Feministische Kämpfe in Portugal: "Unsere Arbeit ist nicht damit getan, daß wir am 8. März auf die Straße gehen"

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Sara Fernandes von der Assembleia Feminista de Lisboa spricht über häusliche Gewalt, machistische Rechtssprechung, kochenden Männerkollektiven und den Frauenstreik in Portugal am vergangenen Freitag, den 8. März.

O Original em português aqui: https://www.freie-radios.net/94013
Audio
08:38 min, 8105 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.03.2019 / 18:53

Dateizugriffe: 72

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 11.03.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript

Dieser internationale Streik, den wir dieses Jahr auch in Portugal organisieren – die Idee dazu ist schon 2017 entstanden. Die Gruppe, dessen Teil ich bin – wir haben ein Manifest geschrieben im Namen Portugals. Wir waren der Meinung, daß ein nationaler Streik nicht sinnvoll ist, denn ein Streik muß auf globaler Ebene geschehen. Wir haben 2017 mit einer kleinen Gruppe von etwa 10 Leuten begonnen. Dann haben 5 Gewerkschaften zur Demo mobilisiert und es kamen 400 Leute.
15.20 Wir sind hier in Portugal ja nicht isoliert. Wir sind in Kontakt mit einigen Gruppen. Diese feministischen Wellen sind transnational. Spanien ist hier direkt nebendran … o ano passado...
16:30 Dies ist kein Streik im traditionellen Sinne. Es ist sowohl ein Arbeitsstreik als auch ein Streik der unbezahlten Arbeit. Wir haben hier immer noch eine große Ungleichheit in der Bezahlung von Männern und Frauen. Frauen leiden eher unter prekären Arbeitsbedingungn, denn sie machen auch noch den Großteil der Hausarbeit, kümmern sich um die Familie etc.
17:03 Deswegen bestreiken wir heute auch die Sorge-, Pflege- und Hausarbeit. Statistiken sagen, daß Frauen 1:45 Stunden mehr in Hausarbeit stecken. Sie arbeiten außer Haus und kümmern sich dann auch noch um die Kinder und die Eltern oder andere pflegebedürftige Menschen. Das ist nicht als Arbeit anerkannt und unsichtbar. Wir brauchen eine öffentliche Debatte darüber in Portugal, denn wir werden immer noch so erzogen – dies ist für Mädchen, das für Jungs. Wir müssen diesen Kreislauf durchbrechen um ein würdigeres Leben zu führen. Männer sollten nicht nur als „Hilfe“ im Haushalt angesehen werden, sie sollten diese Aufgaben übernehmen. Denn wenn du sagst, sie seien eine „Hilfe“, dann klingt das, als sei es unsere Verpflichtung, den Haushalt zu schmeißen.
19:48
Die derzeitige feministische Bewegung richtet sich auch gegen häusliche Gewalt und machistische Rechtssprechung. Häusliche Gewalt ist eine ernsthafte Realität in Portugal und es gibt ja die Gesetzgebung, die es Opfern erlaubt, Anzeige zu erstatten. Aber wenn diese Fälle dann vor Gericht verhandelt werden, entscheiden die Richter auf machistische und frauenfeindliche Art und Weise – sie machen das Opfer verantwortlich für das Unrecht, das ihm zugestoßen ist. Mehr als 30% dieser Fälle werden gar nicht erst verhandelt und direkt zu den Akten gelegt.
20:28
Wir haben hier derzeit einen großen Skandal. Es war im letzten Jahr es gingen sehr viele Leute deshalb auf die Straße.
21:20 Eine Frau wird von ihrem Ehemann und ihrem Liebhaber attakiert. Sie sprechen sich ab, um sie anzugreifen. Sie zeigt die beiden an, geht vor Gericht und der Richter zückt die Bibel sowie eine Verfassung aus dem 19. Jahrhunder – also total vorsintflutlich – und beschuldigt wieder einmal das Opfer, die Frau: Sie sei eine Ehebrecherin. Das hat im ganzen Land Wellen geschlagen. Überall gab es Demos. Dieser Richter ist immer noch im Amt. Wegen Leuten wie ihm haben Opfer sexualisierter Gewalt Angst, die Täter anzuzeigen, denn anstatt Gerechtigkeit zu erfahren zweifeln die Frauen dieser Nation natürlich an unserem juristischen System. Das bewirkt auch, daß sich Frauen im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen. Obwohl du ja zuhause – wo du dich eigentlich sicher fühlen solltest – das größte Risiko eingehst, von jemandem, zu dem du eigentlich Vertrauen hast, verletzt oder gar getötet zu werden. 22:22 . Jetzt will dieser Richter einige Leute wegen Verleumdung verklagen. Das hat ein wahres Erdbeben mit sich gebracht.
22:54 Wer richtet über den Richter? Wer steht über dem Gesetz, wenn dieses schlecht ausgeführt wird? Wer kann der Gerechtigkeit Gerechtigkeit zuführen? In Portugal haben wir ja Gesetze gegen Diskriminierung von Minderheiten.
23:40 . Aber wie ist das in der Praxis? Wie werden diese Gesetze umgesetzt? Der aktuelle Fall könnte die das Rechtssystem etwas aufrütteln. Wir werden Druck machen, damit die Gesetze so umgesetzt werden, wie sie unserer Meinung nach sollen.
