Palästinensische Flüchtlinge im Libanon / Teil 1

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Fast täglich ist der Nahe Osten in den Schlagzeilen. Zumeist ist es der israelisch-palästinensische Konflikt, über den berichtet wird – oder Krieg und bewaffnete Konfrontation im Irak. Selten wird über den Libanon berichtet und noch seltener über die palästinensischen Flüchtlinge, von denen offiziell 400 000 dort in Flüchtlingslagern leben.

Dabei ist die Situation dieser Leute haarsträubend. In den letzten Jahren hat nicht nur die UN fast sämtliche ihrer Hilfsprogramme eingestellt, sondern auch die PLO. Damit sind die beiden größten Arbeitgeber verschwunden, und mit ihnen die Finanzierung der Schulen, der medizinischen Versorgung, der Lebensmittelhilfe. In den Verträgen, die im Rahmen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses unterzeichnet wurden, werden die Flüchtlinge nicht einmal erwähnt. Der libanesische Staat verweigert ihnen die bürgerlichen Rechte und macht ihnen mit neuen Gesetzen das Leben immer schwieriger.

Unser Beitrag schildert die Situation im Juni/Juli 2005. Mittlerweile hat sich die Lage ein klein wenig verbessert: In handwerklichen und in Büro-Berufen sind die Arbeitsverbote aufgehoben. Hintergrund dieser erfreulichen Entwicklung ist der Abzug von zuletzt ca. 14 000 syrischen Soldaten und eine weit verbreitete antisyrische Stimmung, die vor den Wahlen vom Mai zu teilweise tödlichen Übergriffen auf syrische Gastarbeiter geführt hat. Im Rahmen dieser Ereignisse haben viele SyrerInnen das Land verlassen, was in einigen Sektoren zu einem Arbeitskräftemangel geführt hat.
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Upload vom 11.08.2005 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Salon Rouge
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 11.07.2005
keine Linzenz
Skript


PALÄSTINENSISCHE FLÜCHTLINGE IM LIBANON
Ein Radiobeitrag des Salon Rouge, Juli 2005

[O-Ton Straßenlärm]

Beirut im Sommer 2005. Eine von Schlaglöchern übersäte, staubige Straße direkt hinter dem Sportstadion im Südwesten der Stadt. Dicht an dicht drängen sich hier ärmliche Buden, an denen die unterschiedlichsten Waren feilgeboten werden: Besen und Bürsten, Obst und Gemüse, selbst gebrannte CDs, Fleisch, T-Shirts, gebrauchte Kühlschränke. Wir sind in Schatila, einem Elendsviertel.

Doch Schatila ist mehr als nur ein Elendsquartier. Es ist auch ein Flüchtlingslager. Palästinenserinnen und Palästinenser, die vor den kriegerischen Auseinandersetzungen 1948 und 1967 flohen, haben hier eine Unterkunft gefunden. Heute leben die Flüchtlinge bereits in der dritten und vierten Generation in Schatila.

Schatila ist eines von zwölf palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon. Insgesamt 400.000 registrierte Flüchtlinge zählt die UN im Land, tatsächlich gibt es aber zahllose mehr, denn registriert sind nur die, die in Lagern leben. Und auch jene Menschen und ihre Nachkommen, die nicht 1948 geflohen sind, sondern nach dem Sechstagekrieg 1967, sind in der genannten Zahl nicht erfasst – ebenso wenig wie die schätzungsweise 100.000 Menschen, denen die israelische Militärverwaltung in der Westbank und in Gaza die Residenzrechte entzogen hat und die im Libanon leben.

Die wenigsten Straßen in Schatila sind so breit, dass ein Auto darin fahren könnte. Genau genommen ist das Wort Straße hier unangebracht, denn in Schatila bewegt man sich in einem Labyrinth winziger Gässchen, von denen viele kaum einen Meter breit sind - über dem Kopf ein Gewirr von Stromkabeln, Telefonleitungen und Rohren, unter den Füßen plattgetretene Erde oder kaputter Beton. Seit das benachbarte Lager Sabra im Bürgerkrieg zerstört wurde und seine Bewohner gezwungen waren, ins überbevölkerte Schatila überzusiedeln, ist die Einwohnerzahl des Elendsviertels auf das Vierfache angeschwollen. Längst leben nicht mehr nur Palästinenserinnen und Palästinenser hier, auch viele Leute aus anderen Ländern sind hierher gezogen.

