Der Fall #Übigau - ein sächsisches Lehrstück

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"2015 wollten in Dresden viele Politiker mit "besorgten Bürgern" reden -
auch mit einer Gruppe Übigauer, die 22 Tage lang eine Turnhalle
blockierten, die eine Flüchtlingsunterkunft werden sollte. Doch die
"besorgten Blockierer" hatten auch anderen Besuch: Dort vernetzten sich
Neonazis für Hetze und Gewalttaten - unter anderem Mitglieder der
"Gruppe Freital", denen gerade der Prozess wegen Rechtsterrorismus
gemacht wird.

In vielerlei Hinsicht, aber eben besonders im Hinblick auf die
reibungslose Verquickung von gewalttätigen Neonazis und den "besorgten
Bürgern", eine Verquickung, die es laut sächsischer CDU auch 2017
offenbar nie gegeben hat oder geben darf, in all diesen Details kann
Übigau jedenfalls als sächsisches Lehrstück gelten."

Text- und Blogversion hier: http://www.belltower.news/artikel/%C3%BC...

Radioskript abweichend.
Audio
18:36 min, 26 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 16.06.2017 / 20:26

Dateizugriffe: 2317

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: besorgte sachsen neonazis prozess mangelwirtschaft
Entstehung

AutorInnen: Till S.
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 16.06.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Der Fall #Übigau: Ein sächsisches Lehrstück.
Bei Hochwasser wird Übigau zu einer Insel. Im Osten, Süden und Westen schlängelt sich die Elbe um das Viertel. Im Norden: eine Flutrinne, die das Viertel begrenzt. Die Deiche sollen irgendwann vielleicht noch höher werden. Jedenfalls wirkt Übigau etwas verschlafen, es ist mehr ein Dorf, obschon mitten in einer Großstadt. Überquert man die Brücken über die Flutrinne, erreicht man schnell andere Stadtteile wie Pieschen oder Mickten. Unter genau so einer Brücke, unter der Sternstraße, trafen sich am 18. Oktober 2015, Neonazis der Gruppe Freital und der freien Kameradschaft aus Dresden, um das dort gelegene linke Wohnprojekt Mangelwirtschaft anzugreifen.

Übigau ist kein Ort, der einem in den Sinn kommt, wenn man an alternative Wohnprojekte in Dresden denkt. Aber es ist heute auch kein schlechtes Viertel. Nazis, im Stadtbild, sieht man nur hin und wieder, sie sind aber nicht prägend. Das war vor 15 Jahren durchaus noch anders. Am Ende der Overbeckstraße war das "Thor", ein rechter Jugendclub gewissermaßen, ein Treffpunkt für die rechte Szene in Dresden und darüber hinaus. Der damalige Betreiber war Ronny Thomas. Ronny Thomas war Kreisvorsitzender der NPD. Die Opferberatungsstelle AMAL schrieb 2003 über ihn: "Immer wieder fiel er durch gewalttätige und brutale Übergriffe auf Andersdenkende auf." Am 22. Oktober 2015 wurde Ronny Thomas fotografiert, wie er von einer Blockade einer Turnhalle in Dresden-Übigau, durch die Polizei weggetragen wurde. Das war das Ende eines 22 Tage dauernden Protestcamps gegen die Beziehung einer Turnhalle als Erstaufnahmeinrichtung für Geflüchtete. Stadträte der CDU ließen sich dort sehen, Markus Ulbig, seit 2009 Innenminister in Sachsen und gescheiterter OBM-Kandidat für Dresden, wollte einen konstruktiven Austausch begleiten und die AfD-Fraktion war zum Fototermin vor Ort. Und – eben Ronny Thomas; die Neonazigruppierung Freie Kameradschaft Dresden und eben das von den Ermittlungsbehörden Gruppe Freital getaufte Netzwerk von "Terroristen", wie sie sich selbst in ihrem „schwarzen Chat“ nannten. Vernetzt und kennengelernt hatten die Freitaler sich bei den sogenannten asylfeindlichen, aber vor allem ausländerfeindlichen Demonstrationen gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung in Freital.
Oberflächlich betrachtet eine merkwürdige Vorstellung: Tagsüber inszenierten sich die Übigauer Gegner (der Unterbringung von Geflüchteten in der Turnhalle) als besorgte blockierende Bürger, boten im Zelt Tee und Kuchen an, machten Mal- und Kreideaktionen in schwarz-rot-gold, schmückten ihr Blockadezelt und hießen lokale Politprominenz und Verantwortungsträger willkommen. Gegen Abend aber wurde die Blockade offenbar zum Treffpunkt der aktivistischen Neonaziszene der Stadt und ihrer Umgebung. Im sächsischen Verfassungsschutzbericht wird später nur zu lesen sein, dass die Jungen Nationaldemokraten, die JN, die Jugendorganisation der NPD, auf Facebook das Übigauer Camp lobte. Dass sich dort offenbar, zeitweise allabendlich, Neonazis trafen, die nun in U-Haft sitzen und sich vor Gericht verantworten müssen, erwähnt der VS-Bericht nicht. Skurril genug, zumal eine Blockade im als alternativ geltenden Leipziger Stadtteil Connewitz, die sich aber praktisch gegen den Auszug von Asylbewerbern aus einer Turnhalle richtete, natürlich Eingang in den Bericht fand. Grund: Es waren Linksextremisten anwesend, so der Verfassungsschutz.

