"Lo que en realidad tenemos aqui en Bolivia no es cuarantena pero estado de sitio"

ID 102137
spanisch (Hauptteil) - Extern gespeichert!
AnhörenDownload
Hubo un golpe cívico, racista y fundamentalista el año pasado en Bolivia. El presidente Evo Morales del Movimiento al Socialismo MaS renunció y se exilió en Mexiko. Desde entonces hay un de-facto-gobierno de Jeanine Añez. La Policía y el Militar están con el golpe. Hay mucha represión contra los pueblos originarios, los medios indigenas fueran destruídos, las instalaciones quemados. Y ahora - como eso no fuese suficiente - el gobierno proclamó el estado de emergencia sanitaria. Eso significa cuarantena total para todxs; cada persona tiene una mañana en la semana para salir y abastecer. Hablamos con Adriana Guzmán Arollo del Feminismo Comunitario Antipatriarcal en La Paz.
Audio
33:34 min, 77 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 05.05.2020 / 11:49

Dateizugriffe: 121

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: castellano
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 05.05.2020
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
deutsch - Extern gespeichert!
AnhörenDownload
Audio
23:18 min, 29 MB, mp3
mp3, 176 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 05.05.2020 / 11:50
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript

Adriana: Zuerst ist es wichtig zu sagen, daß zu dem Putsch jetzt auch noch die Pandemie hinzukommt.
Wir sind also mit der Pandemie konfrontiert unter einer De-facto-Regierung die mit allen Mitteln die Bevölkerung unterdrückt und verfolgt. So etwas gab es in den 1970er und 80er Jahren. Ich persönlich, die in der Demokratie geboren bin, ich kannte diese Verfolgung und diese Art der Diktatur nicht, in der keine Rechte respektiert werden. Du hast mit dieser De-facto-Regierung kein Recht auf Meinungsäußerung, keine Versammlungsfreiheit, Du kannst Dich nicht organisieren. Wir haben hier in Wirklichkeit keine Quarantäne sondern einen Belagerungszustand.

