"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Duterte

ID 83002
 
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Ich muss sagen, der Mann verwirrt mich, und zwar in erster Linie deswegen, weil ich keine politische Linie erkennen kann.
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11:41 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 16.05.2017 / 11:23

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 16.05.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das ist in einem Land mit unzähligen ethnischen Minder- und Mehrheiten und Rebellengruppen, geschmückt mit kommunistischen und mohammedanischen bewaffneten Organisationen, auch nicht ganz einfach. Er markiert immer gleichzeitig den strengen Hund und den Versöhnung suchenden Vermittler. Vor allem seine Kampagne gegen den Drogensumpf und allgemein die Kriminalität haben ihn bekannt gemacht: Rodrigo Duterte, der älteste Präsident, den die Philippinen je hatten. Mit den kommunistischen Rebellen führte er in Norwegen Friedensverhandlungen, bis die Kampfhandlungen und Entführungen anfangs dieses Jahres wieder aufflammten. In seiner Regierungsmannschaft soll es angeblich Verwandte von Leuten aus der Führungsriege der mohammedanischen Rebellen haben. Seine Sprache ist gründlich vulgär, und zudem sagt er selber, dass er als Polizeichef schon mal drei Leute erschossen habe, die eine Frau vergewaltigt hatten. Den US-Botschafter hat er einen schwulen Hurensohn genannt, und da dies exakt jener Sprache entspricht, welche bei uns auf den Pausenhöfen gesprochen wird, gehe ich davon aus, dass der Stellenwert der Wichtigkeit von Pausenhofgesprächen entspricht. Dagegen ist das Programm zur Jagd auf Drogendealer mit ihrer Hinrichtung ohne weiteren Prozess außer­ordentlich spektakulär, und auch hier bin ich verwirrt, denn ich muss anerkennen, dass es in der Entwicklungsstufe der Nationalstaaten Phasen gibt, in welchen der Staat gewisser Entwicklungen nicht Herr wird, und der Verfall der halben Jugend in den Städten in die Drogensucht entspricht durchaus einem solchen Notstand, der nach anderen Vorgehensweisen verlangt als sie vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gefordert werden.

Auch wirtschaftlich sind die Nachrichten zwiespältig. Die einen behaupten, die Gassensprache des Präsidenten hätte zu einem massenhaften Exodus von internationalen Kapitalien geführt, weil das internationale Kapital offenbar doch bessere Manieren und Tischsitten hat, als ich vermutet hatte und anhand von Rohstoffkonzernen zum Beispiel jeweils in Rechnung stelle. Die Weltbank dagegen sagt in ihrem jüngsten Entwicklungsbericht vom April dieses Jahres, dass sich die philippinische Wirtschaft im Jahr 2016 nicht habe anstecken lassen vom global schwierigen Klima, dass vor allem die Inlandwirtschaft schnell wachse, was zu erheblichen Zunahmen bei der Beschäftigung und zu Erfolgen bei der Armutsbekämpfung geführt habe und dass der Ausblick positiv bleibe. Zu den Mittelfristperspektiven heißt es, dass die Philippinen mehrere Trends nutzen könne, um Wachstum und Entwicklung zu beschleunigen, unter anderem die sehr junge und wachsende Bevölkerung und der wachsende Dienstleistungssektor, dank denen die strukturelle wirtschaftliche Umstellung voran getrieben werden könne. Die Tatsache, dass das jüngste Wachs­tum nicht nur den Eliten, sondern der gesamten Bevölkerung zugute gekommen sei, eröffne zu­sam­men mit dem tiefen Altersdurchschnitt der Bevölkerung ein kurzes, echtes Fenster der Trans­for­ma­tion, wenn es gelinge, mit Strukturreformen die privaten Investitionen anzukurbeln und anderseits die beruflichen Qualifikationen vor allem der jungen Bevölkerung an die Bedürfnisse eines dyna­mischen Arbeitsmarktes anzupassen.

