Staat und Kapital, Wirtschaft und Politik

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Außer den schließlich drei Bänden seines Hauptwerks, die zwischen 1867 und 1894 erschienen, waren von Karl Marx (1818–1883) ursprünglich noch weitere Bände konzipiert, die aber nie geschrieben wurden. Sie sollten die "Kritik der politischen Ökonomie", die Das Kapital laut Untertitel umfassend leisten sollte, um weitere Momente bzw. Aspekte erweitern: die Rolle des Staats, des Weltmarkts usw.

Eine ökonomistisch-reduktionistische Lesart des Marxschen Werks durchzieht weite Teile des traditionellen Marxismus. Sie kulminiert im common-sense-Verständnis von "Basis und Überbau", dem zufolge die Ökonomie die eigentliche, "materielle" Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft sei – und Staat, Kultur, Politik, Ideologie usw. nur hinzutretende, eben Phänomene des "Überbaus" seien. Marx habe sich, so die schematische Sicht, als Materialist nur mit der "Basis" beschäftigt, der Überbau sei aus der Basis "abzuleiten", ihr also nachgeordnet und daher nicht so wichtig: "Das Sein bestimmt das Bewußtsein."
Eine solche Sichtweise hält einer dialektischen Marx-Lektüre nicht stand.

Zwei Vorträge beschäftigen sich mit Aspekten des Staats:

> Alex Gruber spricht über "Recht, Gewalt und Krise. Zur Kritik der Politik" (Wien, 2015)
Der junge Hegel schrieb, daß der Staat "freie Menschen als mechanisches Räderwerk" behandeln muß und deshalb aufhören soll zu existieren. Solche Staatskritik scheint heutzutage undenkbar: Auch wenn die Mäkelei über den bürgerfernen und abgehobenen Staat zum Repertoire der Wutbürger jeglicher Couleur gehört, so stellt diese doch zugleich stets das Einklagen von eigentlicher oder wahrer Staatlichkeit dar. Spätestens seit der Krise von 2008 hat der Staat ein Comeback erlebt, in dem schon einmal gestandene Liberale der Verstaatlichung von Banken etwas abgewinnen können. Gleichzeitig ist ein immer stärker werdendes Ressentiment gegen rechtsstaatliche Vermittlungen zu konstatieren und repräsentative Demokratie gilt zusehends als Instrument derer "da oben", die sich gegen den "kleinen Mann" verschworen hätten. Die rechtliche, institutionelle Einhegung der souveränen Gewalt scheint zusehends als Hemmschuh zu gelten für die erstrebte Identität von Volk und Staat.

> Justin Monday analysiert Beschränkungen und Eigenarten des aktuellen Krisenbewußtseins: Wenn den Bürgern in der Krise das Bewußtsein vom vergänglichen Charakter ihres Ein und Alles dämmert, erscheint ihnen die Ewigkeit des nationalen Staates als Rettung. Bei allen Unterschieden zwischen Keynesianern und strammen Neoliberalen bestehen unübersehbare Gemeinsamkeiten im Krisenbewußtsein, d.h. in den fetischistischen Vorstellungen vom Charakter des gesellschaftlichen Ganzen. Vor Augen steht den Repräsentanten des herrschenden Elends dabei vor allem dessen Kontrollier- und Steuerbarkeit durch den Staat. Handele dieser nur richtig, sei er in der Lage, die Krise zu meistern. Doch die – auf den autoritären Staat zurückgehende – Einheit von Staat und Gesellschaft ist weniger eine Entwicklungsmöglichkeit der aktuellen Zustände, sondern deren Voraussetzung.
"Der Staat in der Krise" (Hamburg, 2009)


"Der Staat entspricht der Idee des Schicksals, nicht des Fortschritts." (Justin Monday)


Dauer: 120 Minuten

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Audio
02:00:00 h, 41 MB, mp3
mp3, 48 kbit/s, Mono (48000 kHz)
Upload vom 15.10.2017 / 23:32

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Serie: Sachzwang FM
Entstehung

AutorInnen: Dr. Indoktrinator
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 15.10.2017
CC BY-ND-NC
Creative Commons BY-ND-NC
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Hintergrundmusik von R.I.C. ("Distance", 1994) und Alec Empire ("Hypermodern Jazz", 1996).