Bericht - Mumias Leben erneut vor Gericht

ID 37654
 
AnhörenDownload
Am 9. November 2010 sassen drei Richter des zuständigen Bundesberufungsgerichtes der USA erneut über Mumia Abu-Jamals Fall. Es ging um die seit 2001 rechtlich umstrittene Anwendung der Todesstrafe gegen den afroamerikanischen Journalisten. Mit einer Entscheidung des Gerichtes ist in den kommenden Wochen zu rechnen. Wie bereits so oft zuvor ist das Gericht an keine Fristen gebunden.

Einige bundesdeutsche Free Mumia Gruppen hatten einen Beobachter zu den Anhörungen geschickt. Um den 9. November herum nahm er sowohl an der Anhörung im Gericht als auch an verschiedenen Events und Treffen der Mumia-Solidaritätsbeweung in den USA teil. Sein Bericht sowie der offizielle Mitschnitt der Gerichtsanhörung bilden die Grundlage für diesen Beitrag.
Audio
13:03 min, 12 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.11.2010 / 22:12

Dateizugriffe: 1765

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Amerika
Entstehung

AutorInnen: Radiogruppe im Berliner Free Mumia Bündnis
Radio: Radio Aktiv Berlin, Berlin im www
Produktionsdatum: 29.11.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die drei Richter – der von Ronald Reagan ernannte Anthony Sirica, der von George Bush Senior ernannte Robert Cowen und der von Bill Clinton ernannte Thomas Ambro – hatten vor zweieinhalb Jahren den Beschluss eines Richters an einem unmittelbar untergeordneten Gericht bestätigt, nach dem der Geschworenenjury in Abu-Jamals Verfahren von 1982 für die Beurteilung des Strafmaßes nur ein höchst ungenaues und verwirrendes Formular und fehlerhafte Anweisungen des Richters zur Verfügung standen.

Nach Auffassung des Gerichts hatten diese verwirrenden Anleitungen die Geschworenen zu der irrigen Annahme verleitet, zur Berücksichtigung eines gegen ein Todesurteil sprechenden mildernden Umstandes müssten alle 12 Geschworenen sich über diesen Umstand einig sein. Tatsächlich müssen jedoch nur strafverschärfende, d.h. für ein Todesurteil sprechende Umstände von allen Mitgliedern der Jury einstimmig für gültig befunden werden.

Das Urteil von 2008 wurde von vielen als bedeutender Sieg für Abu-Jamal und sein Verteidigunsteam angesehen, da es bedeutete, dass er entweder nicht hingerichtet und stattdessen eine lebenslange Haftstrafe ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung verbüßen würde, oder dass der Bezirksstaatsanwalt Philadelphias ein neues Verfahren über das Strafmaß beantragen müsste, bei dem eine neue Jury sich Argumente für oder gegen die Verhängung eines neuen Todesurteils anhören würde.

Im Januar 2010 fügte der Oberste Gerichtshof der USA - der US Supreme Court - dem Fall mit seinem Urteil zum Mordfall Frank Spisaks in Ohio noch eine weitere Wendung hinzu. Spisak ist ein Neonazi, der für den Mord an willkürlich ausgewählten Juden und Afroamerikanern zum Tod verurteilt wurde und bei seinem Verfahren ein Hitlerbärtchen getragen hatte. Der Supreme Court befand, dass die Aufhebung seines Todesurteils durch ein niedrigeres Gericht ein Irrtum war. In Spisaks Fall war es ebenso wie in dem Abu-Jamals um die potentiell irreführenden Formulierungen auf dem Jury-Formular und in den Anweisungen des Richters an die Jury gegangen.

Der US Supreme Court, der zum Zeitpunkt seiner Spisak-Entscheidung auch über die Berufung der Staatsanwaltschaft Philadelphias gegen die Entscheidung des Dritten Bundesberufungsgerichts in Abu-Jamals Fall vom März 2008 zu befinden hatte, sandte letzteren Fall daraufhin zurück an das Berufungsgericht und wies die Richter Sirica, Cowen und Ambro an, ihre Entscheidung im Fall Abu-Jamal im Lichte der Supreme-Court-Entscheidung im Spisak-Fall noch einmal zu überprüfen.

Der Gefangene selbst durfte wie auch schon in früheren Anhörungen nicht persönlich teilnehmen. Zwar ging es erneut um sein Leben, aber nicht einmal dafür sieht die Prozessordnung vor, dass der Gefangene den Todestrakt im Hochsicherheitsgefängnis verlassen darf. Somit liess Mumia sich von seiner Anwältin Judith Ritter vertreten.


Den Anfang machte Staatsanwalt Hugh Burns, welcher das Gericht davon zu überzeugen suchte, dass es im vom US Supreme Court vorgegebenen Fall Spisak keine Instruktionen an die Jury gegeben hätte, die sich von Mumias Fall unterschieden hätten .

