Artensterben / Artenfinden - eine leicht satirische Wissenschaftsglosse mit aktuellen Beispielen aus Forschung und Wissenschaft. Diesmal: der vietnamesische Maushirsch und das pakistanische Hirschferkel

ID 98695
 
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Ausgehend von aktuellen Forschungsergebnissen zum Artensterben bzw. Wiederfinden ausgestorben geglaubter Arten habe ich mich des Themas in leicht satirischer Form angenommen.

Die Sendung ist Teil 2 einer Reihe.
Der erste Teil beschäftigte sich mit der "Weltkarte der Regenwürmer" und der Geschichte der Tiere.

Diesmal geht es dagegen um kleine Säugetiere aus Asien. Aber hört selbst.
Audio
06:21 min, 15 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 28.11.2019 / 20:04

Dateizugriffe: 1961

Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt, Internationales, Andere
Serie: "Aktuell" bei Radio Blau
Entstehung

AutorInnen: Danny Walther
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 28.11.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Meine Damen und Herren – der vietnamesische Maushirsch ist wieder da!

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen: War er weg? War er weg? War er weg?

War er.
29 Jahre lang.

Allerdings war der vietnamesische Maushirsch in den Jahren davor auch nicht gerade als Rampensau bekannt. Um genau zu sein, war die Art bis ins 20. Jahrhundert hinein vollkommen unbekannt und wurde 1910 überhaupt zum ersten Mal beschrieben. Allerdings gab es zur Beschreibung keinerlei Fotos der Tiere, weshalb jeder, der wissen wollte: „Wie sieht denn der vietnamesische Maushirsch eigentlich aus?“ - Die Antwort bekam: „Wie eine Mischung aus Reh und Hase.“ Was irgendwie verwirrend ist, wenn man es nach Stunden intensivster Gehirnakrobatik geschafft hat, sich eine Mischung aus Hirsch und Maus vorzustellen.

Aber sei's drum. Der vietnamesische Maushirsch ist sowieso ein ganz eigenes Geschöpft und weder mit einer Maus noch mit einem Hirsch verwandt, und deshalb stellen Sie sich – wenn Sie an den vietnamesischen Maushirsch denken - am besten ein Reh in der Größe eines Hasen vor, nur ohne Geweih und mit dünneren Beinen. Dafür hat das Tier einen silbernen Streif auf dem Rücken – was allerdings ein Problem ist. Denn so ein Silberstreif sieht zwar schön aus, ist aber alles andere als vorteilhaft, wenn jemand mit großem Hunger und einer Silberbüchse in der Hand in den Wald kommt und es im Unterholz leuchten sieht...

Und genau das ist 1990 geschehen. Damals hat ein Jäger die letzten fünf bekannten Tiere erlegt – und damit war aus die Maus. Und der Hirsch gleich mit.

Zmindest bist jetzt. Denn jetzt haben Wissenschaftler den vietnamesischen Maushirsch wiedergefunden. Geholfen haben ihnen dabei Einheimische und 30 Kamerafallen, die die Wissenschaftler daraufhin in den Wäldern Ost-Vietnams versteckt hatten. Innerhalb von sechs Monaten sind die Maushirsche gleich 200 Mal in diese Kamerafallen reingetappt, was – wie ich finde – ganz schön viel ist und den Schluss nahelegt, dass der vietnamesische Maushirsch in Wahrheit doch eine ganz schöne Rampensau ist.

Spannend, nicht wahr? Aber ich sag Ihnen noch was. Der vietnamesische Maushirsch ist nicht der Einzige, der wieder da ist. Das pakistanische Hirschferkel ist nämlich auch zurück.

Grundgütiger, werden Sie sich jetzt denken, ich hab's gar nicht vermisst.

