Verhaftungswelle gegen HDP und kurdische BürgermeisterInnen in der Türkei

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Am Morgen des 19. August wurden die Stadtverwaltungen von Diyarbakir, Mardin und Van von der türkischen Polizei umstellt worden. Ziel der Aktion war die Absetzung der demokratisch gewählten BürgermeisterInnen der Demokratischen Partei der Völker HDP. Außerdem kam es an diesem Tag zu einer Verhaftungswelle bei der in 29 Provinzen der Türkei 418 Mitglieder und UnterstützerInnen der HDP verhaftet wurden. Bereits 2016 kam es schon zu einer Absetzung von Gewählten BürgermeisterInnen in Kurdischen Städten. Damals wurden 90 von 103 BürgermeisterInnen kurdischer Städte ihres Amtes enthoben und viele von ihnen inhaftiert. Eine davon war Leyla Îmret, sie war bis September 2016 Bürgermeisterin von Cizre für die HDP. Inzwischen lebt sie in Deutschland und ist Co Vorsitzende der HDP in Deutschland. Radio Z Sprach mit ihr über die erneuten Absetzung von Bürgermeistern und der Lage in der Türkei.
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10:22 min, 14 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.08.2019 / 17:49

Dateizugriffe: 2331

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Radio Z - Stoffwechsel
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 20.08.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In den Städten Diyarbakir, Mardin und Van sind am Montag die Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen auf Betreiben des türkischen Innenministeriums ihres Amtes enthoben worden. Die Stadtverwaltung stellte seit den letzten Kommunalwahlen die Demokratische Partei der Völker HDP. Die HDP setzt sich ein für demokratie frauenrechte, ökologie und minderheitenrechte und steht der kurdischen Befreiungsbewegung nahe. Die Abgesetzten Stadtregierungen waren bei den letzten Kommunalwahlen im März 2019 mit jeweils über 50% der Stimmen gewählt worden. Um 6 Uhr morgens am vergangenen Montag hat die Polizei in Diyarbarkir, Mardin und Van die Rathäuser abgeriegelt und umstellt. Die Stadtverwaltungen wurden in der Folge sofort unter die kommissarische Leitung von Bürokraten der Regierungspartei AKP gestellt. Das türkische Innenministerium begründete in einer Stellungnahme die Aktion mit Ermittlungen wegen Terrorvorwürfen. Mit Terrorvorwürfen meint der Türkische Staat in der Regel eine Mutmaßliche Zusammenarbeit oder positive äußerungen über die Verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK. Die PKK führt seit 1984 einen Guerillakrieg gegen den türkischen Staat. Anfangs war das Ziel der PKK einen eigenen Kurdischen Staat zu gründen, inzwischen verfolgt die PKK das Programm des demokratischen Konförderalismus. Grob gesagt verfolgt das Programm des demokratischen Konföderalismus den Aufbau von demokratischen Räten als demokratische Selbstverwaltung des Volkes. Anfang 2013 rief die PKK einen einseitigen Waffenstillstand aus und es begannen Friedensverhandlungen mit dem Türkischen Staat. 2015 Brach die türkische Regierung nach den Parlamentswahlen die Friedensverhandlungen ab und begann mit Attacken gegen Stellungen der PKK im Nordirak. In der Folge begann auch eine verstärkte Repression gegen die kurdische Bevölkerung im Osten der Türkei und ihre gewählten VertreterInnen. In Folge des Abbruchs der Friedensverhandlungen und nach dem Putschversuch 2016 baute Präsident Erdogan die Türkei zu einem Präsidialregime um. Demokratische Rechte wurden weiter eingeschränkt und der Ausnahmezustand verhängt. Das Türkische Militär führte Krieg gegen die Bevölkerung in den kurdischen gebieten so wurde beispielsweise 2016 die Altstadt von Diyabakir erst Belagert und danach fast vollständig zerstört. Ein Höhepunkt im Angriff auf demokratische Rechte wurde ebenfalls 2016 erreicht. Während des Ausnahmezustands 2016 wurden 90 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen kurdischer Städte ihres Amtes enthoben und viele von ihnen inhaftiert. So auch Leyla Imret die Bürgermeisterin von Cizire einer Stadt im Südosten der Türkei nahe der Syrischen Grenze. Inzwischen lebt Leyla Imret in Deutschland und ist Deutschlandvorsitzende der HDP. Sie Schildert dass damalige Vorgehen des Türkischen Staates:

O-Ton Leyla Imret

Laut Türkischen Gesetz müsste der Stadtrat nach Zwei Monaten einen Vertreter des Enthobenen Bürgermeister Wählen. Leyla Imret schildert dass die AKP Regierung aufgrund des Ausnahmezustands ein Dekret erlies das es ihr ermöglichte einen eigenen Vertreter für die vom Amt enthobenen Bürgermeister zu bestimmen. Das passierte dann auch. Statt einem vom Stadtrat gewählten Vertreter wurde ein vom Innenministerium bestimmter AKP Gouvaneur als Bürgermeister bestimmt. Weiter schildert Leyla Imret im Interview das in ihrem Fall die Vorwürfe gegen sie durch das Innenministerium konstruiert wurden und sie sich immer noch gegen die Vorwürfe wehrt.

