Buchvorstellung: American Empire - No Thank You

ID 4874
 
Anmod:
Schon wieder so ein Jahrestag, und wie so mancher: kein einfacher. “Elfter September“, was fällt ihnen dazu ein? Auf der Straße rundgefragt käme wohl kaum die Antwort: “Da war 1973 der vom US-Geheimdienst vorbereitete Putsch in Chile.“ Oder: “Adorno wäre 100 geworden.“ “Elfter September“, das ist schon fast zum Synonym geworden für die Flugzeug-Angriffe auf Pentagon und World-Trade-Center. Viele – gerade in den USA - sagen: seither ist die Welt nichtmehr wie vorher. Ein Anlass, sich vielleicht etwas genauer mit den USA heute zu befassen, einen Blick auf die Fraktionen innerhalb des Regierungs-Apparates, aber auch auf die Kräfte, die sich – in den USA - kritisch mit der offiziellen Politik auseinandersetzen. Eine Buchempfehlung.
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mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.09.2003 / 19:30

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: ak/rdl
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 10.09.2003
keine Linzenz
Skript
“Andere Stimmen aus Amerika“ ist der Untertitel eines Buches, das in diesen Tagen erschienen ist. Die beiden Journalisten Max Böhnel und Volker Lehmann haben sie zusammengetragen, diese “anderen Stimmen“, haben Interviews geführt und Aufsätze zusammengetragen, die ein etwas anderes Bild von “den USA“ zeichnen, als wir es vielleicht zunächst haben. Natürlich gibt es sie, millionenfach, Gegner und Gegnerinnen von verschärften Gesetzen rings um die innere Sicherheit unter dem Titel “patriot act“, natürlich gibt es die Friedensbewegten, die Bürgerrechtsgruppen, die Nachdenklichen. Aber: Was treibt sie um? Was sind die Motive derjenigen, die auch – und vielleicht gerade - in den USA auf die Straße gehen für eine andere als die offizielle Bush-Politik? “American Empire – No thank you“ ist der Titel des Buches und zugleich politische Botschaft: Die Beiden Autoren suchen Antworten auf der Grundlage der Ablehnung einer Pax Americana, einer Welt, deren Architekt der US-Präsident ist. Parallelen werden gezogen: Zum "Imperium Romanum" der Antike, dem "Heiligen Römischen Reich" im Mittelalter, dem "Empire" Napoleons: So unterschiedlich sie auch waren - allen gemein war das Schicksal des Unterganges. Da steht denn die Frage im Raum: Haben die Vereinigten Staaten von Amerika, ehemals begründet aus dreizehn Kolonien des britischen Empires, diese Lektion gelernt? Oder befinden sich die USA auf dem Weg zu einem neuen "American Empire"? Und was ist hieran anders als die verblichenen Imperien europäischer Prägung?

Die in dem Buch von Böhnel und Lehmann versammelten Beiträge zeichnen die Diskussionen nach, die sich in den USA um den Krieg gegen den Irak entzündeten. In Essays und Interviews äussern sich prominente Repräsentanten der US-amerikanischen Linken wie Noam Chomsky, Michael Hardt, Howard Zinn, Michael Walzer oder auch Frances Fox Piven kritisch zur Machtausübung der Regierung von George W. Bush.

Sie zeigen die Hintergründe und Konsequenzen dieser Politik auf, sowohl im Verhältnis zum so genannten "Old Europe" und seinen eigenen imperialen Ambitionen, als auch global. Besondere Aufmerksamkeit wird der politischen Rechtswende nach dem 11. September 2001 innerhalb der USA geschenkt.

