"Die Essenz unserer Ideen ist die gleiche, hier wie dort" - Indigene in Mexiko kämpfen für ihr Recht auf Leben

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Anfang Oktober machte der Nationale Indigenenkongreß CNI aus Mexiko als Begleitung für die Delegationen der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN auf ihrer Europareise Station in Freiburg. Die indigenen Gemeinden tragen viele Themen mit sich, erzählen uns, den raíces nómades und Eco Rebelde, die drei compañeroas im Interview: Menschenrechte der ursprünglichen Bevölkerung werden in Mexiko mit Füßen getreten; alles was zählt, ist Geld. Europäische Konzerne beuten das Land aus ohne Rücksicht auf die Gesundheit und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung. Zudem sei die Region in der sie leben, extrem patriarchal und Frauen könnten nicht einmal ins Krankenhaus ohne männliche Begleitung, das erzählt uns die compañera, die ihren Namen nicht genannt haben möchte. Deshalb fand sie es inspirierend, eine Frauen WG in Wien, wo die Delegation Ende September landete, kennenzulernen. Wenn Frauen sich trennen wollen, hätten sie nämlich oft kein Geld. So nimmt die Überlegung, mit der Herstellung traditioneller Kleidung und Puppen ein Einkommen zu generieren, Gestalt an und so können die Bewegungen auch voneinander lernen. Das ist es, was sie von dieser Reise mitnimmt.
Audio
27:35 min, 25 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.11.2021 / 17:57

Dateizugriffe: 151

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: Süd-Nord-Funk
Entstehung

AutorInnen: die meike, raíces nómades. eco rebelde
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 02.11.2021
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Verena: Welche Erfahrungen habt Ihr bei Eurer Reise bisher gemacht? Gibt es vielleicht Anekdoten, oder Samenkörner, die Ihr mitnehmt, mit nachhause, mit in Eure Gemeinden?

M: Für mich persönlich – und ich glaube, die compañeras teilen diese Meinung – muß ich sagen: Wir haben alle das gleiche Ziel. Unsere Kämpfe mögen verschieden sein. Unsere Organisationen mögen verschiedene Namen haben; die Arbeit mag konkret ganz anders aussehen, aber die Essenz unserer Ideen ist die gleiche, hier wie dort. Wir wollen alle ein anderes System. Der Kapitalismus ist unsere Zielscheibe. Mit Euch zu sprechen und zuzuhören, dieser Austausch ist sehr wertvoll für uns gewesen. Wir haben sehr viel davon mitgenommen. Und wir sind sehr dankbar dafür, daß ihr uns so freundlich aufgenommen habt.

A: Bezüglich deiner Frage, was wir mitnehmen in unsere Gemeinden kann ich dir sagen, es ist dieses Samenkorn, das wir in Euch gesehen haben. Dort in Mexiko in den Gemeinden betrügen sie uns, so wie sie Euch hier auch täuschen. Im Fernsehen zeigen sie uns, wie schön Europa ist. Die andere Seite wird ausgelassen. Und jetzt haben wir das mit eigenen Augen gesehen, wir haben Europa mit eigenen Händen angefaßt und befühlt. Ich kann das nur bestätigen, was der compañero gesagt hat: Wir kämpfen den gleichen Kampf. Und das ist es, was ich mitnehme, was wir alle mitnehmen, auch für unsere Organisation. Wir verteidigen etwas, das uns sowieso schon gehört, uns und den künftigen Generationen. Für die Regierungen auf Bundes-, Landes- oder städtischer Ebene bedeutet Zukunft lediglich Geld. Sie glauben, sie geben den jungen Menschen Zukunft mit Geld, aber das ist nicht wahr. Die Zukunft der ursprünglichen indigenen Bevölkerung ist eine saubere Erde, sauberes Wasser, eine saubere Umwelt, saubere Luft. Das gilt hier wie dort, für alle Menschen überall auf der Welt. Wo jeder Mensch überall gesund aufwachsen kann. Das ist unser Kampf und es ist auch Eurer.