Aber ich kann Ihnen den Zweifel und die Verwunderung nehmen. Das pakistanische Hirschferkel war nämlich gar nicht da. Zumindest nicht, seitdem wir auf der Welt sind. Mit anderen Worten: Das Vieh ist schon ausgestorben bevor der Mensch angefangen hat, über den Planeten zu trampeln. Was so gesehen ja fast schon eine gute Nachricht ist. Ich meine, wenn die eigene Art mal nicht für das Verschwinden einen anderen verantwortlich gemacht werden kann.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, gestorben wurde schon immer und ausgestorben erst recht. Allein für die letzten 540 Millionen Jahre sind fünf große Artensterben belegt. Nur – seid das Tier namens Mensch beim großen Leben-und-nicht-leben-lassen-Spiel mitmachen, geht die Sache um ein paar hundert Mal schneller und zieht auch immer weitere Kreise. Denn fest steht: Von den 200 großen Säugetierarten, die in den vergangenen 135.000 Jahren verschwunden sind, hat der Mensch den meisten den Garaus gemacht. Und da wollen wir von den ausgestorbenen Insekten, Fischen, Vögel und Pflanzen gar nicht reden.

Weshalb ich mich an dieser Stelle auch wieder zurück zum pakistanischen Hirschferkel begebe, denn das hat es vor mehreren Millionen Jahren ohne die Hilfe des Menschen geschafft, das Zeitliche zu segnen. Das erklärt auch, warum es zwischen all den anderen Hirschferkeln bisher gar nicht als eigenständige Art bekannt war. Bis jetzt. Denn jetzt haben sich Wissenschaftler aus Bayern der Sache angenommen und die Zähne verschiedener Hirschferkel vermessen, die ein Kollege von ihnen 1955 im pakistanische Gebirge gesammelt hatte. Warum die Zähne fast 65 Jahre rumlagen, bevor mal jemand auf die Idee kam, sie zu untersuchen, weiß ich zwar nicht. Aber angesichts der Tatsache, dass die pakistanische Hirschferkel schon vor Millionen von Jahren ausgestorben sind, schien die Sache mit der Gebissanalyse vielleicht auch nicht so dringend.

Umso größer war jetzt aber die Überraschung, denn die Wissenschaftler entdeckten nicht nur die pakistanischen Hirschferkel, sondern stellten auch fest, dass einzelne Hirschferkel-Arten damals in Asien und Europa gleichzeitig beheimatet waren.

Heute dagegen gibt es Hirschferkel nur noch an wenigen Stellen in Zentralafrika und Südost-Asien. Und vom pakistanischen Hirschferkel gibt es gar kein Exemplar mehr. Das einzige, was von den Tieren übrig geblieben ist, sind ein paar Unterkieferfragmente.

Aber so ist das nun mal: Erst wird ausgestorben, dann wird ausgestopft, und zum Schluss malt man sich aus, wie es mal war.

Wobei ich Sie in diesem Fall womöglich enttäuschen muss. Denn wenn Sie sich beim pakistanischen Hirschferkel die ganze Zeit eine Mischung aus einem Hirsch und einem Ferkel vorgestellt haben, dann können sie jetzt aufhören damit. Die Tiere sind zwar mit Hirschen, aber nicht mit Schweinen verwandt, sondern mit Giraffen. Allerdings werden sie nur 20 bis 35cm hoch. Was nicht gerade nach Giraffe klingt - aber auch nicht weiter schlimm ist, denn nach einem Hirsch sehen die pakistanischen Hirschferkel auch nicht aus, denn sie haben weder ein Geweih noch sonst einen Kopfschmuck. Dafür sind die pakistanischen Hirschferkel aber mit den vietnamesischen Maushirschen verwandt. Und wenn Sie es schaffen sich vorzustellen, wie eine Mischung aus vietnamesischen Maushirsch und pakistanischem Hirschferkel aussieht, dann, ja dann erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal eine weitere Geschichte.

Also, geben Sie dem großen Affen namens Vorstellungskraft Zucker und lassen sie's krachen im Kopf. Dann bekommen sie nämlich nicht nur neue Tiere zu sehen, sondern auch bald wieder etwas Neues zu hören.

In diesem Sinne - bis zum nächsten Mal, wenn es heißt:
Die amerikanische Pantoffelschnecke auf der Anklagebank. Hat sie die Europäische Auster ermordet?

Nun, wir werden's erfahren...