"Wir Väter haben unsere Kinder nicht freiwillig zurückgelassen" - David Macou wurde 1991 nach Mosambik abgeschoben

ID 122324
  Extern gespeichert!
AnhörenDownload
Der ehemalige Vertragsarbeiter David Macou im Interview mit Kathi. David lebte 12 Jahre in der DDR und arbeitete beim Braunkohlewerk Welzow. Zusammen mit einer Deutschen hatte er wie viele andere ein Kind, das er nach den rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda zurücklassen mußte, als die unerwartete Abschiebung kam.
https://bruderland.de/protagonists/david...
Audio
24:34 min, 56 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.05.2023 / 16:51

Dateizugriffe: 61

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike und Kathi
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.05.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
David: Ich heiße David Macou. Ich werde bald 62 alt. Ich komme aus Mosambik, aus der Provinz Gaza und ich bin in der Hauptstadt Maputo aufgewachsen, habe da die Grund- und die weiterführende Schule besucht und kam dann mit der ersten Gruppe nach dem Unterschreiben des Vertrags zwischen DDR und Mosambik nach Deutschland. In die damalige DDR. Das war 1979.

kathi: frage

David: zuallererst muß ich sagen: Alles was Menschenrechte betrifft wurde uns verwehrt. Wir waren volljährig, zuindest die meisten von uns waren über 18, und trotzdem hat man uns verboten, intime Freundschaften mit Frauen einzugehen. Das stand so im Vertrag. Und das galt auch für die Frauen in unserer Gruppe. Die Mosambikanerinnen durften auch keine Liebesbeziehungen mit Männern eingehen. Wir sollten lediglich die Möglichkeit wahrnehmen, unsere Ausbildung zu machen, dann sollten wir arbeiten und schlußendlich nachhause zurückkehren. Wie war es also möglich, daß ich mit meiner Partnerin sogar eine Tochter hatte? Wir haben zusammen gearbeitet in unsererm Büro. Ich war ja Teamleiter der mosambikanischen Gruppe und im Büro kam die deutsche und die mosambikanische Seite zusammen. Meine Partnerin, die Mutter meiner Tochter, war Sekretärein und sie war mit ihrer Arbeit für uns ausländische Vertragsarbeiter*innen im Wohnheim zuständig. Wir arbeiteten beide für das Braunkohlewerk Welzow.

Kathi: frage

David: Meine Tochter ist zwischen 1987 und 88 geboren, ich weiß es leider nicht mehr genau. Das genaue Jahr wissen die Papiere. Als meine Partnerin schwanger wurde, wußte sie nicht, ob das Kind von mir oder von ihrem Ehemann war. Sie war nämlcih verheiratet. Deshalb mußte sie auf die Geburt warten, da würde man dann schon sehen, ob das Kind europäisch oder afrikanisch ist. Sie hat dann gleich gesehen, daß es meine Tochter war und hat mich sofort informiert: wir haben eine Tochter. Da haben schon die Probleme mit ihrem Mann angefangen. Im Unternehmen durften wir auch nichts über uns erfahren, denn die Konsequenzen wären gewesen, daß wir beide entlassen würden. Im Wohnheim war es genauso. Sie hatte also mit der doppelten Last zu kämpfen: zum einen mit dem Druck im Unternehmen und zum anderen mußte sie sich bei ihr zuhause verstecken und auch vor ihrem Mann verbergen, wer der Vater des Kindes war. Die Reaktion des Ehemannes zeigte schon, daß er mir sehr große Schwierigkeiten gemacht hätte, wenn das herausgekommen wäre. Er hat mich auch gesucht, um die Rechnung zu begleichen. Meine Partnerin hatte also die große Aufgabe, uns alle zu schützen. Wenn sie gesagt hätte, daß ich in dem betreffenden Wohnheim wohne, wäre der Ehemannn sicher zu mir gekommen und hätte große Probleme gemacht, denke ich. Sie mußte sich also an zwei Orten verteidigen – im Unternehmen und im Wohnheim. Die Lösung des Problems wäre gewesen, daß ich vorzeitig nach Mosambik abreiste und sie ihre Arbeit verliert. Das wäre ein großes Unglück für uns beide gewesen. Sie hat sehr gekämpft um mich und sich selbst zu schützen. Aber was ich dann nachher von meiner Tochter erfahren habe: sie hatte den Respekt ihres Ehemannes verloren. Die beiden haben sich dann scheiden lassen. aber sie hatte dann, nachdem ich abgereist war, das Glück, neu zu heiraten.

Kathi: frage

David: Natürlich, klar. Wir hatten ja Verträge mit dem Unternehmen. Welzow hat auch weitergearbeitet bis 1997, und das war damals schon absehbar. Wir haben das nicht vorausgesehen, daß wir so frühzeitig nach Mosambik zurückkehren müßten. Wir dachten wir hätten viel mehr Zeit und würden dort weiterarbeiten. Deshalb hatte ich auch noch keine Pläne für meine frühzeitige Rückkehr nachhause.

