"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Pakistan

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Der Wahlkampf mag fad sein bei euch, aber die Wahlen selber sind es nicht, nämlich wird man zum ersten Mal eine statistisch greifbare Erhebung über den Anteil an Brüllaffen in der Bevölkerung haben, also von Menschen, die im Lauf ihrer Sozialisierung vergessen haben, dass das ganze moderne Leben auf aufgeklärter Vernunft beruht.
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12:03 min, 22 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 05.09.2017 / 15:10

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 05.09.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Dabei ist es schon erstaunlich, wie weit hinein ins öffentliche Bewusstsein sich der bewusste Verzicht auf den Gebrauch des Denkapparates schon gefressen hat. Am Samstag saß ich am selben Tisch mit einem freundlichen Paar mittleren Alters, er arbeitet als Compliance-Spezialist bei einer Schweizer Großbank, sie ist Controllerin in einem mittleren Unternehmen, und die zählten im Ernst folgende Tatsachen auf: Primo, sie seien vor ein paar Wochen bei einem Spaziergang an einem Hotel vorbeigekommen, das für Asylbewerbende mehr oder weniger als Luxushotel eingerichtet worden sei, secundo, Asylbewerbende erhielten deutlich mehr Sozialhilfe als die eingeborenen Schweizerinnen und Schweizer und tertio, es sei ein deutscher Architekt an einem kleinen See im Kanton Zürich enteignet worden, damit man in seinem Haus Asylbewerbende unterbringen könne. Alles schlicht und einfach Lügen, selbstverständlich in aufsteigenden Reifegraden: Tatsächlich werden Asylbewerbende in leer stehenden Hotels untergebracht, und bevor sie einziehen, stellt man die einigermaßen instand, damit sie fließend Wasser und Elektrizität und so weiter haben, und vielleicht gibt's außen noch etwas Tünche oben drauf, aber von einer Luxusunterbringung kann nicht die Rede sein. Die meisten wohnen in zu zweit in Container-Einzimmerwohnungen, in einem Auffanglager in unserer Nähe stehen auf zwei Stockwerken zirka fünfzig Holzverschläge, in denen die Jungs und Mädels jeweils zu viert schlafen. Die Sozialhilfe beträgt etwa 80 Prozent des Minimalbetrags für Eingeborene, soweit sie überhaupt gewährt wird, wogegen die Nothilfe sich auf 8 Franken pro Tag beläuft. Und die Geschichte von der Enteignung ist einfach Humbug. Möglicherweise hat der Hausbesitzer den Mietvertrag gekündigt und einen neuen mit den Sozialbehörden abgeschlossen, aber von Enteignung ist bei einzelnen Häuser im Asylzusammenhang noch nie die Rede gewesen. Die Rechtsgrundlage hierfür wäre auch ziemlich dünn. Aber das kann man diesen Damen und Herren dann auf den Tisch legen, und die sagen einfach «Nein, das glaube ich nicht». Das, meine Damen und Herren, sind die Brüllaffen, und wie gesagt: Wir sind mal gespannt, wieviele davon ihr in eurem Deutschland beherbergt, in Prozent und Bundestagsmandaten ausgedrückt.

Von der F.D.P. will ich hier nicht sprechen, die haben nach ihren Spaß- und sonstigen Show-Jockeln jetzt wieder eine Figur für den Wahlkampf montiert, die ihnen laut einigen Umfragen wieder den Einzug ins Parlament sichern wird, dann stellen die möglicherweise wieder für vier Jahre den Wirtschaftsminister, vielleicht eben diesen Hampelkasper, und dann verschwindet der Verein wieder, um möglicherweise in 8 Jahren erneut mit dem aufgetauten oder vielleicht einem in der Zwischenzeit neu aufgetauchten Hampelkasper ins Rennen zu ziehen und von der deutschen Wahlbevölkerung, die offenbar viel von Spaß und Kasperletheater versteht, wieder in den Bundestag gewählt zu werden. Ein Kommen und Gehen, ein Nehmen und Geben und ein anhaltendes Kopfschütteln begleitet diese Erscheinung im politischen Leben.

