"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Elliott Hedgefonds

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Die Auflösung der herkömmlichen politischen Parteien findet nicht nur in Frankreich statt, sondern Italien ist auch hier Avantgarde. Die Permutation der Kommunistischen Partei bis hin zu Figuren wie Rutelli und Renzi wäre eigentlich ein Fall für Fraktal-Mathematiker, aber wir können uns damit trösten, dass bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts ähnliche Vorgänge stattfanden, als in England die Whigs zur Liberalen Partei mutierten.
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10:42 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.05.2017 / 15:12

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 02.05.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Jedenfalls bildet die erwartete und vollzogene Rückkehr von Matteo Renzi in die italienische Politik so etwas wie die doppelte Verdoppelung der Erschei­nung von Emanuel Macron in der französischen Politik, da Macron selber bereits die Wiederholung von Renzi ist. Und wie Renzi wird Macron an den weitgehend starren Interessen-Parallelogrammen im Parlament auflaufen mit wechselnden Mehrheiten, die immer genau so lange halten, wie Macron die jeweilige Klientel bedient, was allerdings ein völlig anderes Ding ist als etwa eine Reform, und hier müsste ich jetzt fortfahren: welche Frankreich so dringend benötigt, aber das ist natürlich Quatsch, Frankreich benötigt ebensowenig eine Reform wie Deutschland oder Norwegen, Frankreich benötigt ebenso wie Deutschland und Norwegen bloß einen Übergang aus der Industriegesellschaft in die digitale Gesellschaft, und dieser Übergang vollzieht sich gleichzeitig schleichend und sprunghaft, in der Öffentlichkeit und subkutan, er findet auf jeden Fall statt und verändert gleichzeitig die ursprünglichen Mechanismen der Politik beziehungsweise des Schauspiels der Demokratie. Um bei diesem Bild zu bleiben, könnte man die Formulierungs-Hypothese aufstellen, dass in den westlichen Demokratien gegenwärtig der Übergang von einem Schauspiel der Demokratie zum Kino der Demokratie stattfindet. Ob die dargestellte Realität dabei eine aufgewertete oder bloß eine virtuelle ist, möchte ich hier noch offen lassen.

Dahinter geht die original Realität dann munter weiter. Wenn in der virtuellen Realität der Standup-Clown Berlusconi sich noch einmal aus seinem politischen Sarg erhebt und in der Öffentlichkeit ein Lamm melkt oder tränkt, dann fragt man sich vorerst einmal, ob er sich vielleicht auch einen künstlichen Ständer, also ich meine jetzt Penis umgebunden hat, auf welchem das Lamm aufgespießt ist; eine Rückkehr in die Politik ist bei 81-Jährigen in Italien zwar nie auszuschließen, aber am Berluschwanz haben schon derart viele Lämmer genuckelt, dass man sich nicht wirklich vorstellen kann, dass die Wählerinnen und Wähler dem noch einmal mehr Stimmanteile widmen werden als den Satz der Mehrwertsteuer, der in Italien bei 20% steht. Hinter der Kamera geht es um andere Geschichten, nämlich um die Mediaset, welche der kriminelle Clown seinerzeit mit Hilfe des bestochenen Sozialisten Craxi aufgebaut hat und welche gegenwärtig eine Abwehrschlacht oder auch nur einen Kampf um ein paar Milliarden Euro mehr führt gegen die im Besitz des französischen Superkapitalisten Vincent Bolloré stehende Vivendi führt. Gleichzeitig hat es der Lammhalter geschafft, seinen ewigen Fußballclub AC Mailand zu verkaufen, und zu diesem Verkauf lässt sich das italienische Magazin L'Espresso wie folgt verlauten:

