Zedern, Zeltstädte, Zivilgesellschaft. Ein Streifzug durch den Libanon. Teil 2

ID 96529
 
Der Libanon ist in unserer Wahrnehmung ein Teil des Nahostkonflikts, ein Land, in dem lange ein Bürgerkrieg tobte. Manchmal ist vom Libanon die Rede, wenn es um den hohen Anteil von Geflüchteten an der Einwohnerzahl geht. Aber sonst? Wie schaut das Land aus am östlichen Ende des Mittelmeers? Was bestimmt den Alltag der Bevölkerung? Welche Konflikte gibt es, welche Lösungsansätze? Und was hat der Westen damit zu tun? Das sind einige der Aspekte, die der Streifzug durch Gegenwart und Geschichte des Libanons beleuchtet. Autorin: Helga Ballauf
(Aus datentechnischen Gründen ist der Beitrag in zwei Teilen verfügbar.)
Audio
27:00 min, 62 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 27.07.2019 / 22:44

Dateizugriffe: 31

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Harald Will
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 27.07.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Musik:
"Oxfam Arabia", "Fairuz. Lebanon Forever", "Fairuz", "Afkar Masaa"
(handelsübliche CDs, GEMA-pflichtig)

Zedern, Zeltstädte, Zivilgesellschaft.
Ein Streifzug durch den Libanon - Teil 2

Ansage: Sie hören die Sendung: Zedern, Zeltstädte, Zivilgesellschaft.
Ein Streifzug durch den Libanon


Beeka-Ebene zwischen dem Libanongebirge und dem Antilibanon. Syrien ist nah. Einer der Gründe, warum es auf der Beeka-Ebene viele syrische Flüchtlingslager gibt. Eins davon ist Bar Elias. Etwa 500 Familien leben hier, unter denkbar schlechten Bedingungen. Die großen Zelte sind aus einfachen Plastikplanen zusammengeschustert. Manchmal sieht man ein altes libanesisches Wahltransparent, das zur Hauswand umfunktioniert wurde. Es sind Behausungen, in denen es keine Privatsphäre gibt. Die Zelte werden von kleinen Kanonenöfen beheizt. Wie die Flüchtlinge es hier im letzten, gnadenlos kalten Winter aushielten, mag man sich nicht vorstellen. Die vergangenen Tage hatte es geregnet. Entsprechend weich und morastig sind die Wege im Lager. Jetzt nützen verschleierte Frauen den Sonnenschein, um Wäsche aufzuhängen. Auf kleinen Kohlefeuern backen andere Frauen hauchdünne Fladen.
In der Nähe ist Klatschen, Lachen und rhythmisches Gebrüll zu hören. Dort befindet sich die Zeltschule. Lediglich von einer Plane getrennt, liegen die Klassenräume nebeneinander. In dem einen Raum lesen die Kleinen im Chor vor, was auf der Tafel steht. Daneben gibt es großen Applaus, wenn ein Mädchen oder ein Junge eine Aufgabe an der Tafel richtig gelöst hat. Die meisten Kinder laufen barfuß oder in Socken herum. Denn diese provisorischen Klassenzimmer verfügen über einen großen Luxus: der gesamte Boden ist mit Teppichen ausgelegt. Die Schuhe mit dem Lagermatsch bleiben vor der Tür.

