Kommentar zur Demonstration gegen Studiegebühren in Karlsruhe am 9.11. 2004

ID 8165
 
Großdemonstration in Karlsruhe gegen Studiengebühren mit ca. 7000 Studierenden. Warum interessieren sich Studierenden nicht für generelle Studiengebühren.
Audio
04:00 min, 1877 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.11.2004 / 11:32

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Jochen
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 10.11.2004
keine Linzenz
Skript
Anmod:

Ist die gestrige Studentendemonstration in Karlsruhe der Beginn einer neuen Protestwelle mit Streiks und kreativen Aktionen? Oder handelte es sich um den letzten Rest der Proteste aus dem Herbst 2003?
Die Proteste richteten sich gegen die Einführung von Langzeitstudiengebühren nach einer von Oben festgelegten Norm. Diese Gebühren sind mittlerweile weitverbreitet Sie haben sich schon fatal auf mehrere tausend Studierenden ausgewirkt, die nun ohne Abschluss ihre Studium beendet haben.
Es folgt ein Kommentar von Radio unerhört in Marburg zum Kampf gegen generelle Studiengebühren ab dem ersten Semester:

-------------------
Großdemonstration in Karlsruhe. Mehr als dreitausend Studierende haben am Dienstag den 9. November gegen die Einführung von Studiengebühren demonstriert. Ziel war das Bundesverfassungsgericht. Heute am 9. November beginnt die Verhandlung der Klage von sechs Unions geführten Bundesländern gegen das generelle Verbot von Studiengebühren im Erststudium. Sollte die Klage erfolgreich verlaufen, haben schon einige Bundelsänder die passenden Gesetzesentwürfe zur Einführung von Studiengebühren parat.

Der Rektor der Hochschulrektorenkonferenz hält Studiengebühren bis zu dreitausend Euro pro Semester für möglich. Vorläufig sind aber nur 500 Euro pro Semester angedacht. Vor allem studentische Gremien und StellvertreterInnen lehnen Studiengebühren generell ab. Sie bezeichnen sie als unsozial, weil damit noch weniger Studierende aus sozial schwachen Schichten studieren würden. Schulden von 30000 Euro und mehr am Ende des Studiums, motivieren nicht gerade ein Studium zu beginnen. Bis heute ist noch nicht einmal klar, ob es überhaupt möglich ist Schulden für Studiengebühren aufzunehmen. Das spielt aber möglicherweise für die Mehrheit der Studierenden sowieso keine Rolle, da Mama und Papa eh genug Geld haben. Sofern die Pläne auch für Ausbildungsberufe Gebühren zu erheben durchgesetzt wird, statt für die geleistete Arbeit bezahlt zu werden. Wird das Argument Studiengebühren seien unsozial geschwächt. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass schon jetzt für das Erlernen vieler Berufe hohe Gebühren verlangt werden.

Die Meinungen der nicht organisierten Studierenden scheinen entweder den aktuellen Kurs mit zutragen. Oder aber haben gar schon resigniert aufgegeben. Oder wie ist die geringe Zahl von 7000 Studentinnen und Studenten in Karlsruhe zu verstehen?

Vielleicht sind es aber auch die Studierenden einfach Leid. Die permanenten Angriffe seit den 1990 Jahre auf die Studentenschaft und ihre demokratischen gewählten Vertretungen ermöglichen kaum noch ein freien Blick auf die realen Probleme des Unilebens. Seit Beginn der Umsetzung der Bolongavereinbarungen, haben die Umsetzung von Bachelor und Master Studiengängen Vorrang, vor der Aufhebung der bestehenden Mißstände. Genau sowenig wurde die mangelnde Mitsprache an den Bolognavereinbarungen jemals groß thematisiert.
Übervolle Seminare, zu wenig Laborplätze, geringe Auswahlmöglichkeiten, kaum Professoren. Dies ist nur ein Ausschnitt aus dem Unialltag. Mehr Studierenden bedeutet für die Universitäten nicht mehr Mittel aus den Landeshaushalten sondern Selektion der StudienanfängerInnen per Eingangsklausuren und Numerusklausus.
Die Universität verkümmert immer mehr zu einer reinen Ausbildungsstätte. Vielfalt und Allgemeinbildung über das eigentliche Fach hinaus ist schon mit der Einführung von Langzeitstudiengebühren quasi unmöglich gemacht worden. Die marktförmige Umstrukturierung zu Bachelor Studiengängen, die nach 6 Semestern schon einen berufsbildenden Abschluss ermöglichen, begräbt endgültig das humanistische Bildungsideal. Wissenschaftliches Arbeiten und Denken tritt in den Hintergrund, die dazu vorgesehenen Masterstudeiengänge sollen nur noch einem Teil der Studierenden ermöglicht werden.

Kritisches Denken und Handeln hat keinen Platz mehr an Universitäten, wie der Vorstoß der hessischen Landesregierung zeigt. Mit dem neuen Hessischen Hochschulgesetz sollen die von den studierenden erbrachten Mittel für die Allgemeinen Studierenden Ausschüsse an mehr als 25 Prozent Wahlbeteiligung gekoppelt werden. Mit anderen Worten heisst das, Steuergeschenke bei Wahlboykott. Aber auch hierfür wie für allgemeine Studiengebühren haben sich in Marburg nur ein paar hundert Studierende interessiert. An anderen Universitäten habe sich ein paar tausend eingeführt. Trotzdem wirkt es so frei nach dem RCDS Marburg:" the show must go on", als hätte sich die Mehrzahl der Studierenden mit desolaten Bedingungen an der Universität abgefunden. Dem Ellenbogenprinzip folgend: Schnell nach einem vorgefertigtem Konzept studieren und möglichst wirtschafts konform als Bester Beste eines Jahrgangs das Studium beenden.

Wenn nicht bald mehr als nur die Verteidigung eines wirtschaftsnahen gebührenfreien Studiums gefordert wird. Kann der Rest an kritischen Studierenden nicht auf die Unterstützung der „Massen" zählen. Die Inhalte der Proteste müssen die wirklichen Probleme aufgreifen und dürfen nicht bei den Angriffen auf das Bestehende stehen bleiben.

----------------
Abmod:

Eine radikale Forderung könnte sein ein allgemeines Grundeinkommen für alle Lernenden. Studierende wie Auszubildende. Mit dem es jedem Menschen möglich wäre seinen eigenen Bildungsweg zu beschreiten; ganz unabhängig vom Einkommen der Eltern.