges. Und so kamen sie von gewöhnlichen Pornos zu Kinderpornos und die Zwischenstation waren die Teen-Pornos. Sie haben ein bisschen mit Teen-Pornos herumprobiert, weil Kinderpornos illegal sind. Und in den Teen-Pornos sehen die Frauen wirklich aus wie zwölf oder dreizehn.
[interracial, 1.08]
Neben Geschlecht spielt Race eine grosse Rolle in der Pornographie. Das ist ein englischer Begriff und man könnte das mit „Rasse“ übersetzen. Doch das passt nicht richtig, weil es nicht um körperliche Merkmale geht. Vielmehr bezieht sich Gail Dines mit Race auf die stereotypen und diskriminierenden Vorstellungen, die Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe zugeschrieben werden. [0.28]
Es gibt ein Porno-Genre, das heisst „Interracial“ und man würde annehmen, dass es sich dabei einfach um Sex von Menschen unterschiedlicher Hautfarben handelt, aber in Wirklichkeit ist das sehr spezifisch: Es sind schwarze Männer und weisse Frauen. Das ist besonders bei weissen Pornokonsumenten sehr beliebt. Interessant dabei ist, dass die schwarzen Männer als „hyper-pornographisch“ dargestellt werden, sie werden quasi als sexualisierte Bestien gezeigt. Das ergibt durchaus Sinn in den Vereinigten Staaten, weil schwarze Männer und die schwarze Gemeinschaft allgemein schon immer so dämonisiert wurden, als „sexuell ausser Kontrolle“.
Die weissen Frauen, die „interracial“ Pornos machen, können ihre Porno-Karriere danach an den Nagel hängen, denn sobald sie einmal mit schwarzen Darstellern gedreht haben, werden sie nicht mehr für Filme mit weissen Männern gebucht – so rassistisch ist die Industrie. Sie können dann nur noch Filme mit schwarzen Männern machen, weil sie jetzt für die Männer, die ihnen zusehen ewig als „interracial“ gebrandmarkt sind.
Die Pornoindustrie ist ein riesiger Markt geworden. Zahlen sind schwer zu finden, 13 Milliarden werden allein in den USA gemacht. 2006 wurde der weltweite Umsatz auf 96 Milliarden geschätzt. Das ist mittlerweile deutlich mehr geworden. Das grösste Unternehmen ist Mindgeek, mit Sitz in Luxemburg, geführt von dem deutschen Jungunternehmer Fabian Thylmann. Zu Mindgeek gehört zum Beispiel das bekannte Portal youporn. Mit Mindgeek wurden im Imperium der Pornoindustrie frühere Giganten wie zum Beispiel Girls gone wild abgelöst.
96 Milliarden, das bedeutet, dass unzählig viele Menschen als Darstellerinnen und Darsteller arbeiten. Doch wie sind die Arbeitsbedingungen in diesem Sektor? Wie lange kann man das machen? Gail Dines...
[Arbeitsbedingungen, 1.23]
In den letzten Jahren hat sich viel verändert aber die durchschnittliche Frau kann diesen Job nur etwa drei Monate lang machen. Länger kann ihr Körper die Gewalt nicht aushalten.
Weil ich hier im Radio spreche, kann ich nicht in allen Einzelheiten darauf eingehen, aber die körperlichen Verletzungen, die sexuell übertragbaren Krankheiten und natürlich auch das emotionale Trauma sorgen dafür. In den letzten Jahren gibt es auch vermehrt die sogenannten free-porn-sites, die ein Sprungbrett in die Porno-Industrie sind. Neun der top-fünfzehn gratis Pornoseiten gehören der Firma MindGeek. Die kopieren viele Inhalte von anderen Webseiten, so dass der Lohn, den Frauen für eine Szene bekommen, gefallen ist. Viele von den Frauen in der Porno-Industrie müssen sich also irgendwann prostituieren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Tatsächlich fängt niemand an Pornos zu machen, weil er Sex mag. Genauso wie niemand anfängt sich zu prostituieren, weil er Sex mag. Man tut es, weil man keine andere Möglichkeit hat. Die Frauen sind oft Opfer von sexuellem Missbrauch, sie werden häufig drogenabhängig gemacht, oft von ihren Zuhältern, sie landen also wirklich dann in der Porno-Industrie, wenn ihnen kein anderer Ausweg bleibt und von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt bis in die Prostitution.
