"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Terror

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Eine der edlen Aufgaben der Boulevardpresse ist es, Geisteszustände der Masse sprachlich abzubilden, während es eine weniger edle Aufgabe desselben Mediums ist, Geisteszustände der Masse zu formen in besonderen und eigentümlichen Verfahren, aufkochen, abkühlen, nachlegen und vor allem mit verschiedenen Gewürzen die bestehenden Vorurteile bedienen.
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10:50 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.03.2016 / 13:52

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 30.03.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Aber davon spreche ich hier nicht, sondern vom Abbilden, wo unsere Deutschschweizer Bouldvardzeitung «Blick» am Tag nach den Brüsseler Anschlägen wie folgt formulierte: «Hört das denn nie auf?» – Und die in der Frage mit schwingende Antwort «Jawoll» möchte ich hiermit offiziell bestätigen. Jawoll, oder für Feingeister auch: Nein, es hört nie auf mit dem Terror, da kann man machen, was man will, der kleine Bruder des Terrors heisst Amok, es ist jenes ungeliebte Kind, das nicht einmal zu einer ideologischen Rechtfertigung gefunden hat, sondern seine dumpfe Auflehnung gegen die herrschenden Zustände ganz allein und ohne weitere Begriffe als jene von Waffen und Spreng­stof­fen zum Ausdruck bringt. Dagegen bietet sich der radikale Islamismus gegenwärtig an, was heißt da, er bietet sich an: er drängt sich geradezu auf als Zündkapsel an der geballten Ladung an Dyna­mit, welche sich in einer bestimmten Fraktion der Weltjugend angesammelt hat, und zwar offen­sicht­lich vor allem der islamischen oder muslimischen Weltjugend; während es zu jenen Zeiten, da die Al Kaida ihr Hauptquartier in Pakistan hatte, vor allem die Nachfahren von Einwanderern aus dem indischen Subkontinent in England waren, sind es heute nach der Verlagerung des Steuersitzes nach dem Irak und dann nach Syrien hauptsächlich Jungs und Mädels aus Nordafrika, während die jungen SyrierInnen und IrakerInnen offenbar mit Anschlägen in der eigenen Heimat recht gut ausgelastet sind. Der ideologische Sprengstoff besteht aus einem Kern reinsten Antiimperialismus’. Die Religion spielt jene nicht unbedeutende Nebenrolle, dass sie den Antiimperialismus in eine rationale Form bringt, was für eine Religion eine reife Leistung ist, aber die darüber hinaus rei­chen­den religiösen Aspekte bringen sowohl Muselmanen, Pampelmusen als auch Christenhunde bloß zum Lachen, namentlich die Erfolgsprämien, welche das vollständig gottlose Führungspack des Islamischen Staates seinen Anhängern in Aussicht stellt. 72 Jungfrauen, welche der Heilige Petrus noch an der Schwelle zum Paradies einer linguistisch-historischen Überprüfung unterzieht und umgehend in 72 Traubenbeeren umschreibt, vermutlich nicht mal einer besonders süßen Sorte. Das zeigt, dass für den Antiimperialisten das Leben über den Tod hinaus ein hartes ist.

