"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Afrika und Indien

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Marokko hat Ende Februar angekündigt, seine Truppen aus dem Guerguerat-Gebiet in der Westsahara zurückzuziehen.
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10:01 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.03.2017 / 14:36

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Religion, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.03.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In diesem Land herrscht nach wie vor und auf absehbare Zeit ein Konflikt zwischen den marokkanischen Besatzern, welche die wichtigen Regionen und Bodenschätze kontrollieren, und der Unabhängigkeitsarmee Polisario. Zwar wurden die offiziellen Kampfhandlungen bereits vor 25 Jahren durch einen Waffenstillstand beendet, aber ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht abzusehen. Seit Abschluss des Waffenstillstandes wartet man auf die Durchführung einer Volksabstimmung über die Zukunft des Landes, wobei bezüglich des Ausgangs dieser Abstimmung gewisse Vermutungen bestehen, nämlich dass die Ergebnisse so ausfallen werden wie die tatsächlichen Machtverhältnisse, dass also die wichtigsten Regionen für einen Zusammenschluss mit Marokko aussprechen werden. Nun ist Marokko Ende Januar in die Afrikanische Union aufgenommen worden, was den Konflikt afrikanisiert. Der Truppenrückzug, so er denn überhaupt stattfindet, ist sicher in diesem Zusammenhang zu sehen. Zur Vorgeschichte schreibt die österreichische Saharauische Gesellschaft: «Bis 1975 war die Westsahara eine spanische Kolonie. (...) 1973 gründeten die Sahrauis die Frente Polisario mit dem Ziel, Spanien zum Rückzug zu zwingen. Inzwischen meldeten jedoch die Nachbarländer Marokko und Mauretanien Gebietsansprüche auf die Westsahara mit ihren reichen Rohstoffvorkommen an. Obwohl diese Ansprüche nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes nicht berechtigt waren und obwohl die saharauische Bevölkerung nach Feststellung der Untersuchungskommission der UNO einhellig die Unabhängigkeit wünschte, trat Spanien im November 1975 die Verwaltung der Westsahara an Marokko und Mauretanien ab. Unverzüglich marschierten die Armeen der beiden Nachbarstaaten in die Westsahara ein. Die Frente Polisario organisierte den Widerstand und proklamierte 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara. Ein großer Teil der Zivilbevölkerung musste flüchten und lebt seitdem in Flüchtlingslagern in der algerischen Wüste. Die militärischen Erfolge der Frente Polisario zwangen Mauretanien 1979, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Marokko dagegen hält etwa zwei Drittel des Landes besetzt.»

In Mali haben verschiedene islamistische Gruppen angekündigt, sich zu einer gemeinsamen djihadistischen Organisation zusammen zu schliessen. Iyad Ag Ghali ist ein früherer Tuareg-Freiheitskämpfer, der später die islamistische Gruppe Ansar Eddine gegründet hat, welche im Norden Malis aktiv ist; Yahya Abu al-Hammam ist der Emir für die Sahararegion der Al Kaida; Amadou Koufad befehligt die Macina-Brigade von Ansar Eddine im Zentrum von Mali; Al-Hassan Al-Ansari ist die rechte Hand des Algeriers Mokhtar Belmokthar von der Gruppe Al-Mourabitoun, und Abdalrahman Al-Snahaji ist so etwas wie der oberste Richter der Al-Kaida-Saharaorganisation. Die neue Vereinigung nennt sich «Unterstützungsgruppe für den Islam und die Moslems», und welche Auswirkungen die Neugründung in der Praxis haben wird, bleibt abzuwarten. Der Überfall auf die Militärbasis Boulikessi, bei dem am Sonntag 11 malische Soldaten getötet wurden, geht offenbar auf ein anderes Konto, nämlich jenes von Ibrahim Malam Dicko, dem Anführer von Ansaroul Islam, die sonst vor allem im Norden des benachbarten Burkina Faso aktiv ist.

