european gendarmerie forces (egf) manöver zur aufstandsbekämpfung in brandenburg

ID 36207
 
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eu gendarmerien sind eine mischform aus polizei und militär und sollen verstärkt armeen bei auslandseinsätzen ersetzen.
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Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Entstehung

AutorInnen: rabotz
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 24.09.2010
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Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
18 Ausdruck August 4/2010
Der vermehrte Einsatz von Gendarmerien speziell bei Auslandseinsätzen
ist das Resultat einer veränderten Bedrohungsanalyse
und eines sich daraus ergebenden neuen Anforderungsprofils
der Einsatzkräfte. Denn nicht der militärische Sieg über den
Gegner, sondern vielmehr die Kontrolle der Bevölkerung durch
einen permanenten Einsatz steht inzwischen im Vordergrund.
Das Ergebnis ist eine Paramilitarisierung der Einsatzkräfte, wie
am Beispiel der länderübergreifenden „European Gendarmerie
Force“ (EGF / EUROGENDFOR) gezeigt werden kann. Durch
den „dual-use“-Charakter der Einheit – sie kann unter militärischem
sowie unter zivilem Kommando im Ausland wie im
Inland agieren – und gemeinsame Trainings ist auch die Paramilitarisierung
der Polizeikräfte, sowohl in Deutschland als auch in
der EU und weltweit vorprogrammiert.
Auf dem Logo der EUROGENDFOR steht zu lesen: „LEX
PACIFERAT“ – „Das Gesetz wird Frieden bringen“. Ein Gesetz,
das mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern, gegebenenfalls
auch mit Schusswaffengewalt, durchgesetzt wird – ein
Frieden, bei dem die Gewährleistung der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit
im Vordergrund steht.
Neudefinitionen - Bevölkerungskontrolle
Was als Bedrohung wahrgenommen wird und was nicht, hängt
davon ab, wer seine Ansichten durchsetzten kann, wer also eine
gewisse diskursive Hegemonie besitzt. Die hegemoniale Bedrohungsanalyse
unterlag seit den neunziger Jahren bis heute, genau
wie die daraus resultierende Sicherheitsstrategie, einem tiefgreifenden
Wandel. Mit dem Wegfall der eindeutigen Frontlinien
des Kalten Krieges fehlt ein klar umrissenes Feindbild in Form
konkreter Staaten wie der Sowjetunion. Die neuen Problemfelder
auf der Welt sind laut Koalitionsvertrag von CDU-CSUFDP
„Internationaler Terrorismus, organisierte Kriminalität
und Piraterie, Klimawandel, [fehlende] Nahrungsmittel und
Ressourcensicherheit sowie Seuchen und Krankheiten“, also
unscharfe, verschwommene, asymmetrische Bedrohungen.1 Die
neuen Feinde können scheinbar immer und überall zuschlagen,
sind nur schwer von der zivilen Bevölkerung zu unterscheiden
oder sind identisch mit ihr. Von der Bevölkerung geht also ein
ständiges Risiko aus, das kontrolliert werden muss. „Die politische
und soziale Kontrolle der Bevölkerung“ rückt als neues Ziel
ins Zentrum der Einsatzplanung.2
Wie aus einer Studie der die Bundesregierung beratenden „Stiftung
Wissenschaft und Politik“ (SWP) hervorgeht, „sind Post-
Konflikt-Gesellschaften gewaltbereit und militarisiert. Daher ist
der Beginn ziviler Aufbau- und Reformmaßnahmen häufig von
Plünderungen, Rachemorden oder größeren Unruhen in der
Bevölkerung überschattet. Das entstehende Netz organisierter
Kriminalität und dessen Nexus zu politisch motivierter Gewalt
überfordern zivile Polizeieinheiten.“3 Aus der Neudefinition des
Gegners ergeben sich neue Anforderungen für Einsatzkräfte. Da
die Kontrolle der Bevölkerung während und nach einer militärischen
Intervention gewährleistet
sein muss, gewinnt die Mischform
aus Polizei und Militär, so genannte
Gendarmerien, an Bedeutung.
Auch in dem Bericht „Shoulder
to Shoulder“, der von den acht der
wichtigsten US und EU Think Tanks
verfasst wurde, spielt der Einsatz
von Gendarmerien eine große Rolle.
