"Große Mobilisierung für die Selbstbestimmung" - Referendum in Katalonien

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Die Kollegen von Raíces Nómades sprachen mit Agostín aus Katalonien über die vergangenen zwei Jahre, die seit dem letzten Referendum vergingen und die Versuche der Regierung Mariano Rajoys, die Abstimmung am 1. Oktober diesen Jahres zu verhindern.

Was ist seit der letzten Abstimmung passiert?
Audio
07:35 min, 17 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 26.09.2017 / 09:52

Dateizugriffe: 49

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: Raíces Nómades, die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 26.09.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
vor zwei jahren war das schon mal thema.
Was ist seitdem passiert?

Agostin: "schwierig zu sagen, denn seit zwei Jahren ist die Situation relativ 'in Frieden', sagen wir mal so. Die autonomen Wahlen müssen theoretisch ein Referendum ersetzen. Es war aber so, daß das Referendum von der spanischen Regierung nicht akzeptiert wurde, deshalb wurde als alternatives Referendum die autonomen Wahlen durchgeführt. Es hat schon schlecht angefangen – in dem Sinne, daß es die Unabhängigkeitsbestrebungen weiterhin gibt. Sie haben bei den Sitzen gewonnen, in Prozent waren es 48,5%. Das neue autonome Parlament, das theoretische die Unabhängigkeit von Katalonien hätte erklären sollen, hat also mit einer, sagen wir, Legitimation der Bevölkerung begonnen. Es gab kein klares Ergebnis – weder für das Ja, noch fürs Nein. Es ist sehr schwierig, auf dieser Basis anzufangen. Vor zwei Jahren war die Situation die gleiche/ähnlich: wir wissen weiterhin nicht genau, was die katalanische Bevölkerung über das Thema denkt. Und was in den letzten zwei Jahren passiert ist, war, Mechanismen zu schaffen, die genau dies erlaubt."

Raíces: "inzwischen gab es zwei Wahlen in Spanien, daraus gingen vier Parteien gestärkt heraus – die PP, die PSOE, die Ciudadanos und Podemos. Vor zwei Jahren habe ich unseren Interviewpartner Jordi gefragt, ob Podemos die Lösung sein könnte, denn die erkennen den plurinationalen Charakter Spaniens an. Sie geben den lokalen Kulturen sehr viel Wert. Er sagte mir damals, 'wenn Podemos im Dezember 20% bekommt, dann käme das einer Revolution gleich. Genau das ist passiert. Aber selbst mit 20% könnten sie nicht regieren, sie müßten mit den Sozialisten von der PSOE verhandeln. Und die Sozialisten werden niemals ein Referendum in Katalonien akzeptieren. Deshalb ist Podemos nicht die Lösung, denn selbst mit 20% können sie nichts beeinflussen und ein bißchen ist das auch eingetroffen: die Sozialisten und Podemos konnten sich nicht einigen, was das Referendum betrifft. Von Seiten der Regierung in Madrid ist die Situation also blockiert. Dieses neue politische Spektrum ändert nichts an der Einstellung des spanischen Parlaments gegenüber Katalonien..."

Agostin: "Ich glaube nicht. Die Lösung muß in diesem Fall von Madrid ausgehen. Aber das Kräfteverhältnis ist nicht geeignet. Wir haben 20% Unidos Podemos, eine Koalition von Podemos und Izquierda Unida (die Linken) und verschiedenen Umwelt- und regionalen Parteien. Es sind viele Gruppen, aber das haben sie gemein: daß sie für eine Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung sind, aber nichtsdestrotrotz ist es schwierig, zu definieren, wie dieses Recht aussieht. Ich werde dir ein Beispiel nennen: du hast gesagt, die PSOE würde niemals ein Referendum in Katalonien zulassen. Die PSOE hatte bis Mitte der 80er Jahre in ihren Statuten das Recht auf Selbstbestimmung der spanischen Völker anerkannt.

Raíces: "Sie hat es fallengelassen..."

