Repression am dem eigenen Körper erlernt: "Entweder verwaltest du den Staat oder du sprengst ihn in die Luft"

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Nach mehr als einem Jahr sprach die spanischsprachigeredaktion Raíces Nómades erneut mit Adriana Guzmán, Referentin der Bewegung gemeinschaftlicher antipatriarchaler Feminismus in Bolivien. Damals war die Situation mehr als angespannt nach dem Putsch durch die christlich-rechte De-facto-Regierung von Jeanine Añez. Jetzt gibt es eine neugewählte demokratische Regierung und einen neuen Präsidenten - Luis Arce von der MAS, der sozialistischen Bewegung. Die MAS-Funktionäre konnten aus ihrem Exil in Mexiko und Argentinien zurückkehren und den Verantwortlichen des Putsches wird der Prozeß gemacht. Das klingt hoffnungsvoll - dennoch sitzt die Angst immer noch tief in der Bevölkerung. Zudem hungern die Menschen in Bolivien und es gab bisher noch keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie....
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26:22 min, 24 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.01.2021 / 09:44

Dateizugriffe: 83

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike, Raíces Nómades
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 19.01.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
adriana: hallo und einen gruß an alle gefährtinnen und gefährten dort von mir!

raíces nómades: Ist die Situation für euch in der Zwischenzeit besser? Ist es ruhiger für Euch geworden?

Adriana: Die Situation ist natürlich anders als vor einem Jahr, aber es sind noch einige dinge zu klären. z.b. Gerechtigkeit zu schaffen, das steht noch aus. Den Verantwortlichen wurde bisher noch nicht der Prozeß gemacht. Daher können wir ganz und gar nicht sagen, daß wir still halten.

raíces nómades: Wir haben uns öfter gefragt, wie das Jahr für Euch bis zu den Wahlen war. Die bolivianische Bevölkerung hat ja sehr gelitten. Und wie hat sich der Widerstand – wie habt Ihr Euch in dieser Zeit der De-facto-Regierung organisiert?