[Schwarze Darsteller]
Frage: „Race“ spielt eine grosse Rolle im Porno – was sind die Auswirkungen auf zum Beispiel schwarze Darstellerinnen und Darsteller?
Schwarze Darstellerinnen und Darsteller verdienen viel weniger, besonders die Frauen. Ausserdem schwarze Frauen mit weissen Männern ist wahrscheinlich die gewalttätigste aller Porno-Varianten. Ich bin durch meine Arbeit einiges gewöhnt, aber wenn ich manche dieser Seiten anschaue, eine davon namens „Ghetto Gaggers“. Ghetto ist ein rassistischer Begriff, um „schwarze“ Nachbarschaften zu beschreiben und gagging bedeutet die Frau mit einem Penis zu knebeln, bis sie beinahe erstickt. Also diese Webseite auf der Filme von schwarzen Frauen und weissen Männern gezeigt werden, ist so brutal, es ist unerträglich, sich das anzusehen. Und das sage ich als jemand, der eine Menge Pornos gesehen hat. Schwarze Frauen leiden am meisten in der Porno-Industrie: Sie werden schlechter bezahlt als ihre weissen Kolleginnen, sie machen die gewalttätigsten Filme und sie werden keine Pornostars. Tatsächlich gibt es nur eine Handvoll Frauen, die zu Pornostars werden. Die paar weissen Frauen, die diesen Status erreichen, machen dann in kurzer Zeit relativ viel Geld und dann sind sie wieder weg vom Fenster. Für jede von ihnen gibt es hunderte und tausende, die gleich weggeworfen werden, wenn sie verbraucht sind.
[männliche Darsteller]
Frage: In deinem Buch schreibst du über die Porno-Darstellerinnen, die du getroffen hast – eigentlich ausschliesslich Frauen. Warum berichtest du nicht auch über männliche Porno-Darsteller?
Weil ich keine gefunden habe, die bereit waren mit mir zu sprechen. Es ist unmöglich in der Porno-Industrie jemanden zu finden, der darüber spricht aber es ist fast genauso unmöglich jemanden zu finden, der die Porno-Industrie verlassen hat.
Interessanterweise haben sich nach der Veröffentlichung meines Buches viele Männer bei mir gemeldet, die in der Porno-Branche tätig waren. Sie schrieben mir, dass sie mein Buch gelesen hätten und mit mir reden wollten. Sie erzählten mir, dass sie die Porno-Industrie verlassen haben, weil sie es nicht mehr aushalten konnten, was sie den Frauen antaten. Einige der Männer im Porno-Business sind bestimmt Psychopathen, aber die meisten sind ganz normale Männer. Viele von ihnen sagten zu mir: Ich bin irgendwann an den Punkt gekommen, wo ich Frauen nicht mehr so behandeln konnte. Einen Mann habe ich in meinem Buch interviewt, dieser Mann ist Porno-Regisseur gewesen und er sagte zu mir: Ich kam zu einem Photo-Shoot und der letzte Satz den der Produzent zu mir gesagt hat, war: Mach die Schlampe fertig. Ich habe Töchter und ich konnte nachts nicht mehr schlafen, weil ich mich nicht mehr wie ein Mensch gefühlt habe. Man könnte ein ganzes Buch schreiben darüber was die Porno-Industrie auch mit den Männern macht.
[Musik 3]

[Zwischenmoderation]
Hallo
Du hörst polyphon. Heute zum Thema „Nackte Zahlen und Nackte Körper“. Die Feministin und Pornographieforscherin Geyl Dains erklärte bisher, wie sich die Pornographie und die Pornoindustrie im Internetzeitalter verändert haben. Im zweiten Teil der Sendung geht es um die Frage, wie die Pornographie heute die gesamte Gesellschaft beeinflusst und unsere ganz eigene Sexualität beeinflusst.

[Thomas]
Ok, firefox öffnen, youtube.com. Und jetzt ein Video das alle kennen. Miley Cyrus Wrecking Ball. Enter.