Sehr vielfältig die Auswahl der AutorInnen und Schwerpunktsetzungen, teilweise wiedersprechende Einschätzungen machen das Buch spannend und hilfreich bei der eigenen Meinungsbildung. Differenziert setzt sich etwa Michael Walzer, erklärter Gegener von Vietnam-oder auch Irak-Krieg mit seinen “Prinzipien des gerechten Krieges“ auseinander. Schließlich war er – als alter Internationalist – seinerzeit zu der Einschätzung gelangt, der Afghanistan-Krieg sei berechtigt. Gewiss, er scheint sich dem politischen Zentrum auch eher angenähert zu haben, Formulierungen wie “wir haben uns in Afghanistan zu wenig um den Aufbau bemüht“ oder Forderungen nach einer “stärkeren europäischen Außenpolitik“ zeigen dies. Übrigens eine Forderung, die auch Noam Chomsky im Interview formuliert. Dennoch: Michael Walzer festigt in seinem Beitrag seine Rolle als – salopp gesagt – Autonomer im wörtlichen, vielleicht eher intellektuellen Sinn.

Gewiss ein Höhepunkt in dem aktuellen Buch von Böhnel und Lehmann: Das Interview mit Michael Hardt, dem zu einiger Berühmtheit gelangten Analytiker aktueller Herrschafts-Strukturen. In der Theorie von “Empire“, die er gemeinsam mit Antonio Negri entwickelt hat geht er davon aus, dass es auch für die USA unmöglich sei, ein unabhängiges, hegemoniales Projekt durchzuführen.

Im Interview antwortet Hardt auf die Frage, ob er seine These angesichts der Entwicklungen der US-Politik seit den Anschlägen övom 11. September weiterhin für richtig hält:

Empire ist die Kollaboration der herausragenden Supermacht USA mit dem pluralen Netzwerk der vielen anderen Kräften. Etwas altmodisch ausgedrückt, die Monarchie der Vereinigten Staaten von Amerika kollaboriert mit einer globalen, diversifizierten, pluralistischen Aristokratie.
Diese Aristokratie umfasst sowohl andere machtvolle Nationalstaaten, aber auch transnationale Konzerne und supranationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, den Internationalen Währungsfonds oder die Weltbank.
In gewisser Hinsicht ist unsere Theorie bezüglich der USA widersprüchlich, denn die USA sind einerseits die Macht mit den herausragendsten Privilegien, sie ist andererseits aber nicht die alleinige Macht. Ich denke, dass man diesen Widerspruch am besten dadurch zu fassen bekommt, indem man ihn als komplementäre Ausdrucksform der monarchi-schen und der aristokratischen Macht begreift.

Nun scheint die aktuelle US-Politik sich eher der Praxis klassischen Imperialismus' anzunähern. Bringt das die Theorie von Empire nicht doch ein klein wenig ins wanken?

So mag es auf den ersten Blick scheinen. Allerdings denke ich, dass die Analyse von Empire genau deshalb seine Richtigkeit behält, weil es die Unzulänglichkeiten der augenblicklichen
Politik aufzeigt. Denn meiner Meinung nach können sich die USA nicht wie ein römisches Imperium gebärden und ihre Herrschaft auf einer weltweiten militärischen Statthalterschaft
begründen. Das Militär ist natürlich ein strategisch bedeutender Bestandteil, und ich bezweifle weder die Effizienz des amerikanischen Militärapparats, und auch nicht, dass es ihnen gelingen wird, den Irak zu bezwingen. Es erscheint mir jedoch fragwürdig, ob sich mit militärischer Überlegenheit allein ein globales Machtregime stabilisieren lässt.

Im Folgenden geht Hardt genauer auf Unterschiede ein, die er – ideengeschichtlich – zwischen USA und Europa erkennen kann, erkennt eine “USA der offenen Grenzen“ und der “hybriden“ Identitäten, denen er – wie er sagt - “ethnische Reinheitsgebote“ auf Grundlage der Nationalstaaten in Europa entgegensetzt. Hier hätte sicherlich eine Nachfrage der Buchautoren gut getan, auch im Europäischen Mainstream ist “multi-kulti" schließlich mittlerweile angekommen. Und: offene Grenzen gibt's hier wie dort, oder eben auch nicht.

