"Gegen Ohne Für" - Kunst, Avantgarde und gesellschaftliche Emanzipation

ID 29922
 
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Diskussionsrunde über Kunst, Avantgarde und gesellschaftliche Emanzipation. Organisiert von der Gruppe Kritikmaximierung.

Podiumsdiskussion vom Samstag, den 19.09.2009 in der Roten Flora.

Es diskutieren: Autor und Filmemacher Stephan Geene (b_books, Berlin), Till Gathmann (Künstler, Leipzig), Rosa Perutz (antinationale Organisierung in der Kunst) und Kerstin Stakemeier (Kunsthistorikerin, Berlin). Moderation: Roger Behrens (Hamburg)

siehe: http://www.kritikmaximierung.de/veransta...


update: die anschließende diskussionsrunde versteckt sich hier: http://www.sendspace.com/file/8ns1wd
Audio
54:39 min, 47 MB, oga
vorbis, 119 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.09.2009 / 23:37

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Klassifizierung

Beitragsart: Collage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: Kunst, Spektakel und Revolution
Entstehung

AutorInnen: fsk
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 22.09.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ankündigungstext:
»Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen.« Mit dieser Formulierung Theodor W. Adornos ist festgehalten, was das dezidierte Interesse der Linken an Malerei, Theater, Film, Musik, usw. begründen sollte. Zwar wird das mitunter im abstrakten Bezug auf die Kunst diskutiert, doch bleibt das konkrete gesellschaftliche Verhältnis der Linken zur Kunst, zur künstlerischen Produktion, zum Kunstbetrieb diffus, und zwar ganz im Gegensatz zu Adornos Diktum: Geht es um die »eigene«, dem »Subkultur«-Selbstverständnis nach für »links«, also für »politisch« erklärte Kunst wie z.B. Punk, Hip Hop, Streetart oder Szenemoden werden die Kunst und die Künste meist nur naiv, bestenfalls sentimentalisch begriffen. »Kunst« bringt so vor allem Ordnung in die eigene linke Lebenswelt. Geht es hingegen um die mit dem bürgerlichen Hochkulturbetrieb identifizierten Künste, übt man sich in verächtlicher Distanz oder stumpfer Gleichgültigkeit. Die Künste gelten bloß als Teile der gesellschaftlichen Gesamt-Ordnung, blasierte Verlängerungen von Sektempfängen und Auktionen, Opernbällen und Literaturabenden, sofern man nicht gerade selbst an ihnen konsumierend teilnimmt. Damit einher gehen Ressentiments gegenüber einer angeblich verblödenden Massenkultur, deren Beispiele – seien es Michael Jackson oder Harry Potter, Lady Gaga oder James Bond – austauschbar bleiben, solange das Grundverdikt unberührt bleibt, dass es sich hierbei selbstverständlich um Pseudokunst und Kitsch handelt.


Seit die Linke nicht nur als politische Bewegung, sondern vor allem auch als Lebensentwurf existiert, hat es an Gegenmodellen zum bürgerlichen Kulturbetrieb und seinem Mainstream nie gefehlt. Diese Gegenmodelle blieben und bleiben jedoch weitgehend einem begrifflosen Aktionismus verpflichtet, und so formieren sie sich auch nicht reflexiv am Begriff der Kunst. »Kunst« ist auch hier nur das, was unmittelbar, subjektiv gefällt. Was man als Linke aber von der Kunst will und was man von ihr erwarten kann und darf, ist kaum thematisiert worden. Wo dies in den letzten zwanzig Jahren doch einmal passierte, blieb jeder gesellschaftliche wie ästhetische Begriff von Kunst und die Bestimmung seiner Möglichkeiten zu einer umfassenden Emanzipation unter jedem Niveau. Wie die konkrete künstlerische Produktion als radikale Praxis, blieb auch die kritische Theorie dazu eine Leerstelle.

