"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Finanzspezialisten

ID 92026
 
AnhörenDownload
Am 13. November 2017 betrug der Preis pro Feinunze Silber 17 Dollar und 11 Cent. Am 9. November 2018 um 17 Uhr lag er bei 14 Dollar 15 Cent.
Audio
12:43 min, 29 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 13.11.2018 / 18:15

Dateizugriffe: 2613

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 13.11.2018
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das braucht uns nicht zu kümmern, ich komme nur darauf, weil vor einem Jahr der famose Internet-Anlageberater Rolf Morrien vor­her­gesagt hatte, dass seine Top-Silber-Aktie kurz vor der Explosion stehe. Nun kann man mit Silber-Aktien möglicherweise auch dann explodierende Gewinne erzielen, wenn der Silberpreis implo­diert, mindestens aber erodiert, wer weiß, aber ich fürchte, dass Rolf Morriens Top-Silber-Aktie ganz einfach um die gleichen 25% an Wert verloren hat wie das zugrunde liegende Edelmetall. Rolf Morrien wurde damals angepreist mit Prädikaten wie «der deutsche Warren Buffett», wobei Rolf Morrien zwar umfangreiche Vorträge über Warren Buffetts Talent und Methode hält, jedoch weder vor einem Jahr noch heute auf einer Liste der reichsten Deutschen auftaucht, was diese Bezeich­nung seltsam absurd anmuten lässt; kein Mensch mit einer intakten Ratio verleiht einem pensio­nier­ten Amateur der Regional­klasse die Attribute eines aktiven Weltfußballers, noch nicht mal dann, wenn er die Lobpreisung höchstpersönlich vornimmt, wie dies hier und damals wohl der Fall war.

Einer seiner Propagandisten war zu diesem Zeitpunkt der ehemalige TV-Moderator Hans Meiser, der sich der Finanzwelt zuwandte, nachdem ihn Jan Böhmermann aus der Sendung geworfen hatte wegen geistiger Verblödung, sprich verschwörungstheoretischer Anfälle, namentlich auf dem Internet-Fernsehkanal watergate Tuvalua. Meiser verkündete vor einem Jahr eine weitere Aktien-Explosion, nämlich jene der Automobilhersteller. Schauen wir uns das mal an: Mercedes-Benz stand am 13. November 2017 bei 69 Euro 90, am 9. November 2018 um 17 Uhr bei 50 Euro 74 – minus 28%. BMW veränderte sich von 86 Euro 20 am 6. November 2017 auf 73.35 Euro am 9. November 2018, minus 15%, Volkswagen stieg von 156 Euro 90 tatsächlich um gut 20% auf 188 Euro 50 am 15. Januar 2018, um am 9. November doch um 6% tiefer als im Vorjahr bei 145.72 Euro aus dem Handel zu gehen. Audi dagegen stand sogar noch am 9. November bei Handels­schluss um etwa 8% höher bei 778 Euro nach 715.75 Euro am 13. November im Vorjahr ­ hier muss wohl ein besonders schwerer Fall von Diesel vorliegen. Ford Motor Company notierte am 9. No­vem­ber bei 8 Euro 21 im Vergleich zu 10 Euro 23 am 13.11.2017. Für General Motors lauten die Werte 31 Euro 96 am 9. November 2018 und 25 Euro 60 irgendwann im November 2017. Toyota stolperte von 53 Euro 40 am 13. November 2017 durch mehrere Hochs und Tiefs auf 51.30 am 9. November 2018. Die Automobilindustrie hat börsentechnisch ungefähr die gleiche Entwicklung hingelegt wie alle anderen Aktien auch.

Von Kursexplosion oder von Turbogewinnen bei Auto-Aktien und namentlich deutsche Auto-Aktien, wie sie der Guru Rolf Morrien und sein Prophet Hans Meiser ausgepreist hatten, keine Spur. Dabei kontrastieren die entsprechenden Prognosen auf Deutsches Finanz Fernsehen und der GeVestor Financial Publishing Group auf seltsame Weise mit den Katastrophen-Prophezeiungen, welche ihre Experten Günter Hannich und Guido Grandt zum gleichen Zeitpunkt vom Stapel ließen. Guido Grandt zum Beispiel stellte sich vor einem Jahr als Europas Krisen-Experte Nummer 1 vor und anerbot, die Leserinnen seines Newsletters sicher durch die Katastrophe zu führen. Denn, ich zitiere: «Eine apokalyptische Katastrophe rast auf uns zu. Der Alptraum kann jeden Tag beginnen. Das Kartenhaus des weltweiten Finanz- und Wirtschaftssystems fällt innerhalb der nächsten Wochen in sich zusammen.» Die Rede war vom Euro-Desaster, vom Tod des US-Dollars, von der Jahrtausend-Verschuldung und von der Hyperinflation.