Adriana: für uns als Organisation war das erste, das wir festgelegt haben, daß wir als gemeinschaftliche aktion zusammenkommen wollen. Die größten kleinbäuerlichen indigenen Bewegungen im Land, auch wir, die Aymara Frauen wollten uns von Anfang an dem Widerstand anschließen um den Putsch aus dem land hinauszubefördern. Im ganzen Monat November und Dezember haben wir versucht, den Rechtsstaat in Bolivien zurückzuholen. Danach hat sich die De-facto-Regierung verankert; die Verfolgung und Repressionsmethoden nahmen zu; es kamen immer mehr politische Gefangene in die Gefängnisse. Und auch jetzt 2021, gibt es immer noch mehr als 1000 politische Häftlinge als Ergebnis dieses Putsches. Jede Denunzierung führte zur Verfolgung durch die De-facto-Regierung, auch im Internet. Es gab sogar Cyberpatrouillen, die Einträge auf Facebook oder Interviews, die auf Mißstände aufmerksam machten, gelöscht oder verändert haben. Das schwierigste war, als zum Putsch noch die Pandemie hinzukam. Nicht nur, daß wir unsere Brüder und Schwestern im Gefängnis sehen mußten, selbst verfolgt wurden – es kam noch hinzu, daß wir versucht haben, die Familien der Verwundeten und Massakrierten zu unterstützen, um ihnen zumindest medizinische Hilfe zu gewährleisten. Noch 11 Monate nach dem Putsch gab es Verwundete, die nicht behandelt wurden und starben. Im Gerichtsprozeß wird von 36 Leuten, gesprochen, die während des Putsches massakriert wurden. Aber bis zum heutigen Tag stieg die Zahl auf 41. Zu all dem kam dann noch die Pandemie hinzu. Das Gesundheitssystem war in den indigenen Territorien und in den Gebieten, die mit der sozialistischen bewegung MAS in Verbindung gebracht werden, komplett geschlossen. Das ist auch eine Form der Einschüchterung und Repression – einen Teil der Bevölkerung ohne Gesundheitsversorgung zu belassen. Die Quarantäne war dazu da, uns in den Häusern einzuschließen, um Mobilisierungen zu vermeiden, aber es wurde virtuell mobilisiert. Zu Cacerolazos – das ist diese aktionsform, bei der lärm mit töpfen gemacht wird anm. Der übersetzerin und Demonstrationen. Einige Mitstreiter in Santa Cruz z.B. wurden deshalb ins Gefängnis gworfen, weil sie diese Form des Protests gewählt hatten. Und sie konnten natürlich nirgendwo hin. Es war ein schwieriges Jahr. Es war aber auch eine Gelegenheit, zu diskutieren, uns selbst zu reflektieren und zu kritisieren in einem Prozeß des Wandels und einer demokratischen, kulturellen Revolution. Wir stellten uns auch die frage, wie wir in einem plurinationalen Staat einen politischen Prozeß anstoßen können. Denn offenbar gab es auch da Fehler und Schwächen – z.B. den Prozeß auf eine politische partei zu konzentrieren, schwächte unsere Autonomie. Es waren elf Monate des Widerstands. Die Wahlen wurden immer wieder rausgeschoben – zuerst hieß es Mai, dann August, dann September und schließlich fanden sie im Oktober 2020 statt. Ab August haben wir vermehrt Druck ausgeübt. Dank der Mobilisierung der Bevölkerung, der Einberufung von Versammlungen durch den Dachverband der bolivianischen Gewerkschaften, dank des Engagements von Bäuerinnen und Bauern und Blockaden der indigenen und der ländlichen Bevölkerung konnten wir schließlich doch noch Wahlen abhalten. Aber selbst am Tag der Wahlen gab es permanent Einschüchterungen durch das Militär. Die Städte waren komplett militarisiert. Noch zwei Tage zuvor haben sie viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Bewegung in Führungspositionen festgenommen. Nichtsdestotrotz haben wir gewählt und das Ergebnis hat unsere Erwartungen übertroffen. Mehr als 55% haben wieder für die Sozialistische Bewegung MAS gestimmt und Luis Arce zum Präsidenten gewählt. Das ist mehr, als die Stimme einer Partei zu geben – das ist die Ablehnung des Putsches; ein nein zu Rassismus und Faschismus. Es war also kein parteiischer Sieg sondern ein Sieg der Bevölkerung. Ich glaubte persönlich nicht daran, daß wir so schnell eine neue demokratisch gewählte Regierung wiederherstellen würden, daß der Putsch so schnell der Vergangenheit angehören würde. Wir hatten uns auf einige Jahre Widerstand eingestellt. Schließlich war es etwa ein Jahr. Einer der Schlüsse, die sich daraus ziehen läßt, ist, daß die bolivianische Bevölkerung selbstbestimmt leben möchte. Wir wollen keine Diktatur, keinen Rassismus und keinen Faschismus und kämpfen entschieden dagegen. Die wirtschaftlich starken Rechten leben weiterhin in diesem Land; ihnen gehören große Flächen Land und viel Kapital. Aber sie haben keine politische Macht. Die politische Rechte hat sich in diesem Land aufgelöst und konnte nicht so agieren, wie der Putsch es sich erhofft hatte.

raíces nómadesEine der Strategien des Putsches war es ja, soziale Bewegungen gezielt anzugreifen und zu schwächen. Wenn Du sagst, die Bevölkerung hat diesen Sieg über den Putsch erlangt – hat der Widerstand die sozialen Bewegungen gestärkt? Und wenn ja – hat das eine Auswirkung auf die MAS heute?

