"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Der Gurgelwurgel

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Jetzt war ich für ein paar Tage im Ausland, nämlich in Deutschland, konkret in Erfurt, und deshalb konnte ich mir die tägliche Zeitungslektüre ersparen und musste nicht ständig auf diese Trump-Ikonen starren, welche von den Titeln glotzten neben den üblichen Orakelsprüchen und Deutungsversuchen.
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12:24 min, 28 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 15.11.2016 / 13:32

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Frauen/Lesben, Umwelt, Religion, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 15.11.2016
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Was wird der jetzt tatsächlich machen? Bringt er Frieden im Hindukusch oder Krieg in Kanada? Erhebt er Importzölle auf Kohle, Eisenerz und Stahl? Müssen die Armen demnächst doppelt so hohe Krankenkassenprämien bezahlen wie Milliardäre? Schließt er als ausgewiesener Fachmann in Sachen Steuerhinterziehung tatsächlich die Schlumpf- und Schlupflöcher im System? Kein Mensch hat keine Ahnung nicht, und zuallerletzt wohl der Schweinepriester selber. Dabei ist ja völlig egal, ob er das Format hat für einen Präsidenten, dieses Amt formatiert seinen Mann schon selber. Insofern bin ich für einmal voll und ganz einer Meinung mit der Bild-Zeitung beziehungsweise ihrer kurzen Einschätzung: Wir schaffen auch das. Das Trump.

Ich wollte hier ursprünglich einen Begriff aus dem Schweizer Dialekt einführen zur künftigen Bezeichnung dieses Jeckenkopps, nämlich den Schafseckel. «Seckel» bezeichnet den Hodensack und ist beim Schaf zu einer spezifischen Schlaufe zur Kommutation von Brunz in Mist ausgebaut, wie der Bauer weiß. Der Schweizer verwendet übrigens typähnliche Bezeichnungen auch in der Physik, zum Beispiel einen Mückenseckel, eine Maßeinheit zwischen Milli- und Mikrometer, zirka einen hundertstel Millimeter breit, und dieses Maß kommt zum Beispiel im Fußball zum Einsatz, wenn der Mittelstürmer das Tor nur sehr knapp verfehlt. Aber es nützt alles nichts, ob wir den Trump nun Schafseckel nennen oder einfach einen Rassisten oder auch einen ausschließlich publizitären Gesetzen gehorchenden Medienstar, er wird uns so oder so mindestens 4 Jahre lang unablässig aus dem Fernseh und eben von den Titelseiten der gedruckten Presse entgegen strahlen wie einst sein verglühter Vorgänger Silvio Berlusconi. Das, geschätzte Hörerinnen und Hörer, ist einfach schrecklich. Ich will das nicht. Macht das weg.

Selbstverständlich ist Trump dreister im Auftritt als Berlusconi, dafür dürfte er realistischer sein in Bezug auf die Taten. Berlusconi ging in die Politik, weil er sonst im Knast gelandet wäre. Er hatte keinen anderen Ausweg als die Wahlen, um nicht in den Tangentopoli-Strudel hinein­gezogen und ruiniert zu werden, und zehn Jahre später war er der reichste Italiener. So etwas wird bei Trump nicht geschehen, wobei bei diesem Vogel nicht mal das ganz sicher ist. Wir wissen es schlicht nicht, vielleicht hat man im März nächsten Jahres eine halbe Ahnung, vielleicht macht er dann aber gerade eine 180°-Kehrtwende, vielleicht weiß man es erst nach vier Jahren und vielleicht noch nicht mal dann. Einen Weltkrieg löst er uns wohl kaum aus, aber es könnte zu einem gewissen Verschleiß an Beratern und Ministern kommen.

Was man dagegen weiß, ist, dass eine Mehrheit der US-Amerikanerinnen und Amerikaner sämt­liche Regeln einer an­stän­digen Kommunikation über Bord geworfen haben. Es gibt nach Trump keine Tabus mehr, nur noch Auf­merk­sam­keit, und wir alle wissen, dass der Tabubruch eines der letzten Mittel ist, um ungeteilte Aufmerksamkeit zu erzielen, und in diesem Prozess geht sie ihres Tabu-Status verlustig. Der nächste Präsident muss vermutlich in aller Öffent­lich­keit in seinem Seckel Brunz in Scheiße kommutieren, mindestens aber bei der zweiten Wahldebatte ans Rednerpult pinkeln. Buah!

Die haben den voll gewählt. Allein diese Tatsache qualifiziert nicht nur die US-Amerikanerinnen und Amerikaner, sondern insgesamt die herkömmlichen demokratischen Verfahren. Sie sind nicht mehr zeitgerecht in Gesellschaften, welche von tausend Kommunika­tions­kanälen durchzogen sind wie von tausend unterschiedlichen Blut- und Nerven­systemen. Vielleicht liegt es daran, dass diese Systeme noch so neu sind, dass sich noch keine Regeln jenseits von Strafnormen etabliert haben. Insbesondere scheinen Kriterien wie Anstand und Wahrheit vollkommen überholt.