Im gleichen Burkina Faso hat der Film «Félicité» von Alain Gomis beim 25. Filmfestival von Ougadougou den ersten Preis gewonnen, den goldenen Hengst. Der Film wurde auch an der Berlinale gezeigt. Er beschreibt die Bemühungen der Bar-Sängerin Félicité, in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa Geld für eine Operation ihres Sohns aufzutreiben.

Gleichzeitig wird der Rohstoffkonzern Glencore mit Sitz in der Schweiz von der Organisation Global Witness angeklagt, dem israelischen Geschäftsmann Dan Gertler innerhalb von 4 Jahren über 75 Millionen Dollar zugesteckt zu haben, von dem die Gelder mindestens zum Teil wieder an Joseph Kabila geflossen sind, jenen Präsidenten, der wie zahlreiche andere Präsidenten in Afrika Mühe hat, sich von seinem Amt zu trennen. Eigentlich hätte per Dezember 2016 ein Nachfolger gewählt werden müssen, aber unterdessen wurde die Wahl auf das Jahr 2018 verschoben, und Kabila regiert vor sich hin, das heißt, er lässt sich weiterhin schmieren und ölen, während seine Untertanen schauen müssen, wie sie zu ihren Sachen kommen. Und eben, Glencore-CEO Ivan Glasenberg genießt dertweil praktisch Steuerimmunität in der Schweiz. So bietet sich vom Film Félicité bis ans schöne Oberrieden über dem Zürichsee ein Panorama eines wichtigen Teils der ganzen Welt. Und es ist nicht abzusehen, wie sich solche Verhältnisse verändern sollen, solange die kultivierte und zivili­sierte Welt des Westens keine Instrumente entwickelt, um die Glasenbergs oder eben auch die Goldman-Sachs-Banker an die Kandare zu nehmen. Stattdessen gefällt sich die zivilisierte und kultivierte Welt momentan darin, eine europäische Form von Koran-Schülern aus­zu­bilden, nämlich europäische Nationalisten wie den Front National oder dem malaiischstämmigen blondierten Geerd Wilders oder die Höcke-Anhängern in der AfD und so weiter und so fort. Das ist ebenso wunderlich wie possierlich.

Wunderlich und possierlich sind auch die Manöver rund um den bürgerlichen Präsidentschafts­kandidaten François Fillon in Frankreich. Selbstverständlich hat er recht, wenn er von einer Inszenierung spricht. Dass die Schummeleien rund um die Scheinbeschäftigung von Familienmitgliedern ausgerechnet jetzt an die Oberfläche kommen und nicht vor den parteiinternen Vorwahlen, ist mit Sicherheit Teil eines Plans. Ich sehe allerdings nicht, was das für ein Plan sein könnte, und davon abgesehen ist es mir auch einigermaßen wurscht. Ich glaube nicht, dass ein neuer Präsident einen tiefgreifenden Wandel in Frankreich auslösen kann. Dafür hat die französische Gesellschaft schon längstens selber gesorgt, und ein Ausdruck davon ist es auch, dass der Front National im Moment einen derart großen Zulauf hat. Das Land ist immer noch daran, einen Umgang zu finden mit den Folgen der Deindustrialisierung, welche offenbar die Politik völlig unvorbereitet getroffen hat, was gewisse Fragen bezüglich ihrer Eliteausbildungsstätten aufwirft, und mit der Einwanderung; hier möchte ich vorsichtshalber und zum jetzigen Zeitpunkt Abstand nehmen von Schuldzuweisungen, denn so richtig es auch ist, dass sich die französische Gesellschaft mit der Immigration nicht richtig auseinandergesetzt hat, so richtig ist es eben auch, dass die Immigrantinnen und Immigranten selber einen besseren Beitrag zur Debatte leisten müssten, in erster Linie mit konkreten politischen Forderungen und mit dem Sturm auf die Schulen. Auf jeden Fall sind die Unterschiede, die in Frankreich aufeinander stoßen, wirklich massiv, und dementsprechend kann es nicht erstaunen, wenn auch die Konflikte und die politischen Auswirkungen massiv sind, eben ganz im Gegensatz zu den Taliban in Ungarn, in Ostdeutschland, in Polen und meinetwegen auch in Russland und in der Türkei, wobei ich pro forma doch noch darauf hinweisen möchte, in welch schwieriger Lage sich die Türkei nach wie vor befindet. Stellt euch doch mal vor, wie das für euer Land wäre, wenn die Tschechei und Polen von einem Bürgerkrieg praktisch vollständig verwüstet würden und ihr Millionen an Flüchtlingen aufnehmen müsstet. Da wären die Pegida-Taliban schon längstens kein Thema mehr. – Über den Rest brauchen wir uns dann wieder nicht zu unterhalten, beziehungsweise wir stellen uns nur noch die Frage, ob sich eine Diktatur unter modernen Gesellschaftsverhältnissen überhaupt aufrecht erhalten lässt. Das wäre ein schlechtes Zeugnis, nicht für die Regierung beziehungsweise die Diktatur, sondern für eine Bevölkerung, welche sich so etwas gefallen lässt.

