20. Todestag von Achidi John: Für Schwarze Menschen ist die Hamburger Polizei als williger Vollstrecker* der Hamburger Gesellschaft eine Unsicherheitsinstitution

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Zwanzig Jahre nach dem Foltertod von Achidi John steht eine Aufarbeitung der systematischen rassistischen Folter in Hamburg immer noch aus.
Studiogespräch mit der Initiative zum Gedenken an Achidi John.
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AutorInnen: Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen; nfsu
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 03.12.2021
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
Umbenennung des Platzes vor der Roten Flora seit der Bambule
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Skript
Entschuldigung & Entschädigung!
Zwanzig Jahre nach dem Foltertod von Achidi John steht eine Aufarbeitung der systematischen rassistischen Folter in Hamburg immer noch aus.

In Hamburg wurde über Jahre hinweg gefoltert. Dies stellte im Jahr 2006 der europäische Gerichtshof für Menschenrechte, zu Gunsten eines Klägers aus Nordrhein-Westfalen fest. Mehr als 530 jungen Schwarzen Männern, denen der Handel mit BtM vorgeworfen wurde, wurden dafür von der Polizei in das Rechtsmedizinische Institut des UKE verschleppt und dort, notfalls mit brutaler Gewalt Wasser und ein Brechmittel in den Magen eingeführt, um sie zu zwingen möglicherweise verschluckte geringe Mengen Kokain zu erbrechen.
Im Sommer 2001 wurde diese Foltermethode unter dem damaligen SPD Innensenator Olaf Scholz eingeführt, rund ein halbes Jahr danach , unter dem neuen Innensenator Ronald Schill,war Michael Paul Nwabuisi, der sich in Deutschland Achidi John nannte, tot.
Da die damaligen Vorgänge den meisten Jüngeren nicht mehr bekannt sind schildern wir hier kurz die Abläufe die zu Achidis Tod führten.