*Akzent*

Die Zeltschule im syrischen Flüchtlingscamp Bar Elias ist durch das Engagement reicher Syrer entstanden. Auch das Geld für den Betrieb der Schule kam zunächst von Landsleuten, die sich eine komfortablere Flucht aus dem Bürgerkrieg hatten leisten können. Inzwischen konnte der Spendenfluss mit Hilfe von zwei deutschen Nichtregierungsorganisationen verstetigt werden. Es unterrichten syrische Lehrkräfte, nach syrischen Lehrplänen. Ein Zeichen dafür, dass die Menschen hier so schnell wie möglich zurückwollen. Auch wenn es für die meisten keine einfache Rückkehr sein wird. Ins gemachte Nest kann sich in der zerbombten Heimat niemand setzen. Noch schlechter, als in Syrien ganz neu anzufangen ist für viele Familien allerdings die Aussicht, noch länger hier im Libanon ausharren zu müssen. Die Männer haben zwar meist Arbeit auf den Feldern der Beeka-Ebene. Aber das Geld geht fürs pure Überleben drauf. Aber jetzt gleich zurück? Das wollen sie auch nicht. Noch ist der Krieg in Syrien nicht zu Ende. Noch wird gekämpft. Und keine Flüchtlingsfamilie hier will riskieren, dass die Söhne daheim sofort von Milizen oder vom Militär rekrutiert werden. Wann aber wird diese Gefahr in Syrien wirklich vorbei sein?
Zur Erinnerung: Schätzungsweise 1 ½ Millionen Flüchtlinge aus Syrien leben in libanesischen Camps. In einem Land mit vier Millionen Einheimischen. Man muss sich das Zahlenverhältnis vor Augen halten, wenn man hört, dass der Druck im Libanon auf die Flüchtlinge, heimzugehen, immer größer wird. Gesellschaft und Politik fühlen sich überfordert. Und die Angst ist groß, dass sich Lagerstrukturen entwickeln wie bei den Palästinensern, dass sich dauerhafte Camps etablieren, die auch in 70 Jahren noch bestehen. Und einen Staat im Staate bilden.

*Musik 5*

Das lachsfarbene, glänzende Tuch bedeckt Kopf und Schultern der Slampoetin. Nennen wir sie Asma, um ihre Anonymität zu wahren. Denn Asma tritt in Beirut nur dort auf, wo sie sich sicher weiß. Das, was die Slammerin zu sagen hat, ist das, worüber viele andere in ihrer Gesellschaft nicht reden wollen: über das Leben im Patriachat, die Wut einer jungen Frau über die Verhältnisse, ihre Liebe zu einer anderen jungen Frau. Über diese Liebe slamt Asma ausdrucksstark mit kleinen Gesten und englischen Worten. Die Fremdsprache ist für die Muslima wichtiger Teil der Performance – und ein gewisser Schutz in dem arabischen Land. Denn von lesbischer Liebe öffentlich zu reden sprengt im Libanon viele Tabus, religiöse wie staatliche. Lieben und leben nach eigenem Gusto, das passt bei keiner der im Land vertretenen Religionen ins Moralraster der Tugend- und Sittenwächter.
Aber Beirut bietet Platz für Subkulturen und offiziell Verbotenes. Die Club- und Hallenbetreiber, die auch mit der queeren Szene ein Geschäft machen, sollen einflussreiche Leute sein, heißt es. Da hält sich die Polizei mit Kontrollen zurück. Man bleibt unter sich. Schlupfwinkel sind wichtig für die Community, doch nicht genug. Duldung ersetzt keine Rechte. Selbsthilfe ist gefragt, eine der Organisationen heißt Helem. Wer etwa wegen des Andersseins von der Familie hinausgeworfen oder gar bedroht wird, bekommt Soforthilfe. Es gibt rechtliche und Gesundheitsberatung. Und Helem macht sich stark für gesellschaftliche und staatliche Gleichbehandlung. Eine Ehe für alle wird es im Libanon dennoch so bald nicht geben.

*Akzent*

Eine Ehe für alle wird es im Libanon allein deshalb so schnell nicht geben, weil es in dem Land bisher überhaupt keine zivile Eheschließung gibt. Geheiratet wird nach den Regeln der jeweiligen Religion. Und deren Regeln akzeptiert der Staat – ohne näheres Hinsehen. Das Nachsehen bei dem Verfahren haben vor allem die Frauen. Wer den Mann verlässt oder von ihm verlassen wird, muss früher oder später auch auf die Kinder verzichten. Das Sorgerecht bekommt der Vater. So wollen es die hochwürdigen Herren aller Religionen im Land. Bischöfe, Imame und Patriarchen haben bisher in großer Einmütigkeit die Einführung einer standesamtlichen Eheschließung verhindert. Ein interreligiöser Pakt, um die Vorrechte der Männer und die eigene Machtposition zu bewahren. Während libanesische Frauenorganisationen weiter für eine Zivilehe kämpfen, ist der Heiratstourismus nach Zypern zum guten Geschäft geworden.

