Vom funktionalisierten Antifaschismus zur Besetzung der Krim - ein Kommentar

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Russlands Medien und auch einige Linke in Deutschland haben den Aufstand gegen Janukowitsch als eine Art Wiederkehr des Faschismus in der Ukraine dargestellt. Was ist dran und wohin führt es? Warum ist die Krim für die deutsche Friedensbewegung kein Thema? Diesen Fragen geht der Kommentar nach, wobei auch die antisemitischen Momente auf beiden Seiten des Konflikts beleuchtet werden.
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11:52 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.03.2014 / 11:33

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Morgenradio
Entstehung

AutorInnen: Jan Keetman
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 06.03.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Vom funktionalisierten Antifaschismus zur Besetzung der Krim – ein Kommentar

Das erste war ein Gefühl der Wut. Da hat Putins Presse den Aufstand gegen Janukowitsch in eine Art faschistischen Putsch umgedeutet und sich sofort die Krim gesichert. Die ersten russischen Truppen waren noch kümmerlich als „Selbstverteidigungskräfte“ getarnt. Der Präsident wurde kurzerhand abgesetzt und der neue rief dann nach der Hilfe Putins, der ihn installiert hatte. Nach dem gleichen Putin, der sonst auf die Unverletzlichkeit der nationalen Souveränität pocht. Der gleiche Putin der die Absetzung Janukowitsch als Putsch bezeichnet, lässt auf der Krim nicht nur putschen sondern auch einmarschieren.
Gut bisher gab es nur zwei Tote und die Verantwortung für ihren Tot ist nicht ganz klar. Aber wird eine Militäraktion deshalb zur Petitesse, weil die Unterlegenen Einsicht genug haben, nicht zu schießen? Es hätte auch anders kommen können. Wo ist eigentlich der Protest der deutschen Friedensbewegung?
Fragen kann man sich auch, was deutsche Linke dazu bringt, genau das gleiche Bild zu verbreiten, das auch Putins Medien verbreiten. Dass verschiedene Positionen und Informationen, die sich oft nicht nachprüfen lassen, aufgegriffen werden, ist nicht das Problem, ein Problem hat der Autor mit denjenigen, die mit aller Gewalt versuchen, die putinsche Version durchzudrücken ohne sich auf irgendetwas anderes einzulassen.
Doch wo haben sie am Ende Recht, wie weit lässt sich das überhaupt entscheiden?
Plausibel erscheint dem Autor die Version, dass der Aufstand gegen Janukowitsch relativ spontan aufgrund der Niederschlagung einer mittelgroßen Demonstration von Studentinnen und Studenten in Kiew begann. Die überraschende Absage der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU war der Auslöser für die Demonstration, deren brutale Niederschlagung und eine tiefsitzende Unzufriedenheit führten zur Massenmobilisation. Es herrschte wohl das Gefühl vor, dass mit der Absage des Assoziierungsabkommens, mit der vorher niemand gerechnet hatte, eine Weiche Richtung Osten gestellt wurde und genau in diesem Moment sahen die Leute die Bilder von prügelnden Polizisten. Das war man in der Ukraine nicht gewohnt.
Das ist eine Einschätzung, man muss sie nicht teilen. Aber ganz offensichtlich hat es einen massenhaften Dissens gegenüber der Politik von Janukowitsch gegeben und dieser Dissens kann nicht das Ergebnis westlicher Propaganda sein. Wo waren eigentlich die Massen, die Janukowitsch unterstützt haben? Außer seiner Berkut hat er nicht viel auf die Straße gebracht.
Zu den drei Parteien, die sich hinter die Revolte stellten, gehörte als kleinste die Swoboda. Eine nationalistische Partei, mit einer spürbaren rassistischen und antisemitischen Prägung. Swoboda mag gelegentlich Kreide fressen, aber es gibt eindeutig antisemitische Zitate von ihrem Vorsitzenden. Das Symbol der Swoboda ist ein großes N in das ein senkrechter Strich eingeschrieben ist. Es sieht der sogenannten Wolfsangel sehr ähnlich, die im 3. Reich von verschiedenen SS-Einheiten, der Hitlerjugend und der Organisation Werwolf verwendet wurde. Das ist sicher kein Zufall. Die Swoboda hatte auch Kontakte zur sächsischen NPD.
Allerdings war der Einfluss der Swoboda auf das Geschehen am Maidan eher marginal, auch weil sich die Swoboda von allen Parteien am furchtsamsten verhielt. Bleibt die Bewegung Rechter Sektor, die Andreas Umland im Gespräch mit Radio Dreyeckland mit den Freien Kameradschaften in Deutschland verglichen hat. Auch der Einfluss des Rechten Sektors auf den Widerstand wurde von verschiedenen unverdächtigen Beobachtern nicht als entscheidend gesehen. Darüber ließe sich natürlich diskutieren.
Andererseits wurde auch Janukowitsch Spezialeinheit Berkut Antisemitismus auf ihrer Homepage vorgeworfen. Im Dezember 2013 schrieb die Vorsitzende des Ukrainischen Rates unabhängiger jüdischer Frauen, Eleonora Großmann wegen antisemitischer Propaganda auf der Facebook-Seite von Berkut einen offenen Brief an den Präsidenten Janukowitsch und seinen Innenminister. In dem offenen Brief heißt es unter anderem:

Die FaceBook-Seite von Berkut ist voll mit Inhalten darüber, dass die Anführer der Opposition wie Julia Timoschenko, Witalij Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleg Tjagnybok jüdische Wurzeln haben und Kontakte mit Juden pflegen. Alle Informationen sind vom Administrator der FaceBook-Seite „Berkut-Ukraine“ gepostet“.


