"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Populismus

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Schnee, Kälte, Sonne, es blieb einem gar nichts anderes übrig, als sich im Freien zu tummeln, und meiner Treu, bei einem Spaziergang übers Land wurde ich einer seltsamen Anordnung gewahr ...
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13:34 min, 31 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.01.2017 / 10:56

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 31.01.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
... und zwar aus genügend großer Distanz, dass ich mir die Realität beziehungsweise Wahrheit nach meinem Gusto zusammen fummeln konnte, nämlich standen und gingen in einem Geviert von der Größe eines Tennisplatzes acht junge und jüngere Männer herum, zusammen mit je einem Floh, wie mir zuerst durch den Kopf schoss, aber ich korrigierte sofort auf Chiwawa, Kleinsthunde, und dann hatte mein Assoziationsvermögen den Normalstand erreicht und lieferte das Ergebnis: Rehpinscher. Acht Männer im jungen oder jüngeren Erwachsenenalter übten sich in der Disziplin der Reh­pin­scher-Dressur, oder im diesen jungen oder jüngeren Männern angemessenen martialischen Vokabular, denn ich bin sicher, dass es sich um Mitglieder eines Kampfsport-Clubs handelte, sie betrieben ein Rehpinscher-Bootcamp. Wir näherten uns dem Ausbildungsgelände nicht mehr als nötig, aber immerhin stellte ich fest, dass die Dressur weitgehend ohne Leine stattfand und aus gebellten Befehlen oder auch aus flötendem Geflüster bestand, ich hörte leider nichts und auch die Antworten der Hüpfmopse nicht, aber ich war beeindruckt und bat mein Assoziationsvermögen um ein paar weitere Hin- oder Querverweise. Selbstverständlich war der erste jener auf die nicht besonders seltenen jungen und jüngeren Frauen, welche nicht Rehpinscher, sondern tatsächlich Chiwawa-Hündchen mit sich führen und sie gerne als Gegengewicht zur Handtasche im einen Ellenbogengelenk auf dem Unterarm der anderen Seite tragen, manchmal aber auch an einem Halsband aus künstlichen Diamanten hinter sich her ziehen. Sollte es sich hier um ein Treffen von Freunden besagter junger Damen handeln? Aber ich meinte eben trotz der Distanz einwandfrei Rehpinscher identifiziert zu haben und nicht Chiwawa, und Rehpinscher sind an jungen und jüngeren Frauen eher selten. Oder, und dieser Eindruck bestimmte die nächsten Stunden an freier Luft, sollte ich hier die ersten Emanationen eines neuen Megatrends gesehen haben? Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass man solche Kleinhunde, die ja eh schon gechippt sind, durchaus mit SIM-Karten ausstatten und den Mobiltelefonieverkehr über sie abwickeln könnte. Wie sich natürlich Snapchat oder gar eine Google-Abfrage auf einem Rehpinscher oder auch auf einem Chiwawa, insgesamt also auf einem Chip-Wauwau durchführen lässt, davon habe ich wieder keine Ahnung, aber immerhin.

Kurz und gut: Der neue Megatrend in den internationalen Metropolen ist es, dass junge und jüngere, gut getunte Männer mit einem gut gechippten Rehpinscher durch die Straßen laufen und ihm nutz­lose Befehle zurufen: sitz, friss, stirb. Und weiter kam ich nicht in meinen Überlegungen, weil wir dringend die nächstbeste Landkneipe ansteuern mussten von wegen Klo und so. Aber immerhin.