Kathi: frage

David: Ich habe versucht, ihr zu schreiben bis 1995/96/97, aber sie hat nie geantwortet. Meine Tochter sagte mir im Gespräch, daß die Mutter sehr viele Probleme hatte, mit mir zu korrespondieren. Meine Tochter konnte mir auch nicht konkret sagen, ob die Mutter meine Briefe überhaupt bekam, denn der neue Ehemann hatte einen Kontrollzwang und hat ihr nachspioniert. Er wollte auch nichts von Briefen oder einem Kontakt welcher Art auch immer mit dem Vater der Tochter der Frau wissen, die er kürzlich gerheiratet hatte. Ich weiß es nicht sicher, ob sie meine Briefe bekommen hat oder nicht, aber aus Mosambik habe ich versucht, sie zu erreichen um zu wissen, wie es meiner Tochter ging, ob sie gut wuchs, ob sie gesund war etc. Aber der Kontakt kam nicht zustande.

Kahti: frage

David: Es ist immer noch sehr schmerzhaft, all diese Jahre dieses Unwissen mit mir herumgetragen zu haben. Und nicht gewußt zu haben, daß meine Partnerin 1997 schon verstorben war. Ich war 1991 bis 2022 der Meinung, die Mutter meiner Tochter lebe noch. Als ich das erste Mal zu meiner Tochter Kontakt hatte, als wir uns schrieben und uns gegenseitig vorstellten, war es das erste, was sie mir mitteilte: daß ihre Mutter nicht mehr lebe. Da hatte ich dann die Kenntnis, daß ein Teil meines Lebens in Deutschland nicht mehr existierte. Denn ich hatte ja die ganze Zeit über die Erinnerung an sie und den Gedanken, daß sie unser Kind großzieht. Das war ein großer Schock, als meine Tochter mir das mitteilte. Aber es ist auch etwas natürliches. Bis heute trage ich dieses Schicksal in meinem Herzen, denn es ist die Mutter meines Kindes. Ich werde es nicht vergessen, sicher nicht. Aber Es ist ein Teil meines Lebens, der mich akzeptieren ließ, daß ich ein Mensch bin. Es hat mir sehr wehgetan, als sie mich darüber informierte, daß die Mutter nicht mehr lebte. Aber bevor meine Tochter und ich Kontakt hatten, wußte ich nichts davon. Denn ich habe ja auf meine Briefe nie eine Antwort bekommen.

Kahti:

David: Ich wurde im September 2021 eingeladen zum 30. Jahrestag der Aggressionen in unserem Wohnheim in Hoyerswerda zu gedenken. Die Organisation heißt Zivilcourage. Und ich habe die Verantwortlichen dieser Organisation gebeten, mir zu helfen meine Tochter zu scuchen. Ich gab ihnen den Namen der Mutter. Denn es konnte nur über ihren kompletten Namen sein, daß ich Hilfe bekäme. Was passierte, war, daß eine Frau aus der Organisation Massagen bekam von meiner Tochter, denn sie ist professionelle Therapeutin. Im Gespräch mit dieser Frau also, kamen wir an den Punkt, daß auch meine Tochter ihren Vater finden wollte. Und sie wußte nur, daß ihr Vater in Hoyerswerda gelebt und in einem Unternehmen gearbeitet hatte. Adressen oder Fotos hatte sie nicht, denn die Mutter hatte nichts behalten, weil der Stiefvater diesen Kontrollzwang hatte. Diese Frau also der Organisation Zivilcourage – wir sind bis heute in Kontakt – kontaktierte mich und sagte zu mir, schau mal, meine Therapeutin, die mich massiert ist Tochter eines Afrikaners. Ich bat sie also, den vollständigen Namen ihrer Mutter herauszubekommen. Und ob sie Fotos hätte, die sie mir via Whatsapp schicken könnte. Am nächsten Tag bereits hatte ich eine Antwort meiner Tochter über den Kontakt von Zivilcourage mit den gewünschten Informationen. Sie schickte mir ein Foto von sich als sie noch ein Baby war, so mit ein oder zwei Jahren und ein Foto der Mutter. Ich wußte sofort als ich die Bilder sah: Das ist meine Tochter, denn ich kenne sie. Ich mußte nicht einmal den Namen der Mutter ansehen. Ich habe sofort geantwortet: Das Foto war das der Gesuchten. Ich bin der Vater dieser Tochter, die ich seit 2021 suchte. Diese Frau konnte dann also meine Tochter informieren, daß sie ihren Vater gefunden hatte. So ist es passiert, sie hat gesucht und mich gefunden. Das ist der, mit dem ich Kontakt hatte, und der, der beim Gedenken zu 30 Jahren Hoyerswerda war.

