Kommentar zur hiesigen Ukraine/Rußland-Berichterstattung

ID 67726
 
AnhörenDownload
"... Man muß nicht lange orakeln, um herauszufinden, nach welchem Schema hier durchaus Vergleichbares – nur scheinbar willkürlich – verbindlichst als begrüßenswert oder aber verdammenswert gestempelt wird. Natürlich ist nichts weiter als politische Interessen am Werk, die sich nüchtern analysieren und beurteilen lassen. Staaten an der Peripherie des Hegemons Deutschland dürfen sich teilen: CSSR, Jugoslawien. Staaten an der Peripherie des Hegemons Rußland dürfen sich nicht teilen: Ukraine. ..."

Das etwas zu laut geratene Schallplattenknistern dient eigentlich nur der Überbrückung kurzer Denkpausen, denn: "Life has surface noise." (John Peel)
Audio
13:43 min, 6432 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 05.12.2014 / 18:16

Dateizugriffe: 1272

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Sachzwang FM
Entstehung

AutorInnen: Red. Sachzwang FM
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 05.12.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Unvölkische Beobachtungen

Teilen und herrschen: „Dürfen die das?“

Seit der vielbeschworenen Zeitenwende um 1990 hat sich einiges getan. Die über 40 Jahre betonierte Nachkriegsordnung, immerhin ein Garant für Frieden in Europa, hatte ein Ende. Staaten kamen, Staaten gingen. Aber: Wer teilt sich, wer vereint sich? Und wer „darf“ das und wer nicht?
1990: In Ostdeutschland (DDR) manifestiert sich in demokratischen Wahlen der politische Wille, sich mit Westdeutschland zu vereinigen; ein Staat hört auf zu existieren. Demokratisch, feierlich, gut.
1992: In Teilrepubliken Jugoslawiens manifestiert sich der – v.a. wohlstandschauvinistische – politische Wille, den Bundesstaat zu verlassen, was in einen Bürgerkrieg mündet. Von „Freiheitskämpfern“ ist die Rede. Demokratisch, freiheitlich, gut.
1992: In den baltischen und anderen Republiken der Sowjetunion manifestiert sich der politische Wille, aus der UdSSR auszutreten. Neue souveräne Staaten entstehen. Demokratisch, feierlich, gut.
1993: Im tschechoslowakischen Parlament manifestiert sich der politische Wille, den Staat in zwei souveräne Republiken aufzuteilen. Demokratisch, feierlich, gut.
1999: In der jugoslawischen Provinz Kosovo manifestiert sich der politische Wille, sich vom Staat loszusagen. Demokratisch, freiheitlich, gut.
2014: In der ukrainischen Provinz Krim manifestiert sich in demokratischen Wahlen der politische Wille, sich vom Staat loszusagen. Völkerrechtswidrig, selbsternannt, undemokratisch.
2014: Im Osten der Ukraine manifestiert sich in demokratischen Wahlen der politische Wille, sich vom maroden Staat loszusagen und fürderhin möglicherweise als „Neurußland“ eine Provinz der russischen Föderation zu werden. Im Bürgerkriegskontext ist von „Separatisten“ ist die Rede. Völkerrechtswidrig, selbsternannt, undemokratisch.
Man muß nicht lange orakeln, um herauszufinden, nach welchem Schema hier durchaus Vergleichbares – nur scheinbar willkürlich – verbindlichst als begrüßenswert oder aber verdammenswert gestempelt wird. Natürlich ist nichts weiter als politische Interessen am Werk, die sich nüchtern analysieren und beurteilen lassen. Staaten an der Peripherie des Hegemons Deutschland dürfen sich teilen: CSSR, Jugoslawien. Staaten an der Peripherie des Hegemons Rußland dürfen sich nicht teilen: Ukraine.

Jargon der Demokratie

Es nahm bemerkenswert hysterische Töne an, wie die Wahlen auf der Krim und später in der östlichen Ukraine als katastrophisch und „illegitim“ dargestellt wurden – wie schon in Griechenland, als sich die dortige Regierung erdreistete, die Bevölkerung abstimmen zu lassen über die halsbrecherischen Sparmaßnahmen von Regierung und Troika nach dt. Gusto: „Ist er wahnsinnig? Jetzt läßt er die Leute auch noch wählen! Das kann doch nicht wahr sein!“. So selektiv wird auf einmal die heilige Kuh der „Demokratie“ bemüht. Warum? Vermutlich, weil das absehbare Ergebnis der Referenden nicht genehm ist.