Zu Hillary Clinton dagegen erübrigen sich weitere Kommentare. Die Frage, weshalb die demo­kratische Partei aus­ge­rechnet diese Person als Präsidentschaftskandidatin montiert hat, bleibt unbeantwortet, dagegen braucht die Fest­stel­lung, dass ein schöner Teil ihrer Niederlage in ihrer Person begründet lag, nicht einmal einer Frage. Die Frau eines ehemaligen Präsidenten ist aus meiner Sicht und gemäß allen Grundlagen einer demokratischen Ordnung grund­sätzlich unwählbar, aber das gilt auch für den Sohn eines ehemaligen Präsidenten, und die Amis haben trotzdem den Jockel Busch gewählt. Übrigens ist euch wohl nicht entgangen, dass der ehemalige nicaraguanische Revolutionär und aktuelle nicaraguanische Präsident Daniel Ortega jetzt seine Ehefrau zur Vizepräsidentin ernannt hat. Da bleibt einem doch die Spucke weg, hätte man früher gesagt, aber im Zeitalter von Trump und Clinton fließt der Speichel unbeeindruckt, ich bin versucht zu sagen: unaufgeregt weiter, unabhängig von solchen welthistorischen Ereignissen. Auch die alten Revolutionäre haben jegliche Scham abgelegt, was sicher auch daran liegt, dass sie wissen, dass ihre Taten nirgendwo mehr mit einem mächtigen, global präsenten Wertsystem referenziert werden. Möglicherweise bildet sich in den post­kapi­ta­lis­ti­schen Gesellschaften wieder so etwas wie ein mittelalterlicher Feudalstaat aus mit all den dazu gehörigen Phänomenen wie Schenkungen und Stiftungen und vor allem der kompletten Ent­mün­di­gung der großen Mehrheit der Bevölkerung, wobei es im Zeitalter der Kommunikation selbst­ver­ständ­lich eine Selbstentmündigung ist. Das den Social Media inhärente Streben nach Rampenlicht ist in einem anderen als dem Rampen-, nämlich im Licht der normalen Vernunft nichts weiter als Selbstaufgabe. Es sei denn, man würde die Beleuchtung ihrerseits als Mechanismus nutzen wie dieses US-amerikanische Dingsda, dem ich eben nun doch nicht Schafseckel sagen will.

Frau Clinton zickt, muht und meckt immer noch herum und schiebt zum Beispiel die Schuld an ihrer Niederlage dem FBI-Direktor in die Schuhe, dessen Auftritte in der letzten Wahlkampfphase tatsächlich ziemlich unerhört waren und nicht anders verstanden werden können denn als tiefe Antipathie gegen Herrn und Frau Clinton, was auf diesem Posten einfach nicht geht. Nehmen wir mal an, dass der Schafseckel ihn umgehend feuern wird. Aber den Ausschlag gaben diese kleinen Ferkeleien wohl nicht. Jedenfalls möchte ich hoffen, dass die fröhliche Clinton jetzt einfach in den Tiefen des Privatlebens beziehungsweise der Clinton-Stiftung verschwindet und damit in erster Linie der demokratischen Partei ermöglicht, in den nächsten drei Jahren eine Frau als Präsidentschaftskandidatin aufzubauen, welche den Trottel einfach vom Tisch wischt und unter den Teppich kehrt, und es wäre mir recht, wenn es sich bei dieser Frau nicht um Chelsea Clinton handelt. – Beiläufig noch eine jüngere Nachricht: Russia Today Deutsch meldete am 14. November, dass sich die Hillary von dem Bill scheiden lassen wolle. Auf Google findet man dazu nicht eben viel, aber immerhin eine Nachricht von Jihad Watch Deutschland, eine Webseite, auf welcher Fred Alan Medforth den heimlichen Orientalismus Deutschlands durchleuchtet, welche diese Breaking News am 10. November brachte mit einer deutlich sichtbar gefälschten Kopie des Kopfes dieser Scheidungsklage, und die wiederum verlinkt auf Christiantimesnewspaper.com. Das ist eine der vermutlich unzähligen pseudochristlichen Geiferseiten, welche den durch und durch unchristlichen Kandidaten und Lumpen Trumpen wie gestört unterstützt haben. Das macht natürlich Lust auf mehr Nachrichten von Russia Today Deutsch. Aber all das ist kein Trost und wird das Leid nicht mindern, das wir ertragen müssen, nämlich diese orange­far­bene Fleisch gewordene Lüge unter einem orangefarbenen Toupet, die dann am schlimmsten ist, wenn sie die versöhnlichen Tonlagen anstimmt. Das gibt die übelsten Fehllaute.

