Mexiko im Wahljahr - Chiapas: Die andere Seite

ID 11217
 
Im Juli diesen Jahres wird in Mexiko ein neuer Präsident gewählt. Der noch amtierende, Vicente Fox wird sich fragen lassen müssen, wie die Bilanz seiner Amtszeit bezüglich der Menschenrechtslage ausfällt.
Chiapas, der südöstliche Bundesstaat zeigt die andere Seite der aktuellen politsichen Situation unter der "Regierung des "Wechsels".
Es kommen zu Wort:
- Vicente Fox (Präsident Mexikos)
- Veronique (Menschenrechtszentrum "Tlachinollan")
- Victor Manuel (Sindicato de Trabajadores de la Educación)
Audio
06:50 min, 1602 kB, mp3
mp3, 32 kbit/s, Mono (22050 kHz)
Upload vom 20.01.2006 / 00:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Arbeitswelt, in anderen Sprachen, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Johannes Plotzki
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 20.01.2006
keine Linzenz
Skript
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Anmoderation schon im Beitrag, kann aber rausgeschnitten und selbstgesprochen werden:

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Script


Moderation

Im zentralamerikanischen Staat Mexiko wird im Juli diesen Jahres ein neuer Präsident gewählt. Der noch amtierende Präsident, Vicente Fox, wird sich fragen lassen müssen, wie die Bilanz seiner Amtszeit bezüglich der Menschenrechtslage im Land ausfällt. Als im Jahr 2000 Vicente Fox als Präsidentschaftskandidat der konservativ-liberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN), zu den letzten Wahlen antrat, erhofften sich nicht wenige Mexikanerinnen und Mexikaner die von ihm versprochene „Regierung des Wechsels“.

Nach 71 Jahren Einparteienherrschaft der früheren Regierungspartei PRI, die sich vor allem durch Repression, schmutzigen Krieg gegen Oppositionelle und Beginn des neoliberalen Umbaus der mexikanischen Wirtschaft auszeichnete, waren die Hoffnungen, die auf Fox lagen riesig. Dieser betont immer wieder gerne den demokratischen Wandel, den seine Regierung schon erreicht habe.

O-Ton

„herzlich Willkommen, in diesem demokratischen und freien Mexiko, welches die Menschenrechte respektiert.“

O-Ton

„Laut einem heutigen Pressebericht haben die Kaziken, die lokalen Großgrundbesitzer, immer noch gute Beziehungen zu den aktuell Regierenden“, sagt Veronique vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan im mexikanischen Bundesstaat Guerrero.

Moderation

Víctor Manuel, ein im Bundesstaat Chiapas gewerkschaftlich organisierter Lehrer, der gegen die staatliche Bildungspolitik demonstriert hatte, wurde nach einer Demonstration festgenommen und im Hochsicherheitstrakt „El Amate“, nahe Tuxtla Gutierrez inhaftiert. Zusammen mit drei weiteren Kollegen wird ihm „Entführung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt“ vorgeworfen. Alle vier sind Mitglieder der Lehrergewerkschaft Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación (CNTE).

Die CNTE wurde vor 25 Jahren als unabhängiger linker Flügel innerhalb der Lehrergewerkschaft Sindicato Nacional de Trabajoadores de la Educación (SNTE) mit dem Ziel gegründet, diese zu demokratisieren und eine alternative Erziehung zu fördern. Sie ist eine demokratische und autonome Gewerkschaftskraft, die von jeglicher politischen Partei unabhängig ist, und innerhalb der SNTE als mitgliederstärkster Gewerkschaft Mexikos, installiert ist.
In den 25 Jahren ihres Bestehens hat sie nicht nur 5 Präsidenten und einen heftigen Richtungswechsel der staatlichen Gewerkschaft überlebt, sondern auch die Ermordung und das gewaltsame Verschwindenlassen, Kooptionsversuche seitens der Regierungen, Hetzkampagnen der Medien, die Zentralisierung des Bildungssystemes und ihre eigenen Widersprüchlichkeiten und Grenzen.

