Warum läuft Herr L. Amok?

ID 9703
 
Kaum ist Oscar Lafontaine zum Sprecher der Wahlalternative Arbeit und Gerechtigkeit gemacht worden, mit aller Freiheit, zu sagen und zu fühlen, wozu er Lust hat, ohne jede Anbindung an Beschlüsse und Grundüberzeugungen der WASG, da haut Oscar schon den Lucas, daß die Jauche spritzt.
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07:34 min, 3544 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 28.06.2005 / 18:30

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Hermann Ploppa (RUM)
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 28.06.2005
keine Linzenz
Skript
Warum läuft Herr L. Amok?

Kaum ist Oscar Lafontaine zum Sprecher der Wahlalternative Arbeit und Gerechtigkeit gemacht worden, mit aller Freiheit, zu sagen und zu fühlen, wozu er Lust hat, ohne jede Anbindung an Beschlüsse und Grundüberzeugungen der WASG, da haut Oscar schon den Lucas, daß die Jauche spritzt.

Dumpfeste Ressentiments der Dreißiger bis Fünfziger Jahre werden wachgerufen und ermuntert, daß den Neonazis in Deutschland das Wasser im Munde zusammenläuft.

Beispiel 1:
Oscar und die „Fremdarbeiter„. Gesagt hat Oscar in Chemnitz, daß der Staat eingreifen muß, um deutsche Familienväter vor der Konkurrenz von „Fremdarbeitern„ zu schützen.
Zunächst zum Begriff „Fremdarbeiter„: gemeint waren damit in der Nazizeit zunächst relativ freiwillig angeworbene Vertragsarbeiter, vornehmlich aus Polen. In der Wahrnehmung der Bevölkerung verschmolz diese Gruppe später mit den zwangsverschleppten Menschen aus den östlichen Nachbarländern, die in Deutschland Zwangsarbeit verrichten mußten. Der Begriff blieb in der Bundesrepublik zunächst bis in die frühen Sechziger Jahre gebräuchlich. Als die Bundesrepublik Arbeiter aus Italien und Spanien anwarb, kam der Begriff „Gastarbeiter„ in Gebrauch. Der Begriff „Fremdarbeiter„ war seitdem geächtet, denn er verleugnet ja seinem Sinne nach jeden Ansatz zur Integration von Menschen ohne deutschen Paß.
In der DDR gab es die offizielle Rhetorik von der internationalen Solidarität. Tatsache ist jedoch, daß vietnamesische und mosambikanische Vertragsarbeiter isoliert in unbesiedelten Gegenden in Baracken untergebracht wurden. Sie wurden von den DDR-Bürgern ungeniert als „Fidschis„ und „Kanacken„ tituliert. Frauen, die Bekanntschaften mit Vertragsarbeitern unterhielten, wurden als „Niggernutten„ diffamiert.
Auch sechzehn Jahre nach dem Ende der DDR hat sich an der Stimmungslage nichts Wesentliches geändert. Massenarbeitslosigkeit und - nach der Wende ruinierte Sozialstrukturen haben neues Rohmaterial für Ausländerfeindlichkeit hineingebracht. Auf diesem Humus steht WASG-Mann Oscar Lafontaine und macht den integrationsverneinenden Begriff „Fremdarbeiter„ auch bei Linken salonfähig.
Das Schäbige an Lafontaines Rechtspopulismus liegt darin, daß auch er die öffentliche Aufmerksamkeit auf die die armen Schlucker aus der Slowakei richtet, anstatt die von EU-Kommissar Bolkestein eingerichtete Verordnung zu geißeln, die es möglich macht, slowakische Arbeiter in Deutschland nach slowakischen Sozialgesetzen zu beschäftigen. Da gibt es ja das krasse Beispiel, daß in Chemnitz ein deutscher Metzgerbetrieb deutsche Metzger komplett entlassen und slowakische Metzger zu slowakischen Tarifen eingestellt hat.

Was tut Lafontaine anderes, als die Underdogs in Deutschland und der Slowakei gegeneinader aufzuhetzen?