Da ist denn der Artikel von Yifat Susskind fast schon eine Erwiderung. Die stellvertretende Leiterin der New Yorker Menschenrechtsorganisation “Madre“ unterstützt fortschrittliche Frauenprojekte in Weltregionen, die direkte oder indirekte Opfer der US-Außenpolitik sind. Sie schreibt:

Wenn Amerikaner sich erst jetzt als Bürger eines Imperiums sehen, dann spiegelt dies gleichzeitig ihre traditionelle Aversion dagegen wider — diese Debatte ist, wie sich zeigt, von
großen Widersprüchen geprägt. Denn das amerikanische Selbstbild von einem Land, das das Gegenteil der Macht besessenen europäischen Kolonialmächte und später des
“Reichs des Bösen”, der Sowjetunion, ist, beruht auf einem Gründermythos: von einem Amerika als einer Nation voller Ideale, die in Opposition zur Tyrannei und zur Fremdherrschaft unter dem britischen Monarchen König Georg III. geboren wurde.
Wie bei allen anderen nationalen Identitäten ist das amerikanische Selbstbild die Summe von Narrativen, die sich die Amerikaner von- und übereinander erzählen. Die Vorstellung von einem Amerika als “Imperium der Freiheit”, wie Jefferson es nannte, ist dabei vielleicht der zentrale Mythos.


Im folgenden analysiert sie sehr präzise die Rolle der Religiosität bei der aktuellen US-Politik und plädiert schließlich dafür, einen taktischen Umgang mit klassischen – wie sie es nennt - “amerikanischen Werten“ zu finden. “Frieden ist patriotisch“ ist für sie eine denkbare Formel, letzlich aber, so schreibt sie, “muss der Patriotismus kritisiert, neu definiert und vielleicht so gar völlig zurückgewiesen werden.“


Einige Artikel in dem Buch “American Empire – No thank you“ beschäftigen sich mit der Frage, welche politischen Ansätze derzeit die US-Politik bestimmen. Sehr detailgenau tun dies die beiden Herausgeber Max Böhnel und Volker Lehmann in einem eigenen, von ihnen verfassten Artikel: Sie machen vier politisch-kulturelle Strömungen aus, von den Pragmatikern um Colin Powell, über nationalkonservative wie den Pentagon-Chef Donald Rumsfeld hin zu den Neo-Konservativen sowie den religiösen Fundamentalisten um George Bush. Präzise analysieren die beiden Autoren, wer welche Rolle bei der Festlegung der Außenpolitik spielt, aber auch: welche Bedeuthung die jeweiligen Strömungen innenpolitisch haben, gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen.



Im letzten Drittel des Buches wird ein Blick auf denkbare gesellschaftliche Alternativen geworfen, William Tabb etwa zeigt die offensichtlichen Widersprüchlichkeiten des Neoliberalen Wirtschaftskonzeptes auf, gerade in seiner aktuellen, neu gestalteten Form. Erfrischend ungeniert geht er mit Begriffen wie “Klassengegensatz“ oder “Imperialismus“ um, ohne in irgendeiner Weise angestaubt zu wirken. Aber wieso auch? Er nennt beim Namen, wer Gewinner und Verlierer der aktuellen Politik ist und stellt die These auf, dass dies den klassischen, in weiten Teilen der Bevölkerung doch tief verwurzelten “amerikanischen Werten“ widerspricht. Genauso wie, wenn das, was unter Demokratie zu verstehen ist, im Weißen Haus definiert wird. Hier erkennt er ein erfolgversprechendes politisches Betätigungsfeld.

Entgegen dem in Europa doch immer wieder gepflegten Vorurteil von USA als Land der fahnenschwingenden Patrioten bietet dieser Band nuanciertere Einsichten. Die beiden Autoren sehen im selbsternannten “Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ durchaus Hoffnung auf eine Umkehrbarkeit der politischen Verhältnisse. Auch in den USA sind viele Menschen nicht einverstanden mit amerikanischem Hegemoniebestreben, militärischem Unilateralismus und "American Empire".

Ein alles in allem wirklich empfehlenswertes Buch, Max Böhnel und Volker Lehmann, “American Empire – No thank you, Andere Stimmen aus Amerika“, erschienen im Kai-Homilius-Verlag Berlin, schön gebunden, knapp 300 Seiten zum Preis von 18 Euro.

http://www.kai-homilius-verlag.de/vp/8.1...