Aber auch bei Günter Hannich läuteten die Alarmglocken: «Der nächste Kollaps steht kurz bevor.» Und dann folgen Tipps, wie man sein Geld bombenhagelsicher vor Explosionen schützt. Er erreicht allerdings nie die verschwörungstheoretische Reife von Guido Grandt; trotzdem sind sie alle drei, Hannich, Grandt und der Meiser, Erscheinungen des seltsamen Phänomens, dass sich die Verschwörungs­theo­retiker gleichzeitig als Finanzfachleute aufspielen. Hans Meiser redet übrigens für 2019 auf kontra und präsentiert nicht mehr einen Strauß positiver Explosionen, sondern eine schwarze Liste mit 10 Aktien, die man 2019 auf keinen Fall im Depot haben sollte, und zwar mit den folgenden Worten: «Mit größter Sorgfalt ausgewählt – 10 kleine und große Unternehmen, deren Aktienkurse in den nächsten Monaten auf rasante Talfahrt gehen!» Die sorgfältig ausgewählte Talfahrt – in Österreich würde man hier von einem sprachlichen Schmankerl sprechen.

Ist das wichtig? Die Hannichs, Grandts, Meisers, Morriens oder auch Jens Gravenkötter oder Richard Mühlhoff oder Michael Berkholz, welche auf dem GeVestor-Portal ihre Marktanalysen in die Welt setzen? Für sich genommen sind sie bedeutungslos, aber die Tatsache, dass sie sich auf dem Internet halten und sowohl sich selber als auch ihren Verlag nähren, weist darauf hin, dass es Menschen gibt, welche das unqualifizierte Gesabber nicht nur lesen, sondern auch für ihre Börsenbriefe kleine Summen Geldes auszugeben bereit sind; sie sind das sichtbare Ende einer Kohorte von Kleinanlegern, welche weder der Politik noch dem Großkapital trauen und letztlich eben hinter allem eine Verschwörung wittern, mit welcher ihnen ihre kleine Knete nicht aus dem Portefeuille, sondern aus dem Portemonnaie gezogen werden soll, und wenn das nicht funktioniert, weil die tapferen Ritter der Kleinanleger sie mit hehren guten Ratschlägen vor den kommenden Apokalypsen schützen, dann wird ihnen ihr sauer Erspartes per Deflation kaputt gemacht oder meinetwegen per Inflation, ist ja eh alles das selbe.

Nun, geschätzte Hörerinnen und Hörer, auch ich traue weder der Politik noch dem Großkapital, aber noch viel weniger traue ich den Hannichs, Grandts, Meisers, Morriens, Gravenkötters, Mühl­hoffs, Berkholz und Konsorten. Auch dem Chefkabarettisten der deutschen Ökonomen, dem pensio­nierten Hanswerner Sinn, traue ich keine englische Landmeile und keinen US-ameri­ka­ni­schen Meilenstein weit. Noch mehr: Ich traue nicht einmal mir selber! Gottseidank behalte ich meine Wirtschafts- und Börsenprognosen jeweils für mich, sonst hätte ich wohl hunderte von Vaterschaftsklagen am Hals, nein, Klagen wegen Betrugs und Zerstörung von Kleinanlegerkapital. Nicht einmal für meine gesellschaftlichen und politischen Prognosen lege ich meine Hand ins Feuer. Bis auf die offensichtliche Tatsache, dass das System, in welchem wir alle leben, funktio­niert, habe ich nämlich nicht zuverlässig zuverlässige Tiefenanalysen in petto, auch wenn ich manchmal so tue als ob. Seit sich nämlich die Tiefenstruktur des kapitalistischen Systems, die private Aneignung des gesellschaftlichen Mehrproduktes, als Folge der Arbeitsteilung und Automation in eine Sphäre verflüchtigt hat, aus der uns Informationen nur in der Form von Klatschnachrichten zukommen, ist es schwierig geworden, über Strukturen zu sprechen. Einige Elemente davon sind weiterhin erkennbar, zum Beispiel dort, wo eine Firma oder ein Konsortium den Zuschlag für die Erschließung eines Stückes Landes erhält, auf dem dann Wohnungen oder Fabriken gebaut werden; da zeigen sich von der Bestechung der zuständigen Behörden durch Geld, anderweitige milde Gaben oder durch Argumente wie Arbeitsplätze und Steuern bis zu den Auswirkungen der Projektrealisierung sämtliche Facetten dieser Unterkategorie des großen Spiels durchaus exemplarisch. Oder auch im Hauptbereich des großen Spiels, nämlich der Beschäftigung in einem Lohnarbeitsverhältnis oder auch im Auftragsverhältnis; hier funktionieren die Mecha­nismen immer noch gleich wie vor hundert Jahren, aber der Erkenntnisgewinn bezüglich der Strukturen ist minimal. Sie sind einfach bekannt, so wie das Wetter und die Jahreszeiten. Da aber die Frage in der Politik nicht jene nach dem Bekannten, sondern nach den Veränderungen lautet, haben wir nichts gewonnen damit.