Aber klar, die allerorten zu hörende Rede von den besorgten Bürgern machte es Asylfeinden besonders leicht. Besorgte Bürger, ein Ausdruck der in Sachsen von Politikern verschiedenster Parteien, vor allem aber von Vertretern der regierenden CDU, allzu gern übernommen und geglaubt wurde. So gelang es den Übigauer Blockierern, praktisch bis zum Ende des sogenannten "Anwohnerprotestes" die Mär vom friedlichen Bürgertreff zu erzählen – und das, so gut, dass Polizei und Stadtverwaltung lange Zeit nicht einmal beim Wort "Blockade" stutzig wurden. Obwohl doch in Sachsen sonst eine eindeutige Haltung zum Thema Blockaden herrscht. Jedenfalls dann, wenn zivilgesellschaftliche oder – gar - linke Gruppen dazu aufrufen, gegen Neonaziaufmärsche zu protestieren.

Schon am 2.Oktober 2015, kurz nach Beginn der Blockade, besuchte Veit Böhm, CDU-Stadtrat aus dem benachbarten Stadtteil Kaditz, das Übigauer Zelt vor der Turnhalle. Er wollte den "Dialog zwischen Anwohnern und der Stadtverwaltung unterstützen", steht später in einer Pressemitteilung. Brisant: In der Erklärung sekundiert Markus Ulbig (ebenfalls CDU), als sächsischer Innenminister sonst bei Leibe kein Freund von Blockaden: "Es ist wichtig, dass Politik, Verwaltung und die Menschen vor Ort im Gespräch bleiben." Auf Nachfrage erklärte sein Büro übrigens, dass Markus Ulbig das Protestcamp oder den „Protest“ zu keiner Zeit unterstützt hätte. Damit ist er der einzige Politiker, der überhaupt, wenn auch über das Büro, antwortet. Ebenfalls zitiert wird in der Presseerklärung von Veit Böhm ein Übigauer Dachdeckermeister: "Ich und die anderen Übigauer sind weder rechtsradikal noch ausländerfeindlich und möchten keine Zustände wie in Heidenau und Freital."
Dabei waren zu diesem Zeitpunkt die rechtsradikalen Kameraden aus Freital schon vor Ort, die wiederum an den Zuständen, also Krawallen in Freital und Heidenau nicht ganz unbeteiligt waren. Den Politiker-Run auf das "Protestcamp" eröffnete übrigens der erst im September 2015 ins Amt gekommene Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert. Der machte wohl ganz andere Erfahrungen als Böhm und die CDU. Hilbert wurde regelrecht niedergebrüllt, konnte keinen Satz zu Ende sprechen und wurde stattdessen mit Fragen konfrontiert, "die eher ein Bundesinnenminister beantworten könnte", wie die Dresdner Morgenpost damals schrieb. Die Fragen kamen dabei auch von Tatjana Festerling, damals noch Pegida-Frontfrau, auch sie war am Anfang der Blockade vor Ort. Und natürlich machte auch die AfD den Übigauern ihre Aufwartung.
Mit mehreren Besuchen und Pressemitteilungen unterstützte der stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Hartung zum Beispiel, ganz unverhohlen die Blockade. Mehr noch: Als die Stadtverwaltung Mitte Oktober - mehr als zwei Wochen nach Errichtung der Blockade - einen zweiten, praktisch inoffiziellen, Zugang zum Turnhallengelände schaffte, indem sie einen Teil des Zauns entfernte, bezeichnete die AfD dies als "undemokratisches Vorgehen", welches "die Blockade der Bürger" umgehe. In ihren eigentlichen Forderungen waren sich die Übigauer offenbar auch nicht ganz einig: Während sie von CDU-Stadtrat Veit Böhm offenbar nur forderten, dass ein Sicherheitskonzept hermüsse, die "Nachtruhe" eingehalten werde und die Straßenbeleuchtung wieder komplett einzuschalten sei, wollte die Gruppe laut Hartung einfach nur "verhindern, dass darin fast 60 männliche Asylbewerber untergebracht werden".