Abu Mujahad, der Direktor des Jugendzentrums von Schatila, beschreibt die Situation:

[O-Ton Abu Mujahad 1]

Auf fast 40.000 Quadratmetern, das Lager ist etwa 200 Meter lang und 200 Meter breit, leben zwischen achtzehn- und zwanzigtausend Menschen. Hier wohnen Libanesen, Syrer, Sinti und Roma, Kurden, Iraker, Jordanier, Ägypter und andere Nationalitäten. Was sie alle mit den Palästinensern gemein haben, ist die Armut.

Armut hat die palästinensischen Flüchtlingslager von Anfang an geprägt. Die geflohenen Feudalfamilien und die wohlhabenden Palästinenser aus der Handels- und Finanzbourgeoisie hatten kaum Schwierigkeiten, sich ins wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben des Libanon zu integrieren. Auch die Angehörigen der Mittelklasse schafften es mehr oder weniger schnell, sich zu etablieren. Nur die Habenichtse, die landlos gewordenen Bauern und städtischen Armen, hatten keine andere Wahl, als in die eilends improvisierten Flüchtlingslager zu gehen.

Die Situation dort, das betont Abu Mujahad, ist bis heute nicht nur von Armut geprägt, sondern auch von Entrechtung – zwei Faktoren, die eng zusammenhängen:

[O-Ton Abu Mujahad 2:]

Diesem Ort wird, wie allen anderen Flüchtlingslagern, von der libanesischen Regierung sämtliche Infrastruktur vorenthalten. Und alle bürgerlichen Rechte. Denn die libanesische Regierung betrachtet das Gesellschaftsleben in den Lagern als Angelegenheit der Vereinten Nationen. Und so enthält die libanesische Regierung den Palästinensern das Recht auf Arbeit vor, ebenso wie das Recht auf Grunderwerb und das Recht, einen Verein zu gründen - zum Beispiel NGOs, Nichtregierungsorganisationen. Unsere NGO, die das Jugendzentrum betreibt, ist aus gesetzlicher Perspektive illegal. Wir müssen fünf Libanesen finden, die die Vereinigung auf ihren Namen anmelden. Diese fünf Libanesen müssen lügen, die Behörden wissen, dass sie lügen, und wir wissen, dass sie lügen. Das ist für uns eine Verletzung der Menschenrechte. Und es ist eine Verletzung der Flüchtlingsrechte, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegt sind.

Einige der Bestimmungen, die den Palästinensern ihre Rechte entziehen, sind erst in jüngerer Zeit verabschiedet worden. So erließ das Parlament im Frühjahr 2001 ein Gesetz, das den Palästinensern de facto verbietet, Häuser oder Wohnungen zu erwerben. Diejenigen, die Immobilien besitzen, dürfen diese nicht an ihre Erben weitergeben. In den Flüchtlingslagern ist jegliche Bautätigkeit genehmigungspflichtig. Genehmigungen aber werden kaum erteilt – eine behördliche Praxis, die es der zuständigen UN-Organisation oft unmöglich macht, die Stromversorgung sowie die Trink- und Abwassersysteme zu reparieren. Und Tausende Familien leben noch immer in vom Bürgerkrieg halbzerstörten Häusern.

Gesetzlich verboten ist den Palästinenserinnen und Palästinensern auch die Ausübung von insgesamt 73 Berufen außerhalb der Lager. Dazu zählen akademische Tätigkeiten wie Ärztin, Ingenieur, Rechtsanwältin oder Apotheker ebenso wie handwerkliche Berufe oder die Beschäftigung als Sekretärin oder Taxifahrer. Für alle übrigen Berufe ist eine staatliche Arbeitserlaubnis nötig. Davon werden jährlich aber nur etwa hundert erteilt, eine Genehmigung kostet mehr als 1300 US-Dollar.