Wegen der Bedenken, dass die westliche
Vorherrschaft in Zukunft nicht
unangetastet bleiben könnte, fordert der Bericht den Schulterschluss
von USA, EU und NATO: „Mit dem Ende des Kalten
Krieges und dem Aufstieg neuer Mächte haben manche geglaubt,
dass die Zeit der transatlantischen Partnerschaft der Vergangenheit
angehört. Wir sind anderer Meinung. [...] Die Welt, die die
transatlantische Partnerschaft hervorgebracht hat, verschwindet
schnell. Die USA und Europa müssen sich dringend neu positionieren
und ihre Beziehung zu einer effektiveren und strategischen
Partnerschaft umformen. Jetzt ist der Moment, die
Chance zu ergreifen – to use or to lose.“4
Den Luxus interner Streitigkeiten könne man sich jetzt nicht
mehr leisten. Zur Aufrechterhaltung der westlichen Dominanz
müssten USA, EU und NATO jetzt aufs engste zusammenarbeiten
und die Kooperation ausgebaut und intensiviert werden. Die
NATO selbst verfügt als reines Militärbündnis nicht über eigene
„zivile“ Krisenmanagementwerkzeuge. Die Idee ist, diese seitens
der EU bereitzustellen und hierüber die gemeinsame Zusammenarbeit
institutionalisiert auf ein neues Level zu heben. Ein
geeignetes Bindeglied scheinen die Gendarmerien der EGF zu
sein. Sie sind für multinationale Einsätze ausgerichtet und könnten
die Lücke füllen, die zwischen reinen Militäreinsätzen und
Aufgaben der zivilen Bevölkerungskontrolle mit nicht-tödlichen
Mitteln klafft. Da weder USA noch NATO über ein Instrument
wie die EGF verfügen, kann die Stärkung der Gendarmerietruppe
das europäische Mittel sein, um in der NATO deutlich
an Einfluss zu gewinnen und die Zusammenarbeit zu intensivieren.
Der Vorschlag des Berichtes „Shoulder to Shoulder“ ist es
deshalb, die robusten europäischen Gendarmerien von Anfang
an in die militärische Planung der USA und der NATO mit
einzubeziehen.
Hybride Einheiten
Gendarmerien haben die meiste Zeit denselben Status wie
Polizeieinheiten und können auch im Ausland bei Polizeimissionen
eingesetzt werden. Sie sind jedoch militärisch in Verbänden
organisiert, verfügen über die gleiche Bewaffnung wie leichte
Infanteriesoldaten und können ebenso unter militärisches Kommando
gestellt und zum Auslandseinsatz verpflichtet werden.
Somit handelt es sich bei Gendarmerien um eine paramilitärische
Mischform5 zwischen Polizei und Militär. Sie unterstehen dem
Verteidigungsministerium und/oder dem Innenministerium
eines Landes. Der Vorteil des Einsatzes von Gendarmerien ist
folgender: In der Anfangsphase einer militärischen Intervention
können sie zusammen mit regulären SoldatInnen unter militärischem
Kommando ins Einsatzgebiet entsendet werden und vermeintliche
Gegner ausschalten. Fast zeitgleich können sie mit
dem Aufbau neuer polizeilicher Repressionsorgane beginnen.
Wenn es Proteste gegen das Vorgehen gibt, sind sie in der Lage,
diese unter Kontrolle zu halten oder aufzulösen (siehe Kasten).
Die meisten Gendarmerien orientieren sich am Modell der
französischen „Gendarmerie National“. Diese Gendarmerie-
Lex paciferat - Das Gesetz wird
Frieden bringen
Ein Blick auf die europäischen
Gendarmeriekräfte
von Tim Schumacher
Ausdruck August 4/2010 - 19
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
einheit entstand in der Zeit der französischen Revolution und
setzte sich hauptsächlich aus militärischem Personal zusammen.
Ihre Hauptaufgabe bestand jedoch darin „Recht und Ordnung“
im Inneren herzustellen, vor allem in abgelegeneren Gegenden,
in denen es kaum eine staatliche Kontrolle gab. So eigneten sich
Gendarmerien besonders dafür, Unruhen in den ehemaligen
Kolonien zu begrenzen und die Kontrolle des Zentralstaats aufrechtzuerhalten.