Am internationalen Managertreffen in Schnee, Kälte und Sonne in Davos soll die Chefin des Internationalen Währungs­fonds, Frau Christine Lagarde, etwas von Umverteilung gemunkelt haben, weil die Damen und Herren unterdessen nicht mehr Angst haben vor der Linken, ich meine jetzt von der extremen Linken, während die gemäßigte bezie­hungs­weise sozialdemokratische Linke diese Manager bekanntlich seit Jahren und Jahrzehnten vollständig in Ruhe lässt; sie haben also keine Angst mehr vor der extremen Linken, weshalb sollten sie auch, sondern sie haben Angst vor Plebs und Pöbel und dem sie umgebenden und umgarnenden Geist und Geruch, dem Populismus. Populismus, Plebs und Pöbel sind in der Regel primär unpolitisch, werden aber gerne von Kurzdenkern und Nationalisten zu ihren Nutzen ins­tru­men­ta­lisiert – und lassen sich auch instrumentalisieren –, während die Träumer auf der anderen Seite nach wie vor von einer Masse an intelligenten, selber denkenden Individuen ausgehen, welche sich in einem demokratischen Staat rational bewegen und in einem fort Entscheidungen fällen, die das Wohl der Gesamtheit ebenso wie der Einzelnen und sowieso insgesamt den Fortschritt zum Inhalt haben. Und zwar wohlgemerkt auf der ganzen Erde, nicht nur in ihrem Landkreis.

Aber davon sprach Frau Lagarde nicht; da kennt sie sich auch nicht aus, sie kennt sich aus mit ihren Kapitalisten-Freun­den, denen sie gerne mal ein paar Dutzend oder hundert Millionen Euro zuhält, wie damals als französische Ministerin dem früheren Mitterrand-Liebling Bernhard Tapie, oder aber jetzt als IWF-Chefin mit Dingen wie Struktur­an­pas­sungs­pro­grammen, welche die Interessen der betroffenen Bevölkerung seit Bestehen des IWF mit keinem einzigen Mil­li­gramm an Hirnschmalz berücksichtigen. Im Gegenteil war diese Bevölkerung schon immer eine echte Belastung für die Strukturen der jeweiligen Länder, das können zahlreiche Experten bestätigen. – Das heißt übrigens nicht, dass diese Strukturanpassungsprogramme immer völlig falsch sind, aber eben, sie werden immer mit jenen Kreisen ausgehandelt und aufgegleist, welche für die katastrophalen Verhältnisse mit den daraus folgenden Strukturen mindestens insofern verantwortlich sind, als sie nichts dagegen unternehmen und sämtlichen flüssigen Mittel in ihre eigenen Taschen lenken. So wissen sie auch immer dafür zu sorgen, dass die IWF-Kredite in einem weiten Bogen um die Bevölkerung herum fließen. Nun scheint aber doch mindestens eine Ahnung davon hochzukochen, dass Plebs und Pöbel manchmal die Schnauze voll haben, unter anderem von Figuren wie Christine Lagarde, und deshalb nimmt sie dieses Wörtlein Umverteilung in den Mund, obwohl es sicher mehr Überwindung kostet als das ganze Vokabular für die Exzesse, für welche ihr Vorgänger Dominique Strauss-Kahn bekannt wurde.

Nun denn also, Umverteilung!, und wenn wir es einmal gesagt haben, haben wir unsere Schul­dig­keit auch schon wieder getan und wenden uns dem Tagesgeschäft zu, den Kredittranchen für Grie­chenland, dessen Regierungschef Tsipras so viril aussieht, seit er vor der Troika eingeknickt ist, er erinnert an Anthony Quinn als Alexis Sorbas, obwohl der ein Mexikaner war, aber das ist ein anderes Kapitel, und da sind ja auch noch ein paar weitere Kredite für ein paar weitere Not leidende Länder und Potentaten.

Umverteilung! Das ist mir mal ein schöner Kampfbegriff. In der Regel nutzen ihn vor allem die kritischen Linken, welche behaupten, dass unter den aktuellen Strukturen eine große Umverteilung von unten nach oben im Gange sei. Er ist aber auch bei der politischen Rechten in Gebrauch, welche ihrerseits vor Umverteilung warnt, nämlich vor dem Abzug substanzieller Mittel aus den Taschen der reichen und reicheren Bevölkerungsschichten zwecks Alimentierung eines stetig wachsenden Staatsapparates und zu guter Letzt womöglich noch jener Taugenichtse, welche den lieben langen Tag nichts tun und sich in der sozialen Hängematte den Bauch vollschlagen. So oder so: Wenn der Begriff Umverteilung im Argumentenkampf eingesetzt wird, dann unterstellt er immer, dass es so etwas wie eine natürliche oder gar unnatürliche, nämlich gerechte Primärverteilung gebe. Und das ist nun auf beiden Seiten, bei der politischen Linken wie bei der politischen Rechten, einfach nur zentimeterdicker Habakuck.

