"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Alle für den Frieden

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In einem Punkt sind sich die Anhänger der Friedensbewegung und die internationale Rüstungs­in­dus­trie einig: Sie sind alle für den Frieden.
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10:03 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.01.2019 / 16:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Religion, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.01.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In den anderen Punkten unterscheiden sie sich von­ein­ander, wie man weiß. Meine persönliche Haltung liegt irgendwo dazwischen, ohne dass ich genau wüsste, wo. Einerseits bin ich nämlich nach wie vor ein Anhänger der Volksbewaffnung, da ich als Einwohner eines Kleinstaates, der seit 1799 keinen Krieg gegen außen und seit 1847 keinen Bürger­krieg mehr geführt hat, nichts anderes kenne. Nein, im Kern bin ich vor allem für die Volks­be­waff­nung, weil in mir der alte Satz nachhallt, dass die Macht aus den Gewehrläufen kommt. Alle Macht dem Volk bedeutet deshalb für mich automatisch: Gewehre für das Volk. Gleichzeitig finde ich es grundsätzlich viel besser, wenn man über Meinungs- und Interessen­differenzen mit Volks­ab­stim­mun­gen entscheidet als mit bewaffneten Auseinandersetzungen, Ihr seht, auch ich bin für den Frieden. Aber eine Bevölkerung, welche den Marschallstab im Tornister und das Sturmgewehr 91 auf dem Estrich hat, kann eben auch viel besser volksabstimmen.

So ein Sturmgewehr 91 ist nicht zu unterschätzen, aber überbewerten sollte man es auch nicht. Gegen einen Panzer zum Beispiel richtet es nicht besonders viel aus, und vor allem werden Konflikte und Kriege längstens auf anderen Ebenen ausgetragen, angefangen bei der Diplomatie, welche man als verlängerten Arm des Krieges bezeichnen kann, über die Wirtschaft, die zu recht ansehnlichen Teilen eine Kriegswirtschaft ist, wobei diese Teile ihrerseits in einem dauerhaften Konflikt stehen mit anderen Wirtschaftszweigen, bis in die reale Sphäre des modernen Krieges, wo wir weltweit das gesamte Panorama aller möglichen Erscheinungsformen beobachten, vom schlichten Gemetzel in Afrika und im Jemen über die elektronische Kriegsführung der USA in Afghanistan und Pakistan bis zum Cyberwar, dessen einzige Regel übrigens lautet: Es ist immer der Russe! Immer greift der Russe mit Malware die westlichen, also unsere Computersysteme an, versucht, die Spitäler lahmzulegen, das heißt konkret ungeborenes Leben zu zerstören in den Geburtskliniken, es ist der Russe, welcher den Bundestag ausspäht und sabotiert, es ist der Russe, der mit Desinformation die Nationalistinnen füttert und die ordentlichen Bürgerinnen verunsichert, auf jeden Fall ist es immer und ausschließlich der Russe!, während wir, also der Westen, über keinerlei solche Waffen und Strategien verfügen. Merkt euch dies aber!

Klammer geschlossen, und dann geht es eben weiter bis zum Terror, der einerseits als Bestandteil einer Gesamtstrategie auftreten kann – Klammer auf: vergesst uns den Russen nicht!, Klammer geschlossen –, anderseits aber seit Jahrzehnten als einigermaßen planlose Erscheinung zum Teil unseres Alltags geworden ist, ein Nebenschauplatz der Religionskriege, wo uns einerseits die Evangelikalen mit Rabauken wie dem neuen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro angreifen, anderseits die Theologiestudenten von Al Kaida bis zum Islamischen Staat den Alltag verderben.