[Musik : Wrecking ball]
Wären wir noch in den 80er Jahren und würden uns Musikvideos von Grössen wie Miley Cyrus, Beyonce oder Rihana ansehen, wir würden denken, es handele sich um einen Softporno. Miley Cyrus räkelt sich in diesem Video halb bis ganz nackt an der Wand. Leckt abwechselnd an einem Vorschlaghammer oder an der Stahlkette der Abrissbirne, auf der sie durch den Raum schaukelt. Dann macht sie später mit der Hand so Bewegungen, als sei der Vorschlaghammer ein riesiger Penis, dem sie einen runterholt.
Nicht nur die Pornographie hat sich in den letzten Jahren verändert. Auch die Bilder der Popkultur sind einem grundlegenden Wandel unterzogen worden. Sie sind viel sexualisierter, zeigen immer mehr halbnackte Frauen, die so blicken, als würden sie gleich zum nächsten Pornodreh gehen. Gail Dines beschreibt dieses Phänomen als Pornographisierung unserer Kultur, die durch die Pornoindustrie verursacht ist.
[Pornographisierung]
„Softcore“-Porno ist in die Popkultur übergegangen. Ob das MTV ist, oder die Cosmopolitan – die Bilder die man dort sieht, hätte man vor zwanzig Jahren als Softpornos bezeichnet. Heute ist das mainstream Popkultur. Und je pornographischer Popkultur wird, desto mehr hardcore muss Pornographie werden, damit man die beiden noch auseinander halten kann. Wir leben heute in einer Pornokultur. Wo man auch hinsieht, sieht man pornografische Bilder von Frauen. Wenn man die Strasse entlanggeht, eine Zeitschrift aufschlägt, fernsieht, überall begegnen einem herabwürdigende, brutale, pornographische Darstellungen. Und dann muss man nur seinen Computer anmachen und „Porno“ bei Google eingeben und bekommt hunderttausende Bilder von Frauen, die gequält und gefoltert werden.
Wir haben noch nie in so einer Gesellschaft gelebt. Wir haben noch nie erlebt, dass eine ganze Generation von jungen Männern mit hardcore Pornos aufwächst. Darum schreibe ich in meinem Buch: Wir befinden uns mitten in einem gesellschaftlichen Experiment. Den Preis dafür müssen wir alle bezahlen.
Und als jemand, der Medienwissenschaften studiert hat, kann ich sagen: Man kann eine Kultur nicht mit Pornos überfluten und erwarten, dass das keinen Einfluss auf die Jungen und Männer hat. Und wenn man die Männer verändert, verändert man die Frauen und dann verändert man die ganze Gesellschaft, die Kultur. Das ist eine Frage der allgemeinen Gesundheit. Der Slogan meiner Gruppe „Reframed“, lautet daher auch: „Lösung für das allgemeine Gesundheitsproblem im Digitalen Zeitalter“. Denn wir argumentieren damit, dass Pornokonsum und Pornosucht die grössten Gesundheitsprobleme im Digitalen Zeitalter sind.
[Auswirkungen auf Sexualität]
Frage: In deinem Buch geht es viel um Sexualität, der Untertitel lautet ja auch „Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt“. Was sind die Effekte des Pornokonsums auf die Sexualität?
Wir wissen, dass immer mehr Jungen und Männer unter erektiler Dysfunktion leiden – sie können keine Erektion mehr bekommen oder sie können sie nicht aufrechterhalten. Sie masturbieren lieber zu Pornos als Sex mit einer echten Frau zu haben. Sie sind immer mehr auf der Suche nach hook-up Sex, der wie Porno-Sex aussieht. Ein anderes Thema ist, dass immer mehr Männer zu Prostituierten gehen, wegen dem Level an Gewalt, das sie beim Sex brauchen. Wenn ein elfjähriger Junge, der noch nie Sex hatte und nur zu Pornos masturbiert hat, anfängt Sex zu haben, dann will er den Sex, den er in den Pornos gesehen hat. Für einen Jungen, der mit Pornos aufgewachsen ist, ist eine intime, respektvolle, sexuelle Beziehung mit einer echten Frau langweilig.