Das steigende Interesse am Aufbau solcher hybriden Einheiten
zeigt sich während der militärischen Intervention in Bosnien
Herzegowina. Im Jahr 1998 wurde im Rahmen des NATO-Einsatzes
SFOR eine Einheit aufgebaut, die die Lücke zwischen
Militär und Polizei füllen sollte. In diesen „Multinational Specialized
Units“ (MSUs) waren Polizeikräfte mit militärischem
Status in relativ kleinen, flexiblen Einheiten organisiert. Diese
konnten exekutive Aufgaben wahrnehmen, also aktiv in Konflikte
eingreifen, indem sie über Kompetenzen wie Verhaftungen
und Schusswaffengebrauch verfügen konnten, die gewöhnlich
nur der lokalen Polizei zustanden. Sie sollten sowohl die militärischen
Einheiten als auch die lokalen Polizeikräfte speziell im
Umgang und in der Kontrolle von Unruhen in der Bevölkerung
unterstützen.6 Die von italienischen Carabinieri geführte MSU
konnte schon Mitte des Jahres 1998 mit 600 Gendarmeriekräften
ihre Arbeit beginnen. Der Schwerpunkt des Einsatzes lag
darin, „aufgebrachte Zivilisten unter Kontrolle zu bringen“ und
Proteste zu verhindern.7
Nachdem der Einsatz der MSU in Bosnien als erfolgreich
bewertet wurde, konnte eine ähnliche Einheit unter KFORKommando
im August 1999 in den Kosovo entsendet werden.
Um genau wie in Bosnien zur Bevölkerungskontrolle eingesetzt
zu werden, ist auch die MSU im Kosovo mit geeigneten „präventiven
und repressiven Ressourcen“ zur Bekämpfung von
Aufständen ausgestattet.8 Federführend waren wiederum die
italienischen Carabinieri beteiligt, diesmal unterstützt von der
französischen Gendarmerie Nationale.
Auch auf dem Gipfeltreffen im Jahr 2000 in Santa Maria da
Auf Distanz halten -
Kontrollieren - Auflösen
Gendarmerien sind besonders geeignet, Aufstände zu
bekämpfen und „öffentliche Ordnung“ herzustellen, vor allem
in Gebieten, in denen die staatliche Kontrolle bröckelt. Sie
werden systematisch in so genannter „Crowd and Riot Control“,
also Aufstandbekämpfung, ausgebildet. Im Kosovo finden fast
monatlich Übungen zur Niederschlagung von Protesten unter
Beteiligung der Gendarmen der EGF-Mitgliedsstaaten statt.1
Ein Beispiel einer solchen Übung: „Das Szenario basierte auf
wahren Begebenheiten. Das Europäische Parlament fällte die
Entscheidung, Gelder für den Kosovo vom Bau zweier Krankenhäuser
hin zu einer Müllrecyclinganlage umzuleiten. Die
lokale Bevölkerung war darüber empört. Als Reaktion rief die
Gewerkschaft der Krankenhausarbeiter zu Demonstrationen
und Aktionen gegen die EU und EULEX auf. […] Als Ergebnis
der Übung lernten die Teilnehmer Wichtiges darüber, auf eine
wütende Menge vorbereitet zu sein, über die Fähigkeit zu antizipieren,
was die Menge tun wird und schließlich darüber, ihre
Techniken zur Bevölkerungskontrolle und Aufstandsbekämpfung
anzuwenden.“2 Wenn lokale Gewerkschaften zu Protesten
aufrufen, ist die Rolle der Gendarmen klar: Die Menge kontrollieren
und gegebenenfalls auflösen. Dass es nicht nur um
lokale Proteste, sondern um landesweite Aufstandsbekämpfung
geht, zeigt die jüngste Übung. Am 16.06.2010 fand zum
ersten Mal unter Beteiligung fast aller stationierter Einheiten
eine kosovoweite „Crowd and Riot Control“-Übung statt. Der
KFOR-Kommandant Markus Bentler sagte dazu: „KFOR ist
immer auf das schlimmste vorbereitet. […] Wir wollen niemanden
erschrecken, wir wollen nur zeigen, dass wir fähig und
trainiert sind.“3 Trainiert wird also für das Schlimmste. Und
das scheinen, zumindest in der Übung, Demonstrationen zu
sein, die nicht im vorgegebenen Rahmen ablaufen. Nicht die
elenden Lebensbedingungen sind das Problem, sondern der
Versuch des Aufbegehrens dagegen.
