Focus Europa am 30.10.2006 Nr. 196

ID 14394
 
viele aktuelle Nachrichten aus Deutschland, Europa und der Welt
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15:26 min, 14 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.10.2006 / 12:35

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: Niels Julia
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.10.2006
keine Linzenz
Skript
1. Kabul - Berlin
Die Fotoserien mit Totenschändungen in Afghanistan belasten zunehmend das Ansehen der Bundeswehr. Der SPD-Verteidigungsexperte Jörn Thiessen warnte aber davor, von den bisherigen Fällen auf den Gesamtzustand der Truppe zu schließen. Es handle sich keinesfalls um die Spitze eines Eisbergs. "99,9 Prozent der Soldaten benehmen sich ordentlich", sagte er bei n-tv.

Zum Thema sagt Jürgen Pöppelmann, Oberstleutnant a. D.:

"Die Bundeswehr steht hier genau so da, wie alle anderen Streitkräfte der Welt auch. Man darf ja nicht vergessen, unter welchem immensen Druck hier Menschen stehen. Das sind junge Menschen mit wenig Lebenserfahrung, die in eine Situation geworfen werden, für die sie nichts können. Die Soldaten werden konfrontiert mit Tod, Angst vor Verwundung, Angst vor Geiselnahme, Angst, dass Kameraden dahinsterben. Dieser immense Druck muss irgendwo abgebaut werden. Das passiert überall. Das ist eine Armee, die im Krieg steht. Ich glaube, die meisten Menschen vergessen das einfach. Da wird es immer Exzesse geben und diese hat es auch immer gegeben." (30 sek.)


2. Beirut / Tel Aviv / Berlin
Bei einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Merkel sagte der israelische Regierungschef Ehut Olmert zu, die israelische Luftwaffe werde sich künftig besser mit der UNO-Friedenstruppe abstimmen. Dazu solle eine besondere Verbindungsstelle eingerichtet werden. In der Nacht zum Freitag war erneut ein Hubschrauber der Deutschen Marine vor der libanesischen Küste von israelischen Kampfflugzeugen bedrängt worden.

Wie sein Büro am späten Sonntagabend in Jerusalem mitteilte, habe Olmert die Kanzlerin darum gebeten, dass Deutschland seinen Friedensauftrag vor der libanesischen Küste fortsetze. Die Rolle der Deutschen Marine für den Unifil-Auftrag sei "wichtig" und "zentral" - Geschehnisse wie die der vergangenen Tage würden sich nicht wiederholen.
Im Übrigen habe Israel nicht die Absicht, "Deutschland anzugreifen," so eine Sprecherin des israelischen Verteidigungsministerium gegenüber der ARD in Tel Aviv. Der israelische Regierungschef will im Dezember zu politischen Gesprächen nach Berlin kommen.


3. Berlin
Der polnische Ministerpräsident Kaczynski wird am Vormittag zu politischen Gesprächen in Berlin erwartet. Dabei soll es vor allem um Energiefragen gehen wie um die geplante Gaspipeline durch die Ostsee. Dadurch würde Polen stark von Russland abhängig werden, meinte Kaczynski. In diesem Zusammenhang begrüßte er, dass die Bundeskanzlerin kritischer gegenüber Russland und Präsident Putin auftrete als ihr Vorgänger Schröder. Dessen Politik habe Polen sehr beunruhigt, erklärte Kaczynski weiter.

Für Bundestagsvizepräsident Thierse ist das Verhalten der polnischen Regierung Ursache für die gespannten Beziehungen zu Deutschland. Differenzen seien aus nichtigen Anlässen aufgebauscht worden, sagte er im Deutschlandfunk. Dabei sei, wie Umfragen belegten, das Verhältnis zwischen den Bürgerinnen beider Länder gut. Vor seiner Abreise widersprach Kaczynski dem Eindruck, die deutsch-polnischen Beziehungen hätten sich seit seinem Amtsantritt verschlechtert.