*Musik 6*

Beirut. Die Skulptur am Märtyrerplatz ist zerschossen, ein Mahnmal. Wer von hier Richtung Süden zur Damaskusstraße geht, kommt an grauen Hochhausskeletten vorbei, an aufgelassenen Ruinengrundstücken, aber auch an aufwändig renovierten Häusern. Hier verlief im libanesischen Bürgerkrieg die sogenannte Greenline zwischen West- und Ostbeirut, die muslimische und christliche Stadtviertel voneinander trennte. Noch immer sind in Beiruts Zentrum Spuren dieses Kriegs zu sehen, der von 1975 bis 1989 im Land tobte. Zu sagen, es wäre ein reiner Religionskrieg gewesen, einer zwischen Christen und Muslimen, wird der Sache aber nicht gerecht. Der libanesische Bürgerkrieg ist eine komplizierte Angelegenheit. Es galt die Devise: Wer gestern mein Feind war, ist heute mein Freund. Und morgen? Kommt drauf an. Im Libanonkrieg wechselten die Bündnisse und Koalitionen mehrmals. Im Laufe der blutigen Auseinandersetzungen wurden viele offene Rechnungen beglichen, zwischen Kriegsherren und Familienclans sowie innerhalb und zwischen den Religionen. Mehr noch: Was die Gesellschaft des Libanon 15 Jahre lang zerrieb und zerriss, war nicht nur ein Bürgerkrieg. Es war auch ein Stellvertreterkrieg, eine Auseinandersetzung um die Macht im Nahen Osten. Ein Krieg mit massiven ausländischen Interventionen. Beteiligt waren Israel, Syrien, Saudi-Arabien, die USA und der Iran, um nur die wichtigsten zu nennen. Syrisches Militär blieb bis 2005 im Libanon stationiert, als Besatzungsmacht oder – freundlicher formuliert – als Garant des Waffenstillstands, mit dem der Bürgerkrieg endete.

*Akzent*

Mehr als 100 000 Menschen verloren im Libanon während des Krieges ihr Leben, mehr als eine Million wanderte aus. Seit 1990 gibt es den Waffenstillstand, aber keinen vereinbarten Frieden. Viele Bücher sind seitdem über „die Ereignisse“ geschrieben worden, wie die Libanesen den Krieg beschönigend nennen. Viele Bücher, aber kein offizielles Buch für den libanesischen Geschichtsunterricht. Alle Schulbuchkommis-sionen scheiterten bislang. Es gibt keine Einigkeit über den Verlauf der Ereignisse, und schon gar nicht über ihre Deutung und Bewertung. Ob und wie die Geschichte des Bürgerkriegs im Unterricht behandelt wird, bleibt den Schulen und den Lehrkräften überlassen. Reden über den Bürgerkrieg, das ist für viele im Land ein Tabu. Auch dreißig Jahre danach. Aber nicht alle finden sich mit der Sprachlosigkeit ab. An der ehemaligen Greenline liegt das Haus Beit Beirut, einst ein architektonisches Juwel der Hauptstadt, im Krieg schwer beschädigt und danach mit all seinen Wunden und Narben als Gedenkstätte hergerichtet. In Beit Beirut hält gerade eine Fotoausstellung die Erinnerung an die blutigen Ereignisse wach. Weiter im Süden der Stadt baut der Verein UMAM seit Jahren ein Archiv auf, mit Originaldokumenten und Zeitzeugenaussagen, um Spuren zu sichern und eine Auseinandersetzung mit Fakten und Gefühlen zu ermöglichen. Memory at work heißt das Projekt und viele der Dokumente sind inzwischen Online zugänglich. Solche Projekte gehen fast immer auf Initiativen der Zivilgesellschaft zurück, unterstützt von ausländischen Förderern. Mit dem Ziel: Tabus brechen und Raum fürs Erinnern schaffen, eine Sprache finden für das Geschehene und Erlittene - als Voraussetzung für Demokratie und Versöhnung.

