"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Helvetica

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«Dieser Mann ist schlauer als Wladimir Putin», steht als Aufmacher im Wirtschaftsteil der «NZZ am Sonntag». Die Rede ist von Ivan Glasenberg, CEO des Rohstoffgiganten Glencore, der im Jahr 2011 von Glencore Dividenden von 109 Millionen Dollar bezog, für welche er keinen Cent an Steuern bezahlte.
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10:33 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.02.2017 / 11:17

Dateizugriffe: 1869

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 14.02.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ivan Glasenberg wohnt in der Schweiz, und der steuerfreie 100-Millionen-Bezug wurde möglich dank der so genannten Unternehmenssteuerreform II. Seit dieser Reform sind aus Kapitalreserven bezahlte Dividenden für in der Schweiz ansässige Personen steuerfrei. Der damals zuständige Finanzminister hatte diese Reform mit den üblichen Argumenten befürwortet: Man brauche diese Steuererleichterungen, sonst würden internationale Firmen ins Ausland abwandern, zum ersten, und zum zweiten, die Steuerausfälle würden sich auf nicht mehr als ein paar Dutzend Millionen belaufen. Es wurden dann Ausfälle von geschätzten zwei Milliarden daraus, Finanz­minister und Bundesrat Merz gab nach dem positiven Abstimmungsergebnis sofort Fersengeld und trat noch vor Inkrafttreten der Reform zurück, und die Spätfolgen haben wir am letzten Sonntag gesehen: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben die Unternehmenssteuerreform Nummer III, eine weitere Steuererleichterung für internationale Großunternehmen, in der nötigen Deut­lich­keit abgelehnt, obwohl die Wirtschaftsvertreter und ihre Verbände erneut mit der großen Propagandamaschine Wind gemacht hatten für eine Annahme, ihr wisst schon: sonst würden internationale Firmen ins Ausland abwandern, und die Steuerausfälle würden sich auf nicht mehr als ein paar Dutzend Millionen Franken belaufen und so weiter und so fort.

Aber hier ist die Rede ja von Glasenberg, welcher jetzt also den Judoka Gospodin Putin über den Tisch gezogen und aufs Kreuz gelegt haben soll. Nämlich hat Glasenberg beziehungsweise seine Glencore zusammen mit dem katarischen Staatsfonds einen Anteil von 9.5% an der russischen Erdölfirma Rosneft erworben zum Preis von 10.2 Milliarden Euro. Der Deal läuft über eine gemeinsame Firma von Glencore und Katar in Singapur und wird hauptsächlich finanziert von Katar mit etwas über 2 Milliarden Euro, der italienischen Bank Intesa Sanpaolo mit einem Kredit von 5.2 Milliarden Euro, während Glencore offenbar volle Nutzungsrechte am Erdöl von Rosneft erhält, dafür aber nur gerade läppische 300 Millionen Euro auf den Tisch legen muss, also nur gerade 3 Prozent der gesamten Transaktionssumme. Die verbleibende Tranche wird offenbar von einem russischen Bankenkonsortium finanziert, wiederum in Form eines Kredites.

Sieht zunächst tatsächlich nach einem tollen Geschäft aus, auch wenn die beteiligten Parteien mit Ausnahme des katarischen Staatsfonds nicht als Topadressen für Großdeals gelten, weder die russischen Banken, die grundsätzlich gar nie aufscheinen in internationalen Großdeals, noch Intesa Sanpaolo, die zwar als die solideste Bank Italiens gilt, aber trotzdem ihr Kerngeschäft im krisen­ge–schüttelten italienischen Finanzmarkt betreibt; Glencore blickt auf eine ansehnliche Berg- und Talfahrt zurück in den letzten Jahren, was CEO Glasenberg mit der Natur des Geschäftes beziehungsweise der engen Anbindung an die Rohstoffpreise erklärt, aber es ist ja nicht so, dass Finanzierungsinstrumente, Absicherungen und andere Möglichkeiten in diesem Business völlig verpönt wären. Jedenfalls wäre ich als Redaktor niemals auf die Idee gekommen, einen solchen Titel zu setzen wie «Dieser Mann ist schlauer als Wladimir Putin», denn als erstes würde ich mich daran erinnern, wie die Russen seinerzeit den britischen Erdölmulti British Petroleum anhand des Joint Ventures TNK-BP zum Narren gehalten haben. Das Einzige, was man im Moment dazu sagen kann, ist, dass Ivan Glasenberg mit 300 Millionen Euro seinen Einsatz vorderhand tatsächlich sehr vorsichtig niedrig hält. Jetzt bleibt abzuwarten, mit welchen Tricks Gospodin Putin versucht, an mehr Geld von Glencore und vielleicht auch den anderen Beteiligten zu kommen.

