„Den Hitler jag ich in die Luft“ - Vor 70 Jahren scheiterte das Attentat von Georg Elser

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„Den Hitler jag ich in die Luft“ heißt eine Biographie zu Georg Elser, die nun neu herausgekommen ist. Georg Elser war einer der ganz wenigen, die es fast geschafft hätten, den „Führer“ zu töten (am 8.11.1938). Doch seine mutige Tat wurde und wird bisher wenig gewürdigt. Nun ist eine Biographie Georg Elsers neu herausgekommen.
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mp3, 80 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 05.11.2009 / 18:11

Dateizugriffe: 2839

Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Heike Demmel
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 05.11.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
ANMOD Elser:
Vor 70 Jahren, am 8. November 1939 wäre Hitler fast in die Luft geflogen. Der Schreiner Georg Elser hatte eine Zeitzünderbombe konstruiert, die Hitler nur deswegen nicht traf, weil er unerwartet früh den Saal verlassen hatte.
Doch während die Attentäter vom 20. Juli hoch geehrt werden, wurde Georg Elser lange missachtet und diffamiert. Nun hat Hellmut G. Haasis eine Biographie geschrieben, die mit vielen Legenden um Georg Elser aufräumt. „Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser“ heißt das Buch, Heike Demmel stellt es vor:

ABMOD:
»Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser“ heißt die Biografie von Hellmut G. Haasis. Das Buch ist als neue, überarbeitete Ausgabe erschienen, hat 400 Seiten und kostet 19,90 Euro.
Deutschland tat sich lange schwer mit dem Gedenken an Georg Elser. Doch mittlerweile gibt es einige Orte, die an ihn erinnern. Eine Gedenkplatte am Ort des Attentats in München, eine von Jugendlichen gestaltete Holzskulptur in Freiburg, eine Gedenktafel und Forschungsstätte in seinem Geburtsort Königsbronn. Und auch in Berlin soll auf Initiative von Rolf Hochhuth <http://de.wikipedia.org/wiki/Rolf_Hochhu...; zum 70. Jahrestag in diesem Jahr ein Denkmal errichtet werden. Als geeigneten Ort hat der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, das Gelände der ehemaligen Reichskanzlei und des sogenannten Führerbunkers zwischen Potsdamer Platz und Holocaust-Denkmal vorgeschlagen. In Übereinstimmung mit Hochhuth: «Dort, wo Hitler sich erschossen hat, sollte es das ehrende Gedenken an Johann Georg Elser geben», meinte der 78-jährige Dramatiker.



SKRIPT:

„Er war nur ein einfacher Schreiner“. So heißt es oft über den Hitler-Attentäter Georg Elser. Doch fast hätte er es vor 70 Jahren geschafft, Hitler in die Luft zu sprengen. Es fehlten nur 13 Minuten. Der „Führer“ war früher als erwartet abgereist. Wegen schlechten Wetters nahm er den Zug statt dem Flugzeug und musste früher los. Als die Bombe im Bürgerbräukeller hochging , war Hitler schon weg. In seinem Buch „Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser“ würdigt Hellmut G. Haasis den Hitler-Attentäter respektvoll und detailraich. Er beschreibt ihn so:

Haasis:
„Georg Elser war ein libertärer, nichtstalinistischer Sozialist, der die KPD wählte, von der SPD erwartete er nicht. Elser war eine in sich ruhende, gefestigte Person, mitten in einem Regime, das Mitläufer brauchte.“

Georg Elser stammte aus einer schwäbischen Holzarbeiter- und Bauernfamilie. Als Ältester arbeitete er auf dem Hof mit, war Kindsmagd für die Geschwister und half dem Vater im Holz. Schon früh fiel sein technisches und handwerkliches Geschick auf: er war ein Tüftler und Bastler, was ihm später beim Bau der Bombe zu gute kam. Dem Bild Elsers als einzelgängerischer Sonderling stellt Haasis einen anderen Menschen entgegen: den geselligen, wenn auch schweigsamen Handwerker, der im Musikverein war, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte und sich seinen unabhängigen Geist bewahrte. Elser verweigert den Hitlergruß, meidet die NS-Aufzüge auf der Straße und sein Bruder Leonhard erinnert sich:

Bruder:
Über Politik hat der Georg nie gesprochen. Aber den Hitler, den hat er nicht leiden können. Wenn eine Führerrede im Radio war, ist er immer aus dem Zimmer gegangen.

Haasis arbeitet in seinem Buch akribisch Elsers Überzeugung und Motivation heraus. Was wichtig ist, schließlich wurde Elser lange totgeschwiegen und diffamiert: Noch 1999 schrieb Lothar Fritze vom Hannah-Arendt-Institut über ihn, Elser habe „seine Beurteilungskompetenz überschritten“. Dem stellt Haasis Elsers festen Überzeugungen und Analysen gegenüber und zitiert aus den Vernehmungsakten der Gestapo, wo Elser sagt:

Elser:
„Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiter bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass man nur dadurch etwas verändern kann, dass man die augenblickliche Führung beseitigt, also Hitler, Göring und Goebbels.

