Hungerstreik im Abschiebknast Grünau, Berlin

ID 3327
 
Beitrag zum Hungerstreik in Grünau im Januar/ Februar 2003 mit Interviews von Abschiebehäftlingen; kurze Einleitung zu Praxis und Funktion von Abschiebung; kurzer Hinweis auf neuen Fahndungsaufruf des LKA gegen Bernhard, Thomas und Peter, die wegen des Verdachts der versuchten Sprengung des Knastes 1995 gesucht werden.

Der Beitrag des PiratInnenradios FFB Berlin entstand im Februar 2003. Das verwendete Audiomaterial (Interview mit einem Flüchtling) stammt von Kanal B und kann auf deren Homepage (www.kanalb.de) als RealPlayer-Datei in voller Länge heruntergeladen werden.
Audio
14:01 min, 9857 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 20.02.2003 / 17:09

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Collage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Jugend, Arbeitswelt, SeniorInnen, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Entstehung

AutorInnen: Hustensaft
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 20.02.2003
keine Linzenz
Skript
Beitrag zum Hungerstreik in Grünau im Januar/ Februar 2003 mit Interviews von Abschiebehäftlingen; kurze Einleitung zu Praxis und Funktion von Abschiebung; kurzer Hinweis auf neuen Fahndungsaufruf des LKA gegen Bernhard, Thomas und Peter, die wegen des Verdachts der versuchten Sprengung des Knastes 1995 gesucht werden.

Abschiebehaft

Wenn Menschen im Abschiebeknast landen, dann sind ihre Chancen auf ein Leben in diesem Lande rapide gesunken.

Abschiebehaft ist die Zuspitzung bundesdeutscher Abschottungspolitik und steht für Freiheitsberaubung von Menschen. Freiheitsentzug, der durch Richterinnen und Richter in schlampigen fünf-Minuten-Verhandlungen gesetzlich "legitimiert" wurde, oft ohne Anhörung der Betroffenen und Rechtsbeistände

Abschiebehaft hat die Funktion, die Menschen bis zur Abschiebung zu internieren. Das heißt: die Gefangenen kommen in der Regel erst aus dieser Haft heraus, wenn sie in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.

Da die Gründe für die Einreise nach Deutschland für Flüchtlinge unterschiedlich sind, hat auch die Abschiebung für die Menschen unterschiedliche Bedeutungen. Ob es pure Angst vor der Auslieferung in die Hände des Verfolgerlandes ist, oder ob es die Rückkehr in Kriegsverhältnisse, Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit ist - in den meisten Fällen hat die Abschiebung katastrophale Folgen für die Betroffenen.

Es gibt zwei Abschiebeknäste in Berlin. Den Abschiebeknast Kruppstraße in Berlin-Moabit, dessen 140 Plaätze vorwiegend mit Frauen belegt sind; und den Abschniebeknast Grünau in Berlin-Köpenick mit knapp 400 Plätzen. Ein Hochsicherheitstrakt, der nach modernen Maßstäben der Menschenverachtung konstruiert und in Planung der damals anstehenden Abschottungspolitik 1995 eröffnet wurde.

Die Abschiebehaft dient den Behörden und Gerichten in Berlin nicht nur zur Durchführung der Abschiebung, sondern zunehmend als Beugemaßnahme gegen Menschen, um sie zu zwingen, bei der Paßbeschaffung oder bei ihrer Identitätsklärung aktiv mitzuwirken. Demzufolge sitzen viele Gefangene über Monate - einige über ein Jahr in Haft.

Fast alle haben keine RechtsanwältInnen, die meisten hätten auch kein Geld dafür.

Das meist ignorante und rassistische Verhalten der Knastbullen oder der Sozialarbeiter oder des medizinischen Personals - alle Angestellte der Polizei - verschärft das Gefühl der Hilflosigkeit. Es kommt zu Selbstverletzungen und Selbstmordversuchen der Gefangenen

Immer wieder kommt es zu Mißhandlungen oder unterlassener Hilfeleistung von Seiten des Personals. Straftatbestände, die im Abschiebeknast immer ungesühnt bleiben.

In dieser Null-Chance-Situation ergreifen immer häufiger und immer mehr Gefangene die Initiative und wehren sich mit den Möglichkeiten, die ihnen noch geblieben sind. Sie hören auf zu essen und riskieren ihre Gesundheit, um gegen ihre Inhaftierung und die drohende Abschiebung zu demonstrieren.

Der Kampf ist riskant und die Gefahr der Langzeit- und Folgeschäden wächst mit zunehmender Länge des Hungerstreiks.

Am 20. Januar diesen Jahres traten 68 Insassen des Abschiebegefängnis Köpenick in den Hungerstreik; ein Flüchtling war zu dieser Zeit schon im fünftägigen Durststreik.