Ich sage es nur pro forma, weil Ihr das alles selber schon seit Langem wisst: Es gibt keine gerechte Primärverteilung des Reichtums. Es gibt nur Herrschafts- oder Machtverhältnisse. Eine Präzisierung lasse ich zu: Diese Herrschafts­ver­hält­nisse bauen auf den Produktivverhältnissen auf, und ich füge noch an, dass die aktuelle Form der Produktivverhältnisse es erlaubt hat, dass die Produktivität auf ein wahrhaft unglaubliches Niveau gestiegen ist, was wiederum enorme Folgen und Rückwirkungen für und auf die Machtverhältnisse hat, sodass sich als die den aktuellen Produktivkräften ent­spre­chen­de Form der Machtverhältnisse die sozialdemokratische herausgebildet hat, welcher es geradezu wesens­eigen ist, dass sie die ärmeren Schichten der Bevölkerung mit einem Minimum an Waren und Gütern ausstattet, und hier wäre noch anzufügen, dass für ein optimales Funktionieren der Gesamtwirtschaft dieses Minimum an Waren und Gütern anständig hoch angesetzt werden sollte, weil sonst nämlich die Gesamtwirtschaft auseinanderbricht, zum einen, weil niemand mehr die Waren und Güter konsumiert und zum anderen, weil dann die vom Konsum ferngehaltenen Schichten justament die Volkskrankheit Populismus entwickeln und zu allergischen Reaktionen neigt.

Genau dies meinte Frau Lagarde vermutlich auch mit «Umverteilung», dass man nämlich dem Plebs mehr Zucker geben müsse, was ja alle anderen im Grunde genommen ebenfalls fordern, von der extremen Linke bis zur extremen Rechten, das ist geradezu der Brennstoff jeglichen politischen Programms. Und dieser Programmbaustein ist derart hoffnungslos veraltet, weil schon längstens im System eingebaut, dass man bittere Tränen weinen müsste über Menschen, welche solche Sachen noch heute im Ernst in einen öffentlichen Diskurs integrieren.

Gottseidank sind wir abgehärtet.

In diesen Zusammenhang passt ganz ausgezeichnet die Inaugural-Ansprache des neuen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, der, versprach, sich für die einfachen Menschen einzusetzen. Er nahm nicht direkt den Begriff der Umver­tei­lung in den Mund, sondern sprach von den hart arbeitenden Menschen, denen das Geld am Ende des Monats nur knapp zum Überleben reicht. Dass sich die harte Arbeit nicht lohnt im Gegensatz zu den Finanzmechanikern und Aktionären in ihren Polstersesseln, ist ein sozialdemokratischer Gassenhauer, und ich bin sehr erfreut, den wieder einmal aus dem Mund eines sozialdemokratischen Spitzenkandidaten zu hören. Ich glaube nämlich nicht, dass sich die anderen SPD-Funktionärinnen und -Funktionäre überhaupt noch an dieses Vokabular erinnern. Dass er keinen übermäßig großen Realitätsbezug hat, tut nichts zur Sache; im Fall von Martin Schulz ist die Absicht wichtig und die Mentalität, welche sich darin äußert. Den Menschen halte ich wirklich für glaubhaft, und offenbar bin ich nicht der einzige. Das ist schön, da haben wir auf der Ebene der Kandidatinnen und Kandidaten für das Bundeskanzleramt doch endlich wieder mal eine echte Auswahl.