Während der ersten 20 Minuten der Anhörung wurde er dabei regelmäßig von den drei Richtern unterbrochen. Sie widersprachen ihm teilweise heftig. In der hier beigefügten Audio Datei sind mehrere Beispiele dieses Dialogs (inklusive deutscher Übersetzung) enthalten.

Sichtlich irritiert versucht der Staatsanwalt mehrfach, seine Argumentation zu untermauern, was ihm jedoch kaum gelang.

Zunächst machte dies auf die GerichtsbeobachterInnen den Eindruck, als ob das Gericht mit der Argumentation der Staatsanwaltschaft nicht einverstanden sei. Allerdings sind solche Eindrücke oft irreführend. Dem Gericht ist bewusst, dass sie unter starker öffentlicher Beobachtung stehen. Offensichtliche Voreingenommenheit wie in früheren juristischen Ebenen, als Mumia noch im Bundesstaat Pennsylvania versuchte, seine Rechte einzuklagen, wird es auf Bundesebene nicht geben. Hier wird der Schein der Objektivität besser gewahrt, ohne dass deshalb auch zwingendermaßen Gerechtigkeit hergestellt würde. Anstatt über Mumias nie bewiesene Schuld zu reden, hängt sich die Justiz derzeit an verfassungsrechtlichen Details auf, um ihm die Freiheit zu verwehren und ihn weiterhin mit der Hinrichtung bedrohen zu können.


Anschließend war Mumias Verteidigerin Judith Ritter an der Reihe. Sie stieg sofort in die Materie ein und legte da, warum der vom US Supreme Court vorgegebene Fall Spisak und der von Mills, auf den Mumia sich beruft, grundverschieden sind, wenn es um Jury-Instruktionen geht. Der Knackpunkt ist hier die in Mumias Fall verlangte Einstimmigkeit der schuld mindernden Faktoren.

Auch diese Unterhaltung zwischen Verteidigerin und Gericht ist in der beigefügten Audio Datei mit deutscher Übersetzung zu hören.

Verteidigerin Judith Ritter wurde ebenfalls regelmäßig von den drei Richtern unterbrochen, war aber nie um eine Erklärung verlegen und konnte jeder Frage eines Richters sachlich begegnen. Wie bereits vorher erwähnt, wäre es jedoch falsch, hieraus Interpretationen über eine Entscheidung der Richter zu unternehmen.

Während es nicht leicht war, die Position des Vorsitzenden Richters Sirica auszumachen, schienen zumindest die Richter Cowen und Ambro von den Argumenten von Staatsanwalt Burns nicht überzeugt zu sein: „Sie haben Frau Ritters Argumente nicht widerlegt“, meinte Cowen. „Sie hat auf einige Unterschiede zwischen den Formularen (bei Abu-Jamal und Spisak) hingewiesen, die wichtig sind.“

Und Richter Ambro fügte hinzu: „So kam zum Beispiel das Wort ‚einstimmig‘ im Fall Spisak nicht zur Anwendung.“ Und Richter Cowen ergänzte: „In unserem Fall wurde das Wort ‚einstimmig‘ wieder und wieder verwendet, und das in nächster Nähe zu den Punkten, wo es um mildernde Umstände geht.“


Die von starken Protesten vor der Tür begleitete Anhörung wurde auch im Gerichtssaal von vielen UnterstützerInnen Mumia Abu-Jamals begleitet. Ein Beobachter aus der BRD schätzte ihre Zahl drinnen und draußen auf insgesamt 700.

Suzanne Ross, Mitglied des New Yorker Free Mumia Bündnisses, warnte nach der Anhörung eindringlich, sich auf die Fairness dieses Gerichtes zu verlassen. Schließlich hatte auch dieses Gericht bereits 2008 deutlich gemacht, dass es sich nicht trauen würde, die offensichtlichen Manipulationen bei Mumias Verurteilung 1982 anzutasten. Dieses Gericht verweigerte wie nach ihm auch der Oberste Gerichtshof ein neues Verfahren. Suzanne Ross betonte die Wichtigkeit länderübergreifender Proteste, um der Justiz insgesamt deutlich zu machen, dass sie nicht unbeobachtet agieren können und das Mumias Freilassung die einzige Option ist, um diesen bereits 29 Jahre währenden Justizskandal zu lösen.

Für Dezember sind bereits in verschiedenen Städten der USA, in Mexico, Guadeloupe, Haiti, Brasilien, Kanada, Frankreich, Großbritanien und der Bundesrepublik Demonstrationen für die Freilassung Mumias angekündigt.

Kommentare
30.11.2010 / 18:25 T 9, Radio Blau, Leipzig
wird gesendet
wird heute auf Radio Blau gesendet, vielen Dank