Focus Europa Nr. 201 vom 6.11.2006

ID 14533
 
Nachrichten (siehe script)
Beitrag zum Thema staatliche Überwachung in Europa (siehe Einzelbeitrag "big brother in europe")

Audio
19:12 min, 18 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.11.2006 / 12:41

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Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: Niels, Julia, Isa
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 06.11.2006
keine Linzenz
Skript
Ramallah
Nach wochenlangem Tauziehen haben sich die Palästinenser-Organisationen Hamas und Fatah grundsätzlich auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt. Das neue Kabinetts werde nicht vom amtierenden Ismail Hanija von der Hamas geführt, sagte ein Sprecher der radikal-islamischen Gruppe in der Nacht in Ramallah. Dafür habe die Hamas aber nach der Vereinbarung das Recht, den neuen Ministerpräsidenten zu benennen. Ein Ausschuss beider Seiten solle die Minister bestimmen und weitere Detailfragen klären. In Regierungskreisen wurde ein Treffen von Hanija und Abbas noch heute nicht ausgeschlossen.
Zur Streitfrage einer zumindest indirekten Anerkennung Israels durch die Hamas gab es noch keine Angaben. An dieser Frage waren Koalitionsverhandlungen zwischen Hamas und Fatah bislang regelmäßig gescheitert.
Die Grundsatzeinigung kommt inmitten einer israelischen Offensive im Gaza-Streifen, bei der seit Mittwoch mindestens 48 Menschen getötet wurden, zumeist militante Palästinenser. Zuletzt kam gestern Abend ein Kämpfer der Hamas bei einem Luftangriff ums Leben. Die israelische Armee will mit dem Einsatz nach eigenen Angaben palästinensische Raketenangriffe unterbinden.
Von einer Regierung der nationalen Einheit erhoffen sich die Palästinenser ein Ende der Wirtschaftssanktionen, die EU und USA nach dem Regierungsantritt der israelfeindlichen Hamas im März verhängt hatten. EU und die USA verlangen von der Hamas eine Anerkennung Israels und einen Gewaltverzicht. Erklärtes Ziel der Hamas ist die Vernichtung des jüdischen Staates.

Berlin und Europa
Nach dem Stromausfall in vielen Ländern Europas am Samstagabend fordern Politiker und Experten eine Überprüfung des deutschen Stromnetzes. Der Bund der Energieverbraucher hat die Stromversorger aufgefordert, mehr in die Sicherheit der Netze zu investieren. Verbandschef Aribert Peters sagte gestern abend in den Tagesthemen, die Qualität der Netze sei schlechter als bekannt. "Die deutschen Netze sind morsch", so Peters. Jährlich würden nur 2,5 Milliarden Euro in die Sicherheit der Leitungen investiert. Die Kundinnen zahlenhingegen mehr als 20 Mrd. Euro Gebühren. Diese Relation stimme nicht. Peters forderte zudem eine unabhängige staatliche Kontrolle des Stromnetzes.
Die Ursache für den Stromausfall am Samstagabend ist noch unklar. Ein Zusammenhang besteht vermutlich mit Netzabschaltung im Emsland. E.ON hatte eine Hochspannungsleitung über der Ems abgeschaltet, um dem Kreuzfahrtschiff "Norwegian Pearl" die Durchfahrt zu ermöglichen.
Die Strompanne hatte am Samstagabend in weiten Teilen Europas das Licht ausgehen lassen. In Frankreich waren rund fünf Millionen Menschen ohne Elektrizität. In Belgien kam der Zugverkehr streckenweise zum Erliegen, in Österreich meldeten einige Kraftwerke Probleme. Stromausfälle gab es auch in Italien und Spanien. In Deutschland waren mehrere Bundesländer teilweise ohne Strom.


Blankenfelde
Am vergangenen Samstag haben Nazis im brandenburgischen Blankenfelde eine Fernsehjournalistin und einen Fotografen angegriffen und gewürgt. Sie sei gezielt ins Gesicht geschlagen worden, der Fotograf sei von den Neonazis drangsaliert worden, berichteten die Journalistin Andrea Röpke und ihr Kollege gegenüber der Tagesschau. Die Polizei sei erst etwa 45 Minuten nach dem ersten Anruf eingetroffen.
Röpke wollte in Begleitung des Fotografen über ein Treffen der "Heimattreuen deutschen Jugend" (HdJ) in Blankenfelde berichten. Expertinnen vermuten in der neonazistischen Organisation die Nachfolgerin der verbotenen „Wiking Jugend". Die HdJ führt Zeltlager durch, Reisen nach Südtirol und Schweden, organisiert Sonnenwendfeiern und andere Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, um sie für die Nazi-Szene zu rekrutieren. "Kinder ab sechs Jahre werden sowohl geistig als auch militärisch ausgebildet", heißt es in der Selbstbeschreibung der HdJ.
Bei dem Neonazi-Treffen in Blankenfelde waren rund 200 Personen anwesend, darunter viele Frauen und Kinder. Obwohl Röpke das Landeskriminalamt (LKA) in Berlin über das geplante und nicht angemeldete Treffen der Neonazis informiert hatte, waren offenbar keine Beamte vor Ort.
Nach der Tat habe es rund 45 Minuten gedauert, bis die Polizei eintraf, berichteten Röpke und ihr Begleiter. Auch die später eingetroffenen Sanitäter hätten mehrmals über Funk Polizeikräfte angefordert, da sich vor dem Supermarkt immer mehr Neonazis sammelten. In den für Blankenfelde zuständigen Stellen in Brandenburg wollte man sich nicht zu den Vorgängen äußern.