Aber diese Einmann-Bewegungen haben in Deutschland im Moment ein deutlich geringeres Potenzial als in Frankreich, wo der kleine Napoleon immerhin das Parlament für die nächste Legislaturperiode beherrscht, vielleicht allerdings nicht unbedingt seine Anhänger in ebendiesem Parlament, aber wie auch immer. Und auch in Österreich kommt der Hinz oder der Kunz oder der Kurz auf fantastische Umfragewerte; dort machen die Brüllaffen rund 30 Prozent der Bevölkerung aus, und zusammen mit den 30%, die mit dem Filz- und Klüngelsystem der Großparteien SPÖ und ÖVP endlich Schluss machen wollen, ergibt sich eine satte Mehrheit für den geleckten Populisten, der aber nicht in der Tradition Napoleons steht, sondern in jener von Jörg Haider und Karlheinz Grasser, welche mit ihrem Populisten-Geschrei beziehungsweise dem gelackten Gehabe ihre effektiven Betrügereien und Schiebereien überdeckten; und die Mehrheit für Hinz, Kunz oder Kurz ist dann halt per Saldo wieder eine Mehrheit für die ÖVP. Das ist natürlich hohe Schule, die man allerdings nur in Österreich anwenden kann: Wie man mit den Ressentiments gegen ein verfilztes Parteiensystem eben dieses Parteiensystem weiter in Schuss hält.
Aber eigentlich wollte ich an dieser Stelle mal über etwas völlig anderes sprechen, nämlich über Pakistan, von dem ich an und für sich auch nicht mehr weiß als ihr, geschätzte Hörerinnen und Hörer, und dieses Wissen besteht zu mehr als der Hälfte aus den Vorurteilen, wie sie zum Beispiel in der US-amerikanischen Fernsehserie Homeland transportiert werden. Daneben ist Pakistan ein beliebter Lieferant von Billigarbeitskräften für die mohammedanischen feudalistischen Erdöl­imperien im Nahen Osten und erledigt im Land selber verschiedene Rattenarbeiten des Kapitalis­mus wie zum Beispiel das Ausschlachten alter Frachtschiffe. Und schließlich sind praktisch alle Pakistani, die ich kenne, Teppichhändler. Das hielt mich aber nicht davon ab, mal in ein paar englischsprachige Zeitungen bezie­hungsweise deren Webseiten einen Blick zu werfen, der mir zunächst bloß eine anhaltende Animosität gegen Indien eröffnete, unter anderem in Bezug auf den Indus, den wichtigsten Fluss Pakistans, der im oberen Teil durch Indien fließt. Ein Vertrag regelt die Wasserrechte zwischen den Nationen, aber die Pakistani trauen den Inderinnen und Indern nicht. Strittig war bis vor zehn Jahren ein indisches Flusskraftwerk, wobei dieser Konflikt im Jahr 2010 an und für sich beigelegt wurde, aber von jeweils unterschiedlichen pakistanischen Regie­rungen wieder aktiviert wird. Eine Webseite meldet eine indische Terrorzelle, die man ausgehoben habe beziehungsweise ihr Waffenlager mit 5 Handgranaten und 10 geschärften Eislaufschuhen; solche Meldungen entstehen neben dem antiindischen Reflex ganz offensichtlich aus dem Bedürf­nis, den ständigen Berichten über die Präsenz aller islamistischen Terrorgruppen aus der ganzen Welt auf pakistanischem Boden irgendetwas entgegenzusetzen. Dabei will ich noch anfügen, dass die Auseinandersetzungen zwi­schen Moslem und Hindu in Indien regelmäßig gewalttätig aus­ge­tra­gen werden, wie wir nicht zuletzt aus dem Film «Slumdog Millionaire» wissen.