Agostin: "Hat sie, hat sie! Das habe ich gesagt, um dir klarzumachen, wie einfach es ist, gewisse Dinge vorzuschlagen, wenn Du sie nicht in die Praxis umsetzen mußt... Laß uns ehrlich sein: Wenn die Idee von Unidos Podemos wirklich die ist, ein Referendum in die Wege zu leiten, wird sie das Kräfteverhältnis im Parlament nicht lassen. Die konservative Partido Popular hat 40% der Abgeordneten und die restlichen 60% teilen sich die PSOE, Podemos und Ciudadanos – die am Ende das Gleiche sind wie die PP – zu jeweils einem Drittel, also jeweils 20%..."


Raíces: "die Ciudadanos (Bürger) sind fast noch Anti-Unabhängigkeit als die PP, das verkauft sich in Katalonien..."

Agostin: "Die Ciudadanos, das müßt ihr euch vor Augen halten, sind eine katalanische Partei. Die sind dort entstanden, sie heißen nicht Ciudadanos sondern Ciutadans, sie ist gewissermaßen so eine Art Edition der sozialistischen Parteien Kataloniens, die sich nicht mit dem neuen katalanistischen Kurs, der in diesem Moment auftaucht, identifizieren können..."

Raíces: "jetzt hat das katalanische Parlament ein neues Gesetz verabschiedet, um das Referendum durchführen zu können. Was passiert jetzt?"

Agostin: "die spanische Regierung akzeptiert dieses Gesetz natürlich nicht, sie erkennt es nicht an, sie ging dagegen vor dem Verfassungsgericht vor, das Verfassungsgericht hat das Gesetz sozusagen annuliert. Jetzt geht es um ein Kräftemessen, einen Beweis der Macht. Bis zu welchem Punkt ist die katalanische Bevölkerung bereit, zu wählen, wenn sie weiß, daß es illegal ist. Es wird nicht so einfach sein, wie sonst, an dieser Abstimmung teilzunehmen. Und dann – wieviele Leute werden daran teilnehmen? Ich glaube, das Ausschlaggebende an diesem Referendum ist nicht das Ergebnis an sich, – denn das wird ein todsicheres JA für die Unabhängigkeit sein – sondern wieviele Leute daran teilnehmen. Das Problem ist, die Leute, die Nein wählen wollen, werden ihre Stimme abgeben wollen, ihr Recht auf Mitbestimmung wahrnehmen – ein Teil der Leute werden das tun, ein Teil auch nicht. "


Raíces: "Worin bestehen eigentlich die Drohungen Madrids?"

Agostin: Das katalanische Parlament muß sich vor Gericht verantworten – nicht erst seit heute, sondern schon seit dem 9. November, wegen des Referendums, was vor fast drei Jahren durchgeführt wurde."

Raíces: "auch auf kommunaler Ebene gab es Drohungen, richtig? Die Kommunen, die am Referendum teilnehmen wollen, oder in die Organisation eingebunden sind, die Beamten.."


Agostin: richtig. Das ist auch Thema. 89% der Kommunen in Katalonien, deren Bürgermeister haben Dekrete unterzeichnet, in denen sie die ganze Infrastruktur in ihren Städten zur Verfügung stellen, die es braucht, um ein Referendum durchzuführen. Wenn ich sage, fast 90%, dann klingt das nach einer großen Mobilisierung, und das ist es auch. Das zeigt auch, wie stark der Wille der katalanischen Bevölkerung ist, zur Wahl gehen zu dürfen. Das Problem ist – die 10% der Kommunen, die sagen, sie nehmen nicht teil, oder sie wissen es noch nicht: Das sind fast 50% der katalanischen Bevölkerung. Das sind große Bezirke, offensichtlich die Kronjuwelen. Jeder fragt sich jetzt, was Ada Colau machen wird, die Bürgermeisterin von Barcelona. Da leben 1,6 Millionen Menschen. Die letzten Nachrichten, die ich las, besagten, daß sie bereit sei, das Referendum durchzuführen, aber sie wolle ihre Beamtinnen und Beamten nicht in Gefahr bringen, sich strafbar zu machen.