Schon vor einem Jahr, Anfang 2014, als das Thema Ukraine zum erstenmal hochkochte, konnte man beobachten, wie eine völlig symmetrische außenpolitische Situation, daß nämlich sowohl Europa als auch Rußland die wirtschaftliche Misere der Ukraine zu ihren jeweiligen Gunsten auszunutzen trachten, in völlig befangener Weise dargestellt wurde. Die niederträchtigen Russen würden das Land „erpressen“ und in die Abhängigkeit zu treiben trachten (Gaslieferungen), die edlen Europäer aber wollen dem armen Land bloß „helfen“ (Griechenland kann ein Lied davon singen). Wir halten also fest: wenn Europäer Handel treiben wollen, tun sie das als Altruisten, wenn Russen (oder Amerikaner oder gar Chinesen) Handel treiben wollen, tun sie das als Egoisten. Es scheint also nicht eine Frage von Interessen zu sein, eigentlich doch seit jeher der Schlüsselbegriff im Politischen schlechthin, sondern von gutem oder schlechten Charakter. Dieserart hirnerweichende Propaganda ist mittlerweile so allgegenwärtig, daß man mutmaßen muß, sie erfolgte nicht nur mehr instrumentell-zielgerichtet, sondern alle glaubten die ideologische Sauce auch noch höchstselbst.
In grotesker Weise wird das schnöde und befangene geopolitische Gezerre um die bankrotte Ukraine moralisch aufgeladen.

Weiter ging es im Juli 2014 nach dem ominösen Flugzeugabsturz. Man muß an dieser Stelle nicht spekulieren, wer diesen zu verantworten hat; natürlich wußte in der aufgeladenen Atmosphäre schon gleich jeder, daß die Schuld an dem Abschuß der zivilen Maschine zweifellos der politische Gegner tragen müsse. Interessant ist vielmehr, was nach dem Absturz über die „russischen Separatisten“ im Osten der Ukraine geunkt wurde: Da empörte man sich, daß die abgestürzten Trümmer „nicht umgehend gesichert“ worden seien für eine spätere Untersuchung. Wären sie „umgehend gesichert“ worden, sprich abgesperrt, so hätte es getönt, die Separatisten ließen es an Transparenz fehlen und hätten wohl etwas zu verbergen.

Hier macht man es sich sehr bequem: Wohlwissend, daß das Gerede vom „bösen Russen“, vom „finsteren Ivan“ gar, typisch deutsch und regelrecht kryptofaschistisch ist, tut man so, als sei nur der – zugegebenermaßen unsympathische und autoritäre – Präsident Putin eine singuläre Erscheinung. Man habe nämlich überhaupt gar nichts gegen die russische Bevölkerung, aber dieser Präsident! – der immer öfter als Diktator gezeichnet wird, als wäre er demokratisch nicht legitimiert. Da wird personalisiert wie in der Kinderfibel, und keiner scheint sich zu wundern, wie sehr das intellektuelle Niveau der internationalen Politikschau auf den Hund gekommen ist.
Man ersetze also in diesen Kommentaren und Verlautbarungen probeweise einmal das Wort „Putin“ an allen Stellen durch „der Russe“, und 90% all dessen, was heute bzw. seit Monaten geschrieben und gesendet wird, wird in seinem demagogischen Potential zur Kenntlichkeit entstellt. Es hätte auch 1940 geschrieben werden können, im Völkischen Beobachter beispielsweise.

Vor allem die völlig arrogante Redeweise, Putin zeige „kein Einsehen“ und müsse nun aber „einlenken“, ergibt nur Sinn im Kontext von Herrenmenschentum. So redet man als Erziehungsberechtigter über renitente Kinder, und das auch nur in jener totalitarismustheoretisch beschlagenen Gegnerschaft zu autoritärer und antiautoritärer Erziehung gleichermaßen, jener merkwürdigen, aber opportunen Haltung, die jeglichen objektiven Widerspruch, jede Interessendifferenz zu eskamotieren antritt und hierzulande längst den Charakter einer zivilgesellschaftlichen Staatsideologie angenommen hat.
Aber natürlich darf auch eine lächerliche dt. Bundesregierung und die ihr ergebene Journaille derart von oben herab die Regierung eines fast doppelt so bevölkerungsreichen und über 40-mal größeren Landes zur Ordnung rufen, in einem Akt von Zwergenaufstand quasi: nun muß die militärische Supermacht aber mal „einlenken“, auf unsern klugen Kurs, hat sie denn „kein Einsehen“?