Andrés: Da möchte ich gerne anknüpfen – an die Kämpfe, die der Nationale Indigenenkongreß in Mexiko noch vor sich hat. Es wäre für uns interessant zu wissen – was sind heute die wichtigsten Konflikte? Denn ich stelle mir vor, daß diese schon seit Jahrzehnten ausgetragen werden. Und welches sind die betroffenen Regionen und worum geht es in diesen Konflikten? Für uns wäre es interessant zu wissen, ob es Probleme mit US-amerikanische und europäische Konzernen gibt, die vielleicht für Konflikte verantwortlich sind. Ihr könnt unseren Horizont dahingehend erweitern.

C: Wir tragen sehr viele Themen mit uns. Jede Gemeinde, jede Ortschaft, jede Region hat ihr Thema. Ein großes Problem ist die Invasion der Avocado in unserem Territorium. Die Avocado hat einen großen Marktwert und sie läßt uns leiden. Genannt das “grüne Gold” geht die Avocado Hand in Hand mit Drogengeschäften, dem organisierten Verbrechen und Waffen. So werden wir sprichwörtlich ausgeplündert. Sie kontaminieren die Erde und das Wasser. Die Avocado hat keinen Vorteil für den Boden, im Gegenteil, sie ist schädlich, denn sie gedeiht nur auf Basis von Agrargiften. Diese Chemikalien werden in Europa von transnationalen Konzernen hergestellt und ihr Verkauf ist hier verboten, das wurde uns so gesagt. Sie sind extrem schädlich für die menschliche Gesundheit. In Europa ist der Verkauf dieser Chemikalien illegal, dort wird sie verkauft und wir nutzen sie. Heutzutage gibt es in den indigenen Gemeinden neue Krankheiten, die es vorher nicht gab. Denn wir wissen nichts von diesen Chemikalien, wie sie hergestellt wird, ob sie legal ist oder nicht. Schon die Kinder werden krank davon. Den Kapitalisten in unserer Region ist es sprichwörtlich egal, wie es uns geht. Das ist also eine unserer Klagen.
Sie holzen unsere Wälder ab, sie nehmen uns das Wasser. Es gibt jede Menge falsche Behauptungen: wir würden Wasser unterschlagen für unseren Konsum und den Gebrauch, daß die Pestizide für das Wasser harmlos wären. Sie vergiften uns, sie entreißen uns die Erde, die Natur und die Luft. Sie machen alles kaputt. Das ist eine unserer großen Sorgen. Sie plündern uns aus mit der Waffe in der Hand.