In Houston in den Vereinigten Staaten treffen sich in dieser Woche die zuständigen Minister der OPEC-Staaten mit den Spitzen der Erdölindustrie sowie Vertretern von Russland und Indien. Vor einem Jahr ist es den Branchenvertretern gelungen, dem zweijährigen Preiskrieg ein vorläufiges Ende zu bereiten, sodass der Rohölpreis heute um 70 Prozent höher steht als damals und aktuell bei etwas unter 55 Dollar pro Fass notiert. Dank dieser Entwicklung beginnen auch die Investitionen wieder anzuziehen; unter anderem will British Petroleum ihre Aktivitäten in Mauretanien ausbauen. Und wie immer tauchen langsam auch wieder Übernahmegerüchte auf. Offenbar bleibt nach wie vor die zentrale Frage, wie sich die Produktion aus den Perm-Schiefergesteinen in den Vereinigten Staaten entwickelt, welche als wichtigster Faktor für den Preissturz angesehen wird.

Was macht unterdessen eigentlich der Inder? Dieses Land ist derart groß, dass es sich fast verbietet, die äußerst unterschiedlichen Typen, Klassen, Kasten und Gruppierungen in einen einzelnen Repräsentanten zusammen zu zwängen. Ich kenne mich noch nicht mal in der Religion aus, also im Hinduismus, der offenbar auf der vedischen Religion beruht, die ihrerseits aus vorvedischen Phasen heraus gewachsen ist, welche bereits seit der Bronzezeit, also ungefähr parallel zu den alten Ägyptern, ihre Kulturen entwickelten mit Stadtanlagen für bis zu 40 000 Einwohnern. Die vedische Religion gilt als eine der frühesten Quellen des Hinduismus, wie mich das schlaue Buch des Fähnleins Fieselschweif belehrt. Sie bestand bis ungefähr ins 5. Jahrhundert vor unserer Zeit und wurde im 2. Jahrhundert vor unserer Zeit abgelöst vom vorklassischen und im 4. Jahrhundert unserer Zeit vom klassischen Hinduismus. Vom 8. Jahrhundert an machten sich dann islamische Tendenzen breit, später kamen noch Christen dazu. Entsprechend der territorialen Verbreitung wurden die Religionen in der Moderne beziehungsweise nach dem Zweiten Weltkrieg territorial aufgeteilt in das moslemische Pakistan und das hinduistische Indien. Aber zur Religion selber habe ich ja noch gar nichts gesagt beziehungsweise aus dem Schlauen Buch zitiert. Für heute will ich es bloß bei ein paar Begriffen belassen, nämlich beim Vishnuismus, in dem Vishnu als höchstes Wesen verehrt wird, beim Shivaismus, beim Shaktismus, welcher die weibliche Urkraft im Universum imZentrum hat, und zirka zweitausend Unterformen und Sekten, die in erster Linie eines darstellen: einen immensen Reichtum an Geschichten und Traditionen, den wir aus westlicher Sicht selbstverständlich in erster Linie wegen des Kastensystems beziehungsweise der ihm zugrunde liegenden Lehre vor der Wiedergeburt gemäß Verdienst mit scheelen Augen beachten. Aber davon ein andermal mehr.