Die Zürcher Wochenzeitung hat versucht, die Forderungen, die vor 100 Jahren anlässlich des kurzen Generalstreiks in der Schweiz erhoben wurden, zu aktualisieren. Sie lauten: Erstens, Gleicher Lohn für alle; zweitens, Simm- und Wahlrecht für alle Anwesenden; drittens, Vergemeinschaftlichung der Tech- und Pharmagiganten; viertens: 24-Stunden-Woche; fünftens: Abschaffung von Armee und Geheimdienst; sechstens: Rückbau der Einfamilienhäuser, siebtens: radikale Beschränkung des Flugverkehrs; achtens: offene Grenzen für Menschen statt fürs Kapital; neuntens: Tilgung aller Staatsschulden durch die Besitzenden ­ diese Forderung wurde offenbar schon vor hundert Jahren erhoben. Nun – ein zusammenhängendes Programm ist das selbstverständlich nicht. Einige Forderungen gefallen mir, bei anderen muss man auf den Tisch klopfen und fragen, wie das denn gehen soll, zum Beispiel mit den offenen Grenzen für Menschen statt fürs Kapital. Das ist einfach Unfug, so etwas hält keinen Tag lang, wenn die Menschen aus dem Osten und dem Süden herbei geflogen kommen. Nicht dass es kein schönes Prinzip wäre, aber in der Praxis ist eine solche Forderung reine Idiotie. Das Stimmrecht für die Anwesenden muss man nur schon als Forderung mit einer Karenzfrist versehen, die Zuzüger erhalten zum Beispiel das Stimmrecht nach zwei oder drei Jahren, alles andere ist unvernünftig. Gleicher Lohn für alle ist zwar unrealistisch, aber diese Forderung regt wenigstens ein kleines bisschen zum Denken an – tatsächlich kann die Arbeit, wenn sie denn so zentral ist, wie ihre Apologeten dies immer behaupten, mit einem allgemeinen und einheitlichen Lohn abgegolten werden, die wahre Entschädigung besteht dann sowieso in der Arbeit selber. Die Vergemeinschaftlichung der Tech- und Pharmagiganten – wieso denn nur dieser? Und vor allem: Wie tut man dies, ohne zuvor eine globale Allianz geschmiedet zu haben? Die 24-Stunden-Woche ist gebongt, ebenso die Beschränkung des Flugverkehrs, auch wenn dies im Moment total anachronistisch erscheint, denn bei uns haben auch die Hartz-IV-Empfängerinnen nicht nur das Recht, sondern sozusagen die Verpflichtung, auf Mallorca drei Wochen Alkohol zu schieben, während für Migranten und Flüchtlinge selbstverständlich ein anderes Regime gilt. Aber sei's drum. Den Einfamilienhäuser-Unfug erlebt man in den Siedlungsgebieten des Schweizer Mittellandes selbstverständlich anders und gräulicher als in Deutschland, wo es noch massenweise unüberbaute blühende Landschaften gibt. Armee und Geheimdienst schaffen wir schließlich am besten ebenfalls in Verbund mit ein paar anderen Ländern ab, sonst wird das ohnehin schon bestehende Ungleichgewicht noch ungleichgewichtiger. Und solange dieses Ungleichgewicht besteht, bleibe ich ein Anhänger der umfassenden Volksbewaffnung mit Gewehr und Munition im Rahmen einer Milizarmee, das treibt man mir nicht so schnell aus, allerdings kann ich mir hierzu schon ein paar Reformen vorstellen, von denen ich auch schon gesprochen habe. Und zur Tilgung der Staatsschulden durch die Besitzenden: Die Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Staatsschulden auch ohne die Besitzenden aufgeblasen werden können wie nix, da können sie wohl im gegenseitigen Einvernehmen auch mal wieder gestrichen werden, diese Vermutung liegt nahe.

Soviel für heute zu den feinen Finanzanalysten und Verschwörungstheoretikern – übrigens allesamt Männer; mit den Frauen gehen die Reaktionäre und Neofaschisten in der Regel durchaus ungnädig um, jetzt will die AfD nach Frauke Petry auch die Frau Weidel abservieren – naja, im Prinzip geschieht es ihr recht, was muss sie sich auch ausgerechnet von einem Zürcher Pharmaunternehmen schmieren lassen. So doof kann man ja gar nicht sein.

Kommentare
15.11.2018 / 17:43 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 15.11.. Vielen Dank!