Belgien: Breiter gesellschaftlicher Widerstand hebelt Kulturlockdown aus.

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Belgien: Breiter gesellschaftlicher Widerstand hebelt Kulturlockdown aus.

Es ist kurz vor Weihnachten 2021, Coronazahlen steigen und die sogenannte Omikron-Wand wird von zahlreichen ExpertInnen für die nahe Zukunft prophezeit – allerhöchste Zeit für ein paar einschneidende und vor allem demonstrative Lockdown-Maßnahmen – so auch in Belgien.
Also trifft sich der sogenannte Corona-Konzertierungsausschuss – ein treffender Name für das exekutive Gremium, das in Belgien die Coronabeschlüsse trifft, französich: commitee de concertation und debatiert, was zu tun sei.
Einzelhandel schließen? Vor Weihnachten? Niemals!
Weihnachtsmärkte absagen? Nein, viel zu beliebte Institutionen in Belgien, nicht durchsetzbar.
Betriebe für 10 Tage dichtmachen? Wer kommt denn auf so eine verrückte Idee, da läuft uns doch die Wirtschaft Sturm!
Aber irgendetwas muss doch gemacht werden – die Zahlen steigen und steigen und es lauert noch die Omikron Wand. Die Regierung muss Handlungsfähigkeit und Krisenkompetenz zeigen! Nach langen Beratungen dann der goldene Einfall: Wir machen Kinos und Theater und das ganze andere Kulturgedöns dicht – die haben keine nennenswerte Lobby und wer braucht schon Kultur – das ist verzichtbar! Das hat in allen Nachbarländern auch geklappt.
Beraten und beschlossen am 19.12.2021 – soweit so üblich, vergleichbare Maßnahmen mit fraglicher Effektivität und fehlender empirischer Evidenz gibt und gab es in fast allen europäischen Ländern.
Der Umstand eines belgischen Kulturlockdowns wäre daher nicht sonderlich berichtenswert – aber dann verlaufen die Dinge in Belgien ganz anders als üblich.
Am 2. Weihnachtsfeiertag demonstrieren in ganz Belgien tausende von Menschen gegen diese Maßnahme. Kinos und Theater machen demonstrativ auf und halten Veranstaltungen ab, zahlreiche KulturveranstalterInnen kündigen öffentlich an, die Verbote ignorieren zu wollen. BürgermeisterInnen weigern sich, ihre Ordnungskräfte gegen diese Verstöße ins Feld zu schicken, da diese an den Weihnachtstagen besseres zu tun hätten. Die Kulturministerin der Wallonie Bénédicte Linard stellt klar, dass sie die Kulturbetriebe nicht über den Hebel der staatlichen Subventionen zu maßnahmenkonformen Verhalten zwingen wolle. Staatsanwaltschaften erklären, keine Kapazität für derartige Bagatelldelikte zu haben.
Die Angelegenheit läuft völlig aus dem Ruder. Die Anordnungen werden landesweit ignoriert, die Polizei weigert sich, einzuschreiten. Die bürgerliche Süddeutsche Zeitung spricht von Anarchie und befürchtet, durchaus zu Recht, die Erosion staatlicher Autorität in Belgien.
Am 29.12.2021 erklärte nach entsprechenden Klagen der Staatsrat die getroffenen Maßnahmen für nicht verhältnismäßig und hob sie auf. Der Staatsrat (Raat van Staate) ist ein außergerichtliches Rechtssprechungsorgan, an das sich BürgerInnen wenden können, wenn Rechtsakte und Verordnungen gegen die geltenden Gesetze und Normen verstoßen.
Es bleibt nun spannend, wie die nächsten Schritte der Regierung aussehen werden. Akzeptiert sie das deutliche Signal der Bevölkerung und auch breiter Teile der Verwaltung, die genug von fragwürdigen und demonstrativen Lockdownmaßnahmen haben? Oder ringt sie sich zu breiter aufgestellten und einschneideren Maßnahmen durch, die potenziell etwas mehr Effektivität beanspruchen könnten, aber möglicherweise nach diesem Präzedenzfall nur schwer durchsetzbar sind? Wir werden sehen.

Beitrag von Mel

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04:17 min, 4157 kB, mp3
mp3, 132 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.01.2022 / 19:40

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Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
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Entstehung

AutorInnen: Mel
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 03.01.2022
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Kommentare
04.01.2022 / 17:59 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 4.1.. Vielen Dank !
 
05.01.2022 / 18:12 coloradio Dresden, coloRadio, Dresden
Mima
gesendet im Magazin Danke