Die Streikenden forderten die Entlassung derjenigen Flüchtlinge, bei denen Abschiebehindernisse bestehen, das Ende der übermäßig langen Haftzeiten sowie mehr Klarheit über den Zeitpunkt der Abschiebung. Außerdem streikten sie für eine bessere Behandlung durch das Personal, für die Verbesserung der Haftbedingungen und die Möglichkeit, einer Beschäftigung nachzugehen.
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Innensenator Körting versprach umgehend, die Haftbedingungen zu verbessern: Einige der Gitter und Trennscheiben sollen abgebaut und der Hofgang um eine halbe Stunde verlängert werden. Außerdem würde geprüft, ob evtl. Tischtennisplatten aufgebaut werden könnten. Die unmenschliche Abschiebehaft wollte Körting aber nicht grundsätzlich in frage stellen.

In einer Pressemitteilung teilte der Innensenator mit, mit dem Einlenken der Behörde sei der Hungerstreik beendet. Tatsächlich haben die meisten ihren Hungerstreik abgebrochen.

Doch keine der Zusagen wurden eingehalten. Im Gegenteil: Die Hungerstreikenden waren zunehmenden Schikanen und Beschimpfungen ausgesetzt; das Gefängnispersonal führte eine Razzia durch.

Daraufhin nahmen etwa 70 Insassen des Gefängnisses den Hungerstreik 3 Wochen später wieder auf. Erneut kritisierten sie die langen Bearbeitungszeiten und forderten die Verbesserung der Haftbedingungen.

Mehrere der Gefangenen haben versucht, sich zu erhängen oder die Pulsadern aufzuschneiden. Andere fügten sich schwere Verletzungen zu, um ihre Entlassung oder Verlegung zu erreichen.

Einige, darunter ein 16jähriger, wurden daraufhin tatsächlich entlassen; die meisten allerdings wurden nach der ärztlichen Behandlung in die Psychiatrie oder Einzelzellen verlegt.

Aus Solidarität mit den Hungerstreikenden organisierten 150 UnterstützerInnen eine Protestkundgebung vor dem Innensenat und zwei Wochen später eine lautstarke Knastkundgebung vor dem Abschiebegefängnis Grünau. Mit der Kundgebung sollte den Häftlingen vermittelt werden, dass ihr Hungerstreik und ihre Forderungen auf Resonanz stoßen und dass eine Welt außerhalb des Knastbetriebes sie unterstützt.

Auf der Kundgebung wurde ein Protestbrief der etwa 40 in Grünau inhaftierten Frauen verlesen. Auch die Frauen kritisieren die Haftbedingungen und die langen Bearbeitungszeiten. Über die unerträgliche Behandlung, der die Frauen von Seiten des Personals ausgesetzt sind, schreiben sie:

"Ein Mensch, der in Ohnmacht fällt, ruft bei ihnen überhaupt nur Lachen hervor.... Das Verhalten des Polizeipersonals läuft auf Willkür hinaus, auf Erniedrigung und Spott. Jegliche Bitte oder Frage führt zu offener Grobheit und Missachtung von ihrer Seite... einige tun sich besonders in ihrer Bestialität hervor."

Über das Personal berichtet ein anderer Häftling:

Die Abschiebehäftlinge sind sich bewusst, dass die Forderungen nach Verbesserungen der Haftbedingungen nicht radikal genug sind, und dass die Kritik eigentlich über die Mauern des Gefängnis hinausgehen müsste:

In der gleichen Februarwoche 2003, in der die Kundgebung stattfand, veröffentlichte das Landeskriminalamt Berlin einen neuen Fahndungsaufruf gegen Bernhard, Thomas und Peter.

Die 3 sollen der militanten Gruppe K.O.M.I.T.E.E. angehören, die 1995 während des Autonomie-Kongresses in Berlin versucht hatte, einen Teil des Abschiebegefängnisses Grünau zu sprengen. Wer auch immer den Sprengsatz gelegt hatte wurde damals durch eine Polizeistreife gestört und musste unverrichteter Dinge fliehen.

Bernhard, Thomas und Peter sind seit 8 Jahren untergetaucht.

In Berlin gibt es vor allem die Initiative gegen Abschiebehaft und die Antirassistische Initiative Berlin (ARI), deren Mitglieder die Gefangenen besuchen und betreuen.
Für beide Organisationen - Ini und ARI - sind Hungerstreiks auch immer Anlaß, auf die Existenz und den Skandal der Abschiebeknäste überhaupt aufmerksam zu machen.

Die Unterstützung von Gefangenen in Abschiebehaft erfordert Zeit und starke Nerven. Denn die psychische Belastung ist groß im Umgang mit Menschen, die Schrecklichstes erlebt haben und die auch jetzt absolut mit dem Rücken an der Wand stehen. So werden immer Menschen gesucht, die sich an dieser Arbeit beteiligen wollen.