Eine echte Auswahl zwischen zwei echten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Dem Schulz sein Vorteil ist es, dass er seine proeuropäische Haltung noch lauthals heraus posaunen kann, während die Frau Bundeskanzlerin durch die Mühlen der Realpolitik beziehungsweise der deutschen Innenpolitik bereits etwas abgeschliffen ist und insonderheit in der eigenen Partei jene Tendenzen bedienen muss, welche die rechten Ränder von CDU und CSU befestigen wollen. Über alles gerechnet ist das begreiflich, denn ohne konservative und reaktionäre Überreste könnten sich diese beiden Parteien ja gerade heraus und offen als sozialdemokratische ausgeben und um den Beitritt zur sozialistischen Internationale nachsuchen, aus welcher sich die SPD aus begreiflichen Gründen zurückgezogen hat. Vielleicht spielt am Schluss ausgerechnet Europa das Zünglein an der Waage in diesem deutschen Wahlkampf, der mitten in einem Orkan von nationalistischem und antieuropäischem Gegeifer stattfindet, und das macht erst recht Spaß, der Unterhaltungswert dieses Wahlgangs ist gesichert im Gegensatz zu den bisherigen Merkel-Bestätigungs-Konzelebrationen.

In Frankreich haben sich die Sozialisten offenbar endgültig zerstritten, sodass ihr Kandidat Benoît Hamon kaum eine Chance haben dürfte bei den Präsidentschaftswahlen. Es sei denn, man unterschätzte die Kraft seines Grund­ein­kom­mens-Programmteils. Immerhin sind früher schon zwei einigermaßen namhafte bürgerliche Politiker mit dem Grundeinkommen in den Wahlkampf gezogen, nämlich François Bayrou und Dominique de Villepin. Wenn die bürgerlichen Anhänger dieses Modells sich auf Hamon einigen, kann da noch etwas passieren. Besonders wahrscheinlich ist es leider nicht.

Sodann habe ich gelesen, dass irgendeine grüne Landes- oder Bundestagsabgeordnete in den sozialen Medien von Trollen angegriffen worden sei, was nicht weiter überraschend ist, dass aber anschließend auch verschiedene Parteikolleginnen und weitere kritische Seelen aus dem linken Spektrum dieser Abgeordneten über den Mund gerumpelt seien, weil sie den entsprechenden Falschmeldungen Glauben geschenkt hätten. Der linke Populismus neigt ganz gleich zum Aufschrei, wenn er in seinen Vorurteilen bestätigt wird, wie der rechte.
Hinter all dem soll letztlich der Russe stehen, habe ich im gleichen Artikel gelesen. Nun sehe ich zwar nicht ein, welchen direkten Gewinn der Ober-Judoka Russlands aus der Verunglimpfung einer grünen Landes- oder Bundestags-Abgeordneten ziehen soll. Anderseits geben die russischen Medien ein derart jämmerliches Bild ab, dass man solche Berichte durchaus glauben könnte. Russia Today Deutschland wirft zum Beispiel der deutschen Armee vor, dass ihre Soldaten tatsächlich hin und wieder mit scharfer Munition schießen und, so die nicht ausgesprochene Unterstellung, einen Angriffskrieg im Baltikum gegen Russland vorbereiten im Rahmen der Nato-Manöver. Nun ist mit Sicherheit beides idiotisch, sowohl das Propaganda-Artilleriefeuer der Russen als auch die Nato-Manöver, und ganz und gar kopflos erscheint mir die Hysterie von Teilen der baltischen Bevölkerung, die sich offenbar im Ernst von einem bevorstehenden Einmarsch der Russen bedroht wähnt. Das wäre allerdings eine taktische Meisterleistung von Gospodin Putin, sich ein brennendes Munitionslager heim ins Reich zu holen. Nein, hier liegen die Dinge definitiv anders. Trotzdem muss man einfach mal sagen, dass die kopflos verholzte Idiotenpropaganda der Russen allerhöchstens Rückschlüsse auf die geistige Verfassung ihrer eigenen Führung zulässt – und das wäre dann wieder ein Grund dafür, vorsichtig zu werden, wo nicht scharf zu schießen.

Desinformation in allen Ehren, meinetwegen sogar in militärischen Ehren, aber was sollen solche Kampagnen, die nicht mal an den Rändern einen Rest an Glaubhaftigkeit aufweisen? – Und als Standard-Beispiel in dieser Sache die Frage an Russia Today Deutschland: Was ist mit der Scheidung von Bill und Hillary Clinton, die ihr vor zwei Monaten als Breaking News angekündigt habt?

Verdammtes Idiotenpack.