Zu Wladimir Putin möchte ich noch nachtragen, dass er letzte Woche seiner Sympathie für Alexej Nawalny Ausdruck gegeben hat bei diesem Prozess, in welchem Nawalny wegen, ich habe keine Ahnung welcher Verstöße verurteilt wurde und somit nach dem aktuellen Stand der Dinge im nächsten Jahr nicht für die Präsidentschaft Russlands kandidieren kann. Sympathie, Zuneigung, wo es nicht schon der Ausdruck einer großen Männerfreundschaft ist; in der Regel lässt Putin Oppositionelle schlicht und einfach verprügeln oder in die Moskwa werfen, und wenn er sie für lästig hält, dann bringt er sie einfach um. Das tut er selbstverständlich nicht selber, er braucht für so etwas nicht einmal einen Befehl zu erteilen, das erledigt sich ganz von alleine, wenn er sich zum Beispiel bei einem Absacker nach einem anstrengenden Ballett in der richtigen Umgebung etwas abschätzig über die oder jene Person äußert.

Ein Wort noch zu weiteren Selbstverständlichkeiten im Präsidenten-Wahlkampf, diesmal in Frankreich: Der Monde Diplomatique hat in verdienstvoller Weise die Vernetzung des bürgerlichen Spitzenkandidaten Fillon in der französischen Elite beschrieben. Etwas zuvor wurde offenbar eine Liste publiziert mit Politikerinnen und Politikern, welche sich auf ähnliche Weise wie eben der Fillon beziehungsweise dem Fillon seine Frau bereichert haben dank und mit Posten und Positionen im französischen Staat, und zwar offenbar hat diese Mentalität unterdessen sämtliche Parteien erfasst, die schon je einmal mit der Macht in Berührung gekommen sind. Ich habe diese Liste nicht gesehen, kann mir aber lebhaft vorstellen, dass hier mehr oder weniger querbeet abgegrast wird, was das Zeugs hält. Allerdings muss ich einräumen, dass mir unter solchen Umständen hinten und vorne nicht einleuchtet, weshalb dem Fillon sine Frûw unbedingt die paar 100'000 Euro abgrasen musste; die haben doch so oder so Einfluss und Knete, da kann man seine Geschäfte doch genau so gut legal und sauber abwickeln, oder sollte ich mich täuschen? Vielleicht liegt es ja daran, dass die Politikerinnen und Politiker, welche wirklich an die Macht kommen, irgend etwas zur Verfügung stellen müssen, was sie erpressbar macht, und bei Fillon wäre es jetzt halt die Bezahlung der Ehefrau für nicht ausgeübte Beratungstätigkeiten. Zum Beispiel. Anders erklärt sich so etwas nicht, aber das ist ja auch nebensächlich. Nämlich passt diese Liste beziehungsweise der Eindruck einer durch und durch verrotteten Kaste von Politikerinnen und Politikern perfekt zum Ende der Karriere von François Hollande. François Hollande war nämlich wohl der einzige Staatspräsident der letzten, sagen wir mal fuffzich Jahre, der seine Hände nicht systematisch in die öffentlichen Finanztaschen gesteckt hat. Und was ist mit ihm geschehen? Er wurde nicht nur von den Medien systematisch niedergeschrieen, auch die Französinnen und Franzosen haben ihren Abstand genommen von einem Mann, der eindeutig zuwenig mächtig tat. Die Bevölkerung hat einfach weder begriffen noch goutiert, dass sich da einer bemüht hat, einfach mal ehrlich zu sein und vielleicht auch nicht in übertriebenem Ausmaß den Macho herauszuhängen.