Nicht nur für Politiker und Pegida-Mitglieder waren die Übigauer offen, auch für andere asylfeindliche Protestgruppen und deren Vertreter. Fleißig berichteten sie von jedem noch so ergebnisarmen Beisammensein auf Facebook. Doch schon die Auflistung der Gruppen, für die die Zelttür weit offen stand, zeigt geringe Berührungsängste gegenüber Vertretern verschiedener weit rechts stehender Gruppierungen - oder rechtsradikaler und rassistischer, was die Übigauer ja nun gerade vorgaben, nicht sein zu wollen. Darunter die vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären, oder der Demokratische Aufbruch Sächsische Schweiz (DASS), eine von NPD-Mitgliedern betriebene Tarnorganisation, die die asylfeindlichen Proteste im der sächsichen Schweiz, von Sebnitz aus bestimmte. Selbst der als "Friedensrichter" bekannt gewordene und von Pegida und Co. gern hofierte Lothar Hoffmann, gegen den ein Amtsenthebungsverfahren als Friedensrichter läuft, verliess DASS schon im Juni 2015, weil er "keine NPD-Mitglieder mehr" in dieser ihm zu rechtslastig gewordenen Intiative wollte. Für Übigau offenbar kein Problem

Kommunikation und Austausch der rechten Kameraden liefen anfänglich zu großen Teilen über die sozialen Medien, vor allem Facebook und Twitter ab. Später spielten auch persönliche Kontakte, die dann über Telefongespräche und Messenger liefen, eine Rolle. Die Freien Aktivisten Dresden, Dresdner Neonazis, betrieben und betreiben einen Twitter- und Facebookaccount. Die Gruppe Freital, damals noch unter dem Namen Bürgerwehr FTL/360, schrieb über ihre Facebook-Seite immer wieder über ihre Besuche und Vorhaben in Übigau. Dazu haben sie auch die mehr oder weniger offiziellen Verlautbarungen des Protestcamps geteilt und kommentiert, die von einem "Orakel-Debakel" leidlich prosaisch, oft recht unverständlich, im Netz verbreitet wurden. Das Orakel-Debakel ist eine "Community-Seite" auf Facebook, die schon seit dem Beginn der Turnhallenproteste zu Übigau als Informations- und Werbeplattform fungierte.
Laut Pressemitteilungen der CDU und AfD, war einer der Ansprechpartner für die Übigauer: Tino Jasef, ein Handwerker aus Dresden. Neben Jasef taucht in den Berichten auch immer wieder Tom Walthersen auf, auf den Fotos ist er allgegenwärtig. Auch mit Jasef ist er zusammen abgelichtet. Walthersen wird im Gerichtsprozess gegen die Gruppe Freital von den Angeklagten unter anderem als „Wortführer“ der Blockade bezeichnet. Und: als Betreiber der Facebook-Seite Orakel Debakel.
Auf schriftliche Nachfragen beim „Orakel-Debakel“ reagiert zunächst niemand. Unter einer Adresse, die die AfD damals als Jasefs Kontakt verbreitete, antwortet dann jemand mit der Unterschrift Walthersen. Kontakt sei nicht gewünscht und ein Herr Jasef: nicht bekannt.