Weiter heißt es:
Es scheint, als ob die ukrainische Spezialeinheit Berkut die Schuldigen gefunden hätte, und das sind die Juden. Auf der Seite sind viele Bilder und Artikel mit solchen Überschriften zu finden, wie Juden sind Nazi-Handlanger, Juden – im Dienst von Wehrmacht, Luftwaffe und Kriegsmarine, Juden – Kollaborateure, Zionisten – Hitlers Handlanger, Hakenkreuz mit Davidstern u.a.

Quelle Ukraine Nachrichten vom 24. Februar diesen Jahres.

Wer in die Geschichte der Ukraine schaut, den muss es nicht überraschen, dass Antisemitismus in beiden Lagern auftaucht. Antisemitismus gab es massiv unter den Zaren, bei Ukrainischen Nationalisten und auf Seiten der Sowjetunion. Dass es angesichts des zeitweisen Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung und der Anwesenheit einschlägiger Gruppen auf Seiten der Aufständischen Sorgen unter der jüdischen Bevölkerung der Ukraine gibt, ist verständlich. Das heißt aber noch nicht, dass sich die jüdische Bevölkerung der Ukraine nun geschlossen nach Janukowitsch sehnt. In einer Erklärung schreibt der Präsident des All-Ukrainischen Jüdischen Kongresses, Wadym Rabynowytsch Ende Februar diesen Jahres zur aktuellen Situation:

Ich möchte noch einmal wiederholen: Selbst in der schwierigen Zeit des zivilen Widerstands entbehren Behauptungen über schwere Fälle von Antisemitismus in der Ukraine jeglicher Grundlage! Deshalb wehre ich mich kategorisch gegen die in einer Reihe ausländischer Medien erschienen, der Realität nicht entsprechenden Berichte von massenhaftem Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in der Ukraine! Die Verschärfung der Situation im Hinblick auf dieses Problem ist provokatorisch und einem friedlichen Leben der jüdischen Gemeinde in der Ukraine in keiner Weise dienlich.


Kaum war Janukowitsch verjagt, wusste das ukrainische Parlament nichts Besseres zu tun als sofort ein im Jahr 2012 unter Janukowitsch erlassenes Gesetz über Regionalsprachen abzuschaffen. Das Gesetz besagt, dass wenn in einer Provinz 10 % der Bewohnerinnen eine andere Sprache als Ukrainisch verwenden, diese ebenfalls Amtssprache sein soll. Das Gesetz war nicht verfassungsgemäß zustande gekommen, aber dass es abgeschafft wurde und noch mit solcher Eile, gibt wirklich zu denken. Der Interimspräsident Turtschinow hat die Abschaffung des Gesetzes über die Regionalsprachen durch sein Veto wieder rückgängig gemacht. Kann sein, dass er durch Putins Eingreifen erst klug geworden ist. Kann sein, dass er auch sonst ein Veto eingelegt hätte. Jedenfalls war die Änderung auch in der Ukraine umstritten. Vielleicht hätte es ein geharnischter Protest des Kremls auch getan.
Wem die Krim gehört ist in gewisser Weise aus linker Sicht eine müßige Frage. Die Krim wurde vor 60 Jahren der Ukraine geschenkt, davor wurde sie von Russland erobert, was zugegeben schon länger her ist usw. Es gibt eine russischsprachige Bevölkerungsmehrheit und eine Minderheit von Krimtataren, die sonst auf der Welt keinen Fleck haben. Da kann mensch lustig Prinzipien aushecken. Eine Abspaltung in einer freien Abstimmung nach einem Fairen Wettstreit über Pro und Contra, warum nicht? Doch nach dem russischen Einmarsch kann hiervon wohl keine Rede sein.
Putin-Versteher, nicht nur innerhalb der Linken, meinen, er hätte gar nicht anders handeln können, als die Krim zu besetzen, da er fürchten musste, dass die Ukraine im Jahre 2017 den Vertrag über die Nutzung der Militärbasis Sewastopol nicht verlängert. Das ist sozusagen ein militärstrategisch begründetes Interventionsrecht. Aber damit aus Russland so eine richtige Seemacht wird, bräuchte Putin eigentlich noch die Dardanellen und den Suezkanal oder wenigstens Malta und Gibraltar.
Doch man kann das militärische Verhältnis der beiden Länder auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Die Ukraine hat nach dem Ende der Sowjetunion massiv abgerüstet. Insbesondere hat sie das auf ihrem Territorium befindliche Arsenal an Atomwaffen an Russland abgegeben. Ohne diesen Schritt wäre die Ukraine heute die drittgrößte Atommacht der Erde. Zur Belohnung wird sie nun militärisch erpresst. Welches Signal sendet das an andere Staaten aus?
Am Ende möchte ich den Dauerkritikern des Maidan die natürlich rhetorische Frage stellen, ob sie denn alles was Janukowitsch tat, richtig fanden und sich deshalb nicht dazu geäußert haben? Und zählt das gar nichts, wie Putin mit seinen russischen Landsleuten innerhalb Russlands umgeht? Hohe Haftstrafen für Leute, die nichts als eine andere Meinung kundtun, Hatz auf Homosexuelle, nun auch gratis für die befreite Krim? Aber vielleicht befreit er ja noch mehr russische Minderheiten. Für eine Linke, für die die soziale Wirklichkeit zählt!