4. Sarajevo
Die Bundesregierung erwägt nach Angaben von Verteidigungsminister Jung, von Dezember an die deutschen Soldaten schrittweise aus Bosnien-Herzegowina abzuziehen. Als Grund nennt Jung, dass die jüngsten Wahlen dort sehr gut verlaufen seien. Sie hätten für ausreichende Stabilisierung gesorgt. Im Dezember werde es daher Gespräche über die Rückführung der Truppe geben. Nach seinen Vorstellungen könne der Abzug noch im gleichen Monat beginnen. In Bosnien stellt die Bundeswehr etwa 850 von 7.000 Soldaten der EUFOR-Truppe der Europäischen Union. Hintergrund der Überlegungen ist laut Jung die Belastung der Bundeswehr durch die Auslandseinsätze: "In einigen Bereichen sei man an Grenzen gekommen. "


5. London
Um die Zwanzigtausend Studierende protestierten am gestrigen Sonntag in der britischen Hauptstadt lautstark gegen neue Regierungspläne zu Studiengebühren. Unter dem Motto: »Admission Impossible: Fight for fair access« wandten die DemonstrantInnen sich gegen die zu erwartenden Erhöhungen der Studiengebühren. Zukünftig sollen die Universitäten die Höhe der Studiengebühren selbst festlegen können.
Schon heute kostet ein Studienjahr etwa 3000 Pfund Studiengebühren. Bei Umsetzung der Pläne könnten die Gebühren auf bis zu 10 000 Pfund pro Jahr ansteigen. Ein Großteil der AbiturientInnen wäre damit von der Möglichkeit eines Studiums von vornherein ausgeschlossen.
Die Argumentation, dass Studierende von ihren späteren gutbezahlten Jobs diese Gebühren begleichen könnten, erscheint zumindest zweifelhaft. So berichtet die Universitätszeitung Edinburgh Student, dass 40 Prozent aller Prostituierten in Edinburgh ehemalige Studierende sind.


6. Sofia
Bulgariens amtierender Präsident Parwanow wurde am gestrigen Sonntag von den WählerInnen im Amt bestätigt. Aus der Stichwahl mit dem Ultra-Nationalisten Siderow ging der Präsident mit über 70% der Stimmen als klarer Sieger hervor.
Es gilt als Verdienst Parwanows, dass Bulgarien schon zum 1. Januar der EU beitreten wird. Er selbst nannte das Wahlergebnis "ein Referendum für die europäische Integration" Bulgariens.
Obwohl Parwanow bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Wählerstimmen hinter sich hatte, musste aufgrund der geringen Wahlbeteiligung von 42 % eine Stichwahl angesetzt werden. In der gestrigen Stichwahl lag die Wahlbeteiligung mit 41 % noch niedriger.


7. Kinshasa
In der Demokratischen Republik Kongo sollte gestern die Bevölkerung in einer Stichwahl über ihren Präsidenten entscheiden. Die 25 Mio. Stimmberechtigten hatten die Wahl zwischen dem amtierenden Übergangspräsidenten Joseph Kabila und dem ehemaligen Rebellenführer Jean-Piere Bemba.
Trotz einzelner Berichte über Unregelmäßigkeiten und gewalttätige Auseinandersetzungen ist die Stichwahl weitgehend friedlich verlaufen. Die Wahlkommission und internationale Beobachterinnen sprachen von einem Erfolg.
Beide Kandidaten hatten in einem gemeinsamen Dokument zur Ruhe aufgerufen. Sie selbst wagen sich seit Wochen nicht mehr in die Öffentlichkeit. Die EU-Truppe unter Führung der Bundeswehr hat sich auf Unruhen in der Hauptstadt Kinshasa vorbereitet.
Mit dem amtlichen Endergebnis wird erst in einigen Wochen gerechnet. Sowohl ein von Bemba angefochtener Sieg Kabilas als auch ein Überraschungssieg des ehemaligen Rebellenführers Bemba könnte neue Gewalttätigkeiten auslösen.
Schon nach der ersten Wahlrunde am 30. Juli war es zu gewaltsamen Zusammenstössen gekommen. Drei Tage lang lieferten sich Kabilas und Bembas Anhänger blutige Gefechte, denen nach amtlichen Angaben mindestens 23 Menschen zum Opfer fielen.