Anmerkungen
1 Siehe Tabelle
2 The Balkan Hawk 2009 CRC Exercises, nato.int, 30.06.2009
3 Kosovo Wide Exercise, nato.int, 15.06.2010
Aufstandsbekämpfungsübungen im Kosovo
Zeitraum Beteiligte Länder
2009
17./18.06. Frankreich, Tschechien, USA, (MSU): Italien, Frankreich;
(KTM): Portugal
26.08. (MNTF-C): Tschechien, Finnland, Irland, Slovakei,
Schweden; Kroatien
25.+29.09. Frankreich, Belgien
05.10. (Battle Group Sokol), Ungarn, Kroatien
06.10. (KTM): Portugal
27.10. (MSU): Italien, Frankreich
18./19.11. Frankreich
01.12. (MNTF-C): Tschechien, Finnland, Irland, Slovakei,
Schweden;
2010
14.01. (MSU): Italien, Frankreich
25.01. (MNTF-C): Tschechien, Finnland, Irland, Slovakei,
Schweden; (SWISSCOY von MNBG-S): nur Schweiz
18.02. (KTM): Portugal; (MNBG-E): USA, Polen, Griechenland,
Rumänien, Ukraine; Kroatien, EULEX
02.03. (MNTF-C): Tschechien, Finnland, Irland, Slovakei,
Schweden;
03.03. (KTM): Portugal; EULEX, Slovakei, Italien
10./11.03.
EULEX: nur Italien und Polen; (KTM): Portugal,
(MNBG-C): nur Schweden; (MNBG-E): nur USA,
(MNBG-W) nur Bulgarien; (MNBG-S): nur Schweiz;
(MNBG-N): nur Frankreich
19.04. EULEX, (KTM): Portugal; (MSU): Italien, Frankreich
04./05.05. (MNBG-C): Tschechien, Finnland, Irland, Slovakei,
Schweden; (KTM): Portugal
21.05. (MNBG-W): Italien, Slovenien, Ungarn, Rumänien,
Türkei; (KTM): Portugal
16.06. (MNBG-E): USA, Ukraine, Polen, Griechenland,
Rumänien
16.06.
(MSU): Italien, Frankreich; (KTM): Portugal;
(MNBG-W): Italien, Slovenien, Ungarn, Rumänien,
Türkei; (MNBG-C): Tschechien, Finnland, Irland,
Slovakei, Schweden; (MNBG-S): Deutschland, Österreich,
Schweiz, Türkei; (MNBG-E): USA, Ukraine,
Polen, Griechenland, Rumänien; (MNBG-N): Frankreich,
Griechenland, Luxemburg, Marokko, Slovenien,
Belgien, Tschechien, Dänemark
An der EGF beteiligte Länder sind fett markiert. Beteiligte Einheiten sind in
Klammern geschrieben. Nach dem Doppelpunkt folgen, falls nicht anders angegeben,
die an der Einheit beteiligten Länder. Aufgrund des Informationsdefizits sind
nur die beteiligten Länder aufgeführt, nicht aber um welche Art von Einheit in der
Übung beteiligt ist. Quelle: www.nato.int
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
20 Ausdruck August 4/2010
Feira war der Aufbau von hybriden Einheiten ein wichtiges
Thema. Es wurde von den EU-Staaten beschlossen, das „nichtmilitärische
Krisenmanagement“ um eine ca. 5.800 Mann
starke Police Rapid Reaction Force, bestehend aus Polizei- und
Gendarmeriekräften, zu erweitern. Die Truppe, die sich an der
MSU orientiert, wurde von 27 EU-Ländern 2004 aufgestellt.
Doch zu den Defiziten bei der Planung von Einsätzen und der
Reaktionszeit der robusten Einheiten kam die reservierte Haltung
einiger EU-Länder, wie beispielsweise Deutschlands, dem
der Weg zu grenzüberschreitenden Gendarmerieeinsätzen durch
rechtliche Probleme bisher noch versperrt bleibt.9 Es bestand
also weiterhin Handlungsbedarf.
Paramilitärische „European Gendarmerie Force“
Die Aufstellung einer länderübergreifenden Gendarmerieeinheit,
der so genannten „European Gendarmerie Force“,
wurde erstmals von der französischen Verteidigungsministerin
Michelle Alliot-Marie im September 2003 vorgeschlagen. Daraufhin
wurde im Januar 2006 das Hauptquartier mit 30 Personen
dauerhaft in der Chinotto-Kaserne der Carabinieri im
norditalienischen Vicenza eingerichtet. Damit verfügt die EGF
über eine permanent arbeitende Einheit, was die Effektivität
bei der Planung und Entsendung der Truppe im Vergleich zu
spontan zusammengestellten Missionen enorm erhöht. Das
Hauptquartier kann innerhalb von 30 Tagen einen Operationsplan
für eine Mission ausarbeiten und diese leiten. Dafür stehen
zunächst bis zu 800 Gendarmen zur Verfügung, die später bis
zu einer Gesamtstärke von 2300 aufgestockt werden können.