Elser war Mitglied im Holzarbeiterverband und im kommunistischen Frontkämpferbund, engagierte sich in beidem jedoch kaum. Doch Haasis arbeitet heraus, dass es dem „einfachen Schreiner“ nicht nur um eine Verhinderung des Kriegs ging. In Gestapo-Haft rechnet Elser haarklein vor, dass es den ArbeiterInnen seit dem Nationalsozialismus ständig schlechter ging:

Elser:
Im Jahr 1929 bekam ein Schreiner einen Stundenlohn von 1 Mark, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfennig bezahlt.

Im Herbst 1938 fasste Elser den Entschluss Hitler zu töten. Die jährlichen Feierlichkeiten zum Jahrestag des Hitlerputsches im Münchner Bürgerbräukeller schienen ihm der geeignete Ort: waren dort doch nur „alte Kämpfer“ im Saal und sprach Hitler dort immer selbst. In beharrlicher, mehrmonatiger Kleinarbeit bereitete er das Attentat vor. Er studierte Uhrwerke für die Zeitzünder, heuerte als Handlanger im Steinbruch an, um an Sprengmaterial zu kommen und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Abend für Abend ließ er sich im Bürgerbräukeller einschließen, um die Säule hinter Hitlers Rednerpult für den Sprengapparat auszuhöhlen. Aus Elsers Verhörprotokollen:

Elser:
Die weitere Arbeit an der aus Backsteinen bestehenden Säule führte ich mit Meißel, Bohrwinde und Meißelbohrer aus. Da der kleinste Laut in dem leeren Saal bei Nacht ziemlich stark widerhallte, musste ich sehr vorsichtig sein. Wenn ich z. B. einen Stein herausbrechen musste, habe ich immer gewartet, bis in den Abortanlagen des Bürgerbräukellers die automatische Spülung einsetzte.

Über 30 Nächte arbeitete er so stundenlang auf den Knien, im funzligen Taschenlampenlicht. Tagsüber schlief er, bewahrte absolutes Stillschweigen und schraubte die Zeitbombe zusammen. Eine Meisterleistung, über die der Münchner Polizeipräsident später schrieb, dass dort „fachmännisch hervorragende Arbeit geleistet worden“ sei. Pünktlich um 21:20 am 8. November 1938 explodierte die Bombe. Säule und Saaldecke wurden zerstört, Hitlers Rednerpult lag unter einem meterhohen Schutthaufen begraben. Doch Hitler war dieses Jahr früher als sonst aufgebrochen. 13 Minuten zu früh. Getötet wurden sieben NSDAP und SAler und eine Kellnerin. Was Elser wiederum Vorwürfe von Lothar Fritze einbrachte, der schriebt, Elser habe „den Tod von acht Menschen schuldhaft verursacht“. Dem stellt Haasis Elsers umsichtige und gezielte Planungen gegenüber, an einem Ort, wo bis auf die Kellnerinnen nur NS-Würdenträger versammelt waren. Und er verteidigt den versuchten „Tyrannenmord“ Elsers.

Haasis:
„Nachkriegsdeutschland hat lange Zeit die Berechtigung des Attentats nicht zugeben wollen und sich zur Selbstentlastung der acht „unschuldigen Opfer“ bedient. Kein Gedanke an Hitlers Millionen Morde in den Lagern, an die Euthanasie-Opfer, kein Vergleich mit den 50 Millionen Opfern des Zweiten Weltkriegs. Das Mitgefühl galt eher den acht Toten vom eingestürzten Bürgerbräukeller“.

Doch so zielstrebig Elser das Attentat geplant hatte, so schlecht gelang die Flucht. Elser wurde an der Grenze zur Schweiz festgenommen. Mit einer Ansichtskarte des Bürgerbräukellers, Teilen des Zeitzünders und einem Abzeichen des Roten Frontkämpferbundes in der Tasche. Doch selbst wenn die Flucht geglückt wäre, Elsers Schicksal hätte kaum anders ausgesehen, meint Haasis.

Haasis:
„Doch die Gestapo hätte von der Schweiz sofort die Auslieferung als Schwerverbrecher verlangt, und die politische Polizei von Bern wäre dem Verlangen gerne gefolgt. Es gab ein gegenseitiges Abkommen beider Staaten, dass Attentäter auf der Staatsoberhaupt gegenseitig ausgeliefert werden.“

Elsers Versuche, sich harmlos und naiv zu geben, halfen ihm nicht. Nach nächtelangen Verhören, bei denen er schwer gefoltert wurde, gestand er fünf Tage später seine Tat. Doch er verriet niemand, verschleierte Spuren und beharrte auf seiner Alleintäterschaft. Was ihm niemand glauben wollte. Unterstellt wurde ihm nicht nur die Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst oder mit dem NS-Abtrünnigen Otto Strasser. Jahrzehntelang hielten sich die Gerüchte, das Attentat sei fingiert und Elser ein SS-Mann. Haasis beschreibt ausführlich die Anschuldigungen des KZ-Insassen und späteren Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, der 1946 an Elsers Mutter schrieb:

Niemöller:
„Dass Ihr Sohn zur SS gehört habe, ist mir schon in Oranienburg wie auch später in Dachau von SS-Angehörigen mitgeteilt worden. Er verkehrte mit ihnen auch durchaus kameradschaftlich und stand auf Du und Du mit ihnen“.