A: Wie die compañera bereits sagte – die ursprüngliche indigene Bevölkerung Mexikos hat viele Probleme. Die Front zur Verteidigung der Erde und des Wassers bearbeitet auch ein Problem, das alle wohl schon kennen. Das ist das Wärmekraftwerk in Morelos, deswegen heißt das Projekt PIM – “Integrales Projekt Morelos, Puebla und Tlaxcala”. Der Leitungsverlauf ist sehr lang. Von Morelos, wo das Kraftwerk steht, geht die Gasleitung vorbei an Puebla. Sie verlegen gerade die Röhren und wenn das Kraftwerk in Betrieb geht, verpesten sie die Luft und das Wasser damit. Wenn wir diesen Konflikt ansehen, dürfen wir dabei den compañero Samir Flores nicht vergessen. Er war ein Aktivist, der vom organisierten Verbrechen ermordet wurde, weil er seine Gemeinde und das Leben verteidigt hat. Das organisierte Verbrechen ist mit Waffen sogar bei ihm zuhause eingedrungen.
Also hat auch Puebla ein Problem, denn die Gasleitung führt an unseren Gemeinden vorbei. Manchmal kommen Expert*innen oder Institutionen vorbei, die angeblich das Risiko, das diese Leitung darstellt, einschätzen sollen. Aber diese Institutionen sind natürlich alle gekauft. Denn sie kennen das Risiko: Sowohl die Menschen als auch das Wasser und die Erde werden in Mitleidenschaft gezogen. Und es ist ihnen egal.
Die Gasleitung führt auch unter einigen Adern des Vulkans Popocatépetl vorbei. Das ist sehr gefährlich. Sie kennen die Risiken zur Genüge. Aber solange es Geld gibt, ist ihnen die lokale Bevölkerung egal. Das ist die Realität in der wir leben. Auch in Puebla gibt es Projekte, die gestoppt werden konnten, aber nicht von der Regierung. Die Gemeinden haben den Stop des Projekts selbst herbeigeführt. Im Fall von Puebla wollen sie den Fluß Metlapanapa
vergiften. Dafür sind europäische Unternehmen verantwortlich: Faurecia, Thyssen, Volkswagen – alles deutsche Unternehmen. Sie brauchen viel Wasser. Im Fall der Gasleitung sind es italienische und spanische Konzerne. All diese Konzerne tauchen hier in Europa nicht auf, denn hier gibt es Regeln. Hier dürfen sie nicht produzieren, wegen der Umwelt- und Qualitätsstandards. In Mexiko weiß man: Die Regierung verkauft alles, sie betrügt ihre Gemeinden. Es ist einfach – wenn die Summe nur hoch genug ist, kannst du dort alles kaufen. Diese Problematik also sehen wir in Puebla. Und auch andernorts – auch wenn die Gemeinden das eine oder andere Projekt stoppen konnten. Und sie haben es selbst geschafft, denn auf die Regierung ist kein Verlaß. Die Regierung will alles zu Geld machen. Sie will den Konzernen Zugang zum Land verschaffen. Die warten nur auf eine günstige Gelegenheit. Und die Polizei schüchtert uns ein. Die Nationalgarde dreht ihre Runden. Sie schickt gekaufte Reporter. Sie belästigen die Leute, pöbeln, zetteln Schlägereien an. Wer sich wehrt, wird angezeigt. Aber das macht uns nur stärker. Die Wut gibt uns den Mut zum Widerstand.