Mitte 2006 wurde die EGF als voll einsatzfähig erklärt, obwohl
erst über ein Jahr später am 18. Oktober 2007 der Vertrag, der
die Aufgaben und Befugnisse regelt, von den Regierungen von
Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und den Niederlanden
unterschrieben wurde. Eine solche Praxis ist für den Entstehungsprozess
der European Gendarmerie Force symptomatisch:
Erst Fakten schaffen, dann vertraglich absichern.
Seit dem 01. Januar 2010 hat Italien die Jahrespräsidentschaft
des CIMIN (interministerielles Komitee) inne – des Organs,
das die EGF politisch-militärisch koordiniert. Es ist aus RepräsentantInnen
der Außen- und Verteidigungsministerien der
Mitgliedstaaten zusammengesetzt und entscheidet über die
Aufnahme anderer Länder und mögliche EGF-Einsätze.10 Als
Vollmitglied ist inzwischen auch Rumänien beteiligt, Polen und
auch Litauen wurden 2007 und 2009 zu Partnerländern. Der
Status eines Vollmitgliedes oder eines Partnerlandes steht nur
für Staaten offen, die sowohl Mitglied der Europäischen Union
sind, als auch über Einheiten verfügen, die unter polizeiliches
und militärisches Kommando gestellt werden können. Daher
hat die Türkei, trotz großem Interesse an der EGF, nur den
Status des Beobachters.
Nach Artikel 5 des Abkommens zur EGF können die europäischen
Gendarmen sowohl unter der Flagge der EU wie auch der
UN, der OSZE, der NATO und ad-hoc Bündnissen zusammen
mit militärischen Kräften oder als Teil einer Polizeimission eingesetzt
werden. Die europäischen Gendarmen können entweder
selbst exekutive Aufgaben erfüllen oder sie bilden Repressionsorgane
aus. Mit dem unscheinbaren Verweis in Artikel 4 auf
„öffentliche Ordnungs-Missionen“11 werden die ausgeprägten
Fähigkeiten der EGF zur Bevölkerungskontrolle umschrieben.
Zu den polizeilichen und militärischen Fähigkeiten kommen die
im gleichen Artikel aufgeführten geheimdienstlichen Tätigkeiten
der EGF. Was genau darunter zu verstehen ist, wird, ganz in der
Manier des für die EGF symptomatischen Informationsdefizits,
nicht genauer erläutert. Außerdem fand die Gründung der EGF
als eigenständig finanziertes Projekt der Einzelstaaten außerhalb
des EU-Rechtsrahmens statt. Damit hat das Europäische Parlament
keinerlei Einfluss die Truppe, zudem können juristische
und ethische Bedenken anderer EU-Staaten umgangen werden.
EGF in Aktion: Vom Balkan über Afghanistan in die
Karibik
Die EGF erlebte ihre operative Taufe im November 2007 in
Bosnien. Dort wurde sie im Rahmen der EU-Operation Althea
eingesetzt und übernahm die Führung über das Hauptquartier
der bestehenden Integrated Police Units (IPUs). Bei diesen Einheiten
handelt es sich um die Nachfolger der MSU aus dem
SFOR-Mandat. Auch die IPUs bestehen aus Polizeisoldaten,
die zur Bekämpfung von Aufständen ausgebildet und eingesetzt
werden.12 Sie sollen den Aufbau von Staats- und Repressionsorganen
nach westlichem Vorbild gegen Unzufriedenheit und
Unruhen in der Bevölkerung absichern.
Das zweite Einsatzszenario der EGF zeigt, wie eine engere
Zusammenarbeit zwischen USA, NATO und EU aussehen kann.
Im April 2009 wurde auf dem NATO-Gipfel beschlossen, innerhalb
der von der NATO geführten ISAF-Mission eine „NATO
Trainings Mission – Afghanistan“, kurz NTM-A, einzurichten.
In enger, aber keineswegs reibungsloser, Abstimmung mit der
„zivilen“ EU Polizeimission EUPOL wird dabei der afghanische
Polizeiapparat aufgebaut. Der leitende Polizeiberater in Kabul,
Detlef Karioth, stellt sich darunter „eine Polizei [vor], die in der
Lage wäre, sich gegen die bewaffneten Kräfte im Land zu verteidigen.