adriana: Wir müssen da noch einiges analysieren. Wir müssen verstehen, wie ich bereits sagte, daß die Wahl einen Sieg der Bevölkerung über den Faschismus bedeutet. Wir müssen verstehen, daß die sozialistische bewegung MAS ein politisches Instrument für den Wandel ist - geschaffen von den zivilgesellschaftlichen organisationen. Wir müssen das nicht von außen sondern von innen betrachten. Es gibt Leute, die zur MAS kamen und annahmen, diese Partei funktioniere so wie andere – mit Führungsspitze und Vetternwirtschaft; in der Annahme, es müsse weiße Kandidatinnen und kandidaten geben, die die Mittelschicht überzeugen; Jugendorganisationen, die die Jugend überzeugen, Intellektuelle usw. es gab aber keinen wahlkampf für indigene. Denn offenbar nahm die mas an, daß wir schon überzeugt waren. Da muß noch viel Selbstkritik geübt werden. Als der staatsstreich kam, waren wir es, die sozialen Bewegungen, die Widerstand ausübten. Bedauerlicherweise waren wir es, die den Kugeln gegenübergetraten und der Verfolgung ausgesetzt waren. Die zivilgesellschatlichen organisationen wurden von der De-Facto-Regierung geschlagen, verprügelt, gefoltert. Und ein großer Teil der funktionsfähigen Führungsspitze der sozialistischen bewegung MAS war zu dem zeitpunkt nach argentinien geflohen. Also konnten sie nicht aus der Nähe sehen, wie die Dinge standen. Die Repression erlernst Du mit dem eigenen Körper. Dann kam die führungsspitze zurück um den demokratischen Prozeß zu nähren, und nicht um einen revolutionären und umformendenen Prozeß des vivir bien anzustoßen, so wie wir es uns erhofft hatten. Das soll nicht heißen, daß die ganze Partei MAS nach dieser Logik funktioniert. Es gibt z.B. Kandidatinnen und Kandidaten auf regionaler Ebene, die aus den zivilgesellschaftlichen organisationen kommen und diese repräsentieren. Zuvor waren wir schwach und zersplittert – und zwar von der sozialistischen bewegung MAS selbst. Für die MAS war es nötig, die zivilgesellschaftlichen organisationen zu spalten, um ihre Entscheidungen auf Regierungsebene durchzuführen. Viele Organisationen wurden sozusagen vom Staat aufgezehrt und waren nicht mehr autonom – entweder verwaltest du den Staat oder du revolutionierst ihn. Entweder verwaltest du den Staat oder du sprengst ihn in die Luft. Es ist sehr schwierig, beides zu tun. Es ist auch sehr schwer – und ich glaube das haben wir inzwischen bewiesen – das vivir bien in diesem Staat zu errichten. Mit den geschwächten Bewegungen konnten wir dem Putsch nichts entgegenhalten. Und wir sind immer noch nicht vollständig wieder hergestellt und vernetzt, denn dann könnten wir die MAS infrage stellen. Dann könnten wir wieder darauf hinweisen, daß die MAS ihrer Berufung als politisches Instrument der sozialen Bewegungn, als welches sie geschaffen wurde, nachzugehen hat. Ich persönlich glaube, daß der MAS als Partei ihr Charakter als politisches Instrument der Organisationen sehr stark verloren gegangen ist.

raíces nómades: Was sind die Maßnahmen der MAS, die jetzt nach den Wahlen die Regierung stellt? Und was waren die Maßnahmen der de-facto-Regierung, abgesehen von den Kriminalisierung der Bevölkerung zum Zweck der Pandemiebekämpfung, die du schon denunziert hast? Welches waren die wichtigen sozioökonomischen Entscheidungen der De-facto-Regierung? Kannst du da einen Vergleich ziehen, damals und heute?