Triggerwarnung: explizite Details rassistischer Polizeigewalt
Der 8. Dezember 2001 war ein trüber Wintertag mit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ein Tag an dem alle die, die es konnten drinnen blieben, und vermieden raus zu gehen. Aber Drogenarbeit funktioniert so nicht, Du musst raus gehen und auch wenn das Wetter übel ist, bei Schneeregen oder eben Temperaturen um den Gefrierpunkt, weil Dir der Zugang zu anderen Jobs durch die rassistische Ausländergesetzgebung versperrt ist.
Und dieser Job ist nicht nur schlecht bezahlt, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsanspruch, auf den sich viele Deiner Kunden berufen können, dieser Job ist auch gefährlich, lebensgefährlich, weil sich diese Stadt in den Wahn hineingesteigert hat das Drogenarbeit moralisch verwerflich sei und damit gleich zusetzen sei, mit dem Verkauf des Todes (Originalzitat Polizei).
Und daher wirst Du gejagt von bezahlten Gewaltfacharbeitern, von der Bevölkerung denunziert und beschimpft.
Am 8. Dezember 2001 findet wieder eine solche Jagd statt, und Achidi John wird ihr zum Opfer fallen.
Nachdem sie ihn festgenommen haben fahren sie sofort ins UKE um dort einen Brechmitteleinsatz durchführen zu lassen, bevor die Kügelchen mit Kokain vom Magen in den Darm gelangen können.
Es ist der 26. Brechmitteleinsatz, später am Tag wird das Institut für Rechtsmedizin einen weiteren Brechmitteleinsatz durchführen.
In der Gerichtsmedizin am Butenfeld angekommen wehrt sich Achidi John mit aller Kraft, doch fünf Beamte ringen ihn nieder, fixieren seinen Körper auf der Behandlungsliege. Dabei sind seine Hände auf den Rücken gefesselt, seine Beine werden festgehalten, und sein Kopf zur Brust hin gedrückt. Dann versucht die Ärztin, gegen seinen Willen einen Schlauch durch seine Nase in den Magen zu schieben. Sie versucht es einmal, Achidi wehrt sich, sie versucht es noch einmal auch dieses Mal gelingt es ihr nicht. Sie könnte die Prozedur abbrechen, doch sie gibt nicht auf.
Beim dritten Mal gelingt es ihr 30 Milliliter hochkonzentriertes Brechmittel und 800ml Wasser in seine Magen zu pumpen. Doch währenddessen verkrampfte sich sein Körper, und blieb schließlich reglos liegen.
I will die" - ich werde sterben, waren die letzten Worte von Achidi John. Und obwohl Achidi auf diese dramatische Art und Weise um Hilfe gerufen hat, lassen sie ihn drei Minuten lang liegen, Puls und Atmung setzten aus, doch das anwesende medizinische Personal ist sich sicher, das er nur simuliert. Als dann auf Drängen einer anwesenden Medizinstudentin doch mit Wiederbelebungsversuchen begonnen wird, ist es zu spät. Achid wird auf dramatische Weise recht behalten haben – drei Tage später am 12. Dezember ist Achidi John tot.
Ende Triggerwarnung
Für den Tod Achidi Johns ist bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Niemand aus
dem Kreis der Verantwortlichen aus Politik, Justiz, Polizei oder aus der Ärzteschaft hat sich jemals
bei den Hinterbliebenen Achidi Johns entschuldigt oder sonst Verantwortung für die Durchführung
der menschenrechtswidrigen Strafverfolgungspraxis übernommen, auch nicht, nachdem der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Verstoß gegen das Folterverbot festgestellt hatte.
Olaf Scholz, auf dessen Initiative hin die Brechmitteleinsätze in Hamburg eingeführt wurden, ist mittlerweile Bundeskanzler, sein Nachfolger im Amt Andy Grote, setzte 2017 eine neue „Taskforce Drogen“ ein, die unter den gleichen Vorzeichen wie 2001 rassistische Polizeikontrollen durchführt, mehr als 200.000 seit ihrer Gründung. Das UKE, das die Brechmittelfolter in den eigenen Räumen nicht in Frage stellte, war schließlich 2019 Ort der Tötung von William Tonou-Mbobda, und sträubt sich bis heute gegen eine kritische Aufarbeitung beider Todesfälle. Klaus Püschel, über dreißig Jahre Leiter des Institutes für Rechtsmedizin, hat die Brechmitteleinsätze auf „freiwilliger“ Basis noch bis 2020 durchgeführt, und wurde vom Hamburger Abendblatt zum Hanseaten 2021 gekürt.
Als sich das Kulturhaus Kampnagel Anfang November von einer Lesung Püschels in ihren Räumen im Rahmen des Krimifestivals eines externen Anbieters distanzierte, und auf die antirassistische Agenda des Hauses verwies, brach eine derailing Kampagne vom Medienzaun Hamburgs, die deutlich machte das zumindest auf Seiten der Medien nie eine Aufarbeitung der Brechmittelfolter stattgefunden hat. Statt sich mit der Frage zu befassen wie es trotz einer klaren Position des deutschen Ärztetages 2002 gegen Brechmitteleinsätze zu weiteren Einsätzen kommen konnte, oder wie es den übrigen Folteropfern heute geht, waren sich Welt, Bild und Abendblatt einig, das es eine ausgemachte Bosheit sei, den ehrenwerten Herrn Püschel einen Rassisten zu nennen. Und selbst die Zeit lies nicht davon ab, linke cancel culture zu vermuten.
Wer die Hamburger Brechmittelfolter im Jahr 2021 anspricht, ist immer noch gezwungen in einen moralischen Abgrund zu schauen, der einen schwindelig werden lässt.
Im Gegensatz zu Bremen, wo die Bürgerschaft Ende 2020 die Betroffenen der Brechmittelfolter um Entschuldigung bat, und ein Gedenkort für den 2005 in Bremen durch Brechmittel getöteten Laye Alama Condé errichtet werden soll, schlägt einemR in Hamburg ein äußerst aggressives Schweigen entgegen.
Hamburg hatte den George Floyd Moment bereits 2001 - eine Stadt, die zum Brechen reizt.

zu Achidi John: https://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/
Zu Laye Alama Condé https://brechmittelfolter-bremen.de/
zu Wiliam Tonou-Mbobda: https://blackcommunityhamburg.blackblogs...
zu Yaya Jabbi: https://rememberjajadiabi.blackblogs.org...

Veranstaltungshinweise:
3.12. / 19:00 Infoveranstaltung mit der Initiative zum Gedenken an Achidi John (Kölibri)
7.12. / 19:00 „When Black Lives Don’t Matter – In Gedenken an Achidi John” (Kampnagel)
10.12. / 15:00 Kundgebung (UKE Haupteingang), 16:30 Gedenken (vor dem Institut für Rechtsmedizin am UKE)

Initiative zum Gedenken an Achidi John

(Aus: transmitter 12-2021 / 01-2022)