Seltsam bis erschreckend in diesem Zusammenhang die Duldung dieser rechtspopulistischen Ausfälle durch die PDS- und WASG-Basis.
Was denken diese Leute? Vielleicht: is ja schön, daß der Oscar den rechten Rattenfängern ein paar Stimmen abjagt.
Das haben schon andere „Linke„ versucht. Die französische Kommunistische Partei hat immer wieder Front gemacht gegen die algerischen „Fremdarbeiter„. Dadurch ist aber der Stimmenanteil von LePen immer weiter hochgegangen, denn man denkt sich auch im linken Lager: wenn auch Linke sowas tun, dann muß ja was Wahres dran sein. Folge für Frankreich: die Wähler geben je nach Wetterlage mal den Kommunisten, mal LePen ihre Stimme. Gesamtfolge: die politische Mitte ist nach rechts geglitscht.
Beispiel USA: Bill Clinton hat seine Präsidentschaft gewonnen, indem er sagte: Sozialhilfe, wie wir sie bislang kennen, wird es unter meiner Regie nicht mehr geben. Er wollte den Republikanern den Wind aus den Segeln nehmen, und gab ohne Not die sozialen Bestandsgarantien der Demokraten preis. Folge: die Republikaner gingen jetzt noch erheblich weiter. Heute gibt es in den USA keine Sozialhilfe des Bundes mehr. Die Einzelstaaten geben einem Menschen für sein ganzes Leben maximal drei Jahre Sozialhilfe, und dann kann der Bedürftige auf der Straße verrecken.
Also, den Feind mit seinen eigenen Mitteln schlagen, funktioniert in einer Wahldemokratie so nicht. Die vorangegangenen Überlegungen unterstellen Lafontaine, daß er sich überhaupt viel mehr gedacht hat, als nur: wie komme ich in die Abendnachrichten?

Aber Oscar L. legt nach. Nun wendet er sich entschieden gegen den Beitritt der Türkei in die EU. Seine Begründung: die Osterweiterung war schon eine Überforderung für die EU. An der Türkei verschlucken wir uns.
Dumpfbackentum hoch drei. Die Entzauberung des Wunderheilers Oscar hat begonnen. Offensichtlich kann sich Oscar keine guten Berater mehr leisten. Die hätten ihm sagen müssen, daß die Aufnahme der ehemaligen Ostblockländer überhaupt keine Probleme für die „angestammten„ EU-Länder gebracht hat. Die Probleme der EU resultieren aus Agrarsubventionen und „Britenrabatt„. Sowie aus bürokratischer Ineffizienz und aus Klientelismus, sprich: Vetternwirtschaft.
Und was die Türkei angeht, so ist bekannt, daß die Aufnahme der Türkei erst nach einem behutsamen Annäherungsprozeß von mindestens zehn Jahren beabsichtigt ist. Außerhalb der Grüfte der rechtsradikalen katholischen Laienbruderschaft von Opus D e i und dumpfer deutschnationaler Stammtische besteht Einigkeit darüber, daß es nichts Vernünftigeres gibt, als die Türkei mit ins Boot zu holen. Die Türkei befindet sich in gefährdeter Randlage zu durch die USA destabilisierten Regionen. Reiche saudiarabisch-wahabitische Fundamentalisten haben ein vitales Ineresse daran, auch aus der Türkei ein Land unter islamischem Gesetz zu machen. In der Türkei selber gibt es jedoch einen mehrheitlichen Wunsch, ohne wahabitische Bevormundung leben zu dürfen. Die jetzige Regierung Erdogan wird getragen von einer gemäßigt islamischen Volkspartei. Um demokratischen Standards zu entsprechen, sind schon Fortschritte gemacht worden. Es ist ein weiter Weg zum EU-Niveau, was die Menschenrechte angeht. Aber wer die Bemühungen der türkischen Säkularisten und der gemäßigten Muslime zurückstößt, arbeitet den Fundamentalisten in den in den USA und Saudiarabien in die Hände.
Was hat also Oscar L. hier wieder geritten? Lafontaine ist praktizierender Katholik. Es ist seine Privatsache, wenn er unbedingt an die unbefleckte Empfängnis der Heiligen Mutter Gottes glauben möchte. Müssen wir demnächst noch damit rechnen, daß Lafontaine sich nicht nur in der BUNTE von Gauweiler interviewen läßt, sondern mit Stoiber zusammen den Schutz des christlichen Abendlandes vor „fremden Kulturen„ einfordert?

Daß Lafontaine ein hemmungsloser Populist ist, war uns klar. Das beinhaltet jedoch nicht, daß Lafontaine im Namen der WASG rechtspopulistische Ressentiments salonfähig machen darf.

Kommentare
29.06.2005 / 13:30 zip, Radio Unerhört Marburg (RUM)
zip
beitrag gesendet in zip-fm 29.06.05