Ich bitte um Verzeihung für dieses Fachchinesisch von internationalen Organisationen, aber der Hinweis auf den «inklusiven Charakter» des Wachstums, also die Teilhabe aller Bevölkerungs­schich­ten am steigenden Wohlstand, ist ein wichtiger Indikator dafür, dass die Regierung Duterte nicht nur die Sprache des einfachen Volkes spricht, sondern auch dessen Interessen nicht aus den Augen verliert, auch wenn man das von zahlreichen populistischen Regierungen ebenfalls behaup­ten kann, welche später das Volk doch wieder nur als Trampolin für ihren eigenen Vorteil benutzen. Tatsache, was mich betrifft, ist ganz einfach, dass ich diese Regierung nicht verstehe. Und wie gesagt, dass der Duterte Jagd auf die Drogendealer macht, ist vielleicht gar nicht so übel, vor allem, wenn er dabei auch noch die Chefs erwischt und nicht nur die einfachen Handlanger. Aber je nachdem kann man einen Markt auch dadurch austrocknen, dass man die Handlanger festsetzt und im Fall von Rodrigo Duterte geradeaus umbringen lässt. Das ist nicht schön, aber möglicherweise ist das Elend des Drogensumpfes noch weniger schön und all jene Maßnahmen, die eines west­li­chen Rechtsstaates würdig wären, was ja auch die Grundlage der westlichen Kritik bildet, all diese Maßnahmen greifen vielleicht in den Philippinen vorderhand nicht. Möglich ist es, und solange ich dies einräumen muss, bleibe ich verwirrt.

Dagegen muss ich eher lachen über jenen Vorwurf, Duterte hätte in einer Bar in Davao einen Tou­ris­ten dazu gezwungen, einen Zigarettenstummel zu essen, nachdem sich dieser trotz Rauchverbot einen Glimmstängel angezündet hatte. Das trug ihm offenbar sogar Vorwürfe der internationalen Menschenrechtskonvention ein, während ich dieser Aktion hiermit applaudiere. Wenn unsere Mit­bürgerinnen und Mitbürger meinen, in Asien sei ihnen alles erlaubt, so haben sie leider weitgehend recht, und wenn es sich dann mal einer erlaubt, sie am Schlafittchen zu nehmen, dann ist dies für alle Beteiligten, also auch für mich, nur erfrischend.

Aber sprechen wir von etwas anderem. Allerdings habe ich einen Dispens davon, mich zum CDU-Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen zu äußern. Die SPD, die CDU und weitgehend auch die CSU sind Schwesternparteien im sozialdemokratischen Geiste, da kommt es nicht drauf an, wer in welcher Besetzung die Regierung stellt. Höchstens den Hinweis auf die FDP kann ich mir noch erlauben, welche in diesem Menuett der Sozialdemokraten keinen richtigen Platz gefunden hat; ihr ehe­maliger sozialliberaler Flügel ist ihr eigentlich ebenso abgebrochen wie der wirtschaftsliberale, welcher nur noch Realsatire betreibt, soweit er nicht Platz gefunden hat im wirtschaftsliberalen Flügel der Allianz für Deutschland. Also sprechen wir von England und dort von Jeremy Corbyn, dessen Wahlplattform beziehungsweise Manifesto für die dortigen Sozialdemokraten vorzeitig veröffentlicht wurde, wobei mir nicht klar ist, inwiefern dies vorzeitig war, nachdem der Wahl­kampf ja in vollem Gange ist. Wenn es mir recht erinnerlich ist, fordert er die vollständige Verstaatlichung der Eisenbahnen, wozu ich nur gratulieren kann, aber damit gründet man unglück­licherweise keinen Staat und betreibt keine Partei und keine Politik, sonst wäre ja alles in bester Ordnung. Um eine solche wieder herzustellen, wäre es nun an der Zeit, dass sich die englische Labour Party ordentlich spaltet in einen sozialdemokratischen und einen nostalgischen Flügel, so wie dies in Frankreich im ersten Quartal dieses Jahres bereits geschehen ist, wobei hier die institutionellen Grundlagen der Sozialisten nach wie vor wirksam sind, wie ich an dieser Stelle bereits erwähnt habe.

In Österreich wundert sich die halbe Politik über den angeblichen Handstreich des Grasser-Ver­schnit­tes und Außenministers Kurz auf die gesamte Österreichische Volkspartei. Dabei gilt auch hier exakt das gleiche wie bei den französischen Sozialisten: Die subkutanen Strukturen, der Kern dieser Filzpartei, die übrigens im exakt gleichen Ausmaß eine Filzpartei ist wie die österreichischen Sozialisten, aber eben: Der Filz dieser Filzpartei bleibt ja von diesem Handstreich völlig unberührt, der Pelz wird nicht gewaschen, sondern hier wird bloß wieder einmal ein nassforscher Neoliberaler oder Neonationalist auf den Schild gehoben, der dann nach vollbrachter Tat im Schoße oder auf dem Schlosse irgendeiner Millionärsdame verschwinden wird. Offenbar braucht das Land Österreich in regelmässigen Abständen solchene Figuren wie damals den Grasser, dem jetzt der Prozess gemacht wird, aber auch den Haider und jetzt eben den Kurz, dessen Schicksal als Kurz-Furz schon jetzt besiegelt ist.