Zurück in Übigau: Gerade mal 500 Meter vom Übigauer "Protestcamp" entfernt steht die Mangelwirtschaft, ein Haus, welches junge, alternative Menschen gemeinsam über einen Verein verwalten und bewohnen. Den Protest beobachteten sie skeptisch, sie positionierten sich unter anderem mit einem "Refugees Welcome"-Plakat am Haus deutlich anders als die Asylfeinde vor der Turnhalle. Womit sie nicht gerechnet hatten, waren die nun regelmäßig werdenden Besuche vermummter junger Männer. Für die Bewohner der Mangelwirtschaft wurde es ab Oktober 2015 zur bedrohlichen Regelmäßigkeit, dass sich eine Gruppe schwarz gekleideter Personen vor ihrem Haus versammelte. Während ihnen anfangs, das Patrouille laufen zu reichen schien, gingen sie später immer mehr auf Tuchfühlung. Warfen Böller, rüttelten am Zaun, zerstörten einen Briefkasten. Die Bewohner in der Overbeckstraße fuhren abends nur noch mit dem Auto oder blieben gleich zu Hause. Zu dieser Zeit gab es auch einen besonders absurden - oder vielleicht besonders sächsischen - Polizeieinsatz. Die Neonazis, vermummt auf der Straße versammelt, die die Bewohner des Hauses somit eindeutig bedrohten, riefen ihrerseits die 110: Sie fühlten sich „illegal“ aus dem Haus heraus fotografiert. Und die Polizei kam tatsächlich, wusste aber wohl nicht recht, welcher Straftatsbestand nun vorliegen sollte. Jedenfalls machten sie ihre Arbeit, erkundigten sich geflissentlich, ob fotografiert wurde - schienen zur Präsenz der Nazigruppe selbst - aber keinerlei Fragen zu haben.

Bedroht fühlten sich aber nicht nur die Bewohner der Mangelwirtschaft. Aus Sicht der Blockierer war es genau anders herum. Sie fühlten sich durch die Bewohner der Mangelwirtschaft bedroht. vielleicht auch nur in ihrer stadtteilweiten Einigkeit, Laut Anklageschrift gegen die Gruppe Freital erzählte das jedenfalls einer der Blockadeteilnehmer. Und der wiederum hatte direkten Kontakt zu den organisierten Freitalern und bat diese nun um „Schutz“. Die Gruppe Freital war zum ersten Mal am Abend des 30. September in Übigau vor Ort. „Wir sind Übigau“ rief auf Facebook dazu auf, die Blockade vor der Turnhalle mit eigenen Fahrzeugen zu unterstützen. Noch in der selben Nacht, am Morgen des 1. Oktober, schrieben dann die Freitaler: „DD-Übigau War ein voller Erfolg, haben erfolgreich diese Mission erfüllt. Bitte unterstützt die Jungs und Mädels Übernacht. […] Unser Widerstand lässt sich nicht verbieten!!!!! Nur gemeinsam sind wir stark.“