*Musik 7*

Die Ausgrabungsstätte ragt weit ins Meer hinaus. Bei guter Sicht sind am anderen Ende der breiten Bucht die Hochhaus-Riesen von Beirut zu sehen: Byblos ist einer der touristischen Anziehungspunkte im Libanon. Seit 1984 gehört Byblos zum Weltkulturerbe. Der Ort schaut auf eine 7000jährige Geschichte zurück. Wer im Laufe der Jahrhunderte nicht alles durch diesen Landstrich gezogen ist: die Ägypter, die Assyrer, die Perser, die Griechen, die Römer, die Byzantiner, die Kreuzritter, die Osmanen. Aus dem 5. Jahrtausend vor Christus stammen die ältesten Siedlungsspuren. Das, was hier an der Meeresküste ausgegraben wurde, erinnert vor allem an die Herrschaft der Phönizier. An ein Volk, das im ersten Jahrtausend vor Christus einflussreich war. Unter den Phöniziern blühte der Seehandel im gesamten Mittelmeer, sie unterhielten Stützpunkte von Byblos über Malta bis Tanger und Cádiz. Was die Phönizier außerdem berühmt machte: Sie entwickelten die erste bekannte Alphabetschrift. Es war ein semitisches Volk, gehörte also zur gleichen Sprachfamilie wie die Araber oder die Hebräer. Auch von den Eroberern, die nach den Phöniziern kamen, sind in Byblos einzelne Spuren zu finden. Groß und mächtig steht beispielsweise die Ruine einer Kreuzritterburg mitten im Ausgrabungsgelände. Nach den Kreuzzügen verlor der Ort dann an Bedeutung, Byblos blieb ein einfaches Fischerdorf. Bis die französischen Archäologen kamen und mit den Ausgrabungen begannen.

*Akzent*

Beirut, Paris des Nahen Ostens. So wurde die libanesische Hauptstadt früher gerne bezeichnet. Das war vor dem Beginn des Bürgerkriegs, ist also fast 50 Jahre her. Auf alten Schwarz-weiß-Postkarten ist etwas von diesem Flair zu erahnen. Es gab der Stadt den Beinamen „Paris des Nahen Ostens“. Zu sehen sind: Stattliche Bürgerhäuser mit Erkern und Nischen und schmiedeeisernen Balkonen, gepflegte Boulevards, auslandende Plätze mit Elementen französischer Gartenbaukunst. Nur die von Palmen gesäumten Alleen lassen Paris vergessen. Heute präsentiert sich Beirut mit einer schier endlosen Anzahl an Wolkenkratzern aus Stahl, Glas und Beton. Mit teils extravaganter Architektur. Für ein Publikum, das sich Extravaganz leisten kann. In direkter Nachbarschaft stehen die Überbleibsel des Bürgerkriegs.
In einzelnen Stadtvierteln wie Gemayze lässt sich die französische Periode noch erahnen. Nicht nur die renovierten Bauten erinnern daran, sondern auch Straßen- und Firmenschildern und die Werbung in Französisch. Der Libanon war zwanzig Jahre unter dem Mandat Frankreichs, von 1923 bis 1943, von der Zerschlagung des Osmanischen Reiches bis zur Unabhängigkeit. Noch heute ist der Einfluss Frankreichs auf den Geldscheinen abzulesen, auf der einen Seite steht der Wert der Banknote in arabischen Ziffern und Buchstaben, auf der anderen Seite auf Französisch. War früher Französisch in den libanesischen Schulen die unumstrittene zweite Sprache neben dem Arabischen, so wird inzwischen immer öfter auch auf Englisch unterrichtet. Im Alltagsleben ist – bis auf wenige Ausnahmen – Englisch omnipräsent. Mc Donalds Drive Thru, Starbucks, Cadillac, es sind nicht nur die us-amerikanischen Marken, die mit ihrer Werbung das Stadtbild von Beirut beherrschen. Auch die vielen Beauty-Kliniken der Hauptstadt preisen auf Plakatwänden ihre Dienste in Englisch an: Eine junge Frau – überlebensgroß - zeigt strahlend ihre neugestaltete Brustpartie: perfect timing, perfect result. Auch für Schönheitsoperationen am Mann wird kräftig geworben.