Ein anderes Problem – aber da sprechen wir ein andermal drüber – hat mit dem französischen Unternehmen Bonafont zu tun. Die Bevölkerung konnte dieses Projekt schon stoppen. Die Frauen und Männer haben das eingenommen, was jetzt “Haus der Völker” (Casa de los pueblos) heißt. Dort machen sie Workshops. Aber auch dort gibt es Einschüchterungsversuche. Das Haus liegt gegenüber der Bundesstraße und dort fährt die Polizei mehrmals täglich vorbei, sie dreht dort ihre Runden, hält, macht Fotos und Videos von den Leuten. Das ist ein großes Risiko für die Frauen, die das Haus 24 Stunden am Tag bewachen. Es ist ja noch ein zartes Pflänzchen, dieses Haus, sozusagen ein Setzling. Obwohl das Haus für die indigene Bevölkerung da ist und das Projekt gestoppt werden konnte, ist das Unternehmen französisch. Wieviele Liter Wasser hat Danone uns schon weggenommen. Zuviele! Sie haben in drei Schichten gearbeitet, morgens, mittags, abends. Sie haben soviele Liter Wasser aus dem Boden geholt, daß ein Anhänger nach dem anderen vollgetankt vorbeifuhr. Dort sind zwei Institutionen in der Verantwortung, eine auf Bundes-, eine auf Landesebene. Die eine ist die nationale Wasserkommission (CONAGUA), sie bestimmt über das Wasser. Sie muß regulieren, wer wieviel davon aus dem Boden holen darf, aber das hat sie nicht getan. Die andere, Semarnat, ist eigentlich dafür verantwortlich, daß die Flüsse und das Wasser nicht verschmutzt werden. Aber diese Institutionen sind alle gekauft, sie spielen der Regierung und den Konzernen in die Hände. Sie sind auf ihrer Seite. An anderer Stelle, wenn wir nach Frankreich reisen, werden wir danone anklagen. Sie holen auch dort in Frankreich viel Wasser aus dem Boden.
Wir sind ja gerade bei Euch im freien Radio und wir sprechen über all diese Mißstände natürlich auch in unseren eigenen freien Radios. Aber einen compañero haben sie deshalb eingesperrt, weil er den Fluß Metlapanapa verteidigt hat und als Korrespondent darüber im Radio gesprochen hat. Am 24. Januar 2020 haben sie ihn verhaftet und am 29. Januar wurde er wieder freigelassen. Aber nur auf Druck der Organisationen in Puebla, des CNI und der zapatistischen Armee EZLN. Jetzt ist er wieder auf freiem Fuß, nachdem er eine Woche im Gefängnis verbracht hat, aber er ist nicht komplett frei, denn er muß sich alle 15 Tage bei der Staatsanwaltschaft melden und unterschreiben. Morgen, am 11. Oktober z.B. muß er um 10h morgens wieder vorstellig werden. Und das bereitet uns hier natürlich Sorgen. Denn er war am Kampf gegen Bonafont beteiligt und er kann ja jederzeit wieder angeklagt werden. Das Radio war auch Einschüchterungsversuchen der Regierung ausgesetzt, weil es darüber berichtet hat. Dieser compañero wollte eigentlich mitkommen auf der Reise durch Europa. An jedem Tag, an dem er unterschreiben muß, schleicht jemand von der Staatsanwaltschaft um sein Haus um ihn zu erwischen, wie er einmal vielleicht nicht unterschreibt, um wieder einen Vorwand zu haben, ihn zu verhaften. Und was haben sie ihm vorgeworfen? Er hätte Molotovcocktails auf einen staatlichen Lkw geworfen, Straßen blockiert und die Kommunikationswege an einem Flughafen gestört. Das ist seine Anklage. Sie haben nichts gefunden, was dies beweist, und trotzdem haben sie ihn und schikanieren ihn mit all diesen Maßnahmen. Wenn er nicht vorstellig wird, schicken sie ihn zum Richter. Dort mußt du dich innerhalb von zwei Monaten melden. Am Ende der Rechnung ist er nicht frei, denn er kann nicht weg.
Das sind unsere derzeitigen Kämpfe. Wenn einer davon gewonnen ist, dann ist es der Verdienst von uns indigenen Völkern und von allen Leuten, die sich dagegen wehren, daß uns diese transnationalen Konzerne aufgezwungen werden. Wir kennen die Risiken unseres Aktivismus.

