Der deutsche Arbeitsethos und Antisemitismus

ID 7654
 
Auf den Montagsdemos ist man zuweilen äußerst frappiert über die häufigen Forderungen nach Arbeit oder Vollbeschäftigung. Der Beitrag versucht einem deutschen Arbeitsbegriff historisch nachzugehen und seine Besonderheiten herauszustellen. Dabei sind die Verbindungen zu christlichem Antijudaismus und nationalem, wie rassistischem Antisemitismus sowie die Zeit des NS von großer Wichtigkeit.
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Upload vom 25.09.2004 / 14:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: super mono (polyphon@so36.net)
Radio: polyphon, Berlin im www
Produktionsdatum: 25.09.2004
keine Linzenz
Skript
Die Eifrigkeit, mit der die Deutschen Arbeitsplätze fordern, verwundert immer wieder. Unbeirrt wird Vollbeschäftigung gefordert, auch wenn dies im vollen Widerspruch steht zum immer geringer werdenden Arbeitsaufkommen einer technisierten Welt. Es werden oft keine materiellen Verbesserungen gefordert. In den öffentlichen Debatten geht um die Arbeit, die jede und jeder bräuchte.
In England wurde seit der Entstehung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse Arbeit im Produkt welches entsteht vorgestellt. In Deutschland ist die Arbeit die Tätigkeit an sich. Arbeit um ihrer selbst Willen.
In England konnten die ArbeiterInnen im Krankheitsfall eigenständig eine Vertretung einsetzen. In Deutschland war die Arbeit nicht am Produkt sondern an der Zeit orientiert. Im Krankheitsfall organisierte die Firmenleitung Ersatz. So wurden die ArbeiterInnen schon im 19Jhd. nach der Zeit bezahlt, wohingegen in anderen Ländern die Produkte bezahlt wurden, die entstanden.

Die Vorstellungen, die sich um das Wort Arbeit reihen haben in der deutschen Gesellschaft einige Besonderheiten. Diese lassen sich so nicht in anderen Ländern finden. Sie haben eine besondere Geschichte, die bis zum Beginn des Protestantismus und der Schriften Luthers zurückreicht. Die Entstehung dieser Vorstellungen um die "deutsche Arbeit" soll hier mit einigen Ereignissen skizziert werden. Sie gehen einher mit der Entstehung vieler antisemitischer Bilder.
Schon lange bevor Luther lebte wurden die Juden als "Schmarotzer" oder "Parasiten" bezeichnet. Martin Luther entwickelte dazu die Vorstellung einer deutsch gedachten Arbeitsauffassung, die der jüdischen gegensätzlich ist. Er ist der erste, welcher die Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzte. Für das Wort Arbeit verwendete Luther die Bezeichnung Beruf. Sie sollte gleichbedeutend sein mit Begriffen wie Berufung, Schickung oder Fügung. Arbeit soll nicht mehr als Knechtschaft verstanden werden, sie wurde zur göttlichen Bestimmung und Aufgabe.
Im Jahr 1543 veröffentlichte Luther sein Pamphlet Von den Juden und ihren Lügen. Hier verfestigt er das antisemitische Bild, welches der Vorstellung von der deutschen entgegensteht. Er spricht von den Juden, die das Land und die Städte auswuchern würden. Er unterscheidet zwischen dem deutschen und dem jüdischen Kreditgeber. Der Deutsche war dabei tugendhaft, sparsam, ehrlich und von unermüdlicher Fleißigkeit. Er verdiene sein Brot im "Schweiße seines Angesichts". Der Jude hingegen säße müßig da, lasse sein Geld für sich arbeiten und erschleiche sich dadurch Macht.
Damit verfestigt Luther das Bild des Juden als "Wucherer", der versucht die Städte unter der Last von Schulden zu beugen, um die Ruinen dann für sich in Beschlag zu nehmen.
Während des Mittelalter wurden die Juden gezwungen, sich mit Geldhandel ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie wurden während dieser Zeit nach und nach aus dem Handwerk sowie den Zünften, der Landwirtschaft, dem Militär und den Verwaltungen gedrängt. Später wird ihnen gar das Handwerk per Gesetz verboten. Der Kirche war es auch recht, dass die Juden in der Zinswirtschaft tätig wurden. Ihren Vertretern wie bspw. den Bischöfen verbot das Kirchenrecht Zinsen einzunehmen. Die Juden übernahmen hier zum einen gesellschaftlich verachtete Arbeit und konnten zum anderen vertrieben werden, wenn die Städte zu viele Schulden bei ihnen gemacht hatten.
Die Vorstellung um die Arbeit Teilte sich also in das Bild der raffenden, den Juden zugeschrieben wurde, und der schaffenden, welche die ChristInnen verübten.