Daneben haben wir erfahren, dass China vom Grenzkonflikt mit Indien abgelassen hat im Hinblick auf den gegenwärtigen BRIC-Gipfel, das heißt, der Chineserer gedenkt, diesen Konflikt wieder anzufachen, sobald die Diplomaten-Gäste aus Peking abgereist sind. Die pakistanische The News freut sich schon darauf und schlägt die Zeile: China kündigt an, dass es Pakistan verteidigen wird. Eine Meldung weiter unten zeigt sich die Friedensnobelpreisträgerin Malala aus tiefstem Herzen betrübt über das Schicksal der moslemischen Rohingja, und darauf folgt der Titel, dass Pakistan die Kashmiri seiner diplomatischen und politischen Unterstützung versichert. Der Hinweis auf das islamische Opferfest fehlt selbstverständlich nicht, ebensowenig wie die Vertrauen erweckende Meldung, dass sich der pakistanische Außenminister Asif für Afghanistan Friede, Freude, Eier­kuchen, nämlich in seinen Worten Frieden und Stabilität wünscht. Und mit großer Freude, wenn auch nur mit verhalten gleich großen Titelschriften wie die anderen Titel meldet die News noch, dass Forbes Indien als die korrupteste Nation in Asien einstuft, und zwar vor Vietnam, Thailand, Pakistan und Myanmar. – Etwas kritischer liest sich die Tribune; hier gibt es zum Beispiel einen Bericht darüber, dass der Pressesprecher des pakistanischen Parlamentes, Sardar Ayaz Sadiq, von der Polizei während dem islamischen Opferfest wegen einer Geschwindigkeits­übertretung auf der Autobahn von Lahore nach Rawalpindi gebüsst worden sei, während ein anderer Verkehrspolizist vom Dienst suspendiert worden sei, nachdem er den Vater des PTI-Abgeordneten Murad Saeed wegen einer Verkehrsregel-Überschreitung gebüßt hatte. Die PTI ist die Gerechtigkeitspartei des ehemaligen Kricket-Nationalspielers Imrad Khan, und Murad Saeed ist deshalb bekannt, weil er nicht nur zu Gewalttätigkeiten neigt, sondern seine akademischen Titel offensichtlich erschlichen hat. Anderseits mögen solche Meldungen auch von seinen politischen Gegnern, vielleicht nicht gerade erfunden, aber doch immerhin gepusht werden. – Wichtiger aber ist wohl die Einschätzung der Tribune, wonach der BRIC-Zusammenschluss seine weltpolitische Bedeutung praktisch eingebüßt habe. Die Tribune stellt dies in den Zusammenhang just jenes chinesisch-indischen Konflikts, der um einen Teil der chinesischen Projekte einer neuen Seidenstraße ausgebrochen ist. Hier will China zig Milliarden von Dollars verlochen, während es anderseits nur vergleichsweise lächerliche Beiträge leistet zur New Development Bank, welche es selber mit Unterstützung der BRIC-Staaten als Alternative zur Weltbank angeschoben hatte. Und zur Rohingja-Frage gefällt mir die Nachricht, dass der türkische Premierminister den Myanmar-Nachbarn in Bangladesch angeboten hat, die Kosten dieser Rohingja-Flüchtlinge zu übernehmen, soweit sie von Bangladesch aufgenommen würden. So verlagern sich die EU-Flüchtlingsgelder in den Nahen Osten, und das scheint mir wirklich außerordentlich prächtig, abgesehen davon, dass die Türkei ein solches Versprechen wohl niemals wahr machen würde, das ist allzu offensichtliche Propaganda. Aber es ist gute Propaganda, wie man einräumen muss.

Grundsätzlich fühlt sich Pakistan offensichtlich von allen verkannt, nicht zuletzt von den USA, welche mit ihren Vorwürfen der Terror-Unterstützung nicht zurückhalten, nicht nur in Propaganda-Fernsehserien wie Homeland, bei welcher sich mir übrigens regelmäßig der Magen zusammen gezogen hat ob der krass und krude antiislamischen Haltung des Teils. Islamabad will nichts wissen von Terrorunterstützung, es wird angegriffen in Kaschmir, es beklagt das Schicksal der islamischen Glaubensbrüder, in erster Linie der islamischen Minderheit in Indien, Pakistan wird offensichtlich nicht verstanden, und man merkt, dass auch die aktuelle Freundschaft mit China, welche nichts anderes ist als der Reflex der aktuellen Feindschaft Chinas mit Indien, keine dauerhafte Grund­lage für die Zukunft darstellt. Aus dem kurzen Einblick in die pakistanische Presse ergibt sich der Eindruck, dass es diesem Land ganz einfach an einer Identität mangelt. Offensichtlich ist in Pakistan unter einem bigotten islamischen Deckmantel alles erlaubt, von der Korruption bis hin zu den politischen Morden, für welche das Land ebenfalls bekannt ist, was gleichzeitig bedeutet, dass einem nichts anderes übrig bleibt, als sich auf das Militär zu verlassen, denn bekanntlich handelt es sich bei Pakistan um eine Atommacht. Dementsprechend hatte ich schon früher eine gewisse Vorliebe für den General Musharraf, auch wenn gegenwärtig versucht wird, dem die Schuld für den Mord an Benazhir Bhutto in die Schuhe zu schieben. Aber solche Untersuchungen und Prozesse sind in Pakistan mit Sicherheit und immer eine Funktion der gegenwärtig regierenden Interessenlage. Wer gerade an der Macht ist, schiebt seinen Gegnern die Schuld an allem in die Schuhe, vom Regen über die Verkehrspolizei bis hin zur Staatsverschuldung, die laut CIA Fact Book bei etwa 70% des BIP liegt, bei einem Budgetdefizit von 12 Milliarden Dollar auf 42 Milliarden Gesamteinnahmen.

Eine Meldung aus der Tribune zum Schluss, die mir ganz besonders gefallen hat, nämlich liess die Distriktverwaltung von Buner 14 Ladenbesitzer verhaften, welche in der Nähe des Pir-Baba-Mausoleums vor ihren Geschäften in offenen Auslagen auf der Straße Damen-Unterwäsche anboten. Gesetzliche Grundlage: ein Artikel in der Regionalverfassung, welcher es dem Gouverneur erlaubt, in Notfällen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung zu ergreifen. Die Ladenbesitzer wurden umgehend wieder frei gelassen, nachdem sie versprochen hatten, ihre Damen-Unterwäsche-Auslagen nicht mehr auf dem Gehsteig aufzubauen.