Palästinenserinnen und Palästinenser, die eine Arbeitserlaubnis ergattern konnten und legal beschäftigt sind, müssen Sozialversicherungsbeiträge abführen. Darin unterscheiden sie sich nicht von ihren libanesischen Kolleginnen und Kollegen. Auf Arbeitslosengeld oder Rente dürfen sie aber nicht hoffen: Sie müssen zwar einzahlen, eine Auszahlung ist für sie aber nicht vorgesehen.

Die Arbeitslosigkeit in Schatila liegt deutlich über 50 Prozent. Dabei ist die Beschäftigungssituation in Beirut noch besser als in anderen Teilen des Landes. Den Bewohnern der Lager im Süden bleibt oft nur die Möglichkeit, sich als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft zu verdingen. In Beirut hingegen bietet vor allem der Dienstleistungssektor noch ein paar Möglichkeiten – wenn sie auch prekär und schlecht bezahlt sind.

Aber auch die illegale Beschäftigung in qualifizierten Berufen ist eine Möglichkeit. Als Illegale sind sie weitaus billigere Arbeitskräfte als die Libanesen und haben deshalb mitunter sogar bessere Chancen, einen Job zu finden. Das erzählt Latife Abdul Aziz. Sie leitet ein Tagungshaus in der Nähe von Beirut, das sich dem interkulturellen Austausch zwischen Europa und dem Libanon verschrieben hat.

[O-Ton Latife]


Auch wenn ein Teil der Flüchtlinge es schafft, sich mit solchen ungesicherten und gering entlohnten Tätigkeiten über Wasser zu halten, ist die wirtschaftliche Gesamtsituation von Schatila katastrophal.

Bis vor kurzem war die UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge UNRWA der größte Arbeitgeber im Lager. Doch seit Unterzeichnung des Oslovertrags 1993, als eine Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts zum Greifen nahe schien, fließen fast sämtliche UNRWA-Gelder in das Gebiet des vereinbarten zukünftigen Palästinenserstaates, also in die Westbank und nach Gaza. Hinzu kommt, dass die UN-Mitgliedsstaaten ihre ohnehin freiwilligen Zahlungen an die UNWRA empfindlich gedrosselt haben, seit ein Ende des UNWRA-Mandats absehbar schien.

Seit etwa demselben Zeitpunkt sank auch das finanzielle Engagement der PLO im Libanon auf mittlerweile Null. Die Folgen sind verheerend, denn früher hat die PLO große Beträge für Unterstützungszahlungen aufgewendet. Doch im zurückliegenden Jahrzehnt haben sich die politischen Gewichte in der PLO verschoben, und auch die finanzielle Ausstattung der Organisation hat sich dramatisch verändert. Arafats Parteinahme für Saddam Hussein im Golfkrieg 1990/91 führte zu einer Kehrwende in der Politik der arabischen Staaten gegenüber der PLO: Sie drehten den Geldhahn zu, die Golfstaaten wiesen die dort lebenden Palästinenser aus. Damit ergaben sich mehrere Probleme: Die PLO konnte ihre sozialen Einrichtungen nicht länger aufrechterhalten und entließ Ärztinnen, Lehrer und Sozialarbeiterinnen. Zugleich entfielen die Zahlungen, mit denen Palästinenser aus den Golfstaaten ihre Angehörigen im Libanon unterstützt hatten. Stattdessen drängten nun auch die aus den Golfstaaten ausgewiesenen Menschen in die Flüchtlingslager und vergrößerten dort das Heer der Arbeitslosen.

In den Lagern haben diese politischen Entwicklungen eine rapide Verelendung zur Folge. Nehmen wir das Beispiel Bildungspolitik. Für Schulunterricht ist kaum noch Geld vorhanden. Deshalb stehen die wenigen noch verbliebenen Lehrerinnen und Lehrer heute vor Klassen mit mehr als 50 Schülern. Eine Unterrichtsstunde dauert nurmehr 35 Minuten, die Schulgebäude werden schichtweise vormittags und nachmittags genutzt. Die Kinder und Jugendlichen sind kaum noch zu motivieren – ihnen fehlt jede gesellschaftliche Perspektive. Wozu, fragen sie, soll ich mich hier abmühen, wenn ich später ohnehin Müllsammler oder Näherin werde? Viele Kinder verlassen die Schule vorzeitig ohne Abschluss. Sie müssen arbeiten, um die Familie finanziell zu unterstützen, die Eltern können das Geld für die Schulkleidung nicht mehr aufbringen, die Kinder wollen den Züchtigungen der Lehrer entgehen. Heute besucht jedes zweite palästinensische Kind im Libanon keine Schule mehr, die Analphabetenrate ist sprunghaft angestiegen.