Adriana: die De-facto-regierung hatte wirtschaftliche maßnahmen erlassen, um den Staat und die nationalen Schätze zu plündern, um genetisch veränderte organismen zu legalisieren; sie hat Verträge mit Bergbauunternehmen und dem Agrikultursektor abgeschlossen, um bodenschätze zu fördern und die Grenzen zu erweitern. Sie hat den Staat gestürmt, indem sie gut bezahlte Posten für Beamtinnen und Beamte schuf. Das sind sehr schädliche, ja verheerende und zerstörerische Maßnahmen für Bolivien. Ich glaube nicht, daß wir hier die Politik der sozialistischen bewegung MAS als Vergleich heranziehen sollten, denn so etwas tut eine de-facto-regierung nun mal – sie zerstört den Staat entgegen den Interessen seiner Bevölkerung. Danach hat die Regierung von Luis Arce eine totale Krise vorgefunden: Es hatte keinerlei Anstrengungen gegeben, die Pandemie einzudämmen; das Gesundheitssystem ist völlig demontiert; Verträge müssen nun rückgängig gemacht werden. Das ist eine sehr komplexe Situation für die sozialistische Bewegung MAS. Die erste wirtschaftliche Maßnahme, die sie erlassen haben, waren Gutscheine gegen den Hunger. Das ist als Notfallmaßnahme natürlich sehr wichtig, aber es reicht nicht. Was es braucht, ist ein Plan um die Wirtschaft zu anzukurbeln, wie es heißt – aber nicht nur die Ökonomie der Reichen, der Unternehmerinnen und Unternehmer, der Viehwirtinnen und -wirte, die aufgrund des Putsches Schäden erlitten haben; die transnationalen Unternehmen, die keine Lebensmittel mehr transportieren konnten wegen des Putschs und der Pandemie, sondern es ist eine Krise der Armen, der Indigenen, der verarmten. Schulden, die beim Internationalen Währungsfonds und bei Banken gemacht wurden, müssen zum Stillstand gebracht werden. Das sind die wichtigsten wirtschaflichen Maßnahmen, die ergriffen wurden. Aber ich glaube, das reicht nicht. Was wir brauchen, ist ein strategischer Plan mit Etappen, bei dem alles rückgängig gemacht wird, was während des staatsstreichs abgeschlossen wurde. Und das wichtigste ist, Lebensmittel zu erzeugen! Denn das größte Problem, das wir haben, ist der Hunger und die Verarmung. Und dazu kommt noch die Pandemie. Das ist schwierig, denn der Gesundheitssektor, die Ärztinnen und Ärzte waren schon immer gegen die sozialistische Bewegung MAS, gegen die Regierung von Evo Morales. Sie waren Teil des Putsches. Jetzt, wo es einen anderen Präsidenten gibt, kooperieren sie immer noch nicht. Sie weigern sich, uns in den krankenhäuser aufzunehmen, sie haben eine rassistische und koloniale Einstellung. Das hatten die Ärztinnen und Ärzte in Bolivien schon immer. Um mit der Pandemie also umgehen zu können – trotz dem, daß Tests und Impfstoff gekauft wurden – ist das Problem jetzt: wir haben keine Ärztinnen und Ärzte. Das bolivianische Gesundheitssystem hat sich seit 13 Jahren mit kubanischen Ärztinnen und Ärzten aufrechterhalten. Diese wurden jedoch während des Staatsstreichs des Landes verwiesen und sind bis heute nicht zurückgekehrt, weil sich der Gesundheitssektor dagegen stellt, sie zurückzuholen.

raíces nómades: In diesem Kontext, die sozialen Organisationen sind aus dem Wahlprozeß gestärkt hervorgegangen. Haben sie derzeit Kapazitäten, die Agenda der Regierung abzustecken?

adriana: wie ich bereits sagte, wir gehen als bolivianische Bevölkerung gestärkt aus dem Prozeß der Wahlen heraus, denn sie – und nicht nur die Partei der MAS – war die eigentliche Gewinnerin. Das gibt uns die Befähigung, Forderungen zu stellen. Ich persönlcih glaube, der Putsch hat uns so hart getroffen, daß die Angst bleibt; jeden Moment könnte er wiederkommen, die Rechten könnten uns jeden Moment wieder angreifen; die angst, wir könnten uns nicht kritisch äußern, denn das wird uns von den Rechten danach nur zur Last gelegt. Und die Rechte ist jederzeit bereit, den Staat und seine Bevölkerung zu zerstören – sie braucht nicht einmal Argumente dafür. Die Logik ist, die Leute zum schweigen zu bringen. Das passiert ja nicht nur hier sondern auch anderswo.
Wie unsere Ahninnen sagten – uns als zivilgesellschaftliche Organisationen fehlt es an dem esprit, nicht zur Forderungen zu stellen, sondern auch dieses politische Instrument der Bevölkerung zu erschaffen um das vivir bien umzusetzen. Sei es nun mit der sozialistischen bewegung MAS oder ohne sie. Denn das vivir bien ist kein privateigentum. Die indigenen Völker haben immer schon ihre eigenen politischen Instrumente gehabt. Wir die zivilgeselschaftlichen Organisationen müssen die Kraft daher wiedererlangen.

raíces nómades: kannst du uns das vivier bien erklären?

