Alte und neue Kriege 1916/2016

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Der 1. Weltkrieg war vor Jahren mit einer Fülle von Nachbetrachtungen vor allem der Kriegsursachen in den Medien. Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht die Entwicklung dieses Krieges hin zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen wie der Artillerie in den Jahren 1915 und 1916.

Im Ersten Weltkrieg waren die Opfer noch weitgehend auf die Soldaten an den Fronten beschränkt, im Zweiten waren Zivilisten die Hauptleidtragenden.
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Upload vom 05.01.2016 / 16:33

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache:
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: sonar -zeitlos-
Entstehung

AutorInnen: Jörg
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 05.01.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Kriege vor der Tür - die Kriege im letzten Jahrhundert

Zur Jahreswende 2015/16 liegt Westeuropa ein weiteres Jahr an der Grenze zu Kriegsgebieten. 2014 war es das Donbass, 2015 eskalierte der Krieg in Syrien. Die Kriegsflüchtlinge aus Syrien machten uns klar, dass der Krieg in Fußnähe zu unseren Wohnungstüren stattfindet.

Der Krieg - das ist für Europäer der ERSTE und ZWEITE WELTKRIEG - ist mehr als nur ein Krieg, bei dem Soldaten gegeneinander kämpfen. Der KRIEG der Moderne ist das massenhafte Töten von Gegnern und die Erwartung, selbst jederzeit zufällig getötet werden zu können.

Passend zur Welt der Massenproduktion von Waren, entscheidet die industrielle Fähigkeit zur Herstellung von Massentötungsmitteln über Sieger und Besiegte. So einen KRIEG haben wir derzeit weder in der Ukraine noch in Syrien. Aber vor diesem einen Krieg haben wir alle Angst.

Massenvernichtungswaffen sind eine deutsche Erfindung, sie werden aber durchaus von allen militärischen Massenmördern dieser Welt benutzt, die über Massenvernichtungswaffen verfügen. Massenvernichtungswaffen sind Waffen, die buchstäblich mit einem Schlag möglichst viele Menschen töten.

Das Töten von Menschen war bis zum Ersten Weltkrieg ein eher kleinteiliges, oft mühsames, psychisch belastendes und keineswegs ungefährliches Unterfangen.

Der britische Mayor General JBA Bailey schätzte in einer Untersuchung aus dem Jahr 2004, dass vor 1914 etwa 90 Prozent aller Verluste auf den Schlachtfeldern durch Handfeuerwaffen, Schlagwaffen oder Ähnlichem erzeugt wurden, im Ersten Weltkrieg waren es - rückblickend - dagegen wurde noch die Hälfte der Opfer mit kleinen Waffen getötet. Insgesamt stiegen aber die Opferzahlen in die Millionen.

Was veränderte sich in den Anfangsjahren des Ersten Weltkrieges?

Der Karriereoffizier der preußischen Armee Erich Ludendorff war im Rahmen des Überfalls auf Frankreich mit dem Aufbrechen des belgischen Festungsystems um Lüttich beauftragt. Und in der Tat gelang der Durchbruch im August 1914 durch den Einsatz von schwerster Belagerungsartillerie. Der lustige Name “Dicke Berta” für eine 42-CM-Kaliber-Kanone entstand in diesem Zusammenhang.

Der frisch dekorierte Kriegsheld Ludendorff wurde kurz darauf in den Generalstab der Ostfront in Ostpreußen versetzt und dort begann das kaiserliche Heer sehr erfolgreich ebenfalls schwere Festungartillerie einzusetzen - diesmal nicht gegen Beton, sondern gegen weiche Ziel - also gegen Menschen .

Der Erfolg war sprichwörtlich umwerfend: Die generischen Opfer wurden nicht mehr in hunderten oder tausenden, sondern in zehn- und hunderttausenden gezählt.

Der Historiker Golo Mann schrieb über diese neue Art des Krieges:

Zitat
"Hier im OSTEN hört man zum ersten Mal von den riesigen Zahlen, den hundert-, den zweihundertfünfzigtausend getöteten Feinden; nun erschienen die Bilder für jung und alt, welche die verlorenen, toten, ohne Kopf und Glieder in die Luft geschleuderten Russen zeigten. Der öffentliche Geist verhärtete sich rasch."
Zitat Ende

Im Laufe der deutschen Offensive im Osten 1915 verlor die russisch-zaristische Armee innerhalb von sechs Monaten eine halbe Million Soldaten.

