"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Das Trump

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Wenn es doch sogar dem Michael Moore auffällt, will auch ich mich nicht länger zurückhalten: In den Vereinigten Staaten ist der Trumpdonald im Präsidentschaftswahlkampf derart anhaltend derart unflätig, erratisch und umfassend inkompetent, dass es einem nicht nur den Gedankenfluss stauen lässt bei der Vorstellung, dass ein derartiges Sumpfhuhn tatsächlich zum Präsidenten gewählt werden könnte, sondern man muss sich echt die Frage stellen, ob all dies nicht einfach eine Show sei, welche alles andere ist, bloß keine Wahlkampagne.
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10:24 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 25.08.2016 / 15:44

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, SeniorInnen, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 25.08.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Offenbar liegt dieser Typ, der schon gar nicht mehr ein Typ ist, sondern nur noch eine Karikatur eines Typen, in den Meinungsumfragen um so zirka zehn Prozent hinter Hillary Clinton zurück, aber nur schon das ist absurd. Solche Werte unterstellen, dass immer noch um die 40 Prozent der Wahlbevölkerung bereit ist, einer komplett hohlen Nuss die Stimme zu geben aus lauter Ärger über die da oben; sie unterstellen, dass Schwarze einen Rassisten, Latinos einen Mexikanerfresser, fundamentalistische Christen einen bekennenden Atheisten, Gewerkschafterinnen einen Feind aller Sozialerrungenschaften wählen könnten, und bei allem Respekt vor der Bigotterie der Vereinigten Staaten und vor der Schönheit des Absurden, so etwas ist einfach nicht möglich. Möglich sind allenfalls Szenarien wie jenes, dass sich die Kampagne der demokratischen Partei vollständig auf die Bekämpfung von Donald Trump ausrichtet, worauf sich dieser im letzten Moment aus dem Wahlkampf zurückzieht und an seiner Stelle ein republikanischer Candidatus Candidus aus dem Hut gezaubert wird, welcher aus lauter allgemeiner Erleichterung turmhoch gewählt wird. Das halte ich für ein sehr schönes Szenario, daran werde ich mich vorderhand als Arbeitshypothese Nummer 1klammern.

Daneben fallen an Trump zunächst zwei Dinge auf. Erstens handelt es sich eindeutig um die Neuaufführung der italienischen Oper «Berlusconi». Die Geschäftspraktiken beider Kandidaten sind anerkannt dubios, der Sprach-Output identisch sinnlos, die Affinität zu Krawall und Putin ebenso. Daraus kann ich allerdings keine weiteren Schlüsse ziehen; denn während Italien im Jahr 1994, also beim ersten Auftritt von Berlusconi, immerhin mitten im Zerfall der Democrazia Cristiana beziehungsweise der mit ihr verbündeten Mitte- und Links-Parteien stand und Berlusconis ganzes Firmengebäude akut bedroht war, weil er es zur Hälfte mit illegalen Praktiken und massiver Bestechung der italienischen Sozialisten errichtet hatte, sind in den Vereinigten Staaten aktuell keine vergleichbaren Verhältnisse zu orten. Beim zweiten Phänomen handelt es sich um einen Beitrag zur Theorie des Lachens. Donald Trump ist die abschließende Antwort auf die Frage: Was darf Satire? Man braucht sich bloß zu vergegenwärtigen, wie die Satire-Bewegung um die Zeitschrift Titanic in Deutschland zum einen eine Spaßpartei gründete, durchaus in der Tradition von Guido Westerwelle, und damit zum anderen sogar den ehemaligen Titanic-Chefredaktor Martin Sonneborn ins Europaparlament hebelte, wo er uns mit ziemlich bedeutungslosen Nachrichten über Nigel Farrage und weitere rechtsextremistische Exoten aus ganz Europa unterdessen nicht mal mehr halbwegs zum Lachen bringt, und dann vergleicht man das mit dem umfassend hirn- und inhaltlosen Geschrei von Donald Trump – da muss die Titanic die Segel streichen, vielmehr eben den Eisberg rammen. In den achtziger Jahren gab es in Westdeutschland mal ein Magazin, das ausschließlich unwahre Sensationsmeldungen publizierte im Stil von: Mann mit drei Penissen und zwei Sauschwänzchen als Brustwarze löffelt den ganzen Starnberger See in zwölf Minuten aus und kocht sich damit ein Taubenei. Ich gebe zu, dass in den Vereinigten Staaten der Sender Fox News die Qualität dieses Magazins zu erreichen versucht, aber im Vergleich zu Donald Trump sind das lauter Stümper. Trump – das ist Realsatire in Granit.