Misstrauen über den seltsamen KZ-Häftling, dessen Namen niemand kannte, der aber eine größere Zelle bekam und sogar tischlern durfte, ist verständlich. Doch Niemöller rückte auch Jahrzehnte später nicht von seinen Vorwürfen ab, wo längst klar war, dass sie völlig haltlos waren. Nicht erst das Auftauchen der Verhörprotokollen in den 60er Jahren belegt dies eindeutig.
Elser dagegen verbrachte 5 Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern, immer aufs schärfste bewacht und in totaler Isolation. Dem Sonderhäftling sollte nach Kriegsende ein Schauprozess gemacht werden. Elser wurde krank, magerte ab und machte sich keine Illusionen über sein baldiges Ende. Auch seine Familie wurde festgenommen, jahrelang immer wieder verhört und in Elsers Geburtsort Königsbronn drehte die Gestapo jeden Stein um.
Am 9. April 1945 – zwanzig Tage vor der Befreiung des Lagers Dachau durch die US-Armee, wurde Elser auf Hitlers Anordnung ermordet.

Engagiert und gewissenhaft begibt sich Haasis auf Elsers Spuren. Und verteidigt den „einfachen Schreiner“, „Sonderling“ und „Fanatiker“ gegen alle Anschuldigungen. Doch dabei schießt Haasis manchmal übers Ziel hinaus und ergeht sich in unnötigen Einzelheiten zum Beispiel zu den verschiedenen Wohnorten Elsers. Sein ständiges Anschreiben gegen Unwahrheiten über Elser wirkt bisweilen penetrant und besserwisserisch. Und er skandalisiert zu sehr. Zum Beispiel wenn er schildert, dass nach dem Erscheinen seiner ersten Elser-Biographie die Grabplatte des Elser-Mörders vom Friedhofsamt entfernt wurde. Haasis fragt:

Haasis:
„Ist es richtig, eine solche Korrektur klammheimlich vorzunehmen? Wie steht es mit der Unverletzlichkeit der Totenruhe, die sonst so hoch gehalten wird? Hätte ich selber die Platte entfernt, ich wäre verklagt worden.“

Doch unbestritten ist, dass Haasis eine kenntnnisreiche und spannend zu lesende Biographie über Georg Elser geschrieben hat, die das völlig schiefe Bild über den mutigen und beharrlichen Hitlerattentäter gerade rückt. Zu dem Haasis schreibt:

Haasis:

Elsers Anschlag hinterließ zwei Schutthaufen: den ersten im Bürgerbräukeller, den zweiten in den Köpfen der Deutschen.

Weshalb Elser so lange unbekannt blieb und erst in den letzten Jahres ins auch offizielle Gedenken aufgenommen wurde, liegt auf der Hand. Er lässt sich nicht vereinnahmen wie andere:
WiderstandskämpferInnen wie die Geschwister Scholl standen für die jugendliche Intelligenz, die sich gegen Hitler erhob. Kirchenmänner wie Bonnhöfer und Niemöller sollten den Widerstand der Kirche symbolisierten. Der 20. Juli war wichtig um die Verbrechen der Wehrmacht zu relativieren. Doch Georg Elser ließ sich nicht für revisionistische Gedanken verwenden. Der „einfache Schreiner“ hatte seine Analyse der Gesellschaft und daraus als Individuum gehandelt. Er ist das personifizierte schlechte Gewissen für diejenigen, die immer sagen: „die einfachen Leute haben davon nichts gewusst“. Elser hält Mitläufern, mit dem Spruch auf den Lippen „Was hätte ein Einzelner schon tun können?“ seine Tat entgegen. Daraus baut man in Deutschland nur ungern Helden oder Gedenkstätten. Hellmut G. Haasis aber setzt Georg Elser mit seiner Biographie ein solches Denkmal.




Kommentare
05.11.2009 / 18:54 sagt Ralf, Radio Corax, Halle
wird morgen im Mittagsmagazin auf CORAX gesendet
und bedankt sich bei Euch.....
 
06.11.2009 / 15:57 Wüste Welle, Isabel Dean,
zip-fm vom 6.11.2009
leicht gekürzt gesendet, danke schön
 
07.11.2009 / 12:58 kmm, Radio Dreyeckland, Freiburg
wurde...
..im mora am fr.6.11. gerne gesendet. ausserdem auch bis zum wochende gerne zum download über unsere hompage bereitgestellt.
 
10.11.2009 / 16:18 sonar aktuell, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet
am 6.Nov 2009
 
30.11.2009 / 18:11 Walter Kuhl, Dissent Medienwerkstatt
Gesendet bei Radio Darmstadt
am 30.11.2009. Danke!
 
08.11.2011 / 16:55 udo, Radio Corax, Halle
zum jahrestag 2011
noch einmal gespielt