Diese Jungen wollen hardcore Pornosex haben, aber eine normale Frau wird da nicht mitmachen. Was machen diese Jungen also? Sie gehen zu einer Frau, die nicht nein sagen kann. Und das sind Prostituierte und Zwangsprostituierte. Ich war neulich bei einer Konferenz, bei der eine britische Wissenschaftlerin gesprochen hat, die ein Buch über Prostituierte in Kambodscha geschrieben hat. Diese Prostituierten sagten, die Männer kämen mit den Pornos auf dem Handy ins Bordell und sagten zu den Frauen: Mach das mit mir! Da liegt die Verbindung zwischen Hardcore-Pornos, Prostitution und Menschenhandel.
Pornographie verändert die Art und Weise, wie Männer über Intimität und Beziehungen denken. Wir müssen uns fragen: Wollen wir eine gesunde, kreative und lustbetonte Sexualität für alle? Pornographie ist formelhafter, mechanischer Sex. Pornographie raubt der Sexualität die Kreativität und Authentizität. Wir müssen eine Sexualität erschaffen, die frei ist von Schamgefühlen und die kreative, intime Verbindungen zulässt. Doch genau das zerstört die Pornographie.
[Gewalt]
Frage: Du sprichst auf vielen Vorträgen auch darüber, wie Pornographiekonsum und sexualisierte Gewalt zusammenhängen. Nun wissen wir, dass nicht alle Pornokonsumenten von ihren Computern aufstehen und zu Vergewaltigern werden. Wo liegen die Zusammenhänge?
In der Tat zeigen die Studien, dass nur ein ganz kleiner Anteil der Pornokonsumenten auch Vergewaltiger sind. Wir erforschen eher, wie Haltungen und Verhaltensweisen durch den Pornographiekonsum geprägt werden. Wenn wir uns die Forschungsergebnisse der letzten vierzig Jahre vergegenwärtigen, dann steht eines fest: Pornos prägen den Blick von Männern auf Frauen. Sie prägen die Art, wie sie über sich selber nachdenken. Sie prägen das Verständnis von Intimität und Sexualität.
Pornographie macht Männern keine Lust darauf, Verbindungen einzugehen. Sie bewirkt, dass Männer von Frauen denken, sie seien nuttig, abstossend, verachtenswert. Sie hat auch Einfluss darauf, wie Männer die Rolle von Frauen in der Gesellschaft sehen. Ich habe Mühe, irgendwelche positiven Seiten zu benennen. Das ergibt auch Sinn, denn alles was wir von Medientheorie, Soziologie und Psychologie gelernt haben, ist, dass Bilder die Handlungen der Menschen prägen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sich Männer einen runterholen während sie Bilder von vergewaltigten Frauen sehen und dass sie das nicht beeinflusst.
[Musik 4]
Die Pornoindustrie ist vor allem auch eine kapitalistisch organisierte Branche. Es wird Profit produziert, es gibt vor allem Männer, denen die Unternehmen gehören und die viel mehr verdienen als die Darstellerinnen und Darsteller, die wir zu sehen bekommen. Seit jeher haben sich feministische Marxistinnen und Marxisten mit dem Zusammenhang zwischen Geschlecht und Kapitalismus beschäftigt. Sie haben darauf hingewiesen, dass vor allem Frauen die sogenannte Reproduktionsarbeit leisten. Sie sind für den grössten Teil der Familienarbeit zuständig, kochen, kümmern sich um die Kinder und pflegen, wenn jemand krank wird. Sie sorgen damit dafür, dass vor allem Männer wieder fit werden, um ihre Arbeitskraft im Kapitalismus verkaufen zu können.
Nun geht es in der Pornographie nicht um diese Reproduktionsarbeit. Hier werden frauenverachtende Bilder zu Waren. Frauen in noch mehr entwürdigenden Darstellungen zu zeigen scheint die Strategie zu sein, um in der harschen Konkurrenz der Pornoindustrie zu bestehen.
Ich habe Gail Dines diese etwas theoretischere Frage gestellt. Müssen wir neu über das Verhältnis von Geschlecht und Kapitalismus nachdenken?