In den späten Nachmittagsstunden des 4. Oktober schleicht wieder ein Mal eine Gruppe schwarz gekleideter Rechter an der Mangelwirtschaft vorbei. Diesmal aber traut sich einer der Neonazis näher heran und betritt sogar das Grundstück. Dort tritt er gegen eine offen stehende Briefkastentür. Er lässt ab, als ein Bewohner der Overbeckstraße aus dem Fenster insistiert. Am nächsten Nachmittag, wieder auf Facebook, unter einem Beitrag des OrakelDebakels: „Wir werden euch weiterhin unterstützen. Wie die letzten Tagen, nur gemeinsam sind wir stark.“

In diesem Zusammenhang zeigte sich etwas, was typisch für die Gruppe Freital sein sollte. Sie verlinkten immer wieder auf Artikel, Fotos oder Pressemitteilungen, in den ihre Taten direkt erwähnt wurden. Entweder mit Kommentaren, die zeigen sollten, dass sie die Tatfotos nur zugespielt bekommen hätten oder sie stritten vorsichtshalber gleich plakativ jede Beteiligung oder das Geschehen an sich ab, wie auch im Fall des Briefkastens: „Wieder ein mal Lügenpropaganda vom feinsten. Wo sind Fotos von defekten Briefkasten? Fragen über Fragen, Lügen über Lügen.“

In der Nacht zum 18. Oktober hatte nun offenbar das Protestcamp vor der Turnhalle ungebetenen Besuch. Die Camper bemerkten, dass in ihrer Nähe Personen um das Zelt schlichen und wollten diese zur Rede stellen. Dabei kam es zu einem tätlichen Angriff, der für einen der Blockierer mit einem Schlüsselbeinbruch endete. Am nächsten Mittag veröffentlichten die Übigauer auf dem "Orakel Debakel" ein Bild der Camper vor der Turnalle, mit dem polizeilichen Aktenzeichen des nächtlichen Vorfalls. Einer der fotografierten, Jasef, hält ein Blatt in der Hand, auf dem steht: "Das war ein Fehler!" Und das klingt nun eher wie eine Drohung. So kommt es dann auch bei den Freitalern an. Rico K. sagte später vor der Polizei aus, dass „er auf Facebook bei »Übigau wehrt sich« einen Aufruf gelesen habe, dem er gefolgt sei.“ Das entspricht auch der Aussage von Justin S., dessen Aussagen dazu so berichtet werden:
„Von Blockadeteilnehmenden seien sie [die Gruppe Freital] auf das Hausprojekt Mangelwirtschaft in der Overbeckstraße hingewiesen worden, verbunden mit dem Hinweis, dass da Linke wohnen würden. Insgesamt waren sie etwa sieben bis zehn Mal am Camp, ein bis zwei Wochen vor dem Angriff habe man mit »Streifenfahrten« begonnen, um den Umkreis nach »Unbekannten« abzusuchen.“

Wenige Minuten später dann tauschte sich die Gruppe Freital schon über diese Nachricht aus und plante ihrerseits „Rache“. Denn, die Verantwortlichen des Schlüsselbeinbruchs hatten sie da schon in der Overbeckstraße ausgemacht, freilich ohne jeden Hinweis oder gar Beweis. Der von ihnen ersehnte sogenannte "Erstschlag von links" war aus ihrer Sicht erfolgt und nun sollte "die Hütte fallen". Dabei handelte es sich also ganz unverblümt um einen „Racheakt“, für einen Übergriff auf die Übigauer Turnhallenwächter.

