'Bitte 911 anrufen' - Zum Tod des Journalisten Gary Webb

ID 8482
 
Am 10.12.2004 wurde der investigative Journalist Gary Webb in seiner Wohnung in Kalifornien tot aufgefunden. War es Selbstmord, wie der Richter meint, oder doch etwas anderes?
Hermann Ploppa hat genauer hingesehen:
Audio
07:25 min, 3480 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 29.12.2004 / 16:31

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales, Andere
Entstehung

AutorInnen: Hermann Ploppa (RUM)
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 23.12.2004
keine Linzenz
Skript
„Bitte 911 anrufen!„

Gary Webb wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden. Der investigative Journalist hatte Zusammenhänge zwischen kolumbianischen Kokaindealern und den nikaraguanischen Contras aufgedeckt

Morgens acht Uhr zwanzig am 10. Dezember im kalifornischen Sacramento. Vier Möbelpacker sind für einen Umzug bestellt. Die Männer finden an der Haustür jedoch folgenden Zettel: „Bitte nicht eintreten, sondern 911 anrufen, um den Rettungsdienst zu holen!„ Die Sanitäter finden einen Leichnam vor, dessen Gesicht durch zwei Salven aus einem Schrotgewehr völlig unkenntlich geworden ist.Der örtliche Richter nimmt den Abschiedsbrief des Toten unter Verschluß und optiert auf Selbstmord.
Bei dem Toten handelt es sich um den investigativen Journalisten Gary Webb. Webb deckte in der Tageszeitung San Jose Mercury News Ende der Neunziger Jahre auf, daß zwischen 1981 und 1986 Kokaingroßhändler einen Teil ihrer Gewinne den antisandinistischen Contras in Nicaragua spendeten und dafür im Gegenzug mit stillschweigender Duldung des CIA Kokain in die USA geschleust haben.
Gary Webb kommt 1955 im kalifornischen Corona zur Welt. Schon als Schüler entscheidet er sich für den Beruf des Journalisten. Und eckt gleich an. Denn in der Schülerzeitung empört er sich über Cheerleader, die in der Halbzeit eines Football-Match militärisch uniformiert mit Spielzeuggewehren paradieren. Die Ausbildung an der Journalistenschule bricht er ab.
Auch ohne Diplom wird Webb Redakteur der Kentucky Post. Für seine Reportagen über das organisierte Verbrechen in der Kohlenindustrie erhält er 1980 den Investigative and Editors Award. Ab 1988 gehört Webb zur Redaktion der San Jose Mercury News. Für Reportagen über das Erdbeben in San Francisco und die Veruntreuung von Hilfsgeldern erhält Webb 1990 jene höchste Auszeichnung, die in den USA für Journalisten vergeben wird: den Pulitzer-Preis. Dazu gesellt sich 1994 der prestigeträchtige Mencken Award.
Webbs Karriere wäre weiter aufwärts gegangen, wenn er als Redakteur einer mittelgroßen Provinzzeitung nicht ein gar zu heißes Eisen angepackt hätte. Denn 1996 veröffentlichen die Mercury News in drei Teilen Webbs Enthüllungsgeschichte „Dark Alliance„. Detailliert und gründlich recherchiert legt Webb dar, dass die Nikaraguaner Danilo Blandon und Norwin Meneses über viele Jahre tonnenweise Kokain an einen afroamerikanischen Deallerring in Los Angeles verkauft haben. Unbehelligt von der Polizei wird das Kokain zu Crack verarbeitet, und als billige Volksdroge zerrüttet Crack Teile der schwarzen Jugend in den US-Metropolen. Meneses und Blandon waren Wirtschaftsberater beim nikaraguanischen Diktator Somoza. Nach dessen Sturz durch die linken Sandinisten versuchen Somozas Günstlinge, möglichst schnell wieder an die Macht zu kommen. Sie bilden in Honduras und Costa Rica Guerilla-Einheiten, um in Nikaragua einzumarschieren. Allerdings sind sie knapp bei Kasse. Denn die demokratische Mehrheit im US-Kongreß verbietet durch das Neutralitätsgesetz und das Borland Amendment finanzielle Zuwendungen an die Contras durch amerikanische Steuergelder.
Not macht erfinderisch. Die Reagan-Regierung möchte gerne die Contras unterstützen, darf aber kein Geld dafür ausgeben. Die Contras genießen das Wohlwollen des CIA und zahlreicher antikommunistischer Kreise in Zentralamerika. Das Kokain-Kartell im kolumbianischen Medellin wiederum möchte gerne unbehelligt bislang ungekannte Mengen von Kokain in den USA vermarkten. Pragmatische Problemlösung: das Medellin-Kartell sponsert die Contras und stellt ihnen ihre Armada an Schiffen und Flugzeugen zur Verfügung. Es entsteht eine Luftbrücke. Flugzeuge laden in Costa Rica säckeweise Kokain auf, bringen den Stoff in die USA, und liefern auf dem Rückflug Waffen für die Contras.
Bereits 1985 erscheinen in den USA erste Presseberichte über die Connection. Jedoch die Iran-Contra-Affäre überschattet alle anderen Ungereimtheiten. 1989 beschreibt John Kerry in einem Senatsuntersuchungsbericht nicht nur Reagans Outsourcing, sondern auch die Bemühungen des CIA, des Justizministeriums und der nationalen Drogenbehörde, großzügig über diese Transaktionen hinwegzusehen. Als Webb 1996 die unheilige Allianz aus Politik und Halbwelt beschreibt, bricht dennoch in den großen Zeitungen wie New York Times und Washington Post ein Sturm der Entrüstung los. Webb wird vorgeworfen, schlampig recherchiert zu haben. Die Mercury News trennen sich von Webb. Währenddessen bestätigen zwei hausinterne Untersuchungen beim CIA und beim Justizministerium Webbs Rechercheergebnisse. Die afroamerikanische Kongreßabgeordnete Maxin Waters weist nach, dass das Justizministerium dem CIA bei dessen Duldung der Koks-Connection Absolution erteilte. Die schwarzen Communities sind empört und es kommt zu Demonstrationen. Die Afroamerikaner werfen dem CIA Rassismus vor. Der Geheimdienst habe bewußt die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts der Black Communities betrieben. Der CIA-Chef muß der schwarzen Gemeinde vor Ort Rede und Antwort stehen. Ein einmaliger Vorgang.
Webb distanzierte sich von jeglichen Verschwörungstheorien. Er sah in der Symbiose von Medellin-Kartell, Contras und dem Verfall der afroamerikanischen Communities nur eine Verkettung unglücklicher Umstände.
Der Rausschmiß bei den Mercury News machte Webb keineswegs zu einem verbitterten Sonderling. Seine Recherchen veröffentlichte er ungekürzt in dem Buch „Dark Alliance„. Unermüdlich zog er durch die USA und hielt Vorträge über die Contra-Koks-Connection. Webb war ein begabter Redner, der es verstand, das Publikum mit humorvollen Bemerkungen in seinen frei gehaltenen Vorträgen für sich zu gewinnen. Für das Jahr 2005 plante er einen Dokumentarfilm zum Thema, sowie ein weiteres Buch mit neuen Enthüllungen.
Zwei Schrotgewehrsalven haben Gary Webb aus seiner Arbeit gerissen.

Hermann Ploppa