Berlin / Brüssel

Die Bundesregierung geht mit einem deutlichen Bekenntnis für den EU-Verfassungsvertrag in die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft. "Die Europäische Union ist eine politische Union und braucht ein grundlegendes Dokument, das klar und nachvollziehbar regelt, wie sie verfasst ist", erklärte das Kabinett nach einer Sondersitzung zur Vorbereitung der EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 sowie der einjährigen G8-Präsidentschaft. Das Kabinett bekräftigte, Deutschland werde sein Möglichstes tun, um zwei Jahre nach den gescheiterten EU-Referenden in Frankreich und den Niederlanden den Verfassungsprozess voranzutreiben.
Bei der Erweiterung der EU mahnt die Bundesregierung zu Zurückhaltung, ohne aber eine klare Aussage zum Türkei-Beitritt zu machen. "Ein politisches Gebilde ohne Grenzen ist nicht lebensfähig. Bei der Vollendung der Einigung des Kontinents dürfen wir uns nicht übernehmen", heißt es in der schwammigen Erklärung, die die Stimmung in der Regierung widerspiegelt. Die Union lehnt - anders als ihr Koalitionspartner SPD - eine Aufnahme der Türkei in die EU ab und will dem Land stattdessen eine privilegierte Partnerschaft anbieten.
Als Kernaufgaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wurden genannt: der globale Klimaschutz, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz zur Terrorbekämpfung und eine noch stärkere Abschottung der EU-Außengrenzen gegen illegale Einwanderung. Erstmals will die Bundesregierung ein gemeinsames Arbeitsprogramm einer "Dreierpräsidentschaft" mit den Portugal und Slowenien erstellen, das dann für 18 Monaten gilt. Die beiden Länder übernehmen die Präsidentschaft nach Deutschland für je sechs Monate.


Brüssel
Ab heute gelten die neuen EU-Regeln für Flug-Handgepäck. Die Bestimmungen gelten ab dem 6. November 2006 auf allen Flügen, die in der EU sowie in der Schweiz, Norwegen und Island starten, unabhängig von ihrem Ziel und unabhängig von der Nationalität der Fluglinie. Sie gilt auch für Passagiere, die an einem Flughafen innerhalb der EU von einem Flug auf den nächsten umsteigen.
Nach der neuen EU-Sicherheitsrichtlinie dürfen Reisende künftig nur noch Behälter mit höchstens 100 Milliliter Flüssigkeit im Handgepäck an Bord nehmen. Die Gesamtmenge darf einen Liter nicht überschreiten. Alle Flüssigkeitsbehälter müssen in einem durchsichtigen Plastikbeutel transportiert werden. Das Sicherheitspersonal ist verpflichtet, diesen gesondert zu kontrollieren. Betroffen ist aber nur Handgepäck - in den normalen Koffer dürfen also weiterhin Flaschen und ähnliches gepackt werden.
Den verschärften Regeln für die Passagiere stehen eklatante Mängel und Schlamperei bei den Sicherheitskontrollen an deutschen Flughäfen. So gelang es Testern mehrfach, Messer, Pistolen oder Bombenattrappen an den Kontrolleuren vorbei zu schmuggeln. Als Beispiel nennt "Report Mainz" den Frankfurter Flughafen. Hier sei im ersten Halbjahr 2006 die Arbeit der Sicherheitskontrolleure 367 Mal von Experten der Bundespolizei überprüft worden. In mehr als einem Drittel der Fälle blieben gefährliche Gegenstände unentdeckt.



Managua
Bei den Präsidentschaftswahlen in Nicaragua stehen alle Zeichen auf einen Sieg für den früheren Revolutionsführer und heutigen Sandinisten-Chef Daniel Ortega. Nach Auszählung der Stimmen in etwa sieben Prozent der Wahllokale lag der Sandinist mit 41 Prozent klar in Führung vor seinem Rivalen Eduardo Montealegre, der auf 33 Prozent kam.
Ortega war bei der Wahl vom Sonntag 16 Jahre nach seiner Abwahl als Favorit ins Rennen gegangen. Es ist sein dritter Anlauf zur Rückkehr in das Präsidentenamt seit dem Ausscheiden 1990.
Das offizielle Endergebnis wird im Laufe des heutigen Tages erwartet.


Weimar / Berlin / Frankfurt / Paris
Mit Demonstrationen und Veranstaltungen, die heute in Weimar beginnen, erinnern deutsche Bürgerinitiativen an die November-Pogrome von 1938. Nach Brandschatzungen zahlreicher Synagogen und reichsweiten Plünderungen wurden seit dem 9.11. etwa 20.000 Deutsche deportiert, weil sie als ethnisch unrein ("artfremd") galten. Für die Opfer des amtlichen Antisemitismus der Berliner Regierung hielt die Deutsche Reichsbahn Züge bereit und schleuste die Verhafteten in mehrere Konzentrationslager. Damit begann eine Schienenlogistik, deren industrielle Präzision in europaweiten Todestransporten endete. Mehr als 3 Millionen Menschen führte die Deutsche Reichsbahn den Vernichtungslagern zu - und kassierte für die Fahrten in Viehwaggons stattliche Beträge. Die Konzernleitung der heutigen Bahn AG weigert sich auch in diesem Jahr, der Opfer auf den Bahnhöfen durch eine Ausstellung zu gedenken. Deswegen werden in dieser Woche Proteste in mindestens 20 deutschen Städten erwartet. Die Initiatoren wollen den internationalen Druck auf die politischen Instanzen, darunter auf das Bundesverkehrsministerium, weiter steigern.
Zum Auftakt der Veranstaltungen am heutigen Montag wird ein Gedenkweg auf der Trasse der ehemaligen Buchenwaldbahn eröffnet.