3.00
Wir haben einen Vormittag in der Woche, an dem wir hinausgehen dürfen und uns versorgen – und frag nicht, wo das Geld herkommen soll in einer Gesellschaft, in der 70% der Menschen im informellen Sektor arbeiten. Es sind vor allem wir Frauen betroffen – ich z.B. lebe vom Verkauf von Kunsthandwerk. Wie soll ich überleben? Wie überleben die Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Produkte auch verkaufen müssen. Es gibt keine wirtschaftliche Maßnahme, die die Quarantäne begleiten würde, so wie es sie ja überall gibt – Ausnahmen der Ausgangsbeschränkungen für Lebensmittelproduzent*innen damit es nicht zur Unterversorgung kommt – das gibt es hier nicht. Die de-facto-Regierung denkt nicht an so etwas. Sie denkt nicht an die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen. So zeigt sich ihr Autoritarismus. Quarantäne reicht nicht. Die Toten in Bolivia, das sind bisher an die 200 Menschen – die meisten von ihnen kamen gar nicht in an die Beatmungsgeräte oder in die Gesundheitszentren. Sie wurden mit Antibiotika nachhause geschickt und ihnen wurde gesagt, das sei kein Coronavirus. Weil die Regierung beschlossen hatte, daß die Tests nur für die hochverdächtigen Fälle sei – sie testen die Toten und diejenigen, die schon fast tot sind. Es gibt keine Prävention. Es gibt also viele Menschen, denen geholfen werden könnte, wenn es die Tests gäbe. Die andere Sache ist – wir als indigene Bevölkerung Boliviens, und das sind 63%, wir hatten nie ein gutes Verhältnis zu Ärztinnen und Ärzten. Wir leben schon immer in einem rassistischen System. Die 13 Jahre – wer die Regierung permanent destabiliert hat, das waren die Ärztinnen und Ärzte. Sie wollten die Reformen, die wir forderten, nicht akzeptieren. Zu den Reformen gehörte auch, daß wir Heilerinnen, Weise und Hebammen in das Gesundheitssystem aufnehmen. Wir haben ein gemeinschftliches Gesundheitssystem aufgebaut, bei dem die Mediziner*innen die Leute zuhause besuchen, um mit der westlichen Medizin zu brechen. Mit unserem Konzept haben wir das Geschäft der Ärztinnen und Ärzte gestört. Gesundheit darf keine Ware sein – das wurde in der Verfassunggebenden Vers
:ammlung Boliviens 2006 als Grundrecht festgelegt. Wenn es also die nötigen Veränderungen im Gesundheitswesen nicht gab in den letzten 13 Jahren, dann wegen der Ärztinnen und Ärzte: Sie haben es nicht erlaubt; sie haben auf der Straße demonstriert – wir hatten 60 Tage Ärztestreik als der Putsch kam. Die Ärztinnen und Ärzte waren ganz vorne dabei mit den Paramilitärs; sie haben Verwundeten die Behandlung verweigert; haben sie verbluten lassen. Ein Genosse in Cochabamba hat ein Auge verloren, ein anderer hier in La Paz ein Bein – weil sie gegen den Putsch auf die Straße gehen wollten. Oder sie haben ihnen geholfen und sie dann der Polizei übergeben, und sie landeten im Gefängnis. Die Ärztinnen und Ärzte sind Kompliz*innen des Putsches. Viele Genoss*innen sind gar nicht erst in die Gesundheitszentren gegangen, weil sie erwarteten, an die Militärs ausgeliefert zu werden. Wir haben keine gute Beziehung zu Ärztinnen und Ärzten, auch jetzt nicht unter dem Vorzeichen der Pandemie.
Im Bezirk El Alto, ganz in der Nähe der Hauptstadt - dort leben vor allem Aymaras, die sehr politisch und widerständig sind und es gab dort 2003 im sogenannten Kampf um das Gas ein Massaker, und jetzt 2019 im Zuge des Putsches schon das zweite Massaker in der Geschichte von El Alto – diese Region ist permanent militarisiert von der de-facto-Regierung. Und als wäre das nicht genug – jetzt haben sie dort sogar die Ärztinnen und Ärzte abgezogen, und die Leute werden sich selbst überlassen. Sie müssen allein mit der Pandemie klarkommen. Das ist die Strafe für ihren Widerstand gegen den neoliberale Politik, und jetzt gegen den Putsch.


Min 9:45
Meike: Mich interessiert, was übrig ist von den sozialen Bewegungen? Wenn Du sagst, es gibt keine Versammlungsfreiheit - habt ihr andere Möglichkeiten zu protestieren oder euch zu organisieren?