Nach kilometerweiten Flugbahnen setzten gewaltige Explosionskräfte todbringende Granatsplitter frei. Die Splittergranate war quasi ein Maschinengewehr, das von oben in die Stellungen schießen konnte.

Der russische Generalstab STAFKA reagierte mit einem überstürzten Räumen fast des gesamten polnischen Territoriums im sog GROSSEN RÜCKZUG 1915.

Die Materialschlachten, Ausblutungsschlachten begannen 1916 auch an der Westfront. Mitte 1916 übernahm Ludendorff mit Paul v Hindeburg die deutsche Oberste Heeresleitung. Der Gegner sollte nicht besiegt, er sollte durch möglichst viele eigene Opfer zermürbt und zur Aufgabe gezwungen werden. Die Zivilbevölkerung sollte angesichts der gefallenen Väter, Söhne und Männer selbst den nötigen Druck für das Aufgeben aufbauen.

Doch im Gegensatz zur Front im Osten besaßen auch die Gegner der Deutschen im Westen die industrielle Kapazität Massenvernichtungswaffen in Form von schwerer, weitreichender Artillerie aufzubauen. Und so halten sich die Opferzahlen der Schlacht um Verdun, der Schlacht an der Somme 1916 oder der Schlacht an der Aisne 1917 auf beiden Seiten die Waage, summieren sich aber in die Millionen.

Am Ende führte die Barbarei des Massensterbens Russland und das Deutsche Reich in mehr oder weniger erfolgreiche Revolutionen, die schließlich den Krieg beendeten.

Auch im Zweiten Weltkrieg blieb die Artillerie Ursache der allermeisten Kriegstoten. Der erwähnte britische Mayor General Bailey schätzte im Jahre 2004 den Anteil der Artillerie an der Ostfront auf sowjetischer Seite auf über 60, bei der deutschen Seite auf über 70 Prozent der Gefallenen.

Sogar die bereits erwähnte Dicke Berta feuerte auch im Zweiten Weltkrieg:

Gemäß dem Vertrag von Versailles mussten alle Geschütze dieser Größenordnung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zerstört oder den Alliierten übergeben werden. Eine der Dicke-Berta-Kanonen, die sich auf dem Versuchsgelände von Krupp befand, wurde dabei übersehen. Im September 1944 wurde das Geschütz bei der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Getto eingesetzt.

Denn es liegt in der Dynamik von Massenvernichtungswaffen, dass sie auch gegen Zivilisten eingesetzt werden. denn schon die Massentötung der generischen Soldaten sollte vor allem die dahinter stehende Bevölkerung terrorisieren.

Der bereits viel zu oft erwähnte Ludendorff war auch eine historische Erscheinung der Weimarer Republik. Mit Hitler probierte er die Machtübernahme in München 1923. Selbstredend, dass ihm danach kein Haar gekrümmt und er auf Grund seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg auch nicht bestraft wurde.

Ludendorff ist auch Autor des Buches Der totale Krieg” aus dem Jahre 1935. Für Ludendorff wird der Krieg zum totalen Krieg durch die Einbeziehung der Zivilbevölkerung

ZITAT
: "Das Wesen des totalen Krieges beansprucht buchstäblich die gesamte Kraft eines Volkes."

und später

"So richtet sich also der totale Krieg nicht nur gegen die Wehrmacht, sondern auch unmittelbar gegen die Völker. Das ist die unerbittliche und eindeutige Wirklichkeit, und alle nur erdenklichen Kriegsmittel werden in den Dienst dieser Wirklichkeit gestellt."

und weiter

“Nicht durch Niederringen an der Front (...) sondern durch das Zusammenbrechen eines kriegsführenden Volkes” wird der Sieg errungen.”
ENDE der ZITATE

Der TOTALE KRIEG seit Ludendorff richtet sich gegen die gesamte Bevölkerung

Die Zermürbung der Zivilbevölkerung war auch das Ziel aller Bombenangriffe auf Städte im Zweiten Weltkrieg: Rotterdam, Warschau, Stalingrad, Hamburg, Münster, Dresden, Tokio, Hiroshima, Nagasaki.

Im Rahmen des Manhattan-Projekts wurden vom Kriegsministerium der Vereinigten Staaten die Industriezentren Ludwigshafen und Mannheim als mögliche Ziele für einen Atombombenabwurf auf Deutschland ausgewählt. Dazu kam es aber nicht mehr, da Mannheim schon Ende März 1945 von US-Truppen besetzt wurde, zweieinhalb Monate bevor beim Trinity-Test erstmals die Zündung einer Atombombe gelang. Zweieinhalb Monate trennten Mannheim und Ludwigshafen 1945 von der totalen Auslöschung.