Abgesehen davon, dass es ein echtes Wunder, wo nicht ein Weltwunder ist, dass ansehnliche Teile der US-amerikanischen Bevölkerung sowohl Fox News als auch Donald Trump auch nur entfernt im Ernst zuhören, muss man einfach davon ausgehen, dass die Verrückung von Begriffen wie politische oder auch unpolitische Vernunft nicht so weit fortgeschritten ist, dass sie die Wahl des Trumpdonalds auch nur als Option zulässt, und deshalb gilt die zweite These, und ich weiß gar nicht, ob die ebenfalls auf Michael Moore zurückgeht: Donald Trump ist objektiv gesehen der perfekte Schneepflug und Minenräumungsdienst für Hillary Clinton auf ihrem Weg ins Weiße Haus. Für einen normalen Menschen ist es höchste Zeit, dass endlich mal eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten wird, und wenn diese Frau dann auch noch das Format dazu hat, zum Beispiel Erfahrung im Regieren und perfekte internationale Kontakte, dann ist dies nicht zum Vornherein ein Schaden für die entsprechende Kandidatur. Ich will hier pro forma die Vorwürfe aufzählen, welche Frau Clinton ebenfalls objektiv zu machen sind, und zwar nicht etwa die Verwendung eines privaten E-Mail-Servers, sondern zum Beispiel die Tatsache, dass es sich um Frau Clinton handelt. Mit dieser Kandidatur stellen sich die Vereinigten Staaten von Nordamerika auf die gleiche Stufe wie Argentinien, und das ist kein schöner Vergleich. Allerdings sind sich die USA solche Sachen ja gewohnt mit den beiden Präsidenten Vater und Sohn Busch, denen laut Drehbuch jetzt auch noch der zweite Sohn Busch im Amt hätte folgen sollen – spinnen die eigentlich, die Amis? – Naja, hier greift die Grundhypothese zu diesem Land: Ja, sie spinnen, die Amerikaner. Aber das tut insofern nicht viel zur Sache, als bekanntlich auch alle anderen spinnen.

Trotzdem: Die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten als Familienangelegenheit einzurichten, das halte ich für ein schweres Defizit, das man jetzt halt auch der Fröhlichen Clinton anlasten muss. Daneben ist die Fröhliche mehr oder weniger die Verkörperung, die Fleischwerdung des US-amerikanischen Establishments, der US-amerikanischen Filzschicht, die so potent ist, dass einige Bevölkerungsschichten an Ohnmachtsgefühlen zu leiden beginnen, Fox News kucken und Donald Trump wählen – soviel habe auch ich verstanden. Als Teilhaberin der Clinton-Stiftung lässt sie sich sogar Schmiergelder in Form von Wohltätig­keitszuwendungen ausbezahlen für irgendwelche Exportgeschäfte. Bei ihrem Ehemann kann das als gewohnheitsrechtliche Praxis durchgehen, denn er hat die Stiftung wie alle anderen Präsidenten nach seiner Regierungszeit gegründet; bei der Fröhlichen ist es nun aber zufällig schon die Zeit vor dem Amtsantritt, und das dürfte wiederum den Vergleich mit Argentinien herbei winken.

Charisma und solche Späße dagegen braucht eine Präsidentin oder ein Präsident meines Erachtens nicht zu haben. Sie oder er müssen bloß die richtigen Entscheide fällen, und diese werden in der Regel von den Landesinteressen bestimmt. Wer als Präsidentin dagegen verstößt, bekommt dies mit Sicherheit sehr schnell zu spüren. In dieser Beziehung erwarte ich von der Fröhlichen Clinton keine Überraschungen, und das reicht meines Erachtens schon vollkommen aus, um sie im Grundsatz zu unterstützen, ohne die mindeste Hoffnung darauf, dass sie ihre Versprechungen oder Drohungen wie zum Beispiel einen nationalen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde auch tatsächlich einlösen wird. Dass es nicht so weit kommt, darauf kann man Gift nehmen.