Dabei sind die Eltern dieser Kinder oft überdurchschnittlich gebildet. Früher war Bildung das größte Kapital der Flüchtlinge. Bildung schuf eine Perspektive: Mit ihr wurde es möglich, das Land zu verlassen und in den arabischen Staaten oder im Westen ein Einkommen zu finden, mit dem die Familie unterstützt werden konnte.

Heute fehlt diese Perspektive, wie jede Perspektive fehlt. Die gesellschaftlichen Auswirkungen sind die typischen Begleiterscheinungen einer kollektiven Verelendung: ein Anstieg von Drogenmissbrauch, Kriminalität und häuslicher Gewalt. Abu Mujahad, der Leiter des Jugendzentrums von Schatila, beschreibt die mentale Haltung der meisten Jugendlichen als apathisch. Viele säßen den ganzen Tag herum und rauchten Wasserpfeife oder spielten Videospiele.

Andere wenden sich den religiösen Gruppen zu, die immer größeren Einfluss gewinnen. Abu Mujahad berichtet von sechs solchen Gruppen im Lager Schatila. Ihr Einfluss gründe aber weniger auf ihren Predigten als auf der konkreten Hilfe, die sie den Menschen anböten. Schreibhefte und Stifte für Schüler, tägliches Essen für bedürftige Familien, Geld für überlebenswichtige Arznei: Die islamischen Gruppen sind da, wenn sonst niemand mehr da ist. Sie füllen die Lücke, die der libanesische Staat, die UN und die PLO offen lassen. 8.000 Dollar für eine Herzoperation: Niemand im Lager kann diesen Betrag aufbringen. Wer Glück hat, erhält das Geld von einer der religiösen Gruppen, die aus Saudi-Arabien und dem Iran finanziell großzügig ausgestattet werden. Die Hisbollah unterhält sogar eigene Krankenhäuser im Libanon, die die Patienten wesentlich kostengünstiger behandeln als die anderen Krankenhäuser.

Mit der Verelendung und dem gesellschaftlichen Niedergang verengt sich auch der Spielraum für fortschrittliche politische Initiativen. Raida Hatoum vom Frauennetzwerk Najde berichtet, dass es heute viel schwieriger sei, mit Frauen in den Flüchtlingscamps zu arbeiten, als vor 20 Jahren. Heute gebe es nur noch einen nationalen Kampf, keine sozialen Ziele mehr.

Natürlich hat das Flüchtlingsproblem eine Ursache, und solange dieser zugrunde liegende Konflikt nicht gelöst ist, ist auch das Flüchtlingsproblem nicht zu lösen. Doch das, so Raida Hatoum, dürfe nicht als Entschuldigung genommen werden, den Kampf für ein besseres Leben auf einen späteren Tag zu verschieben.

[O-Ton Raida 2]

„Leute wurden zu Flüchtlingen, weil es einen Konflikt gab, weil es eine Besatzung gab. Bis wir diese Besatzung also beendet haben oder eine Lösung gefunden haben, und zwar gemeinsam mit den Palästinensern, bis dahin können wir zusammen mit den Palästinensern eine Menge Kampagnen organisieren, für Bürgerrechte, zum Beispiel für das Recht auf Arbeit. Denn auch bis das Rückkehrrecht verwirklicht ist, haben die Menschen das Recht, ihre Bürgerrechte auszuüben.“

Mit dieser Meinung, die sich so einleuchtend und selbstverständlich anhört, stehen die Frauen vom Netzwerk Najde ziemlich alleine da. Und oft genug stehen sie mit dem Rücken zur Wand. Die Hisbollah, so erzählt Raida, ist eines Tages in die Najde-Bibliothek gekommen und hat gefordert, dass ein Buch von Charles Darwin zu verschwinden habe. Das Buch habe man nicht entfernt, aber als Kompromiss ein paar Werke der Hisbollah dazugestellt [stimmt das?]. Die libanesischen Sicherheitsorgane sei man losgeworden, indem man ein Bild des Staatspräsidenten Emile Lahoud im Najde-Büro aufgehängt und eine libanesische Flagge danebengestellt habe. Außerdem hätten die Najde-Frauen ein Abonnement der Armeezeitschrift beziehen müssen.