*Akzent*

In der libanesischen Hauptstadt leben schätzungsweise 2 ½ Millionen Einwohner. Aber es gibt keinen öffentlichen Nahverkehr. Wer von A nach B kommen will, geht zu Fuß, fährt mit dem eigenen Auto, nutzt auf ausgewählten Strecken einen privaten Sammeltransport oder steigt ins Taxi. Die Taxifahrer in Beirut haben spezielle Kurzstreckentarife entwickelt. Das Leben in Stadt und Land ist teuer. Ein besonders krasser Fall sind die Preise für Strom und Wasser. Wer nicht mehrere Stunden am Tag auf Licht oder Wasser verzichten will, hat keine andere Wahl, als doppelt zu zahlen. An den staatlichen Pflichtanbieter, der jedoch weder bei der Elektrizität noch beim Wasser die Vollversorgung garantieren kann. Und an private Anbieter, die teils horrende Preise verlangen. Deshalb der Stoßseufzer der Libanesen: Es gibt keinen Staat! Die öffentliche Hand kann die Grundversorgung in vielen Bereichen nicht garantieren: Weder bei Strom und Wasser, noch bei der Müllabfuhr, noch bei Gesundheitsdiensten und sozialer Absicherung.

*Musik 8*

Ein bemerkenswerter Ort auf tausend Höhenmetern: „Mleeta Tourist Site. Where Land speaks to Heaven.“ Wo das Land zum Himmel spricht. So stellt sich die Gedächtnisstätte der Hisbollah im Süden des Libanon Besuchern vor. Mleeta, knapp 30 Kilometer von Israel entfernt. Ein bemerkenswerter Ort für Touristen. Hier oben präsentiert sich Hisbollah als die Widerstandskraft im Land, die es allein mit dem Feind aufgenommen hat und schließlich siegreich war. Der Feind, das ist Israel. Hisbollah, das ist Miliz und Partei zugleich, die Partei der Shiiten im Libanon. Bei uns im Westen wird Hisbollah schnell und gern mit einer Terrortruppe identifiziert, die gegen Israel kämpft. So einfach ist es aber nicht, auch wenn Mleeta, die Gedächtnisstätte der Hisbollah, alle Klischees zu bestätigen scheint. Im Freien ist allerhand erbeutetes israelisches Kriegsgerät zu sehen, im Wald sind Szenen nachgebaut, wie Hisbollah-Kämpfer dafür sorgten, dass Israel den Südlibanon im Jahr 2000 nach jahrzehntelanger Besetzung verließ. Die Hügel um Mleeta sind durchsetzt mit unterirdischen Wegen und Stollen aus dieser Zeit. Am martialischsten aber ist der Film für die Touristen. Auf Englisch, unterlegt mit bedrohlich wirkender Musik. Und Bildern, die den „enemy“ also Israel zeigen, wie er von der „resistance“ also der Hisbollah-Miliz aus dem Land gedrängt wird. Die Betreiber der Gedächtnisstätte Mleeta verstehen nicht, dass eine solche kriegerische Schau sämtliche Vorurteile gegen Hisbollah zu bestätigen scheint. Ihre Lesart geht so: Israel hatte den Südlibanon besetzt, war damit eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Nach internationalen Recht darf man sein Territorium verteidigen, wenn man angegriffen wird. Und Israel hat zwischen 1978 und 2006 mehrfach angegriffen. Da die Armee des Libanon für einen solchen Widerstandskampf in den Bergen nicht ausgerüstet ist, sagt Hisbollah, haben ihre Milizen den Kampf übernommen, mit dem richtigen Gerät, den richtigen Leuten, der richtigen Taktik. Erfolgreich. Diese Argumentation von Hisbollah wird im Libanon von vielen, wenn nicht den meisten unterstützt. Übrigens waren die Hisbollah-Milizen die einzigen, die nach dem Bürgerkrieg ihre Waffen nicht abgaben. Mit dem Argument: Keine Entwaffnung, solange Israel eine Gefahr für den Libanon darstellt. Alle libanesischen Regierungen seither dulden diese Praxis.