M: Die Probleme in meiner Gemeinde sind – so wie in vielen anderen Gemeinden des Landes auch – landwirtschaftlicher Natur. Wir haben 2009 nach einer großen Vollversammlung die Entscheidung getroffen, ungefähr 1.200 Hektar Land wieder zurückzugewinnen. Dieses Land war zuvor vom organisierten Verbrechen, das gemeinsame Sache mit der schlechten Regierung macht, überfallen worden.
Warum? In dieser Gegend hat die Regierung zusammen mit dem organisierten Verbrechen den Plan gehegt, einen Hafen zu bauen. Warum ein Hafen? Meine Gemeinde ist sehr reich an Mineralien. Wir hatten schon eine Zusage der Regierung, daß die Probleme zu dem und dem Datum gelöst sein sollten. Aber das Problem besteht schon seit 1965. “Ja, wir werden das Problem lösen!” sagte uns die Regierung immer und immer wieder, und das seit Jahrzehnten. Passiert ist nichts. Die Gemeinde wurden des Wartens müde und hat die Initiative ergriffen.
Aber seit dem 29. Juni 2009 sind wir auf eine sehr große Herausforderung gestoßen: Seitdem haben wir 35 compañeros verloren. Es hat uns 35 Menschenleben gekostet und sechs sind bis heute verschwunden. Das ist der Preis für die Wiedereroberung des Landes. Das organisierte Verbrechen hat uns angegriffen. Wir sehen ja die Zahlen der Toten. Die meisten von ihnen waren führende Persönlichkeiten in ihren Gemeinden.
2014 beschließt die Vollversammlung der Gemeinde das Drogenkartell (Narcotráfico), das in der Gegend agierte, zu vertreiben. Die Leute haben sich also organisiert und sie haben es auch geschafft, die Drogenbarone zu vertreiben.
Um das Ganze zu kontextualisieren – wir haben unsere eigenen Bräuche und Sitten, unsere eigene Art der Selbstverwaltung. Eine Teil davon ist in Fragen der Sicherheit unsere gemeinschaftliche Wache. Das sind Leute aus den Gemeinden selbst. Meine Gemeinde hat 24 Örtlichkeiten, und in jeder gibt es eben zuständige Polizist*innen, oder kommunale Wachen, so nennen wir das. Zusammen mit diesen Wachen also konnten wir die Drogenkartelle konfrontieren. Wir sind nicht auf Vergeltung aus, denn sie haben hochspezialisierte Waffen und wir nur Jagdgewehre. Aber es ist uns dank all der Organisation geglückt, sie zu vertreiben. An diesem Datum gab es also die meisten Konfrontationen. Reginaldo Rodriguez Flores, der damals Kommandant war, verlor dabei sein Leben. Seitdem wir das organisierte Verbrechen vertrieben haben und bis heute haben wir keine Kriminalität mehr. Also wirklich wörtlich: null Delikte. Es gibt keine Entführungen, keinen Raub, keinen gewaltsamen Tod. Wir haben die Exekutive selbst in die Hand genommen, weil die Regierung ineffizient, wirkungslos und mangelhaft ist. Sie war nicht in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen, die unsere Sicherheit garantieren. Also kümmern wir uns selbst um unsere Sicherheit. Und jetzt, die Rolle, die die kommunale oder gemeinschaftliche Wache einnimmt, basiert auf den Erfahrungen der Vergangenheit. Wir haben Sicherheitsfilter an strategischen Punkten der Gemeinde, um der erneuten Invasion der Drogenkartelle, Waffen oder anderen Dingen – inklusive der Regierung – Einhalt zu gebieten. Das sind die Funktionen, zu denen die kommunalen Wachen verpflichtet sind. Sie checken, ob in einer Ortschaft etwas passiert ist oder ob alles in Ordnung ist. In Sachen Sicherheit geht es uns gerade sehr gut.
Aber die Regierung macht weiter mit der Plünderung des Landes. Wir haben Verfassungsbeschwerde beim obersten Gerichtshof des Staates Mexiko eingereicht und fordern, unseren Fall zu bearbeiten. Denn die Korruption der anderen Richter war auffällig. Sie haben uns nur korrupte Richter zugeteilt, die nicht zu unseren Gunsten entschieden haben. Obwohl es technische Fehler gab, die bewiesen waren, wurde nicht Recht gesprochen. (lacht) Es war sehr offensichtlich, daß die Richter alle gekauft waren. Unser Prozeß im Agrargericht hatte die Nummer 37 oder 38 – ich erinnere mich nicht mehr genau. Das war in Colima im Westen Mexikos. Wir organisieren jetzt Demonstrationen, um beim obersten Gerichtshof Druck zu machen, damit sie unseren Fall bearbeiten und zu unseren Gunsten entscheiden.
Ein Teil unserer Gemeinden ist bereit, um ihr Land zu kämpfen. Sie wollen nicht einen Meter den Kartellen überlassen. Denn wir wissen mit Sicherheit, es ist unseres und wir verteidigen es. Wenn sie diesen Prozeß auch noch gewinnen, heißt das, daß sie die Mutter Erde zerstören. Sie wollen die Berge zerstören, in denen wir leben, aus denen wir das Wasser holen, das wir trinken, wo wir unsere kleinen Anpflanzungen haben. Die Leute sind bereit zu kämpfen. Wir überlassen unser Land nicht der schlechten Regierung.