Wir bilden hier ja nicht nur Straßenpolizisten aus.“13
Es handelt sich also um eine Polizei, die einen paramilitärischen
Charakter hat. Für eine solche Ausbildung bietet sich am besten
die paramilitärische EGF an. Seit dem 8. Dezember 2009 ist die
EGF deshalb in Afghanistan mit dem massiven Aufbau afghanischer
Repressionsorgane beschäftigt. Ursprünglich sollten in
Afghanistan 62.000 Polizisten ausgebildet werden, nun werden
800 Mann innerhalb von 30 Tagen
&&&&&&&&
PHQ
IPU
CIMIN
Interministerielles
Kommitee
Logistic Support
Integrated Police Unit
"öffentliche Sicherheit"
Permanentes
Hauptquartier
+
+
30 Mann ständig 20 Mann
Reserve
Specialized Units
geheimdienstliche sowie
kriminalpolizeiliche Einsätze,
Spezialeinsätze,
Sprengstoffsicherung,
Grenzkontrolle / illegalisierte
Migration
Bereitstellung und
Instandhaltung von Ausrüstung,
Transport, medizinische
Versorgung
1500 Mann Reserve
&&&&&&&&&&&&&&&
Aufbau der European Gendamerie Force, Grafik: IMI
Ausdruck August 4/2010 - 21
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
bis zu 160.000 anvisiert. Auch das Militär wird enorm aufgestockt.
Die afghanischen Einheiten sollen die ausländischen
Truppen unterstützen und entlasten.14
Neustes Einsatzszenario der EGF-Truppen ist Haiti: Im Januar
2010 wurde das Land von dem schwersten Erdbeben seiner
Geschichte getroffen. Obwohl in Haiti 80% der Menschen keine
Arbeit haben und drei Viertel der Bevölkerung von weniger als
2 $ am Tag leben müssen, dominiert das Thema Sicherheit die
Berichterstattung. Dementsprechend bestand das Hilfspaket,
das von der EU geschnürt wurde, zu wichtigen Teilen aus sicherheitspolitischen
Maßnahmen. 300 Gendarmen, alle angehörige
der EGF, wurden in Marsch gesetzt und sollen vor Ort für „Ruhe
und Ordnung“ sorgen. Zusätzlich zu der finanziellen Hilfe von
ca. 100 Mio. Euro der Europäischen Kommission und der einzelnen
Mitgliedstaaten wurden weitere 300 Mio. in Aussicht
gestellt – ein Großteil des Geldes war ohnehin für den Aufbau
des haitianischen Sicherheitssektors bestimmt.15
In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Partei „Die Linke“
heißt es zu dem Einsatz der Gendarmen: „Es handelt sich bei der
Entsendung von Polizisten durch Mitgliedstaaten, die auch an
der Europäischen Gendarmerietruppe (EGF) teilnehmen, zur
Unterstützung von MINUSTAH nach Haiti nicht um einen
Einsatz der EGF als solcher. Die VN hatte in ihrem Ersuchen
ausdrücklich die Entsendung von Gendarmeriekräften erbeten.“
16 Hier wird ein weiterer hybrider Charakter der EGF deutlich:
Entweder können sie als länderübergreifende EGF agieren,
oder als Truppen im Namen der Europäischen Union entsendet
werden.
In Haiti wird der paranoide Ruf nach Sicherheit hauptsächlich
zu einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft führen,
möglicherweise sogar zur Reorganisierung des 1994 aufgelösten
haitianischen Militärs. Die Lebenssituation der verarmten
Bevölkerung wird sich dadurch nicht verbessern. Im Gegenteil
können im Zukunft durchaus legitime Proteste im „Armenhaus
Lateinamerikas“ besser im Keim erstickt werden.
Paramilitärs für alle
Die EGF befindet sich aktuell noch im Aufbau und ist bisher
eine relativ kleine Einheit. Bei den derzeitigen Kriterien verfügt
nur Bulgarien über militärisch organisierte Einheiten mit entsprechendem
polizeimilitärischem Charakter, um beitreten zu
können. Bei einer eventuellen EU-Erweiterung könnten jedoch
auch Serbien, Albanien, Georgien, Ukraine und die Türkei als
Vollmitglieder aufgenommen werden.
