Aufstand in Argentinien

ID 788
 
Auch 2 Monate nach dem zweimaligen Sturz der Regierung in Argentinien halten die Proteste dort an. Viele Menschen beginnen sich in Volksversammlungen zu organisieren .
Der Beitrag geht ein bisschen über wirtschaftliche Ursachen der Kriese, hauptsächlich aber darum, wie die Leute sich dort organisieren,was sie für Forderungen haben .....
Audio
24:23 min, 8575 kB, mp3
mp3, 48 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 21.02.2002 / 00:00

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Friedi
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 21.02.2002
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Bissle anderst und ausführlicher als im Beitrag, aber dieselben Inhalte:

In der Woche vor Weihnachten kamen arme Leute im Nordosten Argentiniens, die nichts zu essen hatten auf die Idee, es sich aus den reich bestückten Supermärkten zu nehmen, dies wurde schnell im ganzen Land aufgegriffen , immer mehr Menschen gingen auf die Strassen, plündern Supermärkte und auch kleinere Läden, demonstrieren gegen die Wirtschaftspolitik, die immer mehr Menschen in die Armut zwingt. Am 19. Dezember um 19 Uhr ruft Präsident de la Rua schließlich den Ausnahmezustand aus. Damit wird das Versammlungs- und Demonstrationsrecht aufgehoben, Polizei und Militär erhalten das Recht, Menschen ohne Haftbefehl auf offener Straße und in geschlossenen Räumen zu verhaften und für die Dauer des Ausnahmezustandes einzusperren und
Wohnungen ohne richterliche Anordnung zu durchsuchen. Die Bevölkerung lässt sich nicht einschüchtern. Nach der Bekanntgabe des Ausnahmezustandes in den Nachrichten strömen die Massen zum Regierungsgebäude. ArbeiterInnen, Arbeitslose, RentnerInnen,
AkademikerInnen, Menschen aus allen Berufen, Junge und Alte versammeln
sich auf der Plaza de Mayo und lassen sich auch nach stundenlangen Versuchen durch die Polizei nicht vertreiben. Die Repression der Polizei hatte 25 Tote zur Folge.
Nach seinem Wirtschaftsminister Cavallo muß auch der Präsident de la Rúa zurücktreten. Als letzte Amtshandlung hebt er wieder den Ausnahmezustand auf. In aller Eile wird ein Übergangspräsident eingesetzt. Zwei Tage später übernimmt Rodriguez Sáa von diesem die Regierung und erklärt Argentinien als Bankrott. Er sollte bis zu Neuwahlen im Mai im Amt bleiben. Die Menschen gehen jedoch weiter auf die Straße. Sie demonstrieren gegen Sáa, das von ihm gewählte Kabinett und alle Politiker der traditionellen Parteien sowie gegen die Fortführung der Politik des IWF und der Banken unter der neuen Regierung. Am 31. Dezember musste Saa zurücktreten. Für Sylvester hat sich die Bevölkerung in ganz Argentinien selbst zu einer erneuten „Cacerolazo“ also Töpfe schlagende Demonstration aufgerufen.
Als neuer Übergangspräsident wurde Duhalde ernannt. Auch er ist kein unbeschriebenes Blatt, im Jahr 1999 war er peronistischer Präsidentschaftskandidat, wirtschaftspolitisch war er damals IWF - treu und für die Kopplung der Landeswährung an den Dollar, er hat die letzten Wahlen gegen Fernando de la Rúa verloren. Von 1991 bis 1999 regierte er als Gouverneur der Provinz Buenos Aires, dem reichsten und bevölkerungsstärksten Teilstaat Argentiniens. So viele Brücken, Straßen und Schulen und Krankenhäuser wie er hat kein Gouverneur gebaut. Darüber hinaus ließ er Essen unter den Bedürftigen verteilen. Das trug ihm erhebliches Ansehen in der Wählerschaft und im Peronismus ein, der Provinz aber eine enorme Verschuldung. Er wird mitverantwortlich gemacht für das Verschleppen der Untersuchung des antisemitischen Attentats am 18. Juli 1994 bei dem eine Autobombe die Zentrale der Jüdischen Sozialversicherung (AMIA) in Buenos Aires zerstörte und 86 Menschen in den Trümmern ums Leben kamen .
Auch knapp ein Monat nach dem Antritt von Duhalde reißen die Proteste nicht ab. Jedes Wochenende kommt es zu neuen Cacerolazos , mit teilweise mehr als 25 Tausend TeilnehmerInnen. Wobei es zwar nicht mehr zu Toten gekommen ist , die Polizei jedoch weiterhin auf brutale Weise auch friedliche Demonstrationen angreift und viele Schwerverletzte zu verantworten hat.
Inzwischen ist die Bindung des Peso an den Dollar gelöst, er hat auch sogleich die Hälfte seines Wertes verloren. Die Preise steigen und ausländische Investoren drohen mit Rückzug, falls Duhalde nicht die „richtige“ Politik weiterführt, was heißt, dass das Wohlergehen der Konzerne weiterhin vor das der Bevölkerung geht. Denn es heißt ja, wenn es den Konzernen gut geht , dann geht es auch der Bevölkerung gut. Das diese neoliberale Weisheit eigentlich nie aufgeht beweist einmal mehr der Aufstand in Argentinien.