[Kapitalismus]
Gail: Radikale Feministinnen wie ich waren immer der Meinung, dass es ohne Kapitalismus keine Pornographie geben kann. Der Kapitalismus vermarktet alles, ob das nun menschliche Körper sind oder das Wasser das wir trinken. Das Patriarchat sorgt dann dafür dass vor allem die Körper von Frauen und Kindern kommerzialisiert werden. Ich denke das Problem der marxistischen Feministinnen ist, dass sie nicht auf der Höhe der Kultur sind. Reproduktion und Ausbeutung am Arbeitsplatz sind sehr wichtige Themen, aber man kann nicht über Pornographie reden ohne die Mechanismen des Kapitalismus zu verstehen. Wenn mit Pornographie kein Geld verdient werden könnte, dann hätte sich das Problem erledigt. Wie viele Frauen würden sich sexuell ausbeuten, das ganze filmen lassen und einer unbegrenzten Anzahl an Männern zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stellen, wenn sie damit kein Geld verdienen würden? Sie tun es aus Verzweiflung, weil sie Geld verdienen müssen. Der Kapitalismus macht Frauen und insbesondere schwarze Frauen arm – ohne Kapitalismus würde die Pornoindustrie zusammenbrechen, wie die meisten anderen Industrien auch.
[Widerstand]
Frage: Also ich dein Buch gelesen habe, war es sehr hart, sich durch die ganzen Kapitel zu kommen, in denen du die Pornoszenen beschreibst und die ganzen deprimierenden Entwicklungen. Dann war ich erst erleichtert, dass das letzte Kapitel „Zurückschlagen“ heist. Aber es waren nur 4 oder 5 Seiten, auf denen du sagst, dass wir gar nicht so viel Macht gegen eine so grosse Industrie haben. Das letzte Kapitel in deinem Buch heisst „Zurückschlagen“ aber die meiste Zeit sprichst du davon, wie schwer es ist gegen so eine mächtige Industrie vorzugehen. Welche Chancen siehst du überhaupt für politischen Aktivismus?
Das ist eine gute Frage. Was wir angefangen haben, war die Gruppe Culture Refraimed. Das ist eine Public Health Gruppe, die Programme für Eltern und Leute entwickelt, die mit Jugendlichen arbeiten. Sie werden zu den schädlichen Einflüssen von Pornographie ausgebildet.
Das erste Programm zeigt Eltern wie sie mit ihren Kindern über Pornographie sprechen können bevor diese Probleme damit bekommen. Es gibt sehr wenig Wissen über Pornographie überhaupt und sehr wenig Wissen darüber, wie Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen können.
Unser zweites Programm ist Internet-basiert für Leute, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Lehrpersonen, Therapeutinnen und -therapeuten. Das soll eine ganze Bewegung sein, denn wir können das nicht allein schaffen. Ich reise durch die ganze Welt und halte Vorträge vor allem für Regierungen. In England haben sie etwas eingeführt, das heisst Opt-In, Opt-out. Das heisst, dass der Internetanbieter Pornographie nicht standardmässig anbietet. Dafür muss man den Anbieter jedesmal anrufen und sagen, ich möchte jetzt einen Zugang haben. Und das kann nur die Person, die eine Kreditkarte hat, machen. Das ist zwar keine Lösung für das ganze Problem, aber es ist ein Anfang.
In Los Angeles, wo die ganze Pornographie gemacht wird, gab es neulich eine neue Verordnung. Jetzt müssen alle Pornodarstellerinnen und -darsteller Kondome benutzen. Es ist schwierig, dieses Gesetz durchzusetzen, aber es gibt viele Kräfte, die dieses Vorhaben unterstützen. Ich denke, was passieren wird, ist, dass die Produzenten das Land verlassen werden und nach Osteuropa gehen. Die Menschen in Osteuropa sollten darauf vorbereitet sein, dass die Pornoindustrie kommen wird.
Wir müssen nach Wegen suchen, die Pornoindustrie zu beschränken. Wir haben dafür eine Strategie, die Gulliver-Strategie. Nehmen wir als Beispiel die Tabakindustrie. Es gab nicht