Kathi:

David: Es ist schwierig diese Gefühle eines Vaters zu beschreiben. Im Herzen trug ich sie ja all diese Jahre lang mit mir und wußte nicht, ob sie lebt und ob es ihr gut geht. Ich machte mir Sorgen: Hoyerswerda ist eine Stadt, in der es viel Rassismus gibt – oder auch nicht, ich kann das nicht so gut beurteilen. Ich konnte also nicht so gut schlafen, wie ein Vater schläft. Ich konnte ihre Entwicklung ja nicht verfolgen, kannte nicht ihr Leben und wie es ihr ging in all den Jahren. Das war ein großes Schicksal in meinem Bewußtsein, das ich mit mir herumtrug. Wenn ich an sie dachte, verfiel ich in Grübelei. Wenn sie lebt, wie geht es ihr, wie lebt sie, wie verhält sie sich? In einem Land, in dem ich in den 12 Jahren, die ich dort lebte, gesehen habe, wie einige Leute der Gesellscahft mit Schwarzen Menschen umgehen. Wie sich einige Leute aggressiv verhalten haben und Rassentrennung wollten, scih danebenbenommen haben. Ich wußte ja nicht, ob sie wie ich als Schwarz wahrgenommen wird. Das hat mir Unwohlsein verursacht. Der Tag, an dem wir anfingen, zu korrespondieren, sagte sie mir, sie hatte viele Schwierigkeiten. Denn die Mutter war ja gestorben, als sie erst 10 Jahre alt war. Sie hat deshalb viel gelitten. Sie hat mir nicht die Details genannt, denn das gehört der Vergangenheit an und kann ruhen. Sie hatte keine gute Kindheit, sie hat viel gelitten, das hat sie mir gesagt. Heute, mit 34 Jahren, will sie nur vergessen, denn wie sie sagt, sie kann sich heute verteidigen. Aber das Gefühl, das ich hatte, als wir uns zum ersten Mal trafen – denn der Kontakt seit 2022 mit Fotos und Gesprächen war gut, zeigte, daß es ihr gutginge – aber sie sagte mir als erstes, als wir uns trafen, daß sie nicht glücklich sei. Und da habe ich gesehen, daß sie nach einigen Wochen und Monaten freier atmen konnte, weil sie – wie sie mir selbst gesagt hatte – sie sich als Waisin gefühlt hatte. Verlassen von Vater und Mutter. Aber als sie mich traf, sagte sie, daß ein Teil ihres Lebens beinhae wieder hergestellt sei, denn trotz der Distanz wußte sie jetzt, daß sie einen Vater hat. Das war sehr erleichternt für sie. Aber an dem Tag als wir uns trafen war das Gefühl eine große Erleichterung für mich. Ich weiß nicht, es ist schwer zu beschreiben. Jede*r von uns beiden, wir fühlten uns an diesem Tag jede*r auf seine/ihre Weise, als seien wir in die Welt zurückgekommen, wo wir wieder Menschen sein durften. So war das.

Kathi:

David: Was ich sagen möchte: Wir, die Väter, die hier Kinder zurückließen, wir haben das nicht freiwillig gemacht. Es war sehr unerwartet. Niemand auf der Welt verläßt sein Fleisch und Blut freiwillig. Wir haben also die Aufgabe, zu kämpfen für unsere Rechte als Väter, damit wir morgen das Recht haben, uns gegenseitig zu besuchen. Was ich sagen möchte: Suchen wir weiter nach unseren Kindern! Laßt uns weiterkämpfen für unsere Rechte, damit wir unseren Kindern das Leben retten können. Warum das Leben retten? Ein Kind, das nicht nach Mosambik zurückkommt, um mit der Familie zu leben – und das ist nicht das, was wir uns wünschen, daß sie Deutschland verlassen sollen, nein, denn wir kennen und respektieren die Gesetze – es sind Deutsche. Es sind Kinder von Mosambikaner*innen, es sind Afrodeutsche und werden es bleiben. Unser Kampf gilt dem, daß sie zu uns nach Mosambik kommen sollen um uns zu besuchen. Unsere Sorge ist das Erleichtern von Visa, die Möglichkeit, uns unseren Kindern zu nähern, Zeit mit ihnen zu verbringen, sie mit ihrer anderen Familie, mit Geschwistern in Mosambik bekannt zu machen. Das ist meine Sorge, das ist mein Kampf und es sollte der von allen sein. Die Anerkennung, daß wir hier Kinder haben. Unsere Kinder haben zu diesem Zweck auch eine Organisation gegründet, um die Begegnung zu erleichtern. Die meisten von uns Vätern, oder manche von ihnen, sind nicht mehr am Leben. Aber sie hinterlassen Geschwister, Eltern, andere Familienmitglieder. Unsere Kinder hier in Deutschland haben also die Möglichkeit, sie zu treffen: Oma, Opa, Brüder und Schwestern in Mosambik. Und die können dann erzählen, selbst wenn der Vater nicht mehr leben sollte, wie er war, was er so in seinem Leben gemacht hat, was er mochte. Denn ein Kind soll wissen, wo der Vater herkommt und wie sein Leben war, um auch das eigene Leben weiterführen zu können. Sie sollen nicht damit hadern, verlassen worden zu sein und sie sollen nicht mit dieser Unkenntnis über ein Elternteil leben müssen. , so in etwa