Dort gehen jetzt seit über einem Monat immer wieder tausende Menschen auf die Strassen. Die einen Protestieren gegen die Sperrung ihrer Bankkonten, andere Plündern Supermärkte weil sie nichts zu Essen haben ein paar wenige wollen eine soziale Revolution doch eigentlich alle sind der Meinung , dass sämtliche Parteien und Politiker eher Schuld an der Krise sind, als dass sie diese Lösen können.
In vielen Städten fangen die Leute deshalb an , sich in Volksversammlungen zu organisieren. Inzwischen gibt es über 30 Volksversammlungen, in Buenos Aires treffen sich alle Versammlungen der Stadtteile einmal die Woche zu einer gemeinsamen „asamble general“.

Dies ist ein Bericht einer Volksversammlung aus Almagro das ist ein Stadtteil von Buenos Aires, er stammt von der Webseite des argentinischen Independent Mediacenter.

Das Volk sagt: "Basta", lasst die Volksversammlungen die Politik machen !
Seit 4 Wochen versammeln wir - Nachbarn und Arbeitnehmer aus dem Viertel Almagro - uns im Rahmen einer Volksversammlung, um über die schwere soziale, politische und wirtschaftliche Krise des Landes zu diskutieren und über Lösungsvorschläge nachzudenken.
Aus den durchgeführten Diskussionen ergaben sich folgende gemeinsame Punkte:
Wir betonen die Wichtigkeit des Umstandes, dass das Volk die "Hunger-Regierung" von De la Rua und Cavallo niedergeschlagen und weggetrieben hat. Gleichzeitig sind wir uns jedoch bewusst, dass in die neue, aus dieser politischen Krise hervorgegangene Regierung keinerlei Erwartungen gesetzt werden können, da diese Nachfolger das Land noch bis vor 2 Jahren regiert haben und noch heute die Regierung der Mehrheit der Provinzen stellen - unter Anwendung derselben Wirtschafts- und Sozialpolitik, der das Volk in den vergangenen Tagen eine Absage erteilt hat. Deshalb lehnen wir sowohl die Peronisten als auch die Sozialdemokraten ("Radicalismo") sowie alle ihre "Komplizen" ab, welche einzig und allein eine Handvoll von Firmen auf Kosten der verelendeten Bevölkerung bereichert haben. Angesichts dieser Situation ist die Mobilisierung und der Zusammenschluss in Volksversammlungen die einzig mögliche Form zur Durchsetzung unserer Rechte als Arbeitnehmer, Nachbarn und Argentinier. Die einzig mögliche Form, um sicherzustellen, dass sich jeder Nachbar demokratisch äußern, seine Gedanken ausdrücken und dementsprechend handeln kann.
Wir rufen euch daher dazu auf, in allen Stadtteilen von Buenos Aires Versammlungen abzuhalten und an diesen teilzunehmen sowie an anderen Organisationsformen teilzuhaben, die aus der Nachbar- und Arbeitnehmerschaft hervorgehen. Wir rufen euch ebenfalls auf, Verbindungskommissionen zwischen den bereits gegründeten oder in Gründung befindlichen Versammlungen zu bilden.
Wir verurteilen die Repression vom Mittwoch, dem 19. und Donnerstag, dem 20. Dezember, die von demselben Repressionsapparat der Diktatur, der jetzt im Dienst der zivilen Regierung steht, vollstreckt wurde. Wir verlangen die sofortige Aufklärung der Todesfälle, die diese Repression zu Folge hatte sowie die sofortige Bestrafung der Schuldigen.
Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Obersten Gerichtshofes, der immer nur dafür existierte, die repressiven Maßnahmen gegen das Volk zu legitimieren, welche von den jeweiligen Regierungen vorgenommen wurden.