Trotzdem ist unsere Hillary nicht nur die demokratische Kandidatin, sondern auch die einzig wählbare Kandidatin, bei allen Vorbehalten respektive trotz allen Vorhaltungen. Auch der Can­didatus Candidus, mit wel­chem ich bei den Republikanern rechne, wird als Allein­stel­lungs­merkmal eine große Verehrung für die Tea Party und die Gebrüder Koch und ihren Fox-TV-Sender pflegen, welche mit ihren wahrhaft strunzdummen Gedankenimitaten die grundsätzliche Frage nach dem Grad an erlaubter Blödheit der Bevölkerung einer entwickelten Nation aufwerfen. Das ist insgesamt die Kernfrage rund um den StrunzTrump, und es macht die Sache nicht einfacher, dass diese Kernfrage sich bereits einmal zwanzig Jahre lang in Italien gestellt hat. Wieso, guteste Italiener, die ihr doch kochen könnt und das Essen liebt, also die Wahrheit, weshalb konntet ihr nur diesen offen­sichtl­i­chen Lügner und Schmierenkomödianten zum Regierungschef wählen, wie gesagt: über zwanzig Jahre hinweg? Es ist das große Rätsel der Neuzeit. Ist Demokratie überhaupt möglich, wenn die Menschen sich vorsätzlich zur Dummheit entschließen?

Es handelt sich dabei natürlich nicht um Vorsatz. Vielmehr steckt dahinter die Erfahrung, dass die Geschicke der Menschheit und viel konkreter der Menschengemeinschaften in den USA, in Deutschland, in Südafrika, Brasilien, Indonesien und wo auch immer niemals in der Substanz demokratisch bestimmt werden, auch wenn noch so viel Worthülsen und Kommunikations­speichel abgesondert werden. In einem gewissen Sinne ist es verständlich, wie ich schon gesagt haben, dass die Leute die Schnauze voll haben von dem, was sie als die organisierte und systematische Lüge empfinden müssen. In Deutschland ist der Begriff «Lügenpresse» eine Tochter dieses dumpfen Empfindens der Machtlosigkeit und ihrer Kaschierung durch die Damen und Herren des Filzes. Allerdings ist der programmierte Kretinismus kein guter Ausweg aus dieser objektiv gesehen schlechten Situation. Im Moment wüsste ich nicht grad den einzig richtigen Hinweis auf das einzig richtige Instrument zur Verbesserung der Lage. Persönlich schöpfe ich vor allem Hoffnung aus der Tatsache, dass die Lebensbedingungen sämtlicher Menschen auch mit nur einem absoluten Minimum an gutem Willen zum Besseren tendieren. Damit wird nach und nach auch jener allgemein menschlichen Tendenz der Boden entzogen, sich auf Kosten der anderen zu bereichern, egal, ob im Kleinen oder im Großen. Dank dieser Grundtendenz müsste eigentlich auch der Bedarf abnehmen, anderen Bevölkerungsgruppen irgendwelchen Stuss zu servieren. Mit der Zeit könnte man sich auf tatsächlich vernünftige Diskussionen auf der Grundlage transparenter und vollständiger Informationen einigen. Bei einem derartigen System von Verteilung und Produktion könnte man ganz neutral von Dingen sprechen wie Wettbewerb und Konkurrenz, weil diese nämlich nicht mehr auf die Deklassierung anderer abzielen, wie dies heute in der Regel der Fall ist, sondern auf die Verbesserung der aktuellen Zustände. Zu diesem Zweck sollte man allerdings auch in der Lage sein, sich überhaupt eine Zukunft vorstellen zu können, in welcher halt eben alle Systeme offen sind. In einer solchen Zukunft wird, nur damit auch dies noch erwähnt ist, auch nicht mehr national argumentiert, sondern nur auf der Grundlage einer globalen Gerechtigkeit und nach dem Leitsatz: Es ist genug da für alle, und zwar eben weltweit. Richten wir die Zustände doch nun endlich auch so ein, dass alle zu ihrem Recht kommen. Kretinismus dagegen wird uns dabei nicht helfen.