Wie bei Radio Dreyeckland üblich gibt dieser Kommentar die persönliche Meinung des Redakteurs und keinen Konsens der Redaktion wieder. Für den Inhalt verantwortlich ist Jan.

Kommentare
06.03.2014 / 15:43 xyz, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
Wieso die ukrainische Bevölkerung ein Recht hat ihre Lebensbedingungen von einer 'freien Welt' bestimmt zu bekommen statt von Rußland
Diese Frage ist von Dir gerade klar beantwortet worden. In dieser Frage ist es D i r anscheinend sonnenklar, für welchen machtpolitischen Block sich die Ukrainer entscheiden sollen. Daß sich i h r e Lebensbedingungen dabei einen Scheißendreck bessern werden - weder bei der einen noch bei der andern Variante - ist Dir offenkundig wurscht. Doch bei der EU-Variante dürfen sie dann in ein paar Jahren unbürokratischer in Deutschland einreisen und hier für 5,78 Euro auf dem Bau oder sonstwo arbeiten. Supi. Allen andern, die das nicht so gut finden, empfehle ich folgenden Link: http://lowerclassmagazine.blogsport.de/2014/02/27/aufbruch-in-den-abgrund/
 
06.03.2014 / 20:15 AL, coloRadio, Dresden
Danke
Vielen Dank für den treffenden Kommentar. An xyz von bermuda.funk: Man kann es mit Deiner Argumentation auch richtig finden, dass Leute im Mittelmeer ertrinken, weil sie werden ja eh nicht viel von Europa haben, höchstens einen illegalen Job für 4,-€ die Stunde bekommen. Ich denke, die Entscheidung, wo jemand leben möchte, muss man den Leuten schon selbst überlassen. Aber als diejenigen, die innerhalb dieser EU leben, sollte es unsere Aufgabe sein, darauf hinzuwirken, dass Flüchtlinge nicht mehr im Mittelmeer ertrinken, dass es vielleicht irgendwann soetwas wie eine Solidar-Union gibt, in der Griechenland (oder vielleicht irgendwann die Ukraine) nicht weiter wirtschaftlich zu Grunde gerichtet werden. Und es kommt nicht darauf an, ob der Machtblock Russland oder EU heißt, sondern wie weit dort individuelle Freiheits- und Menschenrechte realisiert sind. Und die sind die Voraussetzung, wenn man sich politisch engagieren will. Politisches Engagement wiederum ist die Voraussetzung zu politischen Veränderungen, mit denen eventuell auch mal die eine oder andere konkrete Sache verbessert werden kann, auch um den Kapitalismus, der auch in der Ukraine und in Russland herrscht, erträglicher zu machen. Und fast vergessen ist der noch schlimmere Syrien-Konflikt, bei dem das ebenfalls von Putin gestütze Regime einen Aufstand niederschlug. Die Propaganda hier läuft ähnlich, die auch hier von vielen angeblichen Linken geteilt wird. Den Aufständigen wird die Legitimität abgesprochen, indem sie in der Propaganda als besonders rechts dargestellt werden, nur dass sie hier nicht Faschisten sondern Islamisten heißen. Das Regime hat in Syrien mit der Hilfe Putins seit 3 Jahren alle vermeintlichen Grenzen ausgereizt und immer wieder sehen können, dass hier keine Grenzen sind. Zuerst ein paar Tote bei Demonstrationen, dann 100 Tote, dann Tausende Tote, massenhafte Folter, dann ein Krieg, Millionen Flüchtlinge, Giftgaseinsatz. Doch die putinsche Propaganda sieht als Verursacher des Giftgaseinsatzes in Syrien und der Todesschüsse auf dem Maidan die Aufständigen. Alles Klar, und die prügelnden Polizisten am 21.12.2013 in Hamburg waren auch Autonome, die vorher die Polizeiuniformen geklaut haben.
 
07.03.2014 / 20:12 jk, Radio Dreyeckland, Freiburg
Kommentare bitte zum Thema
Kritik sollte sich auf den Inhalt beziehen und nicht auf etwas anderes. Man kann Kritik an der Funktionalisierung von Antifaschismus zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen Putins äußern ohne für Sozialdumping zu sein.