Wir verlangen die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen, die gegen diese gestürzte Regierung sowie die vorherige Regierung gekämpft haben, sei es auf den Straßen, auf den Landstraßen oder in den Fabriken.
Schluss mit den Regierungen, die dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank hörig sind!
Schluss mit dem politischen Opportunismus!
Wir fordern die sofortige Durchführung einer freien und souveränen Verfassungsgebenden Volksversammlung in diesem Land, die auf den Volksversammlungen der Stadtteile, der Fabriken, der Distrikte und der Provinzen basiert. Eine Versammlung, die in der Lage ist, sich den "Hunger-Regierungen" auf nationaler Ebene, im ganzen Land zu widersetzen und welche das Land in sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene neu organisiert.
Um diese Themen und die Diskussions- oder Mobilisierungsvorschläge, welche von den Nachbarn gemacht werden, weiter zu diskutieren, werden wir uns jeden Mittwoch, um 20:30 an der Ecke der Straßen Angel Gallardo und Corrientes weiter treffen. Alle Nachbarn und Arbeitnehmer des Viertels sind eingeladen, an den Versammlungen teilzunehmen.
Volksversammlung von Almagro"

Autoconvocados
Eine andere Form der Selbstorganisation betreiben die Autoconvocados (Selbstausrufende) Hier ebenfalls ein Artikel aus dem Argentinischen Independent Media Internetseite :
Mit einer direkten Aktion zur politischen Meinungsbildung machen die Autoconvocados erneut auf sich aufmerksam und schockieren durch ihr autonomes und radikales Selbstverständnis sowohl staatstreue Parteien wie traditionelle linke Organisationen. Mit einer öffentlichen Diskussion über zentrale sozialpolitische Themen wollen sie im Dialog mit den Menschen auf der Strasse eine Agenda formulieren und diese als Gesetzentwurf "Ley de emergenzia sozial" als soziales Notstandsgesetz dem Senat vorlegen.
23. Mai, Plaza San Martin, im Zentrum der Touristenzone von Cordoba. Die Kathedrale aus der Kolonialzeit, die modernen Shoppingcenters, Dutzende von flanierenden Touristen und Liebespärchen auf den Bänken unter Palmen, doch etwas stört die Idylle: An einem Ende des Platzes haben die Autoconvocados ihre Zelte errichtet. Mit Informationstafeln und Diskussionsrunden belagern sie den Teil Cordobas der sonst für die Besserverdienenden reserviert ist.
Ziel der Aktion ist es auf breiter Ebene und in aller Öffentlichkeit über die Probleme zu reden die fast alle angehen:
Die Auslandverschuldung des Landes mit ihren Folgen für die Bevölkerung, den Ausverkauf der letzten staatlichen Betriebe im Zuge der Neoliberalisierung, die staatliche Sozialpolitik so es sie denn überhaupt noch gibt sowie das politische Verständnis von Demokratie und die Möglichkeiten der politischen Beteiligung.
Das allein ist ja schon frech genug, aber zu allem Überfluss wollen die Autokonvokados auch noch im Dialog auf der Strasse eine Gesetzesvorlage formulieren und diese dann den Senat vorlegen. Um nicht zu viel vorwegzunehmen haben sie auf diversen Vorbereitungstreffen lediglich Informationsmaterial zusammengetragen und Fragestellungen formuliert. Diese sind jetzt auf mehreren Stellwänden einzusehen. An langen Bänken wird nun über die Verschiedenen Themen diskutiert. Auch können die Menschen ihre ganz persönlichen Probleme mit der Obrigkeit und den Behörden thematisieren. Es gibt Anwälte und Steuerberater die im Einzelfall beraten und fast immer stellt sich heraus: Es sind alles keine Einzelfälle.
Das soziale Notstandsgesetz enthält neben zahlreichen Forderungen, wie das Recht auf sauberes Trinkwasser und den kostenlosen Schultransport für Kinder eine Forderung auf Steuerbefreiung von Menschen die noch nicht einmal genug zu essen haben. Mit dieser Idee berufen sich die Autoconvocados auf den Artikel 799 des Zivilgesetzbuches und Artikel 14 des argentinischen Grundgesetzes. Das diese elementaren Grundrechte vom argentinischen Staat missachtet werden soll nicht zu sehr verwundern, werden doch regelmäßig Familien wegen einer angehäuften Steuerschuld aus ihren ärmlichen Häuser vertrieben und enteignet. Das sich die Autoconvocados nun auf argentinisches Recht berufen trifft die korrupte politische Klasse an einem empfindlichen Nerv. Bereits seit zwei Jahren rufen sie zu einer massenhaften Nutzung dieser Grundrechte auf, mit dem Erfolg, dass Tausende von verarmten Menschen eidesstattlich erklären sie seien nicht in der Lage mehr als die obligatorischen fünf Pesos im Monat an Steuern zu zahlen. Ein Konzept dass schnell viele Überzeugt.
