Rezension: Maria Barbal "Wie ein Stein im Geröll"

ID 24362
 
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Die katalanische Autorin Maria Barbal ist zur Zeit auf Lesereise in der brd.
Buchrezension ihres letzten Buches.
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mp3, 80 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 02.10.2008 / 23:31

Dateizugriffe: 152

Klassifizierung

tipo: Rezension
lingua: deutsch
settore/i di redazione: Politik/Info, Kultur, Frauen/Lesben, Internationales
Entstehung

autrici/autori: heike demmel
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
data di produzione: 02.10.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
ANMOD:
Maria Barbal gilt als eine der wichtigsten Stimmen der katalanischen Gegenwartsliteratur. Morgen ist sie in Nürnberg zu hören, im Literaturhaus liest sie aus ihrem neuen Roman „Inneres Land“. Als ihr wichtigstes Buch aber gilt „Wie ein Stein im Geröll“, das sie schon 1985 geschrieben hat, das aber erst letztes Jahr auf deutsch erschien. In diesem Roman blickt eine alte Frau zurück – auf ihr karges Leben als Bäuerin im rauhen Gebirge, auf traumatische Kriegserlebnisse und ihr Überleben in der Franco-Diktatur.
Heike Demmel hat „Wie ein Stein im Geröll“ gelesen:



ABMOD:
Der Roman „Wie ein Stein im Geröll“ von Maria Barbal ist letztes Jahr beim Transit Verlag erschienen, und die Taschenbuchausgabe gibt’s ganz neu seit diesem Monat für 7.95 Euro.
Und zur Zeit ist Maria Barbal auf Lesereise und stellt dabei ihr neues Buch vor. Es heißt „Inneres Land“ und darin setzt sie sich mit den noch nicht vernarbten Wunden, die der Bürgerkrieg hinterließ, auseinander – aus der Perspektive einer Tochter, die darum ringt, das Lebensdrama ihrer Mutter zu verstehen und ihr näher zu kommen.