Gerade das zwanzigste Jahrhundert mit seinen vielfältigen marxistischen, sozialistischen, anarchistischen Theorien zur Ästhetik und Kunstgeschichte (von Georg Lukács über Walter Benjamin, von Lu Märten über Arnold Hauser, von Clement Greenberg über Peter Bürger) bietet dabei mehr als explosiven Diskussionsstoff. Auch die künstlerisch-revolutionären Avantgarden, genannt seien hier nur Dadaismus, Surrealismus, Proletkult oder die Situationistische Internationale wurden in ihren historisch-praktischen Erfahrungen von der Linken im Hinblick auf das eigene Verhältnis zur Kunst bisher kaum reflektiert. Statt dessen ist die Suche nach dem »Politischen« sukzessive zu einer Geschmacks- und Einstellungsfrage nivelliert worden, die man bestenfalls mit Verweis auf die hygienisch kanonisierte Plattensammlung beantwortet. Statt eine Politisierung der Kunst experimentell immer wieder auf die Probe zu stellen, richteten sich viele Linke dort ein, wo die anderen längst schon gemütlich wohnten: in der allgemeinen Ästhetisierung der Politik.

Wie sieht es aber auf Seiten der Kunst aus? Die Frage stellt sich ernsthaft, weil ausgerechnet für die 1990er Jahre behauptet wird, es hätte auf ganzer Linie, in allen Bereichen, in allen Zonen des Kulturbetriebes eine Politisierung oder Repolitisierung der Kunst stattgefunden. Davon hat die Linke aber offenbar nicht nur nichts mitbekommen. Die Kunst und die Künste erklärten das Politische zum Thema und zu ihrer originären Domäne gerade in der Zeit nach 1989, in der Großteile der Linken sich erleichtert-erleichternd vom Politischen und der dazugehörigen radikalen Praxis verabschiedeten. Die vermeintliche (Re-)Politisierung der Kunst, die ihre Impulse zunächst weniger von außen, aus der Gesellschaft bezog, sondern auf eine quasi innerbetriebliche Krise reagierte (Stichworte: Kunstmarkt, institutionskritische Kunst), hat nunmehr eine Neupositionierung der Gegenwartskunst innerhalb der Gesellschaft gezeitigt. Verwiesen sei auf die ›Utopia Station‹, 2003, oder die ›Documenta 11‹, 2002. Ob die Wiederkehr des Politischen nun unter den Etiketten »Militant Research« oder »Reenactment« firmiert, oder wie früher irgendwas mit »Performance« oder »experimentellem Theater« zu tun hat – banal, größenwahnsinnig, pseudo-provokativ oder aggressiv-brutal wird sie gegenwärtig von sehr verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern inszeniert, die mitunter reklamieren, dass in ihrer Spektakelkunst die »echte, wahre, wirkliche Politik« ihre so lange gesuchte Heimat gefunden habe.

Unterfüttert ist dies durch eine postmoderne Theorie, die das begrifflose Denken als hohe Kunst etabliert hat und für die Wahrheit Unsinn und gesellschaftliche Objektivität ein Schimpfwort ist. Das Politische gerät dabei selbst zur Kunst, wie alles Künstlerische mit Politik zusammengereimt wird. Es gilt das Prinzip der assoziativen Überbietung: Jeder darf alles, es muss nur laut genug sein. Für die Kunst bedeutet das faktisch mitnichten eine Politisierung, aber wenigstens – und finanziell ist das für die Branche nötig gewesen – eine Revitalisierung ihrer ureigensten Funktionen, die sie einst mit Beginn des bürgerlichen Zeitalters aufgetragen bekam. Sie fällt damit in den Zustand des affirmativen Charakters der Kultur zurück. Anders gesagt: Kunst darf Chaos verursachen, solange sie die allgemeine Ordnung in Ruhe lässt.

Bemerkenswert ist schließlich und immerhin, dass dieses Spektakel kaum Spuren in der gegenwärtigen Gesellschaft hinterlässt und alle Aufregung um diesen oder jenen Künstler (es sind eben doch wieder einmal vorwiegend als Männer definierte Personen) verflüchtigt sich rasch und ohne Rückstände. Die Ausstellungsräume werden schon für die nächste verrückte Show renoviert.