Diese freche Strategie der basisdemokratischen Selbstbestimmung in Verbindung mit der Forderung auf Annerkennung der elementarsten und gesetzlich verankerten Menschen- und Bürgerrechte macht die Autoconvocados allseits unbeliebt. Auch und gerade linke Organisationen, wie die traditionell starken Gewerkschaften und die Kommunistische Partei stören sich an der autonomen Organisationsform, ihren radikalen Forderungen und der breiten Zustimmung die diese Bewegung zu einer nicht mehr zu ignorierenden politischen Kraft im Lande macht. Weil sie politisch unorthodox handeln wurde ihnen schnell Reformismus vorgeworfen, mittlerweile versuchen politische Parteien die Bewegung zu vereinnahmen - bisher ohne Erfolg!!!
Zurück zur Plaza San Martin: Es ist Abend geworden, immer mehr junge und alte Menschen bleiben stehen, haben sich versammelt, diskutieren, bauen ihre Zelte auf, Wein und Mate werden geholt, an einer Ecke wird ein Grill angefeuert. Die Stimmung ist gut, der erste Tag wird mit einer regen Beteiligung und fast dreihundert gesammelten Unterschriften für das soziale Notstandsgesetz als Erfolg wahrgenommen. Stunden später, so gegen halb eins, ich bin selber nicht mehr auf dem Platz, umzingeln plötzlich ca. 200 Polizisten die Zelte mit den dreißig Menschen die dort Nachtwache halten. Sie hätten eine Stunde Zeit den Platz zu verlassen, sonst werde die Polizei gewaltsam räumen. Nach einem Plenum beschließen die Leute erst mal zu gehen, da es keinen Sinn mache sich der Gefahr einer Verhaftung auszusetzen. Sie wollen am nächsten Tag wiederkommen und gemeinsam beraten wie sie weiter vorgehen werden.
24. Mai, Plaza San Martin. Schon früh Versuch die Autoconvocados wieder auf den Platz zu gelangen, werden allerdings daran gehindert sich in größeren Menschenmengen zu versammeln und ihre mitgebrachten Stellwände, Tische und Stühle aufzubauen. Allerdings erscheint, wohl eher zufällig ein Abgeordneter der Stadtverwaltung vor Ort und wird sofort von ca. 40 Frauen bedrängt die eine Audienz beim Bürgermeister fordern. Nach einigem hin und her wird schließlich zugesichert am nächsten Mittwoch die Forderungen anzuhören. Bis dahin wollen sie ihre Gesetzesvorlage formuliert haben und aus jedem der über Zweihundert Stadtteile je 10 Delegierte mobilisieren. Mensch kann erwarten, dass das ein schönes Spektakel gibt...
Parallel zu dieser Aktion wurden am Abend des 23. Mai, rund 200 streikende Beschäftigte des Transportunternehmens "Zweitausendeins", die am Bushauptbahnhof vor ihren Bussen eine Mahnwache abhielten gewaltsam und ohne Vorwarnung von rund 1000 Polizisten geräumt, verhaftet und vorrübergehende Gewahrsam genommen.
Geschichte der Autoconvocados:
Entstanden ist die Bewegung der Autoconvocados 1994 als autonome Abspaltung der städtischen Nachbarschaftszentren, die nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche traditionell eher zur Legitimation städtischer Sparpolitik und der Vertreibung von armen Menschen dienen. Dem entgegneten die Autoconvocados ein Konzept der politischen Selbstbestimmung und der basisdemokratischen Entscheidungsfindung. 1994 wurde dann zu einem runden Tisch der verschiedensten Gruppen aus über Hundert marginalisierten Stadtteilen eingeladen. Die Grundlegende Idee war und ist, keine vorgefertigten Programme zur Armutsbekämpfung und Sozialpolitik in den Stadtteilen durchzusetzen ,sondern miteinander selber zu diskutieren und zu definieren welche Bedürfnisse die Menschen haben und wie sie diese artikulieren und verwirklichen können.
Als es 1999 um die Umsetzung wichtiger, gemeinsam erarbeiteter Forderungen ging wollte zunächst niemand mit den Autoconvocados verhandeln. Kurzerhand besetzten sie die Kathedrale von Cordoba und blieben 63 Tage dort bis die Stadtverwaltung schließlich zähneknirschend mit ihnen Verhandelte und am Schluss die Forderung nach Steuererlass formal anerkannte. Das war ein Riesen Erfolg für die Bewegung, die sich bis dato ihrer eigen Sprengkraft kaum bewusst war.
Heute sind sie selbstbewusster und stören wo immer sie können die öffentliche Ordnung. Eine weitere Folge der Besetzung war allerdings auch die verstärkten Repressionen denen die AktivistInnen ausgesetzt sind. Unmittelbar nach der Besetzung wurden mehrere Wohnungen durchsucht und eine Stadtteilschule überfallartig von 60 Polizisten eingenommen, inklusive Personalkontrollen der mehrheitlich jugendlichen Schüler - angeblich auf der Suche nach Waffen.
Mittlerweile kommen auf den offenen Versammlungen Delegierte aus ca. Zweihundertdreißig Stadtteilen zusammen. Interessant ist, dass alle Stimmen gleich viel zählen: Die des Stadtteilvorsitzenden gleich der der Schülerin. Überhaupt fällt auf, dass überdurchschnittlich viele Frauen anwesend sind und auch zu guten Teilen die Diskussion bestimmen. So leben die Autoconvocados die bessere Gesellschaft die sie anstreben.

