Nur salbungsvolle Worte?

ID 7362
  Extern gespeichert!
60 Jahre nach dem Massaker im norditalienischen Sant Anna war mit Otto Schily erstmals ein offizieller deutscher Vertreter bei der Gedenkfeier.
Audio
07:46 min, 3735 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 17.08.2004 / 17:31

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Entstehung

AutorInnen: Maike Dimar
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 17.08.2004
keine Linzenz
Skript
ANMOD Sant Anna:

Nur salbungsvolle Worte oder ein Eingeständnis deutscher Schuld?
Auf jeden Fall war Innenminister Otto Schily letzte Woche Donnerstag in Sant Anna. Dort, wo vor 60 Jahren eines der größten Massaker an der italienischen Bevölkerung stattfand. Am 12. August 1944 überfiel die 16. Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS" das kleine norditalienische Dorf Sant' Anna di Stazzema und ermordete 560 BewohnerInnen, nur ganz wenige überlebten.
Keine Reise wert war der deutschen Regierung dieses Verbrechen über Jahrzehnte hinweg. Doch die Umstände haben sich geändert: Seit April diesen Jahres ermittelt die Militärstaatsanwaltschaft in La Spezia gegen drei ehemalige SS-Offiziere. Lange schlummerten die nötigen Akten und Zeugenaussagen in Rom, im so genannten „Schrank der Schande“, versiegelt und mit der Türe zur Wand gedreht. Man wollte Deutschland in Zeiten des Kalten Krieges nicht vergrätzen, so die wohl wahrscheinlichlichste Begründung für dieses seltsame Vorgehen.
Von Rom zurück nach Sant Anna. Seit Beginn des Prozesses gegen die Mörder von Sant Anna ist der kleine Ort ins Interesse einer breiten internationalen Öffentlichkeit gerückt. Der sich auch die Bundesregierung nicht verschließen kann. Also rückte Otto Schily an, sein Sicherheitstross quälte sich die kilometerlangen Serpentinen ins Dorf hinauf und veränderte die alljährliche Gedenkfeier deutlich.
Lars Reissmann war dabei und berichtet über Schilys Stippvisite in Sant Anna. Er ist beim AK Distomo, der Überlebende und Angehörige von NS-Opfern unterstützt und für Entschädigung eintritt:





ABMOD:
Seit April diesen Jahres stehen drei ehemalige SS-Offiziere in La Spezia vor Gericht – für das Massaker in Sant Anna. Theoretisch, vor Gericht erscheinen werden sie nicht – das haben ihre Verteidiger angekündigt. Die Anklage lautet auf Mord.
In Deutschland schleppen sich die Ermittlungen dahin. Seit Herbst wird gegen rund ein Dutzend Verdächtige ermittelt. Eine Anklage kam bis jetzt nicht zustande. "Eine zähe Veranstaltung" seien die Ermittlungen, meint der Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Eckhard Maak. Weshalb in Italien schon der Prozess beginne, in Deutschland aber immer noch ermittelt werde, erklärt er so: "In Italien stützen sie sich auf Militärdokumente und argumentieren, dass die formal Verantwortlichen der Einheiten auch in strafrechtlicher Hinsicht die Verantwortung tragen." Dementsprechend werde gegen diejenigen mit dem höchsten Dienstgrad Anklage erhoben. "Wir versuchen aus einer größeren Anzahl von Leuten, die vor Ort waren, diejenigen, die die maßgeblichen Befehle gegeben haben, rauszufiltern. Das ist ein ungleich aufwändigerer Weg", argumentiert Maak.
Deutsche (oder notwendige) Gründlichkeit oder Verschleppung der Ermittlungen? Deutlich unwahrscheinlicher jedenfalls damit zu einer Verurteilung zu kommen. Die wenigen Überlebenden waren Kinder und sollen Täter erkennen, deren Gesichter sie sich kaum in Ruhe einprägen konnten. Weitere mögliche Zeugen sind Angehörige der Division. Doch nur wenn sie selbst nicht beteiligt waren, können sie aussagen. Und der Treueschwur der SS überdauert die Jahrzehnte: Fast nie kam es vor, dass ein SSler einen "Kameraden" belastete. Zwar hofft Maak, dass der Prozess in Italien "verwertbare Erkenntnisse abwirft". Zum Stand der eigenen Ermittlungen äußert er sich verhalten: "Wir rechnen schon damit, dass das Bild irgendwann so klar ist, dass wir zu einer Anklage kommen."
Irgendwann. Zu spät wohl für viele Überlebende oder direkte Angehörige der Opfer. Spät genug, um die Täter nicht mehr zur Rechenschaft ziehen zu müssen, die dann verhandlungs- oder haftunfähig sind - oder dazu erklärt werden.

Der Prozess in La Spezia geht im Oktober weiter.