Mit den üblichen Obstmetaphern wurde im "Schwarzen Chat" dann aufgelistet, was für die abendliche Aktion zur Verfügung stünde, La Bombas, Super Cobras, Böllerteppiche, Zündschnur und natürlich Buttersäure. Das erklärte Ziel: Das Haus unbewohnbar machen. Ebenso vereinbarte man einen ersten Treffpunkt für den Abend: in Dresden-Übigau. Genauer, am Protestcamp von "Übigau wehrt sich". Aus Freital ging es gegen 19 Uhr an der üblichen Stelle los: der ARAL-Tankstelle gegenüber des Freitaler Polizeipostens. Eine Viertelstunde später starteten sie nach Dresden, wo sie sich schließlich am Protestcamp an der Übigauer Turnhalle eintrafen.
Erst vor Ort, an der Turnhalle, hätte man, laut Rico K., Kontakt mit der Freien Kameradschaft Dresden aufgenommen, die die anwesenden Personen mit zwei PKW verstärkte. Das eigentliche Aktionstreffen verlegte man in die Übigauer Flutrinne, unter die Sternstraße, um Mitternacht. Vorher wurden noch Zuständigkeiten geklärt: Sprengkörper aus Freital und Steine aus Dresden.

Trotz der zahlenmäßigen Überzahl in dieser Nacht wurden die Angreifer wohl von Licht und Schatten und der offenkundigen Anwesenheit der Bewohner im Haus der Mangelwirtschaft erschreckt, so dass sie ihren Angriff nicht wie geplant zu Ende führen konnten. Die Buttersäureflaschen wurden von entfernter Stelle im Garten geworfen, zerbrachen an einer Außenwand oder fielen gleich ohne Bruch ins Erdreich des Garten. Auch Steine oder Pyrotechnik führten nicht zum geplanten Erfolg. Kurz danach flüchteten alle Beteiligten. Dabei hielt sich einer der Freitaler offenbar nicht an die Abmachungen und lief zurück ins Protestcamp an der Turnhalle und verschwand erst nach kurzer Wartezeit nach Hause.
Allerdings: Einige der Freitaler scheinen in der selben Nacht noch einmal nach Übigau zurückgekehrt zu sein. So sagte Justin S. Vor Gericht aus, dass „sie nochmal zum »Protestcamp« zurückgekehrt [sind] und sich [dort] umgehört [hätten], was denn passiert sei.“ Justin S. Sagte vor Gericht: „dass sich bei dieser Begegnung »alle Seiten« gefreut hätten und die Aktion als »Erfolg« gewertet worden sei“

Am nächsten Tag zeigte sich dann wieder das eigentümliche Kommunikationsverhalten der Gruppe Freital. Auf Facebook teilen sie ein Posting des Übigauer „Orakels“ mit den Worten:
"Was bezwecken die Vasallen aus dem Linken Spektrum damit? Übigau bleibt standhaft, haltet durch und alles gute euren Mitstreiter."
Die Übigauer erwähnten in ihrem Beitrag den nächtlichen Anschlag auf das Hausprojekt implizit und lieferten sogleich mehrere Theorien dafür: "Racheakt", "False-Flag" oder "Provokation". Gleich das Erste stimmte natürlich. Wenige Tage nach dem Angriff auf die Mangelwirtschaft wurde das Protestcamp dann durch die Polizei geräumt.
Das Orakel-debakel übrigens, bedankte sich mit einem der letzten Posts, das Protestcamp betreffend, im Oktober 2015 bei „unseren Freitalern, Trachauern und andere Besuchern“.
Die Geflüchteten in Übigau, die nach der Räumung des Blockade in die Turnhalle einzogen, zogen schon Ende Mai 2016 in eine neu errichtete Flüchtlingsunterkunft in einem leerstehenden Schulgebäude. Die Sporthalle wurde wieder der Stadt Dresden übergeben.
Am 19. Mai 2017 befand der sächsische Generalsekretär der CDU, Michael Kretschmer, auf eine Studie der Ost-Beauftragten der Bundesregierung bezogen und dabei den Autoren dieser unterstellend, dass:
„eine ganz bewusste Vermischung vorgenommen [werde,] von Straftätern, Extremisten auf der einen Seite und auf der anderen Seite Menschen, die sich Sorgen machen, die Fragen stellen, die sich über Werte, Leitkultur, Patriotismus, Heimat unterhalten wollen, und denen wird pauschal Rechtsextremismus unterstellt, und so geht das doch nicht.”
Nun, in Übigau jedenfalls - ist genau das passiert.