So viele Ebenen, und auch regional ist der Krieg nach wie vor verbreitet, tatsächlich und latent, ich bin zum Beispiel geneigt zu behaupten, dass die Spannungen im Balkan durchaus nicht abgebaut sind, sondern weiterhin gepflegt werden von den verschiedenen Seiten, welche in diesen Span­nun­gen ein prima Mittel sehen, um ihre eigenen Anliegen zu befördern. Allerdings kann man davon ausgehen, dass die Gegenparteien auf dem Balkan zwar die Spannungen brauchen, aber keinen Bock haben auf einen ausgewachsenen militärischen Konflikt, den Bürgerkrieg beziehungsweise die ethnischen Säuberungen haben sie ja schon vor dreißig Jahren absolviert. Der Ukraine-Krieg glost vor sich hin, die Feindseligkeiten in Tschetschenien existieren unter der Oberfläche nach meinen Beobachtungen ziemlich unbefriedet weiter, der Inder tendiert gerne mal zu religiösen Bürgerkriegen, Konfliktpotenzial aktuell steigend, von Afghanistan und Pakistan gar nicht zu sprechen, die autoritären Regimes am Südrand der ehemaligen Sowjetunion bergen ebenfalls Sprengstoff, wenn man den auch als regional beschränkt einschätzen kann. In Myanmar beziehungsweise in Bangla Desh zählen wir fast eine Million überlebende Kriegsopfer, während der Rest von Südostasien im Bann von China und Japan einen sehr friedlichen Eindruck erweckt, auch wenn der japanische Premierminister aufrüsten will und die Volksrepublik China ein Rüstungsprogramm unterhält, das möglicherweise potenter ist als jenes der Vereinigten Staaten, wobei diese Vermutung von der Statistik nicht gedeckt ist.

Dass aber aus regionalen Spannungen, zum Beispiel rund um den Brexit oder in Katalonien oder wo auch sonst immer, wieder echte Kriege entstehen, kann ich mir im Moment nicht vorstellen. «Im Moment» heißt dabei, dass man durchaus nicht weiß, wo der Weltgeist in seiner Unterabteilung Massenbewusstsein hin weht. Man hat lange geglaubt, dass die Schrecken des Zweiten Weltkriegs einen unauslöschlichen Eindruck im kollektiven Bewusstsein hinterlasse, aber das dachte man auch vom Holocaust, und was haben wir heute, wir haben wieder eine Partei mit echten Nazis und Höckes. So richtig ausschließen kann man die Entstehung einer Kriegsbegeisterung nicht. Bloß ist sie nicht wirklich wahrscheinlich, das dann doch wieder nicht. Der Frieden dagegen, das steht fest, wird sich noch etwas gedulden müssen, bis er über eine allgemeine Grundsatzerklärung hinaus eine Realität geworden ist.