Die Ghettoisierung der palästinensischen Flüchtlinge ist zweifellos eine Folge der Politik des libanesischen Staats. Die politischen Eliten wollen eine Integration der Palästinenser ins politisch-gesellschaftliche System des Landes unbedingt verhindern. Das labile politische Gleichgewicht zwischen den religiösen Gruppen des Libanon mit seinen vier Millionen Einwohnern würde empfindlich gestört, wenn eine halbe Million zumeist sunnitische Palästinenser mitaufgenommen würden.

Die Ghettoisierung ist aber auch eine Folge der Politik, die die palästinensische Führung betreibt. Für sie waren die Flüchtlinge in den Lagern, die eine Rückkehr in die Heimat oder Entschädigung forderten, stets ein Druckmittel gegen Israel. Eine Integration in die Aufenthaltsländer war ausdrücklich nicht erwünscht. Diese Politik ist erst in allerjüngster Zeit in Bewegung geraten. Am 12. Juli hat der Präsident der Autonomiebehörde Mahmoud Abbas die arabischen Staaten aufgefordert, den palästinensischen Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft ihrer Aufenthaltsländer zu verleihen. Dabei sehen auch viele Flüchtlinge die Staatsbürgerschaftsfrage als problematisch an. Sie fürchten, dass, wenn sie erst einmal Bürger eines anderen Staates sind, es gänzlich unmöglich wird, ihr Recht auf Rückkehr oder Entschädigung durchzusetzen.

Die Flüchtlings-Communities in den Lagern zumindest des Libanons betreiben
eine Art Selbst-Ghettoisierung, die zuweilen groteske Züge annimmt. So haben einige Gruppen eine Zeit lang versucht, Internetcafés in den Lagern zu verhindern.

Die Palästinenser hätten sich in die Rolle als ewiges Opfer hineingeflüchtet. Solange sie das nicht änderten, seien sie mitverantwortlich für eine Situation, in der ihnen alle bürgerlichen Rechte vorenthalten würden. Das betont Lokman Slim von der linken libanesischen Kampagne Hayyabina. Die Palästinenser seien Opfer der Israelis und Opfer ihrer eigenen ideologischen Beschränktheit. Insofern seien sie doppelte Opfer. Aber die Israelis seien nicht die einzigen Täter.

[O-Ton Lokman]

Die Bewohner der Camps selbst haben Angst, dass die palästinensische Führung sie einfach verkaufen könnte. Die PLO-Spitze, so fürchten sie, könnte sich das Rückkehrrecht der Flüchtlinge abhandeln lassen gegen das Versprechen eines palästinensischen Staates in der Westbank und in Gaza. Die Abkommen, die während des Friedensprozesses unterzeichnet wurden, scheinen diese Furcht zu bestätigen: In ihnen sind die Flüchtlinge nicht einmal erwähnt.

Heute haben die Flüchtlinge keine Stimme mehr. Niemand interessiert sich für ihre Rechte. Eine Situation, so Raida Hatoum, aus der sie sich nur selbst befreien können:

[O-Ton Raida 1]

„Man hat die palästinensischen Flüchtlinge vergessen. Und zwar nicht aus Zufall, sondern absichtlich. Denn niemand will wirklich eine Lösung herbeiführen. Ich glaube aber, dass die einfachen Leute eine Lösung herbeiführen können. Wir müssen nicht warten, bis das Rückkehrrecht verwirklicht ist, damit palästinensische Menschen in Würde leben können. Ich bin der Meinung, dass wir härter daran arbeiten müssen, den Leuten in der Welt von der Situation hier in den Flüchtlingslagern zu berichten.“