Im 19.Jhd wandelte sich die Vorstellungen von der Arbeit im deutschsprachigen Raum. Während der Nationalversammlung um 1948 in der Frankfurter Paulskirche ließen die Demokraten Worte verlauten, die dies gut beschreiben. Von dem "heiligen Recht auf Arbeit" ist die Rede und der Arbeit als "das Höchste und Heiligste im Staate". Das deutsche Vaterland sei eine "Gesellschaft von Arbeitern". War es einst die göttliche Fügung wurde Arbeit nun zur staatsbürgerlichen Pflicht. Sie wurde verstanden als Schaffen zum Wohle des deutschen Volkes. Eine nationale Identifizierung erfolgte nun nicht mehr nur über Kultur oder Sprache, sondern auch über die gemeinsam geleistete Arbeit.
Es entstand die Vorstellung von der deutschen Arbeit deren die jüdische Nichtarbeit gegenüberstand. Diese war auch Gegenstand in vielen Werken der Populärliteratur damaliger Zeit. Ein Beispiel ist der Bestseller Soll und Haben von Gustav Freytag, welcher 1855 herausgegeben wurde. Ein anderes ist Die Sünde wider das Blut 1917 von Arthur Dinter herausgegeben. Ein Roman deren Deutlichkeit antisemitischen Stereotype kaum zu übertreffen ist. Die Juden in der Handlung sind hässlich, unehrlich, hinterhältig und geldgierig. Dem gegenüber verrichtet der Arier seine Arbeit einzig und allein für höhere Ziele und ist an Geld nicht im geringsten interessiert.

Der gesellschaftliche Wandel vom Feudalismus zum Kapitalismus vollzog sich in Preußen im Vergleich zu anderen Ländern sehr abrupt. Die Liberalisierung wurde mit den Hardenberg Reformen um 1810 und 1811 durchgesetzt. Die Gewerbefreiheit wurde eingeführt und das Kirchegut säkularisiert, das heißt durch den Staat eingezogen.
Hier entstanden die Vorstellungen vom "raffenden" und vom "schaffenden" Kapital. Mit den folgenden ökonomischen Krisen, dem Börsenkrach von 1873 wird diese Unterscheidung zu einem sehr grundlegendem Verständnis und Erklärungsmuster der gesellschaftlichen Ökonomie im beginnenden 20. Jhd.