Was das kollektive Bewusstsein angeht, so steht ihr in Deutschland seit einiger Zeit unter Dauerbeschuss mit negativen Meldungen von eurer eigenen Armee, also nicht in Bezug auf allfällige Siege oder Niederlagen, sondern bezüglich der schlechten Verfassung eurer Rüstungstechnik. Für die Menschen im Ausland tönt dies zunächst eher positiv, denn wir sind mit euch einer Meinung: Der nächste Weltkrieg soll wenn möglich nicht von deutschem Boden ausgehen, wenn er sich schon nicht verhindern lässt, und was ist besser geeignet, um so etwas zu vermeiden, als die Nichtexistenz einer Armee beziehungsweise die Existenz einer wackeligen Armee? Aber die Meldungen sollen wohl eher das bezwecken, was die US-Amerikaner seit einiger Zeit von euch fordern, nämlich einen stärkeren Beitrag zur Aufrüstung, vor allem der Nato, und im Klartext: Kauft den Amis endlich ihre Waffentechnik ab! Dass von dieser US-amerikanischen Waffentechnik ungefähr das gleiche zu halten ist wie von der eurigen, ist die eine Sache; die andere ist die, in diesen Wettlauf einzusteigen und von der Automobilindustrie umzurüsten auf, naja, gepanzerte Fahrzeuge halt, wobei die neueren Automobile die Sicherheitstechnik sowieso schon ausreizen bis zum geht nicht mehr, es würde mich nicht erstaunen, wenn man die SUVs demnächst mit kleinen Kanonen und Maschinengewehren ausstattet, damit auch jeder sieht, dass die Fahrerin darin ein autonomes Individuum ist. Aber davon abgesehen: Lasst euch nicht kirre machen von dem dauernden Gestänker über nicht funktionsfähige Sturmgewehre, nicht flugtaugliche Panzer­hau­bit­zen und was dergleichen noch mehr ist! Immerhin beliefen sich eure Rüstungsausgaben laut dem BUND im Jahr 2017 auf 44.3 Milliarden US-Dollar, hinter dem ebenfalls Weltkriegs-erprobten Japan mit 45.4 Milliarden, vor dem Weltkriegs-geprüften Südkorea mit 39.2 Milliarden. Am meisten lassen naturgemäß die USA liegen mit 610 Milliarden, dann folgen mit einigem Abstand die Chinesen mit 228 Milliarden vor den Saudiarabern mit 69.4 Milliarden, wobei deren ihre Rüstungsausgaben korrekterweise zu jenen der Vereinigten Staaten zu addieren sind, das heißt, in Tat und Wahrheit geben die USA 700 Milliarden aus für ihre verschiedenen Weltpolizeiaufgaben beziehungsweise für die Aufrechterhaltung einer Weltordnung, in welcher sie durchaus ein Machtmonopol haben, und lassen sich dafür zum Teil von anderen Ländern bezahlen. Russland weist 66.3 Milliarden Dollar aus, Indien 63.9 Milliarden, Frankreich 57.8 Milliarden und Großbritannien 47.2 Milliarden. Die Schweiz ihrerseits leistete einen Beitrag von 4.56 Milliarden Schweizer Franken zur Weltrüstung, wobei in all diesen Zahlen ja nicht nur Geräte, sondern auch Löhne und Logistik für die analogen Militärmitglieder enthalten sind, aber immerhin.

In einer anderen Dimension könnten wir noch von den Atomwaffen sprechen, wo man bekanntlich vermutet, dass der Iran an der Entwicklung bastelt, während Nordkorea bereits über die entsprechende Technik verfügt. Daneben sind die USA, Russland und China sowie Frankreich und Großbritannien Atommächte und dazu noch Pakistan und Indien und Israel. Dies ist der Kirchenchor der Besitzer der mächtigsten Waffen, deren konventioneller Einsatz aber gerade wegen ihrer Gefährlichkeit nicht besonders wahrscheinlich ist; gerade wegen ihrer Potenz haben die Kriegsgurgeln andere Sorten von Waffen entwickelt, einschließlich des Einsatzes von Terror und Desinformation, welche die Gegenseite schwächen und aufweichen sollen. Aber auch diese Systeme sind aufgrund der umfassenden Aufklärung oder Spionage oder, wie der US-Amerikaner sagt: Intelligenz generell bekannt und berechenbar.

Insgesamt aber ist der Frieden sowohl auf der höheren Ebene der Nationen als auch auf der individuellen Ebene jenes Maß an Zumutung, das wir uns gefallen lassen. Zum Beispiel mit der legalen Steuerflucht von Google, die letzte Woche bekannt wurde. Mit dem Double Irish, Dutch Sandwich kann das Unternehmen seine Einkünfte, die in den Niederlanden verbucht werden, in eine auf den Bermudas domizilierte irische Niederlassung verschieben. Im Jahr 2017 waren es 20 Milliarden Euro, für welche Google keine Steuern bezahlte. In den Niederlanden wies das Unternehmen derweil einen Bruttogewinn von 13.6 Millionen Euro aus und bezahlte dafür 3.4 Millionen Steuern. So sieht er aus, der Frieden im kapitalistischen Universum. Unterdessen streitet man bei euch noch im Ernst darüber, ob man nun ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen soll oder nicht. Noch nicht einmal die Linke ist sich darüber einig. Da möchte man doch gleich sein Sturmgewehr aus dem Keller oder vom Dachboden holen. Daran wiederum hindert einen der zivilisatorische Instinkt, ohne welchen es überhaupt nicht möglich wäre, das Volk zu bewaffnen.