Von der Zertrümmerung der Grundrechte und der Selbstgerechtigkeit mancher Gipfelstürmer: ein Kommentar

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Zwischen den Fronten nachzudenken, führt in Kriegszeiten in der Regel zur Enthauptung auf beiden Seiten der Gräben. Aber es hilft, um einen klaren Kopf zu behalten, jenseits von allzu einfachen, eingeübten Schuldzuweisungsreflexen, und zwar sowohl den Staatsorganen, als auch den viel gescholtenen "Autonomen" und "Linksradikalen" gegenüber. Andrasch Neunert von Radio Lora München versucht eine erste Einordnung des Gipfels. Hier sein Kommentar zu Natodraht - Zäunen und Steinewerfern, Blockaden und Gefangenen in überfüllten Käfigen. Sein vorläufiges Fazit der Woche in Rostock ist vor allem Eines nicht: erfreulich.
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07:24 min, 3469 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 08.06.2007 / 20:04

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Andrasch Neunert
Kontakt: andraschn(at)web.de
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 08.06.2007
keine Linzenz
Skript
Kommentar zum vorläufigen Fazit des sogenannten G 8 – Gipfels


Verlierer, wohin man auch sieht - das Fazit in Sachen G 8 - Gipfel fällt nicht eben erfreulich aus. Beginnen wir bei den Protestierenden... Schon die erste große Demo geriet nach hoffnungsfrohem, buntem, fantasievollem Marsch im Rostocker Hafen zum Fiasko. Ob nun Polizeiprovokateure mit von der Partie waren, oder nicht - dazu später - an der Tatsache mindestens einiger Hundert zur Gewalt entschlossener Gipfelgegner aus den Reihen des militanten Teils der sogenannten Autonomen ist nicht zu rütteln. Ihre Pflastersteine, die sie unter den untätigen Augen der scheinbar überforderten Polizei seelenruhig einsammelten, wie Waldbewohner ihre Herbstschwammerl, trafen Polizisten ebenso, wie friedliche Demonstranten - insbesondere jene Mutigen, die in vorbildlicher Weise durch Ketten zwischen Polizei und den durchgeknallten, teils auch alkoholisierten Demohooligans versuchten, das Schlimmste zu verhindern. Sie waren neben so manchem Anwalt und Sanitäter vor Ort die wahren Helden dieser Tage. Die Überreaktion der Polizei tat ihr Übriges - der Auftakt der Proteste stand unter dem medienöffentlichen Eindruck von Straßenschlachten und Polizisten in der Opferrolle. Genau die Überschriften, die die Scharfmacher in Regierung und Geheimdiensten brauchten, um den Irrsinnsaufwand der Sicherungsmaßnahmen, um die Demonstrationsverbote, die Beschnüffelungen und Durchsuchungen von Gipfelgegnern und kritischen Journalisten zu rechtfertigen. Genau diese Bilder wurden ihnen von pubertären Straßenkämpfern frei Haus geliefert. Doch die Reaktionen darauf beschränkten sich auf wenig reflektiertes Bedauern. Man zeigte nach einer kurzen Denkpause gemäß der alten Reflexe auf die böse Polizei. Kein Wort davon, dass die militanten Teile der Radikalen Linken schon im Vorfeld weitgehend unwidersprochen mit Steinewerfern auf Flugblättern und der Parole, den Gipfel "in der Ostsee zu versenken" die Stimmung angeheizt hatten. Hauptsache, die eben doch nur rein formale, oberflächliche Einheit blieb erhalten. Dies war – und das muss ausgesprochen werden – ein Kardinalfehler. Gewaltbereite, pubertierende Hools und ihre pseudointellektuellen Stichwortgeber der sogenannten Radikalen Linken halten sich weder an Absprachen, noch sind sie in der Lage, den eigenen Haufen in Krisensituationen zu kontrollieren. Sie haben in gewaltfreien Bündnissen nichts zu suchen. Ihre notwendige Ausgrenzung öffnet den Protest hin zur Menge all Jener, die aus nur zu berechtigter Angst in Rostock kaum erschienen: Zu den Friedens- und Dritte – Welt – FreundInnen aus christlichen und gewerkschaftlichen Zusammenhängen. Doch die werden verschreckt, durch radikal militantes Geschwätz.
Auch die grundsätzliche Parole von der Verhinderung des Gipfels und das völlig aussichtslose, omnipotent anmutende Projekt der Flugplatzblockade entsprangen zentralen Denkfehlern: eben nicht nur grundsätzlich das anzukündigen, was man dann auch umsetzen kann – und vor allem einem Logikfehler: Ist denn die Tatsache solcher Gipfel das Problem – oder vielmehr der eingeladene Kreis und vor allem – die Ergebnisse? Wieviel mehr Charme und Anziehungskraft hätte es gehabt, die Blockadeaktionen am Ende des Gipfels zu konzentrieren, nach dem Motto, ohne vernünftige Ergebnisse lassen wir Euch hier nicht mehr weg ?! Eine vertane Chance. Stattdessen: Null Selbstkritik, stündliche in die Irre führende Meldungen über angebliche Erfolge beim Cowboy- und Indianer – Geländespiel.