Eine Weiterentwicklung erfuhr die Debatte um die "deutsche Arbeit" während der Zeit des Nationalsozialismus. Der Arbeitsbegriff war ein zentraler Punkt aus dem der Antisemitismus abgeleitet wurde. Ein Zitat aus Hitlers Rede Warum sind wir Antisemiten soll dies verdeutlichen:
"Ein Volk, das sich der Arbeit nicht selber unterziehen will – manchmal auch undankbaren Arbeit, einem Staat zu bilden und zu erhalten – Arbeit zu tun im Bergwerk, in den Fabriken am Bau, und so weiter, alle diese für einen Hebräer so unangenehme Arbeit – solch ein Volk wird sich niemals einen Staat selber gründen, sondern es stets vorziehen, als dritter in einem anderen Staat zu leben, in dem diese Arbeiten durch andere vollbracht werden, und er nur der Vermittler der Geschäfte ist, der Händler im günstigen Falle, oder auf deutsch heute übersetzt: Der Räuber, der Nomade, der die gleichen Raubzüge unternimmt, wie er sie einstens unternommen hat...Ariertum bedeutet sittliche Auffassung der Arbeit."
Ein zentraler Referenzpunkt waren die sozialen und ökonomischen Krisenerscheinungen, die in den Zusammenhang mit der Arbeit gestellt wurden. Die gemeinsam erlittene Not hatte demnach keine natürliche Ursache. Sie wurde zum Ausdruck für die Ausbeutung der "deutschen Arbeit" durch das "fremdvölkische Finanzkapital".
Die vermeintliche Kapitalismuskritik, die im Nationalsozialismus verlautbar wurde stellte aber keineswegs das kapitalistische Verhältnis an sich in Frage. In der Unterscheidung zwischen "schaffenden" und "raffenden" Kapital war mit "schaffend" keineswegs ausschließlich Handarbeit gemeint. Es gab durchaus den deutschen tugendhaften Bankier. Unterschieden wurde vielmehr in Reichtum, der durch Arbeit produziert wird, und Reichtum, welcher durch Ausbeutung - also ohne Arbeit - entsteht.
In dieser Vorstellung gab es aber nicht nur die Personen, die das "raffende Finanzkapital" bildeten. Die Nationalsozialisten halluzinierte den unsichtbaren, die Weltgeschicke leitenden, "raffenden" Geist. Der deutsche Bankier konnte sich also auch von seinen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft abwenden. Dann wurde er als "verjudet" bezeichnet. Die deutsche Arbeit war also immer in Gefahr, weil sie durch das Judentum bedroht wurde.
Und das war nicht unbedeutend. Die deutsche Arbeit wurde zur der Bezugsgröße über die man gesellschaftliche Achtung bekam. Soziale Stellung oder andere kulturelle Leistungen gerieten dabei in den Hintergrund. Arbeit abzuleisten war also notwendig, um zur Gemeinschaft dazugehören zu können.

Nach 1945 wurde der deutsche Arbeitsethos weiter fortgeschrieben. Er veränderte sich, entwickelte neue Formen, hängt aber auch weiterhin mit seiner Geschichte zusammen. Nicht die Demokratisierung wird in Deutschland betont, sondern die erbrachte Leistung des Wiederaufbaus steht im Vordergrund. Hannah Arendt, eine in Hannover geborene und in die USA emigrierte Sozialwissenschaftlerin, sagte 1950 bei einem Besuch in Deutschland:
"Die alte Tugend, unabhängig von den Arbeitsbedingungen ein möglichst vortreffliches Endprodukt zu erzielen, hat einem blinden Zwang Platz gemacht, dauernd beschäftigt zu sein, einem gierigen Verlangen, den ganzen Tag pausenlos an etwas zu hantieren. Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern und für die zerstörten Wahrzeichen ein Achselzucken übrig haben....dann begreift man, dass die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit geworden ist."
Arbeitsethos an sich ist kein alleinig deutsches Phänomen, das soll hier nicht behauptet werden. Es gibt jedoch schon spezielle Formen, die sich so nur im deutschen Kontext finden lassen. So wird Arbeitslosigkeit in Frankreich auch als Chance verstanden. Erwerbslose haben hier oft primär materielle Verbesserungen eingefordert. In Deutschland ist Arbeitslosigkeit meist ein unhaltbarer gesellschaftlicher Zustand und uns begegnet nicht selten die Parole „Her mit den Arbeitsplätzen“.

Mit dem Blick auf die Geschichte lassen sich die Vorstellungen und Debatten um die Arbeit in Deutschland besser verstehen. Und, führt man sich das vor Augen, kann man mit viel ruhigerem Gewissen versuchen, arbeitslos zu bleiben und es begrüßen, dass die Arbeit endlich knapp wird.

Kommentare
03.03.2008 / 17:44 Klaus; Radio Blau (Leipzig), Radio Blau, Leipzig
Gesendet am 29.02 bei Themenreihe Grundeinkommen auf Radio Blau.
Haben nur kleine Ausschnitte verwendet. Danke