Adriana: das vivir bien ist eine Konzeption des Lebens, das ist kein Entwicklungsprojekt, das du irgendwann erreichst. Das vivir bien für uns ist z.b. das jetzt. Es ist eine Form, mit anderen Menschen und der Natur respektvoll in Beziehung zu treten. Es beruht auf Umsicht, Achtsamkeit, Fürsorge und Gegenseitigkeit. Es will das Leben bewahren. Deswegen ist es auch unmöglich, etwas anzuhäufen. Vivir bien ist unmöglich wenn wir alle reich werden wollen mit zwei häusern, drei autos, fünf magistern und zwei doktortiteln. Gewalt gegen frauen, prostitution, die maßlose ausbeutung der natur, der Pacha mama steht dem vivier bien entgegen. Das vivir bien ist eine form des seins, die auch heute existiert; wir haben das auch während des staatsstreichs praktiziert. Die autonomen gebiete konnten ihre grundbedürfnisse stillen; sie konnten mit der pandemie und der wirtschaftskrise umgehen. Selbstverwaltung ist teil des vivir bien. Du kannst nicht gut leben, wenn du vom staat abhängig bist, Wenn der staat dir gesundheit gibt, bildung, impfstoff. Autonomie und selbstverwaltung sind die Basis des vivir bien!

raíces nómades: Ein anderes Konzept, das vielleicht nicht so geläufig ist - was versteht ihr unter gemeinschaftlichem antipatriarchalem feminismus?

Adriana: alle worte haben ihren ursprung, ihre geschichte und erinnerung. wir aymara frauen waren teil des politischen wandlungsprozeß; wir waren teil des aufbaus dieses plurinationalen staats und dem kampf für das vivir bien. 2003, nachdem bei einem massaker während des sogenannten “gaskrieges” in der stadt el alto über 60menschen ums leben kamen, war unser anspruch, das vivir bien zu leben ohne unsere territorien zu zerstören. Ohne uns transnationalen unternehmen auszuliefern, ohne die logiken des kolonialismus, der modernen und des individualismus. Aufgrund unserer körper als frauen ist unsere realität eine andere als die der männer. 2003 mußten wir uns aufgrund dieser diskussion feministinnen nennen, da führte kein weg dran vorbei. Es war auch wichtig zum MachtAusgleich weil unsere Brüder waren Anhänger des sogenannten “Indianismus”, einer antikoloniale FreiheitsBewegung, die linken waren kommunisten und wir frauen? Wir waren nichts. Es war also nötig, uns feministinnen zu nennen als eine politische strategie; es war nötig, um über machismus und das patriarchat zu sprechen, die machtverhältnisse, die es uns nicht erlauben, über den eigenen körper zu bestimmen. Das ist nämlich etwas, das nicht diskutiert wird in politischen projekten. Die frauen werden unsichtbar gemacht. Wir sagen also: wir können nicht gut leben, wenn wir frauen schlecht leben. Wir können nicht gut leben, wenn wir frauen vergewaltigt und ermordet werden. Wir wurden also feministinnen aus not. Um das patriarchat sichtbar zu machen und die unterdrückung, die auf unsere körper ausgeübt wird. 2008/09 haben wir also überlegt, uns den namen “gemeinschaftlicher feminismus” zu geben, als politisches weltweites projekt. Für uns ist ein plurinationaler staat nicht genug. Für uns frauen ist das weltweite politische projekt, die gemeinschaft, die autonomie, die selbstverwaltung. Und wir leben mit der natur um uns herum zusammen, mit der pacha, der muttter erde, der sonne, dem mond, den flüssen, dem wasser. Das ist keine schwachsinn oder eine idealisierung, weil unserer ahninnen haben auch so gelebt. Auch heute leben unsere kurdischen schwestern so. Die Autonmie wird gelebt, sie existiert, z.b. bei den zapatistinnen. Deshalb gemeinschaftlich. 2016, 8 jahre nachdem wir uns gemeinschaftliche feministinnen nannten, hatten wir interne diskussionen über gewalt. Wir kämpfen gegen die gewalt nach außen, aber auch nach innen. Wir hatten gewaltvolle hierarchien in usnerer organisation. Deshalb haben wir unsere organisation antipatriarchal genannt – es geht uns darum, das patriarchat zu entwaffnen. Denn es reproduziert sich innerhalb der zivilgesellschaftlichen organisationen. Daher der name “gemeinschaftlicher antipatriarchaler feminismus”.

raíces nómades: vor einigen tagen gab es ein großes ereignis in argentinien, das auch für den kontinent nicht unbedeutend ist. Die legalisierung von schwangerschaftsabbrüchen wurde vom senat genehmigt. Das heißt abtreibungen sind von nun an legal, sicher und gratis. Welche auswirkungen hat das auf bolivien? Wie koordinieren sich die feministischen bewegungen des kontinents unter sich?