Adriana: Das ist sehr schwierig wegen der Repression. Die Führungspersönlichkeiten der sozialen Bewegungen werden verfolgt. Heute passiert das unter dem Deckmantel der Pandemie. Die de-facto-Regierung klagt dann ihr unangenehme Leute an, sie hätten sich nicht an die Quarantänemaßnahmen gehalten oder andere via soziale Medien dazu aufgerufen, die Quarantäne zu brechen. Jede Person, die in Facebook oder Twitter ein Mem veröffentlicht und sagt: Das ist eine de-facto-Regierung, wir können die Quarantäne nicht aufrechterhalten wenn wir hungern – wir z.B. unterstützen die Haltung: Hunger ist keine Straftat, ihr könnt die Leute nicht verfolgen, weil sie Hunger haben! - die Polizei verhaftet also diejenigen, die via soziale Medien protestieren... und das sind gezielt die Führungspersönlichkeiten der sozialen Bewegungen; die Polizei tut das, um die Bewegungen zu demobilisieren. In 40 Tagen Quarantäne hatten wir schon 16.000 Verhaftungen, 100 Gerichtsverhandlungen und 67 verurteilte Personen, die in den Gefängnissen landeten mit von 3 bis 10 Jahren. Kein Recht wird im Gericht respektiert. Das waren Leute, die in den sozialen Medien ihre Meinung kundtaten, aber auch sehr viele Frauen, die auf die Straße gingen und sagten, sie können diese Quarantäne nicht einhalten, denn sie verkaufen Süßigkeiten und Obst auf der Straße, sie seien auf ihre Einkünfte angewiesen. Diese Genossinnen haben 3 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe bekommen.
Wir haben versucht, neue Formen des Protests zu erfinden. Am vergangenen Donnerstag wurde zu einem CACEROLAZO (Lärm mit Töpfen als Protestform) aufgerufen. Außerdem sollten die Leute Böller und Feuerwerkskörper von ihren Fenstern aus zünden. Das war auf nationaler Ebene sehr stark. Hier in der Hauptstadt La Paz, wo ich lebe, habe ich das sehr gut gehört, wie die Leute Lärm machten, eine halbe Stunde oder länger. Wenige Stunden darauf, am Freitagmorgen haben sie 47 Personen festgenommen. Sie hätten gegen das Gesetz zur Bewahrung der öffentlichen Gesundheit verstoßen mit ihrem Aufruf zum Cacerolazo. Wir suchen also neue Formen des Protests, aber die Regierung findet auch Formen, uns einzuschüchtern. Jetzt ist ein erneuter Cacerolazo angesagt, aber ich weiß nicht, ob viele Leute daran teilnehmen werden, denn 47 unserer Genoss*innen sind schon im Gefängnis. Die Leute haben einfach Angst. Das ist ein Klima der Angst. Ich spreche jetzt vor allem von den Städten – aber unsere Mitstreiter*innen auf dem Land leben zum Teil in selbstverwalteten Regionen. Sie versorgen sich selbst. Sie haben ihre Gemeinden abgeriegelt um sich vor dem Virus zu schützen. Sie nutzen ihre eigene Medizin, und treffen Vorkehrungen und sie stellen die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicher. Trotz der ganzen Repression schicken sie immer wieder Lastwagen mit Yucca, Obst, Kartoffeln und Getreide aus den tropischen Regionen, z.B. aus Cochabamba, ins ganze Land für diejenigen die hungern. Die Solidarität und Gegenseitigkeit bleibt also bestehen. Das ist unser Widerstand.


Min 16: 25
Meike: Vergangenes Jahr im Interview hast Du erzählt, daß die Putschist*innen die Medien der indigenen Bevölkerung geschlossen hätten und die Anlagen verbrannt. Es gab eine “Terrerokampagne” und eine kollektive Bestrafung der ursprünglichen Bevölkerung. Die Medien, die Ihr noch nutzen konntet, waren Whatsapp und das Telefon. Jetzt stelle ich mir das schwierig vor, wo selbst Leute, die im virtuellen Raum protestieren, festgenommen werden. Es gibt keinerlei Kommunikation in indigenen Sprachen von Seiten der Regierung. Funktioniert die Selstverwaltung der Kommunikation weiterhin?