O-Ton Leyla Imret

Die Vorwürfe der Terrorunterstützung hält sie für Konstruiert, vielmehr liegt ihrer meinung nach der Grund in den Misserfolg der AKP die Kurdischen Gebiete durch Wahlen unter Kontrolle zu bekommen

O-Ton Leyla Imret

Deshalb schätzt Leyla Imret die Amtsenthebungsverfahren weniger als eine Strafrechtliches Verfahren sondern mehr als ein Politisches verfahren ein

O-Ton Leyla Imret

Und dieser Politische Druck hält bis heute an. Denn Am vergangenen Montag wurden nicht nur die 3 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen ihres Amtes enthoben sondern auch über 400 Menschen Verhaftet. Betroffen waren nach Informationen der kurdischen Nachrichtenagentur Firat vor allem HDP-Politiker und Aktivisten, darunter kommunale Mandatsträger und Provinzvorstandsmitglieder.

Gegen diese erneute Repressionswelle erhob sich in ganz Europa Protest. In Deutschland gab es am Montag allein in über 20 Städten Protestkundgebungen. Auf den Protestkundgebungen wurde eine Verurteilung der Vorkommnise durch die Bundesregierung gefordert und es wurde sich mit den Betroffenen Solidarisiert. In Nürnberg rief am Montag das Bündnis Frieden in Kurdistan zu einer Kundgebung am Hallplatz auf der sich über dreißig menschen anschlossen. Doch nicht nur in Europa gingen Menschen Auf der Straße. In der Türkei halten die Proteste gegen die Verhaftungen und die Amtsenthebungen an. In Diyarbakir, Mardin, Van und einigen Weiteren Städten gibt es Anhaltenden Protest. Laut Leyla Imret reagiert der Türkische Staat gewaltsam auf den Protest und versucht diesen zu unterbinden

O-Ton Leyla Imret

Zusammenfassend sind die Jüngsten Verhaftungen ein weiteres deutliches Zeichen das in der Türkei von demokratischen Verhältnissen keine Rede mehr seien kann. Laut Human Rights Watch sind im Moment über 48.000 politische gefangene in der Türkei Inhaftiert. Zu diesen sind nun am Montag nochmal 418 dazugekommen. Die HDP ist dabei besonders im Fokus der Politischen Repression, denn es sind seit jahren immer noch gewählte Abgeordnete sowie die Ehemaligen Vorsitzenden der HDP Figen Yügsedag und Selahattin Demirtas. Vor diesem Hintergrund ist die position der Bundesregierung um so bezeichnender. Im gegensatz zur EU und deutschen Oppositionspolitikern gab es bis jetzt keine Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorgängen in der Türkei. Das ist wenig verwunderlich vor dem Hintergrund der bisherigen Unterstützungs Deutschlands für das Erdogan Regime. Dazu äußerte sich die Linkspartei Abgeordnete Ulla Jelpke: „Dieses Manöver stellt einen perfiden Angriff auf jegliche Opposition dar. Durch den schmutzigen EU-Türkei-Flüchtlingsdeal pumpen die EU und allen voran Deutschland Milliarden Euro in die türkische Diktatur, aus Deutschland werden Panzer geliefert, die in Angriffskriegen gegen Nachbarländer und die kurdische Bevölkerung in der Türkei eingesetzt werden. Diese Finanzhilfen stellen für das wirtschaftlich angeschlagene Regime eine wichtige Stütze dar. So macht sich die Bundesregierung an den Verbrechen in der Türkei mitschuldig. Die Bundesregierung kungelt lieber mit Putschisten und Kriegsverbrechern, als sich offen an die Seite der demokratischen Opposition gegen das autokratische Regime zu stellen. Das ist einfach nur widerwärtig."


Kommentare
21.08.2019 / 18:01 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 21.8.. Vielen Dank!
 
22.08.2019 / 19:34 Stefan, Freies Radio Neumünster
Danke!
Haben wir am 22.8.2019 übernommen.