Gewinner sind dagegen die Organisatoren und Teilnehmer des alternativen Gipfels. Hier wurde solidarisch diskutiert, Interessen wurden definiert, Konzepte ausgetauscht. Ideen entwickelt, und dies geschah mit erfreulichem Interesse seitens der internationalen MedienvertreterInnen.
Verlierer sind die G 8 - Gipfelteilnehmer, auch noch so hübsch frisierte wachsweiche Formelkompromisse täuschen nicht über das Fehlen einer konkreten Klimavereinbarung hinweg. Die Zusagen des US – Präsidenten entpuppen sich bei genauer Analyse als unverbindliche Absichtserklärung, wohlfeil und folgenlos. Nichts Wesentliches, diese Überschrift gilt leider für alle wesentlichen Themen des sogenannten Gipfels, von Afrika, soweit sich das bis jetzt abzeichnet, über HIV und Entschuldung bis Weltbank - und IWF – Reform... Also kein Sieg fürs Klima, keine Öffnung priviligierter nördlicher Märkte für die Produkte aus dem Süden, allenfalls ein paar schon längst versprochene Milliarden für Bildung, ein Anti-HIV-Tropfen und ein Lesebuch auf dem heißen Stein – und selbst den alten G8 - Verpflichtungen kommen diverse Staaten – im Gegensatz zu Deutschland – nicht nach. Aber, da war doch mal was mit den nie erreichten 0,7% des Bruttosozialprodukts für die einst so bezeichnete „Entwicklungshilfe“...!? Muss lange her sein, weiß ja kaum noch Einer. Und weiter der Katechismus des weltökonomischen Grauens, dass uns die Wirtschaftsflüchtlinge in immer größeren Zahlen an die südeuropäischen Küsten schwemmt, ob tot oder lebendig: keine Einbindung von Schwellenländern und keine Erweiterung der Diskussionen auf Vertreter armer Länder, keine Stärkung oder gar Reform der UNO – Institutionen, keine Kontrolle von Heuschrecken – Fondsmanagern und Devisenspekulanten, die nächste Asien – Krise kann kommen. Note 6, setzen.
Der größte Verlierer dieser Woche jedoch sind die demokratischen Rechte, sowie die staatlichen Exekutivorgane von Polizei bis Verfassungsschutz. Darf ich kurz zusammenfassen?
Ergebnislose Durchsuchungen von Gipfelgegnern und Bespitzelung kritischer JournalistInnen samt deren Ausladung, die Quasi – Abschaffung des Demonstrationsrechts, dann untätiges polizeiliches Zusehen bei der offensichtlichen Vorbereitung von Gewalttaten während der Großdemonstration – was den Verdacht nahelegt, daß diese Gewalt nicht etwa aus Überforderung zugelassen wurde, sondern zur Legitimation der Zertrümmerung demokratischer Grundrechte bewusst in Kauf genommen, wenn nicht gar aktiv durch Agents Provocateurs betrieben. Zumindestens in den Tagen darauf massive Gewalt gegen friedliche DemonstrantInnen, mindestens vier gewalttätige Zivilpolizisten in der Verkleidung schwarz-uniformierter Autonomer, die andere DemonstrantInnen zur Gewalt aufforderten, bevor sie zu ihren uniformierten Kollegen herüberwechselten, folterähnliche Zustände in Gefangenenkäfigen nach Guantanamovorbild, Gewalt gegen Journalisten, massive Behinderung und aktive Gewalt gegen tätige Anwälte. In der Demontage des bürgerlichen Rechtsstaates durch dessen exekutive Gewalt wurde in Heiligendamm eine Grenze überschritten, die man noch vor kurzer Zeit nicht in seinen schlimmsten Alpträumen für überwindbar gehalten hätte.
Auch, wenn nur ein Teil der gut belegten Vorwürfe sich am Ende als tatsächlich wahr herausstellen sollte – wenn jetzt nicht Grüne, FDP und Linkspartei gemeinsam einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Vorgänge fordern, wann denn dann?
Den selbsternannten Stadtguerilleros jedoch, die sich nach Heiligendamm mit chauvinistischem Stolz ihre Steintreffer vorrechnen und den Sieg über Polizei und die doofen Friedensfreunde feiern, die man so schön für die eigenen Kriegsspiele missbrauchen kann, widme ich – jedenfalls denen unter ihnen, die zum Denken noch in der Lage sind, - die letzten Sätze dieses Kommentars:
Als das Rotkäppchen sich
mit einer Stricknadel bewaffnet
auf den bösen Wolf stürzte,
fraß der es auf: er handelte
in Notwehr.

Andrasch Neunert, Radio Lora München