Als nächstes kommen noch die Madres del Plaza de Mayo zu Wort. Sie sind ein Zusammenschluß von Frauen, deren Kinder während der argentinischen Militärdiktatur verschwunden gelassen worden sind. Sie treffen sich seit Jahren jeden Donnerstag auf dem Hauptplatz von Buenos Aires und fordern die Aufklärung der Verbrechen der Militärdiktatur und die Bestrafung der Schuldigen der Verbrechen, die während der Diktatur begangen wurden und die bisher alle durch eine Amnesie freigesprochen wurden.

Donnerstag, 3. Januar 2002
Die Mütter des Plaza de Mayo lehnen diese Regierung zusammengesetzt aus Mördern, Drogenhändlern, Räubern und Korrupten ab.
Trotz des Ekels entschieden wir einen Brief aufzusetzen, der die sofortige Freiheit aller politischer Gefangenen und der sozialen Kämpferdie für das Auseinandersetzen mit diesem kapitalistischen und kriminellen System bestraft wurden, fordert.
Nach dem Donnerstagsmarsch waren wir zwei Mütter, Hebe de Bonafini - Präsidentin der Vereinigung - und Evel Petrini - Sekretärin der Führungskomission - mit einem Brief in der Hand auf dem Weg ins Regierungsgebäude. Die Präsidentschaftswache die uns begleitet warnte uns: "Seien sie vorsichtig mit dem was sie hier drinnen machen oder sie werden mit den Füßen voran rauskommen".
Wir wissen dass viele sich wegen der Sorge ums Geld oder wegen der Bankeinlagen mobilisierten. Es gibt kein Geld weil es die selben Kriminellen raubten die heute das Regierungsgebäude besetzen.
Aber die Mütter des Plaza de Mayo wissen dass wir weiterkämpfen müssen, nicht wegen dem Geld, sondern für das Leben, für die Freiheit der politischen Gefangenen und der sozialen Kämpfer und gegen diese Mafia die mit einem Überfall die Regierung übernahm.
Die Mütter machen weiter gemeinsam mit den Jungen, welche ihr Leben bei den Auseinandersetzungen mit der Mörderpolizei welche die Regierenden beschützt riskieren. Deshalb rufen wir weiterhin die Losung des 21. Widerstandsmarsches: "Widerstand und Kampf gegen den Staatsterrorismus"