Die Nachkriegszeit verbannte Massenvernichtungswaffen aus Europa.

Dagegen wurde die Zivilbevölkerung in Ländern Südostasiens Opfer von Massenvernichtungswaffen der globalen Hegemonialmacht USA. So löschte die US-geführte Bombenkampagne in Nordkorea 1950/51 vermutlich ein Zehntel der dortigen Zivilbevölkerung aus. Fast alle Städte des dichtbesiedelten Nordens wurden dem Erdboden gleichgemacht, unter Missachtung aller jemals aufgezeichneten Varianten des Völkerechtes.

Die Ära des Kalten Krieges 1947 bis 1992 war das Zeitalter des jederzeit möglichen Einsatzes von thermonuklaren Bomben zur Massenvernichtung. Thermonuklare Bomben stehen in der Tradition der schweren Artilleriegeschosse und der konventionellen Bomben: Sie sind das jeweils mächtigste Waffe zur Tötung möglichst vieler Menschen. Der Unterschied zwischen Dicker Berta von Liège und Warschau und Little Boy, der Uranbombe von Hiroshima, und Fat Man, der Plutoniumbome von Nagasaki, ist graduell. Hätte Ludendorff Atomwaffen besessen, er hätte sie ohne zu zögern eingesetzt.

Nur im Nachhinein erfährt die Öffentlichkeit von Beinaheeinsätzen von Atomwaffen:

Als wenig belegt gelten Überlegungen des US-amerikanischen Joint Stuff unter General McArthur 1950 nach der Offensive nordkoreanischer und chinesischer Verbände über der Yalu-Fluss Atomwaffen gegen den Norden einzusetzen. prinzipiell ausgeschlossen wurde dies auch rückwirkend von keinem der Beteiligten.

Während der Belagerung französischer Einheiten im vietnamesichen Dien Bien Phu 1954 wurde nach den 1971 von der New York Times veröffentlichten Pentagon Papieren von der französischen Armee der Einsatz von drei Atombomben im Rahmen der Operation Vulture gefordert , von den USA jedoch abgewiesen.

Nach Angaben von PETER KUZNICK, dem Leiter des Institute for Nuclear Studies an der American University, Washington, D.C. wurde genau dieser Einsatz umgekehrt von den USA den Franzosen angeboten und von diesen zurückgewiesen.

Ebenfalls in Vietnam wurde während der Schlacht um Khe Sanh im Januar 1968 von US-Verteidigungsminister McNamara nur deswegen der Einsatz taktischer Atomwaffen verworfen, weil das Gelände um Khe Sanh sich dafür wenig eignete. Das geht aus erst 2005 deklassifizierten Dokumenten hervor.

Die USA und die Sowjetunion kamen während der Kubakrise im Oktober 1962 einer direkten Konfrontation - und damit dem Einsatz von Atomwaffen am nächsten. Erst im Dezember 2015 wurde eine Studie des Strategic Air Command (SAC) über die für einen Atomkrieg benötigten Bomben für das Jahr 1959 deklassifiziert und veröffentlicht, Danach sollten im Falle eines Atomkrieges 1200 Städte der Gegner zerstört werden, darunter Moskau, Warschau, Peking und Ostberlin.

Bislang nicht bekannt: Ausdrücklich wurden in dieser Studie neben Militär- und Industrieanlagen die Bevölkerung als ausgewähltes Ziel dieser Massenvernichtungswaffen benannt. Die Opfer unter der Bevölkerung bei einem Atomkrieg sind kein Kollateralschaden, sie sind Ziel des Angriffs.

Insgesamt jedoch funktionierte das System der gegenseitigen garantierten Zerstörung über viele Jahrzehnte der Nachkriegszeit. Dieses unfreiwillige Spiel bestand darin, dass jede der beteiligten Parteien über genügend Zweitschlagskapazität verfügte, um den Erstschlaganwender zu zerstören.

WHO STRIKES FIRST DIES SECOND.

Das änderte sich mit der von Präsident Reagan 1983 angeordneten Initiative zum Aufbau eines Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen, bekannt als STAR WARS PROJECT. Damit sollte dem Gegner Sowjetunion die Zweitschlagskapazität genommen werden und damit sollte der Erstschlag der USA risikoloser, und damit planbar werden.

Zeitgleich hatte Reagan in der Bundesrepublik die Stationierung von Pershing II Mittelstreckenraketen durchgesetzt, die wegen ihrer geringen Bereitsellungszeit eine unmittelbare Bedrohung für das Gebiet der europäischen Sowjetunion darstellten.