In einem Bericht des vom niederländischen Verteidigungsministerium
unterstützten „Netherlands Institute of International
Relations Clingendael“ wird an mehreren Stellen darauf
hingewiesen, dass es für die Truppe zudem praktisch
sein könnte, die Kriterien zur Aufnahme anderer, auch
nicht-gendarmerieförmigen Einheiten zu lockern. „Es
würde mehr Ressourcen für gemeinsame Ziele bringen,
es würden sich neue Kapazitäten ergeben, wenn diese
einzigartige Organisation eingesetzt wird, gleichzeitig
können Polizei- und Gendarmeriekräfte in Europa
professionalisiert werden und die europäische Integration
im Sicherheitsbereich vorangebracht werden.“17
Durch eine solche Lockerung könnte die EGF also
wachsen und dadurch einen größeren Einfluss auf die
europäische Sichereitslandschaft ausüben. Sie legt jetzt
schon die gemeinsamen Trainingstandards der nationalen
Gendarmerien fest,18 und trägt durch die Ausrichtung
multinationaler Trainings dazu bei, dass die
EU weiter zusammen rückt, wenn es um grenzüberschreitende
Repression geht.
Der Clingendael-Bericht beschreibt noch eine weitere Option
für die EGF. Die Ausbildung von Gendarmerien oder gendarmerieähnlichen
Kräften rund um den Globus bietet ein erschreckendes
Potential. Allein in den EU-nahen Ländern existiert ein
enormer Pool geeigneter paramilitärischer Einheiten mit mehr
als 430 000 Einsatzkräften.19 Weltweit gibt es sogar fast 2,5Millionen
gendarmerieähnliche Kräfte, die sich von den europäischen
Gendarmen ausbilden lassen könnten (praktischerweise
ohne dass deren Regierung jemals als Vollmitglied in die EGF
aufgenommen werden wird). Es ist jedoch keineswegs eine
Kooperation mit allen Ländern gleichzeitig geplant. Mit einigen
sind die Konflikte doch so tief greifend oder das Interesse
so gering, dass sie in absehbarer Zeit nicht in den Genuss einer
Ausbildung ihrer PolizeisoldatInnen durch die EGF kommen
werden. Durch die Ausbildung und Zusammenarbeit gendarmerieähnlicher
Spezialkräfte rund um den Globus kann die
Relevanz der EGF weiter gesteigert und damit die Sicherstellung
der Interessen der beteiligten Staaten gewährleistet werden
– seien es offene Absatzmärkte oder der Zugriff aus Rohstoffe
ohne Handelsbeschränkungen.
Mehrzweckwaffe
Die Einsätze der EGF machen theoretisch nicht vor den europäischen
Grenzen halt. Militäreinsätze im EU-Inland waren bis
zum 1. Dezember 2009 verboten. An diesem Datum trat der
Vertrag von Lissabon in Kraft, mit dessen „Solidaritätsklausel“
(Artikel 222) sich einiges geändert hat. In dem Vertrag heißt es:
„Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel,
einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten
militärischen Mittel […] im Falle einer Naturkatastrophe oder
einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat
auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines
Hoheitsgebiets zu unterstützen.“20 Nun ist es möglich, auch
wenn es noch in einiger Ferne liegen mag, Einheiten wie die
EGF auch im europäischen Inland einzusetzen - beispielweise
zur Unterstützung einer wankenden Regierung gegen soziale
Unruhen.
Damit wird ein weiterer Charakterzug der „dual-use“-Einheit
EGF klar. Sie kann eine Bevölkerung nicht nur als Polizei, Militär
und Geheimdienst kontrollieren, sondern kann auch nahezu
überall eingesetzt werden – im Rahmen der EU oder außerhalb.
Dabei steht einem Einsatz denkbar wenig demokratische Kontrolle
durch Parlamente im Weg. Das EU-Parlament ist außen
vor, da die EGF kein EU-Organ ist. Gleichzeitig ist der Einfluss
= Vollmitglieder
= Partner
= Ausrichter des diesjährigen
EUPFT mit allen EGF-Gendarmerien
= EU-Erweiterung
= Beobachter
= potenzielle Vollmitgliedschaft
= interessierte Länder
z.B. Teilnahme an EGF-Übung
X
X
X X X
X
EU-Europa der Gendarmerien
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - Hechinger Str. 203 - 72072 Tübingen
22 Ausdruck August 4/2010
der nationalen Parlamente ausgehebelt, da es sich um Polizeieinheiten
handelt, deren Einsatz nicht von der Regierung abgesegnet
werden muss.