Zum Schluß noch ein bisschen zur Wirtschaftspolitik:
Die Auslandsschulden und die neoliberale Wirtschaftspolitik sind nicht nur in Argentinien eng miteinander verbunden. Die internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank übten auf die hochverschuldeten lateinamerikanischen Länder erheblichen Druck aus. Im Rahmen von Umschuldungsverhandlungen setzten sie gegenüber vielen Regierungen Ausgabenkürzungen, Handelsliberalisierung, die Privatisierung von Staatsbetrieben und ähnliche neoliberale Politiken durch. In Argentinien ist inzwischen so ziemlich alles privatisiert , Telefon-, Gas-, und Wasserversorgung, die Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas, bis hin zu den Gehsteigplatten und den Löwen im Zoo. Der Erlös dieser Privatisierungen ging aber meist direkt wieder dafür drauf, die Schuldenlast zu erfüllen und einige Korruptionsfälle wurden bekannt.
Im Zuge des Rückzugs des Staates als Regulierende Kraft wurde auch der Soziale Bereich völlig vernachlässigt. Gleichzeitig verschlechterte sich das einstmals im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern recht ausgeglichene Verhältnis zwischen Arm und Reich sehr zu ungunsten der Armen .

Doch woher stammen die Schulden von ca. 300Milliarden Mark?
Die argentinischen Kapitalisten haben sich während der Diktatur munter verschuldet und einen Teil dieser Kredite gleich im Ausland angelegt. Die Summe der in den Industrieländern und Steueroasen angelegten Mittel, die Kapitalflucht, ist größer als die Summe der von Argentinien eingegangenen Schulden. Nach Angaben der Weltbank betrug die Kapitalflucht allein in den Jahren 1980-82 21 Milliarden Dollar. Nach dem Ende der Diktatur erklärte sich die Regierung Alfonsín alsbald dazu bereit, die privaten und öffentlichen Schulden aus der Zeit der Militärherrschaft anzuerkennen und zu übernehmen. Die angesammelten privaten Schulden wurden vom Staat übernommen, so dass sich die Staatsschulden um die entsprechende Summe erhöhten.

Während verschuldete Niederlassungen von Multis wie Mercedes-Benz, Ford, Renault, Deutsche Bank, City Bank, Crédit Lyonnais auf diese Weise saniert wurden, war die Zeit reif dafür geworden, die verschuldeten Staatsbetriebe zu privatisieren. Unter der Militärdiktatur und der Federführung ihres Wirtschaftsministers Martínez de Hoz wurde zwischen 1976 und 1983 der Ausverkauf der argentinischen Wirtschaft vorangetrieben und die Industrie des Landes zerschlagen. Die systematische Verschuldung von Staatsbetrieben und öffentlichen Unternehmen vor allem gegenüber Privatbanken in den Industrieländern war ein wesentliches Instrument dieser Politik. Staatsbetriebe wurden gezwungen, ausländische Kredite aufzunehmen. Nominell wuchsen damit die Devisenreserven des Landes, ohne dass diese tatsächlich investiert oder von der Zentralbank kontrolliert worden wären. Stattdessen wurden diese Mittel umgehend bei denselben ausländischen Banken angelegt – freilich so, dass die Habenzinsen niedriger ausfielen als die Sollzinsen. Zweck der Übung war die Bereicherung der Militärs durch Provisionen und – ganz nach Wunsch des IWF – die Verbesserung der internationalen Glaubwürdigkeit der Diktatur. Alfonsíns Nachfolger Menem besorgte dann von 1990-92 die Privatisierung der dergestalt verschuldeten Staatsbetriebe, indem er sie – just mit dem Argument, sie seien hoch verschuldet – unter Wert verhökerte. Die Verluste werden auf 60 Mrd. Dollar geschätzt