Ach Herrjeh – kann man sich lustig machen über diese Vögel mit ihren dicken Brettern vor den Köpfen und nichts darin? Ich fürchte, es bleibt uns nichts anderes übrig, denn wie gesagt: das ist kein Spuk, der bei Gelegenheit mal verraucht. Der Terror begleitet die moderne Gesellschaft, solan­ge es Unterschiede gibt, welche der Geist als unerträglich empfindet. Unsereins spricht in diesem Zusammenhang gerne von der absoluten, ja kategorischen Ungerechtigkeit bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, innerhalb der verschiedenen Gesellschaften ebenso wie im globalen Maßstab. Allerdings räumt unsereins auch ein, dass jenes System, welche diese Ungleichheit pro­du­ziert, gleichzeitig im umfassenden Maßstab auch Wohlstand für einfachen Menschen in ihrer irdischen Form als KonsumentInnen produziert, mindestens in den entwickelten Ländern, dass es weiter auf einer komplexen internationalen Verflechtung beruht, welche man grundsätzlich mit friedlichen und demokratischen Mitteln weiter entwickeln soll und nicht mit Terror. Andere Menschen als unsereins dagegen empfinden offenbar viel schrecklicher als die unglaublich einseitige Verteilung von Einkommen und Vermögen, dass Frauen abstimmen und wählen oder nur schon Auto fahren dürfen und so die natur- bzw. gottgegebene Präpotenz des Mannes in Frage stellen. Bei den Jihadisten spielt am Rande noch der altreligiöse Grundsatz mit hinein, dass die Anschläge in Paris, Brüssel, London, Madrid, New York und wo sie auch sonst noch erfolgen mögen, nur ein geringer Ausgleich sind gegenüber dem Leid, welches Paris, Brüssel, London, Madrid, New York und so weiter über die moslemischen Länder gebracht haben; im Irak zum Beispiel spricht man von einer Million Menschen, welche im Zug der Familienpolitik der Bushens ihr Leben verloren haben. In Nordafrika wiederum bzw. bei den Abkömmlingen aus nord­afri­ka­ni­schen Familien in Paris und Belgien tritt der Antiimperialismus sozusagen in der reinen Form auf als Erbstück aus den antikolonialen Bewegungen, heute nicht mehr im Kleid eines linken und revolutionären, sondern des djihadistischen Vokabulars. Dagegen kann die Polizei nichts.
Trotzdem hoffen wir auf die Polizei, und was mich angeht, so hätte ich einen Plan auf Lager, wie man die Islamisten-Hochburgen in Frankreich und in Belgien und meinetwegen auch anderswo schleifen könnte, nämlich indem man den Menschen in diesen Quartieren Wohnungen in anderen Städten zuweist. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht mal so einfach ist, aber wenn man heute beginnt, dann ist man einen Tag früher damit fertig, als wenn mans erst morgen anpackt. Es ist offensichtlich ungesund für die moderne Gesellschaft, wenn sie mittelalterliche Verhaltensformen über eine gewisse kritische Masse hinaus gedeihen lässt. Also soll sie halt ihre Schutzmechanismen aktivieren, immer unter Einhaltung der erklärten bürgerlichen Tugenden.

Ansonsten nochmals: Ja, damit muss man leben, und wo man irgendeinem Terror-Trottel über den Weg läuft, soll man ihm aufs Maul hauen, wobei diese Wahrscheinlichkeit ziemlich gering ist, denn der normale Europäer kriegt es eher mit der anderen Seite der Medaille zu tun, mit den rechten Nationalisten, und dazu kommen mir auch nicht eben viele schöne Sachen in den Mund, deshalb schweige ich hierzu und komme lieber auf etwas anderes zu sprechen.

Das italienische Magazin «Espresso» vom 17. März befasst sich in zwei Beiträgen mit der Präsenz deutscher Truppen und der SS in Italien zwischen 1943 und 1945, genauer: mit der juristischen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, welche die Deutschen während dieser Zeit begangen haben. Michele Ainis ärgert sich darüber, dass Deutschland sich beharrlich weigert, die entsprechenden Urteile zu vollstrecken, welche von der italienischen Militärjustiz seit dem Jahr 2003 gefällt wur­den. Zwei Beispiele stechen ihm besonders ins Auge: Johann Robert Riss zählt zu den Ver­ant­wort­lichen für das Massaker von Padule di Fucecchio, dem 174 Zivilisten zum Opfer fielen, darunter auch Kleinkinder. Im Februar 2015 weigerte sich das Kreisgericht im bayrischen Kempten, den Richterspruch aus Italien in die Gerichtspraxis umzusetzen mit der Begründung, dass das Urteil den Minimalanforderungen an einen Rechtsstaat nicht entspreche. Ich selber kenne die ausführliche Begründung des Kemptener Gerichtes nicht, aber aus der Distanz riecht das schon etwas eigen­tüm­lich, der Volksmund würde sagen: Das stinkt. Das zweite Beispiel ist noch spektakulärer: 'Ein gewisser Wilhelm Kusterer war im Jahr 1944 als SS-Feldwebel beteiligt an verschiedenen Gemetzeln in der Toscana mit rund 350 Opfern sowie am Blutbad von Marzabotto, bei dem über 800 Menschen ums Leben kamen. In Italien wurde er dafür zwei Mal zu lebenslänglicher Gefäng­nis­haft verurteilt, einmal im Jahr 2008 und einmal ein Jahr später. Deutschland weigerte sich, die Urteile zu übernehmen und den alten Willi in den Knast zu stecken, auch als nach der zweiten Verurteilung ein internationaler Haftbefehl ausgestellt wurde. Stattdessen erhielt Wilhelm Kusterer im März 2015 von seiner Wohngemeinde Engelsburg eine Ehrenauszeichnung als jener Prachtsbürger und Mustereinwohner, der er nachher offenbar gewesen ist.

