Focus Europa nr. 221 vom Montag 4.12.2006

ID 14949
 
Zehntausende demonstrierten in Brüssel gegen Massenentlassungen bei VW +++ Erfolg für Berlusconi +++ Unterstützung für Abbas +++ Korruptionsskandal bei Siemens +++ Seehofer will offenbar den jährlichen Waldschadensbericht abschaffen +++ Vattenfall-Chef wird Klimaberater +++ Feature: Europäische Medienkonferenz und das Thema Migration
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Upload vom 04.12.2006 / 12:54

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Beitragsart:
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Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Politik/Info
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: david, kmm, niels , julia, isa
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 04.12.2006
keine Linzenz
Skript
Zehntausende demonstrierten in Brüssel gegen Massenentlassungen bei VW
Rund 25000 Gewerkschafter haben auf einer internationalen Großdemonstration am Sonnabend in Brüssel gegen drohende Massenentlassungen im dortigen VW-Werk protestiert.
Zahlreiche Arbeiter anderer Betriebe wie Volvo, Kraft, Citroen und von Zulieferfirmen der Automobilindustrie waren im Demonstrationszug teils mit großen Blöcken vertreten. Aus Deutschland, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Luxemburg, Großbritannien, Italien und Portugal waren Solidaritätsdelegationen gekommen. »Wir lassen uns nicht spalten«, hieß es auf einem Transparent von 50 Wolfsburger VW-Arbeitern, die in der Nacht mit einem Bus von der Konzernzentrale nach Brüssel gefahren waren. Auch aus Braunschweig, Köln, Frankfurt, Offenbach, Hanau und Salzgitter waren jeweils Dutzende Gewerkschafter angereist.

Der VW-Konzern hatte angekündigt, die Produktion des Golf aus Brüssel abzuziehen und an den deutschen Werksstandorten Mosel bei Zwickau und Wolfsburg zu konzentrieren. Zuvor hatte sich die IG Metall in einem Tarifvertrag zu Mehrarbeit als Gegenleistung für Arbeitsplatzsicherung bereit erklärt. Nach Gewerkschaftsberechnungen droht in Belgien bis zu 13000 Beschäftigten bei VW und den Zulie­-fe­r­betrieben der Verlust ihrer Arbeitsplätze.


Erfolg für Berlusconi
Hunderttausende Anhänger der Rechten demonstrieren
in Rom gegen die Steuerpolitik der Regierung Prodi
Zu einem großen Erfolg für Silvio Berlusconi wurde am Samstag die Demonstration der Rechtsopposition gegen die Regierung Prodi. Nach Schätzungen der Polizei waren mindestens 700.000 Menschen in Rom auf die Straße gegangen, während Berlusconi von zwei Millionen Demonstranten sprach. Tausende Banner der Berlusconi-Partei Forza Italia, der postfaschistischen Alleanza Nazionale des früheren Außenministers Gianfranco Fini, der rechtspopulistischen Lega Nord waren vor der Basilika San Giovanni in Laterano zu sehen. Aber auch die Fahnen der faschistischen Partei "Fiamma Tricolore" waren präsent.
Berlusconi polemisierte gegen die „Steuer-Draculas“ der Linken und wetterte gegen die "67 neuen Steuern", die die Regierung Prodi angeblich mit dem Staatshaushalt 2007 einführen wolle. Er verschwieg aber, warum die Regierung sich gezwungen sieht die Steuern zu erhöhen: Berlusconis im April abgewählte Regierung hatte ein Staatsdefizit hinterlassen, das im laufenden Jahr bei knapp fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt und die Drei-Prozent-Marge des europäischen Stabilitätspakts deutlich übertrifft.




Unterstützung für Abbas
Solana und Steinmeier stärken Palästinenserpräsident. Die Hamas stellt Gaza-Waffenruhe mit Israel in Frage
Nach den gescheiterten Bemühungen um die Bildung einer gemäßigten Palästinenserregierung haben sich EU-Chefdiplomat Javier Solana und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hinter Präsident Mahmud Abbas gestellt. Bei einem Besuch in Gaza gab Solana der regierenden Hamas die Schuld am Scheitern. Abbas könne bei Entscheidungen für einen anderen Weg auf die Unterstützung der EU zählen. Steinmeier sagte: "Wir wünschen uns, dass das Nahostquartett in Zukunft eine aktivere Rolle hat. Wir wissen, dass das Eis, auf dem Sie die ersten Gehversuche mit der israelischen Regierung unternehmen, noch sehr dünn ist".
Abbas begrüßte die Forderung nach einer Wiederbelebung des Nahostquartetts (USA, EU, Russland, UN). Er versucht seit Monaten, eine gemäßigte Einheitsregierung aus der regierenden radikalislamischen Hamas und seiner Fatah zu bilden, die die internationale Isolation beenden soll. Diese müsste Bedingungen des Nahostquartetts erfüllen: Anerkennung Israels, Gewaltverzicht und Übernahme früherer Nahostabkommen.
Indes drohte die Hamas, die Waffenruhevereinbarung mit Israel aufzukündigen. Die andauernden Militäroperationen im Westjordanland stellten das Abkommen in Frage, begründete die Organisation. Israel lehnt es ab, die Waffenruhe auf das Westjordanland auszudehnen. Gestern Morgen schlug in Israel erneut eine aus dem Gaza-Streifen abgefeuerte Rakete ein - die fünfzehnte seit Inkrafttreten der Waffenruhe. Nach Angaben palästinensischer Sicherheitskräfte beschossen israelische Soldaten mutmaßliche Raketenstellungen im Norden des Gaza-Streifens.