Adriana: Die Putschregierung in Bolivien hält die mediale Umkreisung, die sie eingerichtet hat, aufrecht. Offenbar handelt es sich um einen geplanten und einstudierten Putsch. 63% der Bevölkerung ist indigenen Ursprungs und ihr Medium Nummer 1 sind die kleinen Lokalradios, die auf Aymara, Quechua und Guaraní senden. Es gibt mehr als 500 dieser Radios in Bolivien und mit der Zerstörung ist die Kommunikation unterbrochen. Denn es gibt da nicht nur Nachrichten für die Gemeinde, sondern auch Benachrichtigungen über Versammlungen, Informationen zu Treffen und dem Tausch von Produkten – also ganz grundsätzliche Dinge. Die Putschist*innen haben die Infrastruktur zerstört, die Sender angezündet. Jetzt gibt es die Möglichkeit nicht mehr, Informationen über das Virus auszutauschen, wie mensch sich davor schützen kann. Es gibt diese Informationen nicht in den indigenen Sprachen, nicht auf Aymara und Quechua. Es gibt noch Radios, die senden, aber die sind staatlich und national. Und es gibt keine nationale Gesundheits- oder Aufklärungskampagne gegen das Virus. Es gibt eine Kampagne, die besagt, wie wichtig die Militarisierung ist; es gibt staatliche Verfolgung; rassistische Stigmatisierung der indigenen Menschen, die gegen die Quarantänemaßnahmen verstoßen; die Präsidentin mit ihren permanenten Nachrichten, wir sollten im ganzen Land auf Gott vertrauen und die gleiche de-facto-Präsidentin, die zu einem nationalen Fasten aufruft. Es gibt Segen aus dem Helikopter von Pfarrern und Priestern. Dafür wird Geld ausgegeben. Das ist eine fundamentalistische und konservative Medienpolitik. Das nationale Fernsehen verbreitet natürlich nur die Informationen der Regierung und füttern die sozialen Spannungen: Die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen sei ein Bruch der Quarantäne und somit ein Attentat auf alle anderen Mitmenschen. Sogar die Kranken sind verdächtig und werden wie Straftäter*innen verfolgt. Man hat einen öffentlichen Zeiger instatlliert, der eigentlich für die Gefangenen gedacht war und jetzt für die Kranken benutzt wird. Also – alle Medien sind von der Putschregierung für sich eingenommen. Selbst Whatsapp und die sozialen Medien, die wir in der Bewegung nutzen, werden mitgehört, abgefangen und die Signale gestört. Sie haben einen jungen Mann in Santa Cruz festgenommen, weil er Administrador von fünf Whatsappgruppen war. Als ob das ein Delikt wäre! Natürlich waren das regierungskritische Whatsappgruppen – und jetzt haben sie die Gruppen und alle Leute, die in darin sind, öffentlich gemacht. Somit sind hunderte Leute verdächtig. Die Kommunikation ist also schwierig.


Meike: Dann scheint ja die Pandemie als willkommener Vorwand zu dienen, um die Repression auszuweiten. Eine sehr hypothetische Frage - was wenn es noch eine sozialistische Regierung gäbe in dieser Situation...?

Adriana: Wie du gesagt hast - die Pandemie wird dazu mißbraucht, die Repression zu rechtfertigen; die vielen Verhaftungen und illegalen Gefängnisstrafen. Das ist der grundsätzliche Unterschied. Hätten wir hier weiterhin die Bewegung zum Sozialimus (Movimiento al Socialismo – MaS) – die auf jeden Fall auch sehr viel Kritik verdient – aber etwas, das sie nie gemacht hat ist, Massaker anzurichten und die Bevölkerung zu unterdrücken. Marxismus ist auf gar keinen Fall gleichzusetzen mit Putschismus. Also mit der MaS hätten wir eine Gesundheitskrise – individuell und öffentlich – erlebt, aber ohne die Verfolgung. Das Problem ist, daß das ganze Land verfolgt wird. Alle können potentiell inhaftiert werden, nur weil sie etwas getwittert oder geretweetet haben. Wir hätten eine Pandemie, sicher mit Einschränkungen im Gesundheitswesen. Was ich dir schon erzählt habe – die Ärztinnen und Ärzte haben sich jeder Reform widersetzt, haben sich Krankenhäuser angeeignet und sogar ihre eigene Ausrüstung zerstört, weil wir die Abschaffung des hegemonialen westlichen Gesundheitssystems forderten.
Wir forderten auch eine Liberalisierung des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch. Es gibt zwei wichtige Gründe: zum einen sollen Frauen, die schon viele Kinder haben und wenig Geld, aus wirtschaftlichen Gründen abtreiben dürfen. Zum anderen sollen Schülerinnen und Studentinnen abtreiben dürfen, um ihre Ausbildung abzuschließen. Die Ärztinnen und Ärzte haben sich natürlich gegen diese Liberalisierungskampagne zum Schwangerschaftsabbruch gestellt, denn mit legalen Abbrüchen können sie nicht so viel Geld machen wie mit heimlichen illegalen Abtreibungen. Ärztinnen und Ärzte gehören also zu der konvervativen Gesellschaftsschicht.
Was aber funktioniert hätte mit einer sozialistischen Regierung, und da bin ich mir sicher, ist der Tausch, Handel und die Verteilung von Lebensmitteln.

Meike: wie war der 1. mai im vergleich zu den vorjahren?

