verfassungsklage gegen das sächsische polizeigesetz

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interview mit david werdermann von https://freiheitsrechte.org/
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um 2019 wurden alle polizeigesetze der bundesländer trotz großer proteste massiv verschärft. so auch das sächsische polizeigesetz. polizeiarbeit entwickelt sich in richtung präventive überwachung.
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Upload vom 29.01.2021 / 08:17

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Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: aktuell
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 29.01.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ausufernde Überwachung, Gesichtserkennung und Handgranaten für die Polizei

28. December 2020 by Janina Zillekens
Wie weit darf die Polizei die Grundrechte für Ermittlungen einschränken? (Credit: cocoparisienne)

Im Dezember 2020 haben wir Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Sächsische Polizeigesetz (SächsPVDG) erhoben. Gemeinsam mit Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, einem Fußballfan und einer Sozialarbeiterin klagen wir gegen schärfere Überwachungsinstrumente.

“Ich benötige das Vertrauen von Insidern.” Gespräch mit Investigativjournalist und Kläger Arndt Ginzel
“Wenn das Vertrauen der jungen Menschen schwindet, werden sie sich zurückziehen.” Gespräch mit Sozialarbeiterin und Klägerin Anja Merkel

Seit dem Inkrafttreten des novellierten Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes (SächPVDG) vor einem Jahr verfügt die Sächsische Polizei über noch schärfere Überwachungsinstrumente als zuvor und kann diese viel weitreichender einsetzen – trotz zahlreicher Polizeiskandale in der jüngeren Vergangenheit.

Vorverlagerte Überwachung verletzt Grundrechte und Rechtsstaatsprinzip

Konkret wenden wir uns gegen längerfristige Observationen durch Polizeibeamte, den Einsatz verdeckter Ermittler*innen und von Vertrauenspersonen, Abhör- und Ortungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung sowie Datenerhebungen mit Bezug zu Telekommunikation und Internetnutzung.

Das neue Sächsische Polizeigesetz erlaubt es der Polizei langfristig Menschen zu observieren, sie außerhalb der Wohnung abzuhören und zu orten (§ 63) oder sogar zur polizeilichen Beobachtung auszuschreiben (§ 60 Abs. 2). Ausreichend dafür ist bereits der Verdacht, dass eine Person in Zukunft irgendwann einmal eine „zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung“ begeht. Als Straftat von erheblicher Bedeutung kommt nach dem Gesetz prinzipiell jede Straftat in Betracht, die organisiert begangen wird und geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören – sogar Bagatelldelikte wie Beleidigungen.

Auch die Überwachung von Telekommunikationsverkehr und Internetnutzung (§ 66) ermöglicht das neue Polizeigesetz, wobei hier an Straftatbestände angeknüpft wird, die ihrerseits bereits weit im Vorfeld einer Straftat liegen. Bei einer solchen Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen in das „Vorfeld des Vorfelds“ kann es ausreichen, dass eine Person Kontakte zu Straftäter*innen hat, um in den Fokus der Polizei zu geraten.

Zusätzlich darf die sächsische Polizei nun auch Vertrauenspersonen einsetzen (§ 64), um Menschen auszuspähen. Angesichts der vielfältigen Probleme beim Einsatz von V-Personen, drastisch offenbart durch den NSU, sind gesetzliche Schutzvorkehrungen nötig – die das Gesetz aber gerade nicht enthält. Das verletzt das Rechtsstaatsprinzip.

Intelligente Videoüberwachung verletzt Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Ein deutschlandweites Novum stellt die Befugnis zur intelligenten Videoüberwachung (§ 59) dar. Die Polizei darf danach nicht nur Videoaufzeichnungen anfertigen, sondern diese auch automatisiert mit polizeilichen Daten abgleichen. Dies schließt laut der Gesetzesbegründung den Abgleich von besonders sensiblen biometrischen Daten (Gesichtserkennung) ein. Dadurch wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, weil die Maßnahme ohne konkreten Anlass zulässig ist. Die intelligente Videoüberwachung erstreckt sich auf das gesamte Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern (§ 59 Abs. 1 Satz 1). Das umfasst etwa die Hälfte der Fläche des Freistaats. Eine Überprüfung der Anordnung sieht das Gesetz erst nach sechs Monaten vor (§ 59 Abs. 3 Satz 2).

Handgranateneinsatz verstößt gegen Menschenwürde und Trennung von Militär und Polizei

Schließlich richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Einsatz von Kriegswaffen wie Handgranaten durch die Polizei (§ 40 Abs. 4). Das verletzt nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Militär und Polizei, sondern auch die Menschenwürde. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Staat nicht zwischen den Leben Unschuldiger abwägen. Das macht er jedoch, wenn er beim Einsatz von Handgranaten den Tod Unschuldiger in Kauf nimmt.

Journalisten, Rechtsanwält*innen, Fußballfan und Sozialarbeiterin klagen

Kläger*innen in dem Verfahren sind Journalist*innen, Rechtsanwält*innen, ein Fußballfan und eine Sozialarbeiterin. Sie werden vertreten durch Prof. Dr. Matthias Bäcker (Universität Mainz).