Adriana: die kämpfe unserer mitstreiterinnen in argentienien sind wichtig für uns und Wir verfolgen das seit vielen jahren. Die entkriminalisierung von schwangerschaftsabbrüchen in argentinien hat natürlich auch auswirkungen auf alle umliegenden staaten. Es ist ein anlaß, weiter über die autonomie über den eigenen körper zu diskutieren. Die autonomie der völker und der körper ist unmöglich, deshalb geht der kampf weiter. Wir sind permanent in verbindung mit unseren mitstreiterinnen in argentinien, denn wir glauben an einen feminismus ohne grenzen, der das patriarchat zerschlägt.

raíces nómades: eine debatte, die meiner meinung nach wenig behandelt wird bei feministinnen, ist das recht auf mutterschaft. Das erscheint mir sehr interessant. Und wir wollen das ein bißchen trennen von der forderung nach einem legalen schwangerschaftsabbruch, aber es geht auch hier um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Ich habe einmal diese Forderung von dir gehört, das recht auf mutterschaft, weil du lesbisch und indigen bist.

Adriana: vielleicht sind das gar keine zwei paar schuhe. Wir haben den kampf unserer mitstreiterinnen in argentinien mitverfolgt. In unserem fall als aymara frauen und in den meisten terretorien in abya yala (lateinamerika) gibt es das gedächtnis unserer ahninnen, und das wissen, welche zeiten gut sind sowohl für das austragen und gebären als auch für den schwangerschaftsabbruch. Wir stehen für ein würdiges leben. Wir wollen das Leben bewahren, wie ich bereits ausführte. dazu gehört auch, daß wir selbst entscheiden, wann wir mütter werden wollen und kinder großziehen. Das ist ja auch eine verantwortung nicht nur für frauen. Wir, die wir in einer gemeinschaft aufgewachsen sind, mit unseren großmüttern, großvätern, tanten und onkels – wir hinterfragen die individualistischen und kapitalistischen mutterschaft. Mit einem besitzanspruch. Für mich war es sehr wichtig, zwei töchter großzuziehen, die jetzt mehr als töchter sind sondern vielmehr feministische mitstreiterinnen. Das war mein beitrag, leben beizusteuern. Und das ist jetzt teil unseres kampfes.

raíces nómades: was ist die agenda von gemeinschaftlicher antipatriarchaler feminismus in diesem jahr 2021? was ist wichtig und dringend, wo besteht handlungsbedarf?

Adriana: auf der regierungsebene müssen wir den wandlungsprozeß beobachten und hinterfragen. Auch wenn jetzt befürworter*innen eines plurinationalen staats die regierung stellen, müssen wir weiter mißstände benennen und anklagen. Und vor allem anderen wollen wir, daß die verantwortlichen putschistinnen und putschisten vor gericht gestellt werden. Es soll gerechtigkeit geben für die opfer der massaker. Wir wollen wissen, wer dahinter steht, wer direkt verantwortlich ist und wer den intellektuelle antrieb gab. auf nationaler ebene und auf überregionaler ebene – denn wir sind wie ich ja bereits erwähnte gut vernetzt mit feministinnen in chile, in argentiene, mexiko – ist ein ganz wichtiger kampf heute die selbstbestimmung und die entkriminalisierung von schwangerschaftsabbrüchen. Das ist teil des kampfes gegen das patriarchat. Das ist eine anklage gegen das patriarchat. Unsere gebärmütter sind nicht dazu da, ausgebeutet zu werden, arbeitskräfte zu produzieren oder menschen zu zeugen, die dann von ihren eigenen territorien vertrieben werden und gezwungen werden nach europa oder in die usa auszuwandern. Wir sprechen von einem strukturellen Problem. Daher sollten wir die kraft, die von Argentien ausgeht, im Kampf gegen die kriminalisierung von schwangerschaftsabbrüchen, nutzen.