Andrés: Apropos schlechte Regierung – seit Manuel López Obrador gewählt wurde können wir in Lateinamerika, in Europa, und auch im Diskurs des mexikanischen Präsidenten selbst den Eindruck gewinnen, daß dieses Mal die Regierung die indigene ursprüngliche Bevölkerung und ihre Forderungen berücksichtigen würde. Obwohl sie direkt darauf Projekte wie den Tren Maya den Maya-Zug begonnen hat. Zu Beginn des Projekts wußten wir noch nicht, worauf es abzielte, aber in der Öffentlichkeit – auch in progressiven Sektoren – gibt es ein positives Bild der Regierung. Ich möchte von Euch wissen, was ihr für eine Meinung dazu habt. Welche Erfahrungen und welche Visionen haben der Nationale Indigenenkongreß und andere Organisationen der indigenen ursprünglichen Bevölkerung mit der Regierung Manuel López Obrador? Denn ihr habt sie bereits die schlechte Regierung genannt.

A: Also, das ist so: wir werden ihm die Maske abnehmen, wir werden ihn demaskieren (lacht). In Wahrheit gibt es keinen Wandel. Wir als CNI, die EZLN und auch andere Organisationen, die sich im Kampf befinden, wir fühlen uns nicht repräsentiert. Definitiv nicht. Weder von ihm, von López Obrador noch von den Gouverneuren, Unternehmern oder staatlichen Institutionen. Obrador ist ein Verräter, ein Lügner, ein Mörder. Man konnte ihm bereits den Mord an einigen Aktivit*innen, die inhaftiert waren und jetzt verschwunden sind, nachweisen. Er bringt auch nachweislich das organisierte Verbrechen auf die Mutter Erde. In Mexiko gibt es keinen Wandel. Für uns als ursprüngliche Bevölkerung, für uns als CNI, wir bemerken keine Veränderung. Wir leben unser Leben nach unseren Traditionen, nach unseren Bräuchen und Sitten. Unser Leben ist wichtiger, als daß wir uns mit einer Person wie ihm einlassen würden.

C: Wie die compañera kommentiert hat – seit dem Regierungswechsel hat sich nichts geändert. Die neue angebliche Regierung ist wie alle anderen zuvor auch, nur vielleicht im neuen Kleid.(lacht) Das Thema des Zugs, den wir den „fälschlicherweise sogenannten Tren Maya“ nennen, weil er

M: …. weil er nichts mit den Maya zu tun hat….