Paramilitarisierung Deutschlands
Der Einsatz von Gendarmerien wird international enorm an
Bedeutung gewinnen und dementsprechend den Einfluss der
Länder, die sich seit Jahren um einen Ausbau bemühen, deutlich
erhöhen. Was der deutschen Beteiligung am Kräftemessen um
robuste, flexible Einheiten bislang im Weg steht, ist ein Erbe der
Vergangenheit. Um eine erneute Zentralisierung der Macht zu
verhindern, wurde als Erfahrung aus dem nationalsozialistischen
Staatsterror ein Trennungsgebot zwischen Polizei und Militär im
Grundgesetz verankert. Aufgrund dieses verfassungsrechtlichen
Trennungsgebotes gibt es in Deutschland keine Gendarmerie
– und damit auch keine Mitgliedschaft in der EGF. Um trotzdem
nicht um die Stellung in der NATO fürchten zu müssen,
ist die einzige Option für Deutschlands also, nach Meinung der
AutorInnen der Studie der „Stiftung Wissenschaft und Politik“,
„eine spezialisierte Einheit von einigen hundert Gendarmen ausschließlich
für den Auslandseinsatz aufzubauen“, die entweder
der Bundespolizei untersteht oder aus einem polizeilich weitergebildeten
Kontingent der Feldjäger besteht.21
Daran wird bereits gearbeitet: Was die Bundespolizei betrifft,
befindet sich bis Ende 2010 eine so genannte Internationale
Einsatzeinheit (IEE) im Aufbau. Diese Auslandseinheit soll
aus zwei Hundertschaften bestehen und am Hauptstandort
der Bundespolizei in Sankt Augustin stationiert werden. Die
EU-Polizeimission EULEX im Kosovo könnte ein mögliches
Einsatzszenario sein.22 Gerade EULEX zeigt die Schwerpunktsetzung
der Gendarmen. In deren Rahmen finden mindestens
monatlich Übungen zum so genannten „Cowd and Riot Control“
– also Aufstandsbekämpfung – statt (siehe Kasten). Der
„Arbeitskreis Schutzaufgaben in Krisengebieten“ (ASSIK) ist
eine weitere Einheit der Bundespolizei, die für Auslandseinsätze
vorgesehen ist und die GSG 9 entlasten soll. Diese Eliteeinheit
befindet sich seit 2009 im Einsatz in Afghanistan.23 Obwohl es
für die Teilnahme an der EGF noch keine passende Schnittstelle
gibt, trainiert die Bundespolizei schon seit mehreren Jahren mit
den europäischen Gendarmeriekräften. Durch das Training
können die Einheiten der Bundespolizei ihre Kenntnisse im
Bereich der Gendarmeriefähigkeiten vertiefen, sie entwickeln
sich also weg von einer reinen Polizei hin zu einer paramilitärischen
Gendarmerie.
Doch einige Hürden zur Teilnahme an der EGF bleiben: Da
Einheiten der Bundespolizei nicht zum Militär gehören und
nur im Inland Kombattantenstatus bekommen können, gelten
sie im Falle eines Kampfes im Ausland als irreguläre Kräfte und
besitzen nach dem humanitären Völkerrecht keinen Schutz und
keinen Anspruch auf eine Behandlung nach der Genfer Konvention.
Zudem können deutsche BundespolizistInnen bisher noch
nicht zum Auslandseinsatz verpflichtet werden – die Teilnahme
an einer Entsendung ist freiwillig. Außerdem, so beklagen sich
die Gewerkschaften der Polizei, würden Einsätze im Ausland den
Haushalt der Polizeien zusätzlich belasten, weshalb sie sich vorerst
gegen eine verpflichtende Teilnahme aussprechen.24 Wenn
jedoch die vom Innenministerium geplante neue Auslandseinheit
geschaffen wird, die natürlich gesondert finanziert wird,
könnte die Entscheidung der Gewerkschaften wieder kippen.25
Derzeit ist zwar noch keine deutsche Einheit für eine Vollmitgliedschaft
in der EGF geeignet - wenn aber die europäischen
Gendarmen sich als Angelpunkt für eine intensivere Zusammenarbeit
von USA-NATO-EU herauszustellen vermögen,
wird auch das deutsche Interesse an der Teilhabe an einer solchen
Einheit weiter steigen. Mit dem Aufbau einer reinen Auslandseinheit
mit Option auf eine Teilnahme an der EGF würde
zwar der Charakter als „Mehrzweckwaffe“ für den Inlandseinsatz
zumindest in Deutschland wegfallen. Die paramilitärischen
„Erkenntnisse“ einer solchen Truppe könnten dennoch mit den
KollegInnen in Deutschland geteilt werden. Damit dürfte eine
solche Einheit die schleichen

Kommentare
24.09.2010 / 14:37 jochen, Radio Unerhört Marburg (RUM)
für zip verwendet
am 24.09.10 Danke, nur den Anfang abgeschnitten
 
24.09.2010 / 18:18 sonar aktuell, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet
am 24.9.2010