Das einzige, was Bestand hat ist das Bestehende selbst: die Tradition, – und dafür ist die deutsche Kunst weltmarktführend – die auch und gerade bei den Erfolgreichsten der jüngsten Wilden als kokettes Eingeständnis an Restauration und Konservatismus erkennbar wird: Das Thema »Gesellschaft« gibt es hier nur als schlechte Romantik oder gute Innerlichkeit. Vergangenheit tritt nur als offizielle auf, das heißt endgültig für vergangen erklärte. Ist man damit einverstanden, ist in der Kunst alles möglich; kann jede Revolution, Revolte und Aufstand zum brisanten Gegenstand stilisiert werden. Damit haben gerade Künstler überhaupt kein Problem, die sich ansonsten ihrer Rock-, ›68er‹-, Punk- oder Autonomen-Biographie rühmen. Und insofern gehört auch das mit zur Frage nach dem Verhältnis der Linken zur Kunst, heute.

Hinzu kommt, was ohnehin passiert: dass sich seit 9/11, den No-Global-Protesten von Seattle, Göteborg, Prag und Genua und den mittlerweile deutlich spürbaren Folgen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise »das Politische« als die ganz alltäglich-konkrete »Gesellschaft«, mit der die Menschen allenthalben zu tun haben und haben müssen, der Kunst und den Künsten nahezu aufdrängt. Was in der künstlerischen Auseinandersetzung damit jedoch fehlt ist die Kritik, die ästhetische wie die politische, schließlich die praktische Kritik, die das Ästhetische und Politische zusammenführt, aufhebt. Solange bleiben die Kunst und die Linke, was sie mit den neunziger Jahren immer mehr geworden sind: höchstens Parallelen. Und solange fallen die Versuche der Linken, sich zur Welt künstlerisch zu verhalten, so geistlos und langweilig aus wie die Annäherungen der Kunst an das Politische dumm und grobschlächtig bleiben.

Mit unserer Veranstaltung wollen wir das Verhältnis von Kunst und gesellschaftlicher Emanzipation erneut diskutieren: Wenn die Kunst das Ende der Utopie erklärt, vermag sie dennoch gesellschaftliche Widersprüche aufzuzeigen? Kann sie Vorschein einer wirklich menschlichen Gesellschaft sein oder ist sie lediglich gute Unterhaltung? Wenn Emanzipation überhaupt eine Aufgabe der Kunst ist, wie kann dann emanzipatorische Kunst aussehen? Wenn es stimmt, dass die Avantgarde-Bewegungen gescheitert sind, ist aus ihnen trotzdem etwas mitzunehmen? Welche theoretischen Debatten um Kunst und Gesellschaft wurden in der Linken geführt und wie lassen sie sich heute aktualisieren? Inwieweit erweist sich die Möglichkeit emanzipatorischer Kunst als durch die Kulturindustrie aufgezehrt?

Bertolt Brecht schrieb an die kommunistischen Maler: »Wenn ihr gefragt werdet, ob ihr Kommunisten seid, so ist es besser, wenn ihr zum Beweis eure Bilder als eure Parteibücher vorzeigen könnt.« Unsere Veranstaltung ist von dem Wunsch getragen, Brechts Rat in zwei Richtungen zu aktualisieren. Wir wollen gesellschaftskritische KünstlerInnen. Das sind sie, wenn sie die Verhältnisse, die Kunst und die eigene Rolle als ProduzentInnen rückhaltlos reflektieren. Ebenso wollen wir eine Linke, die sich endlich auch einmal um Kunst und nicht um Bekenntnisse schert.

Im Anschluss an die Veranstaltung: Konzert mit Tocotronic anlässlich des 20. Geburtstages der Roten Flora

Die Veranstaltung wird unterstützt von:
Jungle World, Freies Sender Kombinat (FSK) und dem Beatpunk Webzine

Kommentare
29.09.2009 / 23:25 theo,
gesendet 29.9.2009 / 21.30
die Diskussion dazu habt Ihr nicht mitgeschnitten? Das ist doch nur ein Einstieg oder?
 
30.09.2009 / 23:38 ta, Radio Corax, Halle
doch
http://www.sendspace.com/file/8ns1wd
 
19.10.2009 / 11:51 theo,
danke für die Adresse
c