Käufer sind ein paar Maoisten, also chinesische Multimillionäre mit dem Hauptinvestor Yonghong Li. Der Preis beträgt über 1 Milliarde Euro, einschließlich der Vermarktungsrechte. Dafür benötigte es einen Kredit von 303 Millionen Euro, weil die chinesische Regierung die Bankkonten von Li blockiert. Allerdings besitzt Li selber nur etwa 500 Millionen Euro. Jedenfalls wurde der Kredit von Elliott Advisors zur Verfügung gestellt. Elliott ist ein ultra-aggressiver US-amerikanischer Hedgefonds, dem es zum Beispiel gelungen ist, vom argentinischen Staat bei einem seiner Bankrotte – Entschuldigung, hier habe ich die Übersicht verloren – zwei Milliarden US-Dollars abzuzwacken für irgendwelche Schuldpapiere, die nominal sogar weniger wert waren. Besitzer sind Vater Paul und Sohn Gordon Singer, und sie sind mit ihrer Elliott gegenwärtig in einen Übernahmekampf um Akzo Nobel in der Höhe von 22.4 Milliarden Euro verwickelt. Akzo Nobel ist eine niederländische Farb- und Beschichtungsunternehmung mit weiteren Aktivitäten in der Spezialitätenchemie. Eine weitere Auseinandersetzung führt der Anleger Elliott innerhalb des australischen Bergbau- und Erdölmultis BHP Billiton gegen das Management; konkret geht es offenbar um Elliotts Forderung, die US-amerikanischen Erdöl-Investitionen von BHP Billiton abzustoßen sowie die doppelte Kotierung in England und in Australien aufzugeben.

Der Kredit für den Verkauf der AC Mailand ist an Bedingungen gebunden. Für den Kredit erhält Elliott nach Ablauf der 18-monatigen Laufzeit rund 45 Millionen Euro an Zinsen, ohne Kommissionen für weitere Beteiligte, was zirka 10 Prozent Rendite entspricht und damit sicher unterhalb der Zielvorstellungen eines normalen Hedgefonds liegt. Abgesichert wird der Kredit durch den AC Mailand selber, das heißt, wenn die Chinesen nicht bezahlen, gehört die AC Mailand dem Hedgefonds. Zudem deckt das Finanzvehikel Blue Skye den Kredit passiv ab. Hierbei handelt es sich um ein Joint Venture zwischen dem US-Fonds DB Zwirn und der italienischen Sopaf, welche allerdings bereits ein Jahr nach der Gründung wieder ausschied, um anschließend als unabhängige Gruppe Aktivitäten für DB Zwirn zu entfalten.

Der Espresso stellt Überlegungen an zum effektiven Wert der AC Milano. Er schätzt als Vergleich den Börsenwert des deutlich besser da stehenden Fußballklubs Juventus Turin auf 600 Millionen Euro. Wenn der Verkauf des AC Milan also tatsächlich für eine Milliarde zustande kam, dann hat Berlusconi allen Grund, Lämmer zu tränken.

Aber wie so oft lässt sich darüber nicht nur nur spekulieren, sondern es handelt sich auch um eine absolute Randnotiz im internationalen Geschehen, welche allerdings wieder mal darauf verweist, über welchen Blödsinn auf der Straße, an den Stammtischen und in den Social Media diskutiert wird. Würden wir zum Beispiel den Vivendi-Chef Vincent Bolloré befragen zur Leistung des abtretenden Präsidenten François Hollande, müsste der sich vor Begeisterung überschlagen. Nach der Reichensteuer, welche Hollande ein Jahr nach ihrer Einführung auf Anraten seines neuen Wirtschaftsministers Emanuel Macron wieder abschaffte, sicherte er die Investitionen von Bolloré vor allem in Afrika durch eine sehr aktive Interventionspolitik, die sich gegenüber der Straße, den Stammtischen und den Social Media selbstverständlich vor allem durch Erscheinungen wie Boko Haram und andere Islamisten rechtfertigen ließen. Dabei zeigt sich nur eines: Auch eine Reichensteuer in einem Lande vermag die absolute Dominanz des internationalen Kapitals über die Rahmenbedingungen unseres Lebens nicht im Kleinsten zu verringern. In der jüngeren Vergangenheit war das internationale Kapital vielleicht noch etwas diskreter, aber seit dem Einzug der gesamten Goldman-Sachs-Direktionsspitze in die US-amerikanischen und europäischen Gremien ist wohl wieder eine neue Zeit angebrochen. Die Wirtschaftselite hat offensichtlich begriffen, dass sie sich keine Mühe mehr zu geben braucht, ihre Interessen zu bemänteln, solange die Menschen in den vereinigten Nationen damit beschäftigt sind, sich ihrem jeweiligen Nationalismus hinzugeben und die Suppe der Deindustrialisierung mit dem Löffel des Rassismus und insgesamt der strukturellen Dummheit auszulöffeln.