8. Brasília
Brasiliens Präsident Lula da Silva hat erwartungsgemäß die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen und sich eine zweite vierjährige Amtszeit gesichert. Im direkten Vergleich mit seinem sozialdemokratischen Herausforderer Alckmin kam er auf knapp 61 Prozent der Stimmen.
Im Endspurt des Wahlkampfes konnte sich Lula offenbar auf die Stimmen der Unterschicht verlassen, obwohl die versprochenen Sozialprogramme in den letzten Jahren nur schleppend vorankamen und Lula viele Versprechen nicht einlösen konnte – wie z.B. eine umfangreiche Landreform zugunsten der Landlosen.
Lula wertete die Wahl als Bestätigung seiner Sozialpolitik: "Das Volk spürte auf dem Tisch, den Tellern, und im Geldbeutel, dass seine Lebensverhältnisse besser geworden sind, sagte er gestern Abend. Er versprach, sich in den kommenden vier Jahren noch stärker für die Armutsbekämpfung einzusetzen und soziale Ungleichheiten abzubauen.

9. La Paz
Auf den letzten Drücker haben die Energiemultis jetzt neue Verträge mit der bolivianischen Regierung unterzeichnet - und damit die Bedingungen der Regierung akzeptiert.
Sie verpflichten sich damit, ihre Fördermengen künftig der staatlichen Ölgesellschaft zur Vermarktung zu überlassen. Zudem müssen 82 Prozent statt bislang 50 Prozent der Einnahmen an den Staat abgeführt werden. Damit sei Bolivien eines der Länder, das die höchsten Abgaben weltweit durchsetzen konnte, sagte Energieminister Carlos Villegas.
Am 1. Mai hatte Boliviens Präsident Evo Morales ein Dekret zur Verstaatlichung der Erdgas-Industrie unterzeichnet und den Konzernen dabei eine Frist von 180 Tagen gesetzt, die am Samstag um Mitternacht endete.
"Dies ist eine historische Nacht, weil wir die Nationalisierung der Bodenschätze gesichert haben", sagte Präsident Morales.
Der erfolgreiche Abschluss der Verträge gilt politischen Beobachterinnen als bedeutender Erfolg des ersten Indio-Präsidenten in der Geschichte des Landes. Bolivien verfügt nach Venezuela über die zweitgrößten Gasreserven Lateinamerikas. Morales will die höheren Einnahmen aus der Erdgas- und Erdölförderung für die Bekämpfung der Armut einsetzen.


10. Oaxaca
Am Freitagnachmittag attackierten in einer offenbar langfristig geplanten Aktion paramilitärische Einheiten die besetzte Landeshauptstadt und töteten mehrere Menschen.
Am Samstag mobilisierte Präsident Vicente Fox das Militär. In Mexiko-Stadt kam es zu ersten spontanen Demonstrationen gegen Bundes- und bundesstaatliche Regierung.
Oaxaca wird seit Mai dieses Jahres von der "Volksversammlung der Dörfer von Oaxaca" (APPO) besetzt. Der politische Konflikt mit dem Gouverneur Ulises Ruiz von der PRI begann zunächst mit einem Streik der Lehrergewerkschaft. Nachdem Ruiz die Forderungen der Lehrer unwirsch ablehnte und die Polizei gegen die Demonstrantinnen aufmarschieren ließ, eskalierte die Situation. Ruiz und die Sicherheitskräfte des Staates wurden mit Unterstützung sozialer Organisationen und linker Gruppen aus der Stadt vertrieben.
Seit inzwischen 5 Monaten führt die APPO die Verwaltung in Eigenregie, betonte jedoch immer wieder, die Macht an die Regierung zurückgeben zu wollen, sofern Ruiz zurücktrete und ihre sozialen Forderungen erfüllt würden.
Nun scheint eine friedliche Lösung ausgeschlossen. Am Samstagabend bekräftigte die Führung der "Volksversammlung" ihren Willen zum Widerstand. Die Bundestruppen haben inzwischen den Flughafen der Stadt besetzt, auf dem ständig neue Militärflugzeuge aus anderen Landesteilen eintreffen. Polizisten und Soldaten sollen die Stadt abgeschnitten haben.