Ja, so ist das: Während jenseits des Atlantiks all das geschieht, was gerade geschieht, haben die Französinnen und Franzosen in erster Linie eines, nämlich sich selber. Im Einzelnen sind sie schwer in Ordnung, manche können sogar sehr gut kochen, und ansonsten handelt es sich um Menschen wie alle anderen auch, aber als Nation haben sie einen Sprung in der Schüssel.

Zurück zu den Helvetica. Die Schweiz befindet sich mehr oder weniger seit Jahren in einem unerklärten Krieg, nämlich in einem Wirtschaftskrieg, bei welchem sie versucht, möglichst vielen große Unternehmen mit Steuererleichterungen ins Land zu locken, was einerseits ganz toll gelungen ist bisher und anderseits jenen Ländern, in welchen diese Unternehmen hauptsächlich ansässig und tätig sind, einen ordentlichen Batzen an öffentlichen Geldern entzieht, und das ist die Substanz jenes Krieges, in welchen die Schweiz, wie gesagt: schon seit Jahrzehnten verstrickt ist. Die anfangs erwähnte Unternehmenssteuerreform III sollte eine weitere Eskalation in diesem Krieg vornehmen und wurde jetzt mal im direktdemokratischen Verfahren gebodigt, was übrigens eine durchaus seltene Ausnahme ist; in der Regel erfolgt in der direkten Demokratie genauso zuverlässig das, was die Eliten wollen, wie in jedem anderen System, von der parlamentarischen Demokratie bis zu Diktaturen wie Putin und Erdogan. Wie auch immer, ich möchte hier bloß darauf hinweisen, dass es manchmal auch anders rum gehen kann. Nämlich wie folgt: Vor ein paar Jahren verkaufte die französische Alstom die schweizerische Energiesparte, welche sie früher von ABB Baden erworben hatte, wegen des schlechten Marktumfelds, und zwar an die US-amerikanische General Electric. Diese ist daran, den Standort in der Schweiz dem Erdboden gleichzumachen, aber nicht ohne ihrerseits dabei ein Steuerschmankerl zu kreieren. Sie verkaufte nämlich alles, was die Substanz der Schweizer Sparte ausmachte und in einem Unternehmen zusammengefasst war, an eine ungarische GE-Tochter, und zwar zum Buchwert von ein paar zehntausend Schweizer Franken. Am nächsten Tag verkaufte die ungarische GE-Tochter die entsprechenden Rechte und Lizenzen wieder zurück in die Schweiz für den vermutlich tatsächlichen Marktpreis in der Höhe von, ich weiß gar nicht mehr recht, wie viel es exakt waren, so um die zehn Milliarden Franken. Der Buchgewinn wurde in Ungarn praktisch nicht versteuert und anschließend an eine weitere GE-Tochter in den Niederlanden transferiert. In diesem Sinne ist der internationale Kapitalismus tatsächlich einigermaßen gerecht und nimmt zwischendurch auch mal einen Schweizer Standort aufs Korn, obwohl die Schweiz in der Regel sehr großmütig behandelt wird vom internationalen Kapitalismus.

Was haben wir noch? Ihr habt noch etwas, nämlich einen neuen Bundespräsidenten, den Frank-Walter Steinmeier, aber das wisst ihr wohl bereits, und aus neutraler Sicht gibt es zu diesem Herrn nicht besonders viel zu sagen. Er wird wohl weniger pastoral sein im Ton und in der Sache ebenso wenig zu sagen haben wie sein Herr Vorgänger Gauck. Es sind schöne und glückliche Ämter mit einer pur symbolischen Funktion, respektive: Im Amt des Bundespräsidenten, will mir scheinen, erklimmt der Politiker seine höchste Form und gerinnt zu purer Rhetorik jenseits sämtlicher konkreter Aktion. Dies ist ein Grad von Schönheit, der auch mit der Definition des ZK der Sozialistischen Einheitspartei aus dem Jahr 1966 in voller Übereinstimmung liegt.

Kommentare
14.02.2017 / 18:02 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
bermuda.funk
lief in sonar am Di.14.2.. Danke!