*Akzent*

Hisbollah ist nicht nur eine Miliz, sondern auch eine Partei, die Partei Gottes, wie die arabische Übersetzung heißt. Hisbollah wird vom Iran unterstützt, so wie die sunnitische Zukunftsbewegung von Saudi-Arabien finanziert wird. Geld gegen Einfluss. Sowohl Iran als auch Saudi-Arabien wollen die Politik des Libanon entscheidend mitbestimmen. Und nicht nur diese beiden Staaten. Das ist das große Dilemma des Libanon. Mit komplizierten innenpolitischen Folgen. Beispiel Hisbollah. Bei den jüngsten Parlamentswahlen war die Partei der Schiiten sehr erfolgreich, erhielt offenbar auch Stimmen von Sunniten und Christen. Nicht nur deswegen muss die Hisbollah-Fraktion im Parlament bedächtig agieren: Unter ihrem Dach gibt es parteilose Abgeordnete, die gewählt wurden, weil sie vor Ort als absolute Autorität gelten. Und zur Hisbollah-Fraktion gehören auch christliche Abgeordnete von der Freien patriotischen Bewegung. Das ist die Partei des maronitischen Staatspräsidenten Michel Aoun. Eine Konstellation, die uns befremdlich erscheinen mag. Aber solche Zweckbündnisse gibt es im Libanon auf allen Seiten. Taktische Winkelzüge und Arrangements auf Zeit – das ist es, was dieses Land im Nahen Osten bislang zusammenhält.

*Musik 9*

Wer sich mit der Geschichte des heutigen Libanon beschäftigt, erkennt wiederkehrende Muster: Diese Gegend zwischen Meer und Gebirge war für die jeweils herrschende Großmacht schwer zu kontrollieren, und für Eroberer ebenso. Denn für Aufmüpfige gab es immer schnelle Fluchtmöglichkeiten übers Wasser oder den Rückzug in die Berge. Kluge ferne Herrscher waren deshalb zufrieden, wenn die Bevölkerung vor Ort regelmäßig Abgaben zahlte und ruhig blieb. Auf diese Weise mischten sich in der Gegend spätrömische, byzantinische und arabische Einflüsse. Die Leute lebten ihr Leben. Im besten Fall. Denn, sagen Forscher, das war ein prekäres Gleichgewicht, schnell aus dem Lot zu bringen. Stabil blieb es nur dann, wenn niemand das Motto leben und leben lassen störte. Wenn man zusammenhielt, trotz aller religiösen und kulturellen Unterschiede. Wenn keiner der Familienclans auf die Idee kam, den Ton angeben und Macht auch über andere Clans ausüben zu wollen. Und ruhig blieb es auch immer nur solange, solange die fernen Herrscher sich raushielten.
Duldsamkeit gegenüber anderen Religionen, Austarieren der Machtbalance im Land, Fernhalten des Einflusses von außen – das wirkt wie eine Handlungsanleitung für den Libanon heute. Ein Rezept, um die sichere Existenz seiner Bevölkerung und die friedliche Entwicklung seiner Gesellschaft zu gewährleisten.

Absage:
Das war: Zedern, Zeltstädte, Zivilgesellschaft.
Ein Streifzug durch den Libanon
Manuskript und Sprecherin: Helga Ballauf