Korruptionsskandal bei Siemens weitet sich aus. Schmiergelder gingen offenbar auch an Politiker des griechischen Innen- und Verteidigungsministeriums

Im Korruptionsskandal beim Technologiekonzern Siemens hat ein ehemaliger Mitarbeiter offenbar erstmals konkrete Adressaten der Zahlungen genannt und detailliert das System der schwarzen Kassen beschrieben. Dabei erhob der 56jährige schwere Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, wie die Süddeutsche Zeitung und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel am Wochenende berichteten.

Laut Spiegel sollen im Zusammenhang mit einem Sicherheitssystem für die Olympischen Spiele 2004 in Athen Gelder an dortige Entscheidungsträger im Innen- und Verteidigungsministerium gezahlt worden sein. Offenbar erhielt der frühere Athener Statthalter des Konzerns jährlich zwischen acht und zehn Prozent des jeweiligen Jahresumsatzes von Siemens Griechenland, um die Geschäfte mit Bargeld zu fördern. Mitunter seien das rund zehn Millionen Euro im Jahr gewesen.

Der aussagewillige Manager, der das System der schwarzen Kassen mit aufgebaut habe, sei am Freitag aus der Haft entlassen worden, hieß es weiter in dem Bericht. Siemens wollte sich laut Spiegel mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht zu dem Fall äußern.

Siemens-Angestellte sollen über ein System von schwarzen Konten mehr als 200 Millionen Euro an Firmengeldern für Schmiergeldzahlungen abgezweigt haben. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, drohen Siemens Steuernachzahlungen von bis zu 60 Millionen Euro plus Strafen.







Seehofer will offenbar den jährlichen Waldschadensbericht abschaffen

Nach Darstellung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) will Bundesminister Horst Seehofer den jährlichen Waldschadensbericht abschaffen. Der Dachverband reagierte gemeinsam mit zahlreichen weiteren Verbänden mit einem Protestschreiben. "Durch Totschweigen wird der kranke deutsche Wald nicht gesunden", kritisierte DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen.
Seit 1984 werde der Waldzustand beobachtet und das Ergebnis in einem jährlichen Bericht festgehalten. Angesichts "der nach wie vor erheblichen Aussagekraft dieser Berichte" dürften hier Kostengesichtspunkte oder gar der immer wieder bemühte Bürokratieabbau keine Rolle spielen, meint der DNR. Die Verlängerung vom einjährigen auf einen zwei- oder vierjährigen Berichtszeitraum dürfe allein deswegen nicht erfolgen, weil statistisch abgesicherte Daten so nicht mehr vorlägen beziehungsweise sehr lange Zeitreihen dafür benötigt würden.
Gerade die Waldschadensberichte und die breite Diskussion in der Öffentlichkeit hätten bewirkt, dass die Bundespolitik damals positiv reagiert und massive Reduktionen von Schwefeldioxid durchsetzt habe.
Heute würden die Wälder nicht mehr durch zu hohe Schwefeleinträge, sondern durch zu hohe Stickstoffeinträge unter anderem aus Landwirtschaft und Verkehr, durch zunehmende Trockenheit und durch Hitzestress massiv belastet. Hinzu kämen die Folgen eines rasanten Klimawandels mit Dürre, Starkregen und Stürmen. "Der Wald ist als wichtigster Bioindikator auf der gesamten Landesfläche hervorragend geeignet, die Gesamtstressbelastungen aufzuzeigen", so der DNR. Dies werde durch die jährlichen Waldzustandsberichte sehr gut dokumentiert.


Vattenfall-Chef wird Klimaberater
Hamburg. Die Umweltorganisation Greenpeace hat die Ernennung von Lars Göran Josefsson zum Klimaschutzbeauftragten der Bundesregierung kritisiert. Josefsson stehe als Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall für den Abbau und die Verstromung von Braunkohle, »dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt«, erklärte der Greenpeace-Energieexperte Andree Böhling am Freitag in Hamburg. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setze ausgerechnet beim Klimaschutz auf einen Konzernchef, der vor allem an der Klimazerstörung verdiene. Damit verspiele die Bundesregierung jegliche Glaubwürdigkeit beim Thema Klimaschutz, erklärte die Umweltorganisation.