Wie bei keiner anderen mexikanischen Gewerkschaft ist die Geschichte der CNTE geprägt von Kontinuität ihrer Arbeit, ungebrochener Mitgliederstärke und Radikalität.
An ihrer Gründung waren eine große Anzahl zweisprachiger Lehrer, also Lehrer mit indigener Herkunft beteiligt. Genauso wie Gründungsmitglieder, die in die sozialen Kämpfe der 1970er Jahre eingebunden waren. Heute sind in vielen sozialen Initiativen in der CNTE organisierte Lehrende aktiv.

Im Laufe des gewerkschaftlichen Kämpfe entwickelte die CNTE Organisationsstrukturen, die sich von klassischen Gewerkschaften unterscheiden. Dabei wurde ihre politische Macht nicht von der Legitimierung durch staatliche Organe abhängig gemacht, sondern von ihrer eigenen Mobilisierungsstärke. Seit den Anfängen drückt sich ihre direkt-demokratische Organisationsstruktur durch Räteversammlungen, die Streikkommittees und die Koordinationskommissionen aus.

Konstruierte Anklagen um Oppositionelle lahmzulegen, errinnert an die Methoden des sogenannten „schmutzigen Krieges“ der 70er und 80er Jahre in Mexiko. Doch aktuelle Beispiele zeigen uns, dass dieser „schmutzige Krieg“ noch längst nicht der Vergangenheit angehört.
Víctor Manuel, erzählt durch ein engmaschiges Gitter und eine Plexiglasscheibe hindurch vom Kampf der Lehrergewerkschaftler und der staatlichen Repression als Antwort darauf.

O-Ton

„Bedauerlicherweise befindet sich Chiapas in einer sehr schwierigen Situation. In einer Situation, in der es keine Meinungsfreiheit gibt. In der viele politische Gefangene aufgrund gegen sie konstruierter Anklagen im Gefängnis sitzen. Sie sind inhaftiert, ohne dass es Beweise gegen sie gibt.
In unserem Fall, werfen sie uns Landfriedensbruchs, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Entführung vor. Diese Vorwürfe entstammen der Phantasie der Staatsanwaltschaft, wir haben nie so etwas getan.
Es ist bedauerlich, dass sie uns entwürdigen, als Menschen entwürdigen. Dass eine Regierung welche den Wechsel versprach, uns hier in diesen entwürdigenden Verhältnissen festhält. Entwürdigend für uns als Erzieher. Dass was Fox in seinen Reden sagt, ist eine Unwahrheit, eine unbeschreibliche Unwahrheit.
Wir, als soziale Kämpfer, als gewerkschaftliche Vertreter, zahlen nun den Preis, wir sehen die Realität, von hier sieht man die Realität, man sieht die andere Seite der Medaille. Und es ist nicht, wie sie es in den Reden ausmalen, wo sie sagen, dass es nun Demokratie gebe. Das ist falsch, einfach falsch.
Uns hat man hier an diesen Ort gebracht, weil wir die Stimme erhebten, weil wir demonstrierten.
Das hier, das ist eine politische Frage, eine äußerst politische Frage.“



„In den Reden sind wir schon ein demokratisches Land, aber in Wirklichkeit fehlt noch viel, dafür, fehlt sehr viel. Es ist noch sehr weit bis zu einer Demokratie, wo die Grundrechte respektiert werden. Und die Nationale Menschenrechtskommission nimmt oftmals überhaupt nicht die Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen an, so wie in unserem Fall, weil sie von der staatlichen Regierung beeinflusst ist.“


Moderation

Auch wenn Präsident Vicente Fox nicht müde wird zu betonen, Mexiko respektiere die Menschenrechte, scheinen die Zeiten des „schmutzigen Krieges“ in Mexiko nicht der Vergangenheit anzugehören. Beispiele dafür gibt es viele, die meisten spielen sich auf bundesstaatlicher Ebene ab. Die an Methoden der 1970er und 1980er Jahre erinnernde willkürliche Beschuldigung von Oppositionellen trifft meist Mitglieder sozialer Bewegungen, Gewerkschaftler, Menschenrechtsverteidiger, Studierendenorganisationen, aber auch Vertreter von Kleinbauern- und Indigenazusammenschlüssen.

Egal wie die Wahl in diesem Juli ausgehen wird, schon jetzt ist eines klar. Die versprochene „Regierung des Wechsels“ hat in Bezug auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Mexiko keine Erfolge aufzuweisen.