Nach dem Ende der Diktatur wurde eine parlamentarische Kommission eingerichtet, die den Schuldenskandal untersuchen sollte, aber ihre Tätigkeit nach einem halben Jahr einstellte. Ihre Ergebnisse hätten die nahtlose Fortsetzung der Wirtschaftspolitik unter Alfonsín, insbesondere die Übernahme der Schulden aus der Zeit der Diktatur, stören können. Der Journalist Alejandro Olmos hatte jedoch noch während der Diktatur, im Oktober 1982, Anzeige erstattet. Die Justizbehörden begannen mit Ermittlungen und eröffneten ein Verfahren, das am 13. Juli 2000 mit einem Urteil endete, mit dem wegen der in Argentinien herrschenden Straffreiheit keine Personen verurteilt, aber Art und Umfang des Schuldenskandals aufgedeckt worden sind. So wird in der 195 Seiten starken Urteilsbegründung von Richter Ballestero bestätigt, dass der IWF die Diktatur aktiv unterstützte und die Federal Reserve (US-Zentralbank) für die Privatbanken bürgte, die der Diktatur Geld liehen. Das Urteil stellt diesbezüglich fest: „Annähernd 90 Prozent der ausländischen Kredite, mit denen sich die staatlichen und privaten Unternehmen verschuldeten, wurden im Rahmen spekulativer Finanzoperationen wieder im Ausland angelegt.“ Das Urteil bestätigt auch, dass die Übernahme der Schulden von Privatunternehmen durch die „demokratische“ Übergangsregierung völlig illegal war. 26 dieser Unternehmen waren und sind im Finanzsektor tätig, darunter zahlreiche ausländische Banken mit Niederlassungen in Argentinien: City Bank, First National Bank of Boston, Chase Manhattan Bank, Banc of America, Crédit Lyonnais, Société Générale, Deutsche Bank. Unter Alfonsín übernahm der bei diesen Banken verschuldete argentinische Staat auch noch die Schulden ihrer argentinischen Niederlassungen.

Das Gericht kommt zu einer vernichtenden Gesamteinschätzung: „Die Auslandsverschuldung der Nation wurde ab 1976 also während der Militärdikatur durch eine vulgäre und beleidigende Wirtschaftspolitik auf obszöne Weise erhöht... Unter anderem begünstigte und unterstützte sie nationale und ausländische Privatunternehmen auf Kosten der Staatsbetriebe, die ihrerseits gezielt verarmt wurden, was sich in den Werten widerspiegelte, zu denen sie später privatisiert wurden.“

Ausgeplündert
Inzwischen ist das Land ausgeplündert , die Auslandsschulden sind weiter ins Astronomische gewachsen und der Waffenhändler Carlos Menem ,der letzte Präsident vor de la Rúa und IWF Musterknabe , müsste im Gefängnis sitzen, wenn es in Argentinien nach Recht und Gerechtigkeit ginge. Jetzt plündern die Leute in den Großstädten Supermärkte und schon tritt der Arm des Gesetzes in Aktion.
Nicht gegen die Militärs, die während der letzten Diktatur von 1976-1983 den Ausverkauf und die Verschuldung eines der reichsten Länder Lateinamerikas begannen, über 30.000 Oppositionelle und BürgerInnen umbrachten und heute freier denn je herumlaufen. Alles unter den wohlwollenden Augen der Internationalen Finanzinstitutionen, der Regierungen der großen Industrieländer und der dabei immer gut verdienenden transnationalen Konzerne.
Schon gar nicht gegen diese Drahtzieher, die den neoliberalen Schwenk von Carlos Menem bejubelt hatten und die bis auf einem extremen Sparkurs, d.h. der extremen Ausplünderung der öffentlichen Versorgung, bestehen.