Adriana: Jeder erste Mai für uns war geprägt vom Denken an die Vertiefung eines Veränderungsprozesses. Ich erinnere mich an einen ersten Mai als die fossilen Brennstoffe verstaatlicht wurden. Obwohl es Kritik gibt und manche sich fragen, ob es eine Verstaatlichung war, wurden damit Einkünfte generiert und das, was wir den “Reichtum des Landes” nennen, umverteilt. Es ergab sich daraus ein Budget für Universitäten, was wir gefordert hatten – also der 1. Mai war immer die Gelegenheit für die sozialen Bewegungen, ihre Forderungen vorzustellen. Sowohl antikapitalistische strukturelle Maßnahmen als auch Lohnerhöhungen. Obwohl die meisten Menschen in Bolivien nicht lohnabhängig arbeiten heißen höhere Löhne doch auch Vorteile, was Konsum angeht undsoweiter.
Bei den Feierlichkeiten zum 1. Mai waren immer große Teile der Regierung anwesend, auch Präsident Evo Morales. Sie positionierten sich politisch und gaben Antworten auf die Forderungen der Arbeiter*innenklasse und der indigenen Völker. Wir Indigenen haben keine starke Verbindung zum 1. Mai, denn wir arbeiten nicht lohnabhängig in Fabriken oder so, sondern eher in der Landwirtschaft. Trotzdem sind wir Arbeiter*innen. Und die Arbeiter*innenklasse ist da traditionell auch sehr rassistisch. Es hat also einen langen politischen Diskussionsprozeß gebraucht, um anzuerkennen, daß Minen- und Fabrikarbeiter*innen auch Quechua sind, auch Aymara. Also der 1. Mai war immer geprägt von Momenten der Begegnung zwischen Arbeiter*innenklasse, Indigenen und der Regierung. Das lief alles andere als perfekt. Aber in welchem Land steht die Bevölkerung beim Marsch am 1. Mai schon hinter ihrem Präsidenten? In kaum einem Land, denn die Staatsoberhäupter stellen sich meist gegen die Arbeiter*innenklasse. In Bolivien schon. Normalerweise.
Dieser 1. Mai stand natürlich unter dem Zeichen der Repression – es wurden 47 Menschen in El Alto verhaftet, das habe ich vorhin schon erzählt; als Einschüchterung und zur Warnung. Es gab auch Verkündungen von der Arbeiterpartei und einigen linken Organisationen, die der MaS (Bewegung zum Sozialismus) die Schuld am Putsch gibt. Es gibt also eine rassistische Linke, auch in diesem Prozeß der Veränderung, welche auch die MaS destabilisiert hat. Ich habe nichts gegen Kritik - die MaS ist auf jeden Fall zu kritisieren - aber sie politisch gezielt zu schwächen, zu destabilisieren und falsche Behauptungen in die Welt zu setzen, - das zeigt den Rassismus und das Unverständnis in dieser Linken für die Revolution der indigenen Völker. Das sind keine Revolutionen nach Handbuch nach ihren Standards. Diese Linke setzt die MaS (sozialistische Regierung) gleich mit der de-facto-Präsidentin Añez. Nein, das stimmt nicht. Evo Morales hat Verhandlungen mit Unternehmen geführt, ja, das haben alle Staatsoberhäupter. Aber er hat keine Massaker verüben lassen. Du kannst die sozialistische Regierung nicht mit der Putschregierung vergleichen, das geht nicht. Die de-facto-Regierung respektiert keinerlei Gesetze. Und es gibt eine Transformation von Seiten der Gesellschaft, von Seiten der indigenen Gemeinden und sozialen Bewegungen, jenseits von Evo Morales. Jenseits der MaS haben sie das Land verändert. Gruppen, die niemals eine Beziehung zum Staat hatten, verändern Bolivien. Die Autonomie der indigenen Gemeinden ist unsichtbar für die Linke weil diese sich auf den Staat als bürokratische Maschinerie konzentiert. Sie kennen die Gemeinden nicht und sie kennen nicht einmal die Veränderungen in der Arbeiter*innenklasse denn die meisten Leute in der Linken haben in ihrem Leben noch