Dass es in Italien überhaupt so spät erst zu den Prozessen kam, hat damit zu tun, dass der mili­tä­rische Generalstaatsanwalt Enrico Santacroce im Jahr 1960 rund 700 Dossiers zu Kriegsverbrechen von deutschen Truppen und SS-Kräften zusammen mit italienischen Faschisten schlicht und einfach wegsperrte. Erst im Jahr 2003 verlangte eine Untersuchungskommission des italienischen Parla­men­tes Einsicht in diese Akten, und bis zur Veröffentlichung des entsprechenden Berichtes in­klu­sive der Publikation aller Dokumente dauerte es nochmals bis im Februar dieses Jahres. Die Mehr­heit der Untersuchungskommission empfahl dabei offenbar, die Sache auf sich beruhen zu lassen, während die Minderheit auf der vollkommenen Aufklärung bestand. Schliesslich geht oder ging es um die Tötung von insgesamt rund 15`000 italienischen Zivilisten im erwähnten Zeitraum von 1943 bis 1945.

Warum aber unterliess es Santacroce, die entsprechenden Verfahren zu eröffnen? Ein Grund war wohl, dass er selber unter Mussolini Karriere gemacht hatte und somit den Tätern näher stand als den Opfern. Aber einen Entschluss von dieser Tragweite fasst nicht eine einzelne Person. Gemäss dem «Espresso» war das Hauptmotiv wohl jenes, dass der italienische Staat die Beziehungen zur noch relativ jungen Bundesrepublik Deutschland nicht trüben wollte und sich Aufträge im Rahmen des Wiederaufbaus versprach, namentlich im Rüstungsbereich, der Ende 1950-er und anfangs der 1960-er Jahre wieder aktuell wurde. Der «Espresso» nennt namentlich eine Bestellung von über 100 Allwetter-Jagdflugzeugen des Typs F 86 K, welche die italienische Fiat als Lizenznehmerin der späteren Northrop produzierte. In diesem Zeitraum kamen der italienische Außen- und der Ver­tei­di­gungs­minister überein, auf ein Auslieferungsgesucht für 30 deutsche Militärangehörige zu ver­zich­ten, welchen der Prozess gemacht hätte werden sollen wegen des Massenmordes in Cefalonia, durch die Division Acqui. Kurz darauf versenkte der Militär-Generalstaatsanwalt Santacroce die 700 Dossiers, wie er wohl hoffte, für immer. Und jetzt, da sie wider Erwarten doch noch das Licht der Öffentlichkeit erblicken, interessieren sich offensichtlich nur noch die HistorikerInnen für sie.

Nun, Deutschland gilt allgemein als geläutert mit geringer Rückfallgefahr in den National­sozia­lismus, das mag einer der Gründe dafür sein, dass die «Espresso»-Papiere keine großen Wellen mehr werfen. Anderseits haben wir doch beobachtet, wie an den Rändern von Pegida und AfD das braune Gedankengut halt doch wieder da ist. Und wenn diese Vögel auch nur Ansätze von Denkvermögen hätten, dann würden sie anlässlich solcher Nachrichten vielleicht überlegen, wohin das führen kann mit der steifen rechten Hand, mit dem Gruß, den der Führer übrigens den Italienern abgeschaut hat. Die Chancen dafür, dass in diesen Hirnregionen noch etwas anderes zu aktivieren ist als der dumpfe Nationalismus, stehen aber nicht eben groß.