Eigentlich hätte ich gerne noch ein bisschen aus der Antrittsrede von Emanuel Macron zitiert, aber die besteht aus ebenso viel Pathos wie die Antrittsreden aller Präsidenten auf der ganzen Welt bis auf jene von Rodrigo Duterte, die ich aber nicht gelesen habe. Der Kurz hat ja bekanntlich auch den Macron mit seiner neuen Bewegung als vorbildhaft zitiert, um dann aber in Punkto Europa umge­hend das exakte Gegenteil von Macron zu vertreten: Anstelle einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik will Kurz eine vermehrte Autonomie der Mitgliedländern in praktisch allen Belangen mit Ausnahme des Schutzes der Außengrenzen. Und hier kann man übrigens erneut anfügen, dass bei der aktuellen Struktur der Europäischen Union praktisch keine Chancen bestehen, dem Macron seine absolut berechtigten Wünsche zu erfüllen, abgesehen davon, dass eine gemeinsame Wirt­schafts- und Sozialpolitik das eine ist, eine spezifische Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf welche sich die Mitgliedländer dann auch tatsächlich einigen könnten, etwas völlig anderes, was eben die Grenzen des aktuellen Konstruktes aufzeigt. Und wenn sich diese Grenzen als unbedingt haltbar erweisen, wäre dann die Auflösung trotz allem ein Schritt vorwärts in Richtung eines tatsächlichen und vernünftigen Europas, wie es sich seine Befürworterinnen und Befürworter anfangs der 1990-er Jahre glühend gewünscht haben. Jedenfalls hat die EU bald die wunderbare Chance, ihre Auflösung anhand des Brexit schon mal durchzutesten.

Vielleicht kommt es in diesem Prozess dann doch noch zur Formierung jener Gruppe von über­zeug­ten Europäern, welche nicht auf Heller und Pfennig auf den Vorteil des eigenen Mitgliedlandes achten, sondern in der Lage sind, in der Gesamtdimension zu denken. Diese Sorte an Vor­stel­lungs­kraft ist gegenwärtig absolute Mangelware, mindestens im öffentlichen Diskurs.

Übrigens hat man anhand der massierten Cyber-Attacke von letzter Woche nicht nur erneut die ge­wal­tigen Vorzüge von Windows XP demonstriert erhalten, ebenso wie der famosen Schutz-Soft­ware von McAfee und Norton, welche ich unterdessen zu den international lizenzierten Groß­betrü­ger­firmen zähle, sondern auch eine weitere Bestätigung dafür erhalten, dass Großbritannien der Sozial­demokratie immer noch etwas hinterher hinkt, und zwar anlässlich der Reaktion der zu­stän­digen Ministerin, welche nach dem Ausfall der Windows-Systeme jammerte, dass sie dem National Health Service schon längstens gesagt hätte, er solle endlich ein neues Betriebssystem in Betrieb nehmen; sie hat aber nicht gesagt, dass sie selber dem National Health Service die dazu not­wen­di­gen Mittel verweigert, ganz abgesehen davon, dass der britische NHS seinem Ruf einer büro­kra­ti­schen ineffizienten Gesundheitsbehörde generell alle Ehre macht. Und das weckt dann schon wie­der Zweifel daran, ob die nostalgische Ausrichtung von Jeremy Corbyn nicht letztlich doch einen Fortschritt bringen würde.

Ansonsten muss ich noch meinen Hut ziehen vor dieser Kampagne: Es ist die allererste ihrer Art, welche es mit einem James-Bond-Plot aufnehmen kann. Meine Verehrung, sehr verehrte Cyber-Mafia oder globales Verbrecher-Syndikat, welche mit diesem Angriff mit Gewissheit erst mal eine publikumswirksame Warnung vorgetragen haben. Der richtige Angriff folgt erst noch. Also: Alle Dateien sichern, aufgepasst, neue Computer haben keine eigenen Festplatten mehr, also externe Festplatten koofen; dann sämtliche Geräte vom Netz nehmen, das Handy abstellen und nur noch Briefe schreiben. Da die Deutsche Post ebenfalls mit Windows arbeitet, wird man demnächst dazu übergehen, die Briefe wieder mit privaten Postkutschen oder vielleicht Automobilen aus der Zeit vor dem Einbau von Computersteuerungen zu spedieren.