C: … (lacht) weil er nichts mit den Maya zu tun hat, wie der compañero sagt und weil er endlos viele Meter Umwelt und Natur kaputt machen soll. Warum? Weil es europäische Konzerne gibt, die damit Geld machen wollen. Es geht um das Land, es geht darum, neue Transportwege zu erschließen. Was er transportieren soll, wer damit reisen soll – ich weiß es nicht. Sie sagten uns, wenn sie uns nicht nach Europa reisen lassen, wozu bräuchten wir denn dann ein Transportmittel? (lacht) Das ist der große Zweifel, den wir haben. Wen werden sie transportieren? Uns jedenfalls nicht, soviel steht fest. Sie sagen uns, das wäre dann eine Region, in der wir um Almosen betteln könnten. Wir wollen keine Almosen. In der betroffenen Gegend gibt es viele Höhlen mit Grundwasserzugang, die Natur dort ist wunderschön. Das ist es, was wir darin sehen. Es ist unser Land und wir werden es verteidigen. Wenn dieses fälschlicherweise sogenannte Maya-Zug-Projekt umgesetzt wird, dann wird es das Grundwasser in der Gegend und die Umwelt in Mitleidenschaft ziehen.
Die compañera hat es ja zuvor bereits ausgeführt: Mit der Wasserförderung, welches dann in Flaschen verkauft wird, haben sie einen Stollen in Puebla eingerichtet. Die Eigentümer*innen dieses Lands sind davon betroffen. Die Gegend ist komplett abgeriegelt, sie können ihre Anpflanzungen nicht mehr betreten, ihre Maisfelder nicht bewirtschaften, nichts anpflanzen. Der Mais ist unser Hauptnahrungsmittel – ohne Mais sind wir nichts. Wieviele Menschen in Puebla haben sie enteignet! Sie stehen ohne alles da, ohne Mais, ohne Früchte, ohne Gemüse. Warum? Weil die Mutter Erde Schaden genommen hat. Sie hat es nicht mehr ertragen, daß man ihre Wasseradern ausbeutet. Und so hat sie bekannt gegeben, daß ihr großer Schaden zugefügt wurde. Mit dem fälschlicherweise sogenannten Maya-Zug wird das gleiche passieren. Er wird einen großen Teil der Natur beschädigen, so wie es auch mit den Stollen passiert ist. Das wird in weiteren Gegenden auch geschehen. Wie ich ja bereits sagte: wir wissen nicht, wen oder was der Maya-Zug transportieren soll. Aber die Regierung weiß es bereits. Und der europäische Investor weiß es auch schon. Sie sagen, wir wollten die sogenannte „Aufwertung“ unserer Region, die der Maya-Zug bringen würde, blockieren. Aber wer hat ihnen denn gesagt, daß wir überhaupt uns selbst übertreffen wollen? (lacht) Wir wollen auf unserem Land leben mit der Mutter, die gesehen hat, wie wir geboren wurden. Mit dieser Mutter, die uns ernährt. Wir beobachten gerade, wie wir diese Mutter mit der sogenannten „Aufwertung“ verlieren, wie sie Schaden nimmt. Und das wollen wir verhindern. Wir kamen hierher nach Europa, um das Europa von unten kennenzulernen, um die Stimme zu erheben, um uns zu vernetzen, uns zu verbrüdern und zu verschwestern denn gemeinsam sind wir stärker. Es hat uns sehr berührt, hier Leute zu sehen, die gegen die schlechte Regierung des Kapitalismus kämpfen. Denn auch hier ist Land betroffen, denn auch hier werden die Leute verpflichtet, nach dem System des Kapitalismus zu leben. Deshalb kamen wir hierher. Um zu begleiten, zu lernen und um zu hören. Wir nehmen eine Erfahrung von euch mit uns.

Meike: Ich habe eine Frage an den compañero. Das Sicherheitssystem, von dem du uns erzählt hast, funktioniert ja anscheinend sehr gut mit der gemeinschaftlichen Polizei oder Wache. Ihr könnt Sicherheit für die Gemeinde garantieren. Aber im Falle von Gewalt, Raub oder sonstetwas – welche sind die Mechanismen in eurer Gemeinde, wie genau funktioniert die kommunale Polizei?

M: In Sachen Sicherheit sind wir sehr autonom. Die kommunale Polizei, wenn wirklich ein Raub oder etwas anderes passieren sollte – was jetzt lange nicht mehr geschehen ist – kann sie auch jemanden festnehmen. Wir haben kein richtiges Gefängnis, sondern eher so ein Zimmer, und da wird die Person dann hingebracht. Und wenn das nicht geht – das ist sehr üblich und bei uns sehr normal – kettet man die Person fest. Es ist nicht so, daß er dann als Sklave behandelt wird oder so. Es ist nur so, daß wir einen Mangel an Installationen haben und sich die Frage stellt, wie man eine Person, die straffällig geworden ist, festhält. Die Obrigkeit – das ist eine Person, die die zivile Befehlsbefugnis in unserer Gemeinde innehat – kümmert sich dann um den Fall. Sagt der Person dann, wieviele Tage sie in Arrest oder angekettet bleiben muß oder wieviel Bußgeld sie zu bezahlen hat. Aber wir kümmern uns um diese Fälle selbst, nicht die Regierung.