Stinkende Staaten und dufte Staaten

Unglaubliche Ausmaße politischer Naivität ließen sich gleichzeitig beim sog. NSA-Skandal beobachten. Erstens wäre es naiv anzunehmen, daß Geheimdienste nur das tun, was sie a) gesetzlich dürfen und b) öffentlich zugeben. Warum arbeiten sie schließlich geheim? Spätestens das, was Staatsraison, legitimes Sicherheitsinteresse des Staats usw. genannt wird (man muß es redlicherweise Staatssicherheit nennen), verhindert letztendlich doch, daß alles ans Licht kommt, da bleiben gerne mal jahrzehntelang Akten unter Verschluß oder, noch praktischer, werden wie beim sog. Verfassungsschutz gleich geschreddert, wenns brenzlig wird. Wenn also ein öffentliches Interesse allzu übermütig wird. Zweitens kann man getrost davon ausgehen, daß ohnehin so ziemlich alles, was technisch möglich und nicht unbezahlbar ist, auch gemacht wird, da brauchen gar nicht mit Worten wie „unersättliche Datengier“ noch die ganz Dummen mobilisiert zu werden. Drittens ist es nicht nur unrealistisch, sondern geradezu borniert und letztendlich propagandistisch, nur den ausländischen Geheimdiensten solchen „Mißbrauch“, der doch schließlich ihr Job ist, anzukreiden. Wenn die Kanzlerin eine Spur von Realitätssinn hat, dann ist sie nicht so naiv zu denken, ihr Mobilfunktelefon sei entweder unabhörbar oder gar, ein quasi-ritterlicher Fairneßkodex sog. „befreundeter“ Dienste schütze davor, abgehört und ausgespäht zu werden. Wie Thomas Hobbes bereits im 17. Jahrhundert darlegte, sind Staaten Monster, sie gründen letztendlich auf Gewalt – und Monster haben keine Freunde, sondern bilden höchstens Zweckallianzen.

Meinung – Wahn – Gesellschaft

Politisches und analytisches Denken steht hierzulande seit Jahrzehnten nicht hoch im Kurs. Vielmehr hat man sich – in einer mittlerweile perfektionierten Konvergenz von veröffentlichter und öffentlicher Meinung – daran gewöhnt, alles und jedes mit ureigenen moralischen Kategorien zu erschlagen und vermeintlich zu bewältigen. Wenn dann die Realität aber doch mal aufmuckt und ein gewisses Eigenleben demonstriert, die sich ausnahmsweise nicht ins Klischee von dt. Rechthaben, dt. Siegerlächeln und dt. Selbstgefälligkeit fügt – wie aus postfaschistischer Läuterung, Wirtschaftswunder, Wiedervereinigung und Eurokrise gewohnt – , dann kann da keineswegs eine objektive Dialektik zugange sein, da muß vielmehr irgendein unverfrorener und durchtriebener Schuft, ein politischer Halunke, ein machtbesessener Schurke am Werk gewesen sein. Die Souveränität von Staaten, die sich auf Gewalt gründet, ist dieser Wahrnehmung, die nicht zwischen Wunsch und Wirklichkeit scheiden kann, eine Fiktion.
Wäre diese Sicht nicht so erdrückend normal im Sinne der schieren Omnipräsenz, man müßte sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Psychose, eine Wahrnehmungsstörung, nennen, einen Wahn, denn diskursiv beizukommen ist ihr mit rationalen Argumenten nicht, so selbstgerecht und solipsistisch in sich ruhend präsentiert sie sich, ganz abgesehen von ihrer Redundanz im doch sonst üblichen großen Pluralismus.
Ferner seien die russischen Medien gleichgeschaltet (die chinesischen sowieso); und die deutschen? Da braucht man gar nicht zu schalten, die tun das freiwillig.


Kommentare
08.12.2014 / 11:40 detlef,
14 12 2014 bei novosti gesendet
herzlichen Dank