Doch noch ein Blick auf die Interpretationsvarianten. Mal abgesehen vom gammelfleischfarbenen Gammelpräsidenten beziehungsweise der Schelte an das gesamte freie US-amerikanische Volk dürfte es so etwas wie eine Grundstimmung geben, die in Gezeiten nach einer Periode der republikanischen Herrschaft in Washington eine Periode der demokratischen Herrschaft bringt und dann halt eben umgekehrt, was den republikanischen Wahlsieg schon mal erklärt, allerdings nicht jenen von Trump, denn es gab ja auch noch andere republikanische Kandidaten. Zweitens ist die selbe Grundstimmung wohl nichts anderes als stinknormal, wenn sie nach der wirklich tief greifenden Revolution, nämlich dem ersten schwarzen Präsidenten, die unmittelbar daran anknüpfende zweite, nämlich die erste Frau im Präsidentenamt, mehr oder weniger reflexartig ablehnt. Revolutionen müssen immer mal wieder verkraftet werden, und um die echten Vorzüge der Familie Obama teleologisch zu würdigen, muss wohl so eine Karikatur eines orangefarbenen, schleimigen, faule Sprüche wie faule Fürze absondernden – wääk, pfui, ich kann gar nicht weiter sprechen. Und das sehen wir drei Jahre lang nun jeden Tag zum Frühstück! – Lügenpresse!

Substanz liegt in jenen Erklärungsversuchen, welche die Wut der Underdogs, der ewigen Loser, der Verlierer, der Opfer aufnehmen. Wut ist hier der richtige Begriff, denn es handelt sich um ein blindes Gefühl ohne Begriffe, ohne Ziele, ohne Alternative – genau aus diesem Grund heißt übrigens in Deutschland die Alternative für Deutschland Alternative, weil sie nämlich keine weiß und ist, aber dies bloß am Rand. Offensichtlich hat Trump diese Kräfte in den USA zu kanalisieren vermocht, zusammen mit den libertären Strömungen, welche ebenfalls alternativlos gegen den Staat und gegen jeglichen Eingriff in die Freiheiten des Individuums kämpfen. In dieser Beziehung sind die Jungs und Mädels, also die Libertären, durchaus sympathisch, und wenn man ihnen einen Vor­wurf machen müsste, dann nur jenen, dass sie sich zu wenig überlegen; eine Gesellschaft ohne äußere Eingriffe in die Freiheiten der Individuen ist nämlich nur möglich, wenn diese Individuen selber in der Lage sind, ihre Freiheiten so einzurichten, dass die Individuen dann gesell­schafts­tauglich sind.

Diese Interpretationen erklären Trump als Anti-Establishment, als von berserkernden Opfern gewählten Ober-Beserker. Hier formiert sich nun allerdings eine Frage, die größer ist als Gammelfleisch, nämlich: Wie kommt die moderne Gesellschaft zurecht mit dem Untergang industrieller Verhältnisse? Was tritt an die Stelle der kapitalistischen Arbeits- und Ausbeutungs­verhältnisse? – Die Ordnungsmacht der Industriearbeit war offenbar geradezu umfassend, sodass ihr Zusammenbruch eine ebenfalls umfassende Orientierungslosigkeit bewirkt. Die Ordnungsmacht erlaubte es wohl auch breiten Bevölkerungsschichten, die der Ordnung naturgemäß zugehörig scheinende Logik zu verinnerlichen, die Vernunft der industriellen Weltordnung. Wo diese auseinander bricht, bleiben auch die Logik und die Vernunft als solche nicht bestehen, sondern die Blubbertöpfe des Unterbewussten schäumen und laufen über. Die Alternative – haha, hier gibt es tatsächlich eine – die Alternative ist für den Durchschnitts-Loser unbefriedigend, nämlich das, was die Einwandererinnen und Einwanderer aus Lateinamerika vormachen: Sie leben mit einem Bruchteil der Einkommen, die sich auch mit wenig qualifizierter Fließbandarbeit erzielen ließen. Und sie leben damit deutlich besser als in ihren Herkunftsländern. Sie können von diesem Bruchteil sogar noch in erheblichem Umfang Remissen tätigen. Eine solche Ordnung stößt erst recht auf wütende Reaktionen jener Menschen, welche aus der schönen alten Welt heraus gefallen sind.

Und an all dem sind die Deutschen schuld! Hätten sie nämlich nicht mit ihren Automobilen die Amerikaner von den Weltmärkten gefegt, dann gäbe es den Zerfall von Detroit nicht, und Donald Trump wäre nicht der künftige Präsident der USA.