Meike: Wir wissen es ja bereits und ihr habt es auch schon ausgeführt – es sind deutsche Unternehmen, die euer Wasser vergiften, europäische Unternehmen, die die Natur zerstören. Wie können wir hier mit Euch Solidarität zeigen?

C: Wenn ihr wieder die Möglichkeit habt und Demos organisiert, dann lassen wir euch gerne die Namen von Unternehmen da. Das erscheint uns zweckmäßig und effizient, denn die könnt ihr dann erwähnen: Dieses Unternehmen xy richtet Schaden an und es gibt Völker, die dagegen Widerstand leisten. Denn hier ist der Verkauf verboten und dort verkaufen sie es. Das kann ein großer Vorteil sein. Was ich auch noch erwähnen wollte ist, daß wir als Nationaler Indigenenkogreß von den zapatistischen compañeros eingeladen wurden, sie bei ihrer „Reise für das Leben“ zu begleiten. Diese Reise bedeutet, ein Samenkorn zu säen und eines mitzunehmen. Wie wir auch bei vorherigen Gelegenheiten schon erwähnten: wir glauben, Europa hat gezeigt, daß es Samenkörner von den zapatistischen compas empfangen hat. Und sie haben sie eingepflanzt. Auch wir als CNI werden unsere Samenkörner einpflanzen, auf dem Land, das wir verteidigen. Sie werden gegossen, gehegt und gepflegt.

Paz: Ich möchte noch hinzufügen, daß die Arbeit, von der ihr berichtet, sehr inspirierend ist. Für uns hier, aber auch für andere indigene Völker, die ihr Land verteidigen, zum Beispiel die Mapuche in Chile. Es gibt viele Völker in Lateinamerika, die die gleichen Angriffe erleiden. Eure Werkzeuge sind sehr stark. Ihr seid die Inspiration für alle Völker, die ihre Kämpfe austragen und die Natur verteidigen. Ich bin sehr dankbar für eure Arbeit und daß wir darüber im Radio berichten konnten.

Andrés: Vielen Dank, daß ihr bei uns wart. Wir hoffen sehr, euch wiederzusehen. An diesen Ort oder woanders um eure Kämpfe weiterzutragen.

A: Auch von meiner Seite bedanke ich mich für die Einladung. Wir haben euch diese Worte gebracht, damit sie veröffentlicht und verbreitet werden. Wir werden unsere Erfahrungen, die wir mit Euch als Personen und mit euren Kämpfen gemacht haben, auch weitertragen. Das hier wird nicht vergessen werden. Nein, es geht weiter. Wir kommen nicht nur schnell vorbei und sind dann wieder weg, wie ich anfangs sagte, wir schaffen etwas Nachhaltiges. Diese Organisation ist groß. Sie ist global. Dieses große Monster, diese schlechte Regierung, will uns verschlingen. Aber wir werden eher mit ihm fertig. Danke für die Einladung!

C: Ich werde etwas verlesen über die Reise für das Leben. Wir sind Teil des Nationalen Indigenenkongresses, wir sprechen für ihn und das ist gut so. Es heißt: „Die Erde, die sah, wie wir geboren wurden, die uns letztendlich das Leben gibt. In ihr ruhen wir bis in alle Ewigkeit. Deswegen sind wir all diese Farben, die wir sind; alle Sprachen, die unsere Herzen sprechen. Deshalb sind wir Völker, Nationen, Gemeinden. Wir sind die Hüter*innen der Erde in diesem Land, das Mexiko genannt wird, dieses Kontinents und der ganzen Welt.
Die Zapatistische Befreiungsarmee.“

Andrés, Paz: Vielen Dank.

M: Danke auch von mir für den Raum, den ihr uns gegeben habt. Und wie die compañera sagte, hoffentlich bleibt das nicht nur in unter uns, sondern wird verbreitet. Damit dieses Netzwerk stärker wird.