Es ist nicht das erste Mal, daß wir zum Streik aufrufen, aber das erste Mal, daß er auf nationaler Ebene stattfindet. Es gibt ein Netzwerk von Vereinen, Kollektiven und auch Parteien. Das ist sozusagen das Jahr 1, nachdem wir in den vorherigen Jahren 0 einige Versuche unternommen haben. Es wird einen Streik geben! Fünf Gewerkschaften haben dazu aufgerufen. Das heißt, die Leute, die von diesen Gewerkschaften vertreten werden, dürfen streiken. Die restlichen dürfen das natürlich auch, aber es ist nicht anerkannt als Streik, deshalb wird unser Kampf auch dieses Jahr nicht aufhören sondern weitergehen. Bis wir einen Generalstreik haben. Daß fünf Gewerkschaften den Arbeitsstreik unterstützen, ist schon ein Zeichen dafür, daß die feministische Bewegung sehr stark ist. Sie ist auf der Straße und in den Betrieben um die ungleiche Bezahlung anzuprangern.
Dieser Streik ist auch ein Studierendenstreik. Die nationale Gewerkschaft der höheren Bildung hat auch dazu aufgerufen. Denn auch in diesem Sektor gibt es Ungleichbehandlung von Frauen und Männern. Du weißt, es gibt immer noch diese akademischen Initiationsriten (praxes academicas), vor allem in Coimbra 26:10. Diese Riten sind machistisch, homofob und gewaltvoll. Sie wurden im 19 Jahrhundert gemacht und dabei werden Menschen gedemütigt. Oft hört mensch von Vergewaltigungen. Innerhalb des Studierendenstreiks ist das ein Kampf, der schon sehr lange geführt wird. Ich war vor 20 Jahren in der Uni und damals war es schon Thema, die praxe abzuschaffen.
Ich hatte ja gesagt, daß der Streik mehrere Achsen hat. Er ist ein Querschnitt. Er blickt auf verschiedene Mechanismen, die Frauen unterdrücken, ungleich behandeln oder mißhandeln. Einer davon, der kaum zum Them gemacht wird, ist der Konsum.
28:45 Und auch der hat zwei Seiten: zum einen sind wir Frauen. Wir sind Menschen, keine Ware und wir wollen auch nicht, daß unsere Körper wie Ware behandelt und ausgebeutet werden. Gleichzeitig wird uns eingetrichtert, daß wir schön sein müssen, gut und schick angezogen, geschminkt. Auf uns Frauen lastet ein großer Druck zu konsumieren. Deshalb der Konsumstreik.
29:40 Dies hier ist eine globale Bewegung und wir wollen darauf hinweisen, daß die Leute, die unsere Kleidung herstellen, Frauen sind, die ausgebeutet werden: In Bangladesh, in Indien. Vor kurzem gab es einen Streik in Bangladesh von Arbeiterinnen der Textilindustrie. Diese Frauen und auch Kinder arbeiten unter fast sklavenhaften Bedingungen. Sie werden sehr schlecht bezahlt, selbst für dortige Verhältnisse. Der Streik wurde auch unterstützt von den Männern, die für die Transportunternehmen arbeiten und die Waren von A nach B schaffen. Sie legten die Arbeit nieder für ordentliche Gehälter und mehr Rechte. Dieser Kampf ist mir sehr wichtig, deswegen möchte ich ihn besonders betonen.
Dies ist eine 30:30 weltweiter Bewegung. Die Frauenbewegung in aller Welt ist miteinander verknüpft.
Wenn wir das Patriarchat un den Kapitalismus überwinden wollen, müssen wir neue Strukturen schaffen, deswegen ist unsere Arbeit nicht damit getan, daß wir am 8. März auf die Straße gehen. Wir müssen uns vernetzen.
Hier in Portugal wird es heute in verschiedenen Städten Demonstrationen geben. Nicht nur in Lissabon, Porto und Coimbra, sondern auch Aveiro, Braga, Évora, Viseu, Vila Real und andere. Es gab bisher auch schon Events auf der Straße und in der Öffentlichkeit. Jede Stadt bereitet für heute etwas eigenes vor.
38:20 Hier in Lissabon werden wir zusammen zu Mittag essen. Für uns kocht eine Gruppe Männer. Das ist ein symbolischer Akt – es gibt Männer in der Organisation des Frauensreiks und einer von ihnen hatte das vorgeschlagen, um genau auf diese Ungleichheit hinzuweisen, daß es in den portugiesischen Haushalten meist die Frauen sind, die kochen. Dann machen wir noch unsere Materialien für den Streik fertig, Transpis undsoweiter. Dann gehen wir zur praça do comercio dort ist die erste Demo und Musik und dann ist der Marsch zum platz rocio dabei kommen wir an einigen symblischen Orten vorbei, wo wir auch etwas zu sagen haben, z.B. beim Gerichtshof, davon habe ich schon gesprochen, dann beim Rathaus von Lissabon.
Denn es werden Menschen geräumt aus ihren Häusern; die Grundstücke werden privatisiert und die Häuserkämpfe sind uns wichtig. Wir hatten am 7. März ein Event, bei dem uns Frauen erzählt haben, was sie zu dem Kampf gegen Räumungen beitragen. Das ist in Lissabon und in Porto ein wichtiges Thema. Denn vor allem alleinerziehende und prekäre Frauen sind die hauptbetroffenen von Räumungen. Und dann im Fall von häuslicher Gewalt stehen Frauen oft zum ersten Mal vor der Situation, eine Wohnung finden zu müssen, die sie allein auch bezahlen können. Das ist nicht einfach.

Kommentare
11.03.2019 / 19:20 Tim Thaler, coloRadio, Dresden
Magazin
Danke