Aber stellen wir uns pro forma doch noch die Frage, was denn geschehen täte, wenn die Menschen weltweit in der Lage wären, die Ebene erstens überhaupt zu begreifen, auf welcher sich die internationale Elite organisiert, und noch viel schlimmer, was sie täten, wenn sie in der Lage wären, Einfluss zu nehmen auf dieser Ebene, die ich im Moment als die höchste Entscheidungsebene auf dem Erdball wahrnehme. In ihrer jetzigen Verfassung, geschätzte Hörerinnen und Hörer, muss ich da sagen, dass wir geradezu froh sein müssen, dass die internationale Elite es der Menschheit abnimmt, irgendwelche Entscheide zu fällen. Eine Supermacht, welche einen Clown wie Trump als Präsidenten wählt, muss sich wirklich glücklich schätzen, wenn Goldman Sachs die Macht ausübt und nicht die Idioten aus dem Rust Belt. Es kommt ja noch dazu, dass weder die Vögel aus dem Rust Belt noch die Arbeitslosen in Wallonien oder Nordfrankreich oder wo auch immer noch überhaupt irgendwer auch nur ansatzweise ein Interesse an diesen Informationen oder an Gedanken über die effektiven Verhältnisse auf der Welt haben.

Und woher kommt dies dann wieder? Es kommt daher, dass es all jenen Gruppen und Organisationen, welche sich um die Demokratisierung der Gesellschaft kümmern, gar nicht erst beifällt, dieses Interesse zu wecken oder halbwegs aufzuzeigen, wie der Hase läuft. Und weil dies nicht stattfindet und weil die Menschen dann doch halbwegs die Vermutung haben, dass da irgend so etwas am Laufen sein könnte, bleibt ihnen kein anderer Ausweg, als sich in einigermaßen plausible Verschwörungstheorien zu stürzen. Die Vorstellung von der Weltverschwörung ist nämlich in der Substanz gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, wie es der sozialdemokratische Medienkonsens immer wieder annimmt. Falsch ist nur eines: Es handelt sich nicht um eine Verschwörung, sondern um ein Netzwerk, in der Regel von großen Kapitalmagnaten und Kapitalmassen, mit konkret greifbaren Personen mit Namen und Sozialversicherungsnummern. Und: Es ist absolut nicht im Interesse dieses Netzwerkes, den Planeten zugrunde zu richten. Die Profitorientierung bedeutet gleichzeitig, dass es diesen Vögeln völlig egal ist, ob sie Geld machen mit der Umweltverschmutzung oder mit der Umweltsanierung. Vielleicht kann man die Politik der Volksrepublik China im Moment als den besten Gradmesser dafür nehmen, was die Richtung der Kapitalinvestitionen weltweit sein könnte. Ja, richtig, es ist der Umweltschutz, egal, ob uns dieser verkauft wird unter dem Label Klimaerwärmung oder unter der Bekämpfung des Smog. Trotz allen gegenteiligen Beteuerungen der aktuellen US-amerikanischen Regierung wird sich dieser Trend auch dort durchsetzen.

Wie auch immer: In Europa kenne ich in dieser Beziehung in erster Linie eine Quelle, welche stets und zuverlässig Informationen aus dieser Sphäre liefert, und zwar eben den Espresso. Die Webseite ist übrigens espresso.repubblica.it. Seine Warte ist zwar jene von Italien, aber die nationale Sphäre wird in der Regel bereits im ersten Nebensatz verlassen, um zuverlässig in Luxemburg oder auf den Kanal- oder Kayman-Inseln zu landen. Den Espresso lesen heißt die Bewegung des globalen Kapitals verstehen.

Kommentare
04.05.2017 / 18:04 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
bermuda.funk
lief in sonar am 4.5.. Danke!