SKRIPT:
Es ist eine ferne Welt, in die uns Maria Barbal mit „Wie ein Stein im Geröll“ führt. Weniger, weil es in einem anderen Land, in Spanien, zu einer anderen Zeit, der des Faschismus Francos, spielt. Nein, das Gefühl des „weit weg“ erwächst eher durch die Lebenswelt, auf die die Ich-Erzählerin Conxa zurückblickt: Es ist die archaische Welt kleiner Pyrenäendörfer, das bäuerliche Leben, voll harter Arbeit und Entbehrungen. Als 13Jährige wird das 5. von 6 Kindern zu Tante und Onkel in eine anderes Dorf gegeben. So hat die eigene Familie eine Esserin weniger und die kinderlose Verwandtschaft endlich eine Arbeitskraft.
Zitat 0
Gefeiert wurde nicht oft in jenen Jahren. Es gab ja so viel Arbeit! Dass Sonntag war, merkte man nur daran, dass unser Tagwerk später begann weil wir um 6 Uhr in die Frühmesse gingen. Beim Herausgehen gerade mal ein kurzer Gruß, und schon lief man nach Hause um die Gerätschaften zu holen oder das Feuer anzuzünden, je nach Jahreszeit.“
In kurzen Kapiteln von oft nur 3, 4 Seiten entwirft Barbal das Leben Conxas: tagein, tagaus das Vieh versorgen, auf dem Feld schuften, Hof und Haushalt bestellen. Ein kärgliches Leben, ein Kampf ums Überleben, der die Menschen nicht herzlos, aber hart und schweigsam gemacht hat. Da bleibt kaum Raum für Gefühle und Klagen. Zärtlichkeit oder Anerkennung kennt Conxa höchstens durch ein Glas Milch, das ihr die Tante wortlos hinstellt. Sie fügt sich in starre Traditionen, lehnt sich nur einmal auf: als sie sich in Jaume verliebt und ihn gegen alle Widerstände heiratet. Ihn, der sich für die Republik engagiert, ein lebensfroher und solidarischer Mensch.
Zitat 1
Die Freude währt kurz und die allgegenwärtige Angst Conxas vor allem Ungewohnten, vor jeder Veränderung erweist sich als berechtigt: Als Francos Truppen im Spanischen Bürgerkrieg die Gegend erreiche, macht die faschistische Falange Jagd auf die Linken im Dorf:
Zitat 2
In Conxas und Jaumes Geschichte spiegelt sich die große Historie Spaniens des 20. Jahrhunderts wieder. Die Errichtung und Zerschlagung der Republik, die Repression Francos, politischer Mord, die Verfolgung und Stigmatisierung der Familien der Verfolgten und Toten. Auch Maria Barbal hat das hautnah erfahren: Ihr Großvater, der auf Seiten der Republik kämpfte, wurde von Faschisten verschleppt, gefoltert und entkam der angedrohten Ermordung nur knapp. Jaume dagegen teilt das Schicksal Zehntausender, die von Francos Schergen umgebracht wurden.
Zitat 3
Gegen dieses Vergessen, gegen das Schweigen schreibt Barbal an. Sie verleiht den Besiegten des Bürgerkriegs eine Stimme, denen, die in den Geschichtsbüchern oft untergehen: der bäuerlichen Bevölkerung, den entlegenen Regionen tief in den Bergen. Als „Wie ein Stein im Geröll“ 1985, 10 Jahre nach dem Tod des Diktators erschien, war das Buch eines der ersten, die das verordnete Schweigen über den Bürgerkrieg brachen und die Verbrechen Francos anprangerten. Oder eher: beschrieben. Denn Barbals Sprache ist ohne Pathos, sie selbst spricht von einer „reduzierten Form“ der Worte, und tatsächlich schreibt sie einfach, schnörkellos und nüchtern. Wodurch die Brutalität im Kleinen und Großen, die alltägliche Herabsetzung in der dörflichen Enge und später die Anfeindungen der francotreuen BewohnerInnen noch stärker zum Tragen kommen. Den Frauen, die dieses Leid ihr Leben lang ertragen mussten, wollte Barbal ein Denkmal setzen:
Zitat 4
Doch oft ist es schwer erträglich, mit welcher Leidensfähigkeit sich Conxa in ihr hartes Schicksal fügt. Auch wenn ihre Erinnerungen eine einzige Anklage sind, kommt doch kein Wort der Klage über ihre Lippen, kein Funken Auflehnung bricht aus ihr heraus, kein Wille, das Schicksal selbst in die Hand zu nehme – so schwierig das ist. Im Gegenteil, Über Conxa bricht alles herein wie unabänderliche Urgewalten, sie hängt am Gewohnten, alles andere werfe sie aus der Bahn, meint sie selbst:
Zitat 5
Barbal sagt, sie wolle diese Generation Frauen schildern, wie sie sie erlebt hat, das Leid mit großem Ernst und sehr viel Würde ertragend. Und es gelingt ihr das stoische, wortlose Erleiden plastisch und sogar nachvollziehbar zu machen: In einer Welt uralter, starrer Traditionen, abgeschnitten von Informationen und Fortschritt, wo der Gang zum Markt im nächsten Ort das weitest Erreichbare ist, entfaltet sich der Wille zum Ausbruch nur schwer - oder ganz heftig. Doch für Frauen, die im starren Rollen aufwachsen, die kaum eine Schulbank gesehen haben, deren Horizont + Denken begrenzt sind und die als arme Bauerntöchter fest in ihre Rolle gepresst werden, ist ein Ausbruch aus der Passivität doppelt und dreifach schwierig.
Auch wenn man sich das beim Lesen immer wieder wünscht...
Conxa (jedenfalls) gelingt das nicht, und sie hat genug ums reine Überleben zu kämpfen. Nach Gefängnis und Deportation kehrt sie mit ihren kleinen Kindern ins Dorf zurück, wo sie den kleinen Hof bewirtschaftet, ausgegrenzt von der franquistisch dominierten Dorfgemeinschaft.
Am Ende ihres Lebens folgt sie – wie so viele alte Menschen aus den Pyrenäen - ihrem Sohn nach Barcelona, in eine Stadt, neu und fremd:
ZITAT 6
„Wie ein Stein im Geröll ist ein melancholisches, ein trauriges Buch und gleichzeitig eine großartige Schilderung einer Frau, die für viele ihrer Generation steht. Atmosphärisch dicht, auf nur 100 Seiten, entwirft der Roman den Mikrokosmos Conxas vor dem kollektiven Trauma des republikanischen Spaniens. Die detailreiche Darstellung von Natur und dem ländlichen Arbeitstag in der rauhen Gebirgswelt geben dem Buch einen eigentümlichen Glanz. Ein schmaler Band, sehr realistisch und gleichzeitig doch poetisch.

Kommentare
05.10.2008 / 22:51 theo,
gesendet am 4.10.2008 zwischen 14.00-15.00 in "Aus P+K+G"
danke