Was dann im November 1983 geschah, war vor Kurzem in dem gar nicht so langweiligen RTL- Agentenfilm “Deutschland 83” zu bestaunen. Ein Jungspund-STASI-Agent verhindert einen Atomkrieg, indem er der östlichen Seite glaubhaft nachweisen kann, dass die NATO-Kommandostabsübung “Abel Archer” zwar den Nukearangriff auf die Sowjetunion zum Inhalt hatte, aber keineswegs in die Tat umsetzt werden soll.

Jüngste Freigaben des US-Verteidungsministeriums - leider nur in den USA, nicht von deutschen Leitmedien veröffentlicht - bestätigen, dass die Sowjetunion im November 83 tatsächlich von einem unmittelbar bevorstehenden Atomkrieg ausging und entsprechende Aktionen eingeleitet hatte.

Rainer Rupp, ehemaliger und enttarnter Spion der Hauptabteilung Aufklärung der DDR im NATO-Hauptquartier in Brüssel behauptet seit geraumer Zeit, genau das gemacht zu haben - im Rahmen seiner Agententätigkeit aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel dem Osten die nötigen, glaubhaften beruhigenden Informationen geliefert zu haben, die das Schlimmste verhinderten.

Allein der Gedanke, das könnte stimmen, sollte uns allen das Herz erwärmen.

Der Preuße Ludendorff führt 1914 Massenvernichtungswaffen auf dem Schlachtfeld ein, der Saarländer Rupp hilft knapp 70 Jahre später ein atomares Inferno zu verhindern.

Können wir unser atomares Schicksal in irgendeiner Weise beeinflussen?

Wenig. Die Wahrscheinlichkeit Ziel und Opfer eines Nuklearangriffs zu sein, steigt mit der Nähe des Wohnortes zur Stationierung von Nuklearwaffen. Wenn überhaupt keine nukleare Bedrohung vom Gebiet der Bundesrepublik ausgeht, stehen die Chancen besser, im Falle eines Krieges von diesen Waffen verschont zu werden.

Die Überlebenschancen steigen, eine Garantie gibt es nicht.

Wenn es soweit ist, werden die Akteure der Ereignisse uns nicht um Erlaubnis fragen. Denn je todbringender eine einzelne Waffe ist, um so mehr Entscheidungsmacht konzentriert sich in den Händen, nein im Knopfdrückfinger einzelner.

Aber wir können schon etwas machen, in Büchel zum Beispiel:

Zwanzig Atombomben lagern noch immer auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Die Bundesregierung hatte bereits im Koalitionsvertrag 2008 versprochen, sich für deren Abzug einzusetzen. Doch die USA und die NATO planen jetzt, die atomaren Bomben vom Typs B61 nicht zu verschrotten, sondern im Gegenteil zu modernisieren.

Da kommt die Aktion BUECHEL ATOMWAFFENFREI gerade recht. Wenn die Tage wieder länger und wärmer werden, sind dort in der Eifel wieder überraschende Events am Fliegerhorst geplant.

Am besten nachsehen unter http://www.buechel-atomwaffenfrei.de/ und ein Wochenende zum Ausflug in die Eifel nutzen - hilft für ein langes Leben!






Online-Quellen zum Beitrag:

DIE OSTFRONT Der vergiftete Sieg Von Liulevicius, Vejas Gabriel
http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspe...

Hitler und Ludendorff - Der Gefreite und der General
ZDF/Spiegel-TV
https://www.youtube.com/watch?v=CeAwVhZNjkk

“General Ludendorff” Der totale Krieg
https://ia800309.us.archive.org/34/items...

Historiker über drohenden Atomkrieg „Nur mit Glück vermieden“
http://www.taz.de/!5218307/

U.S. Cold War Nuclear Target Lists Declassified for First Time
https://nsarchive.gwu.edu/nukevault/ebb5...

In 1983 ‘war scare,’ Soviet leadership feared nuclear surprise attack by U.S. Washington Post By David E. Hoffman October 24, 2015
https://www.washingtonpost.com/world/nat...

Deutschland 83 kämpft gegen schwache Quote
http://www.heise.de/tp/news/Deutschland-...

Aktion Atomwaffenfrei
http://www.atomwaffenfrei.de/fileadmin/u...

Kommentare
05.01.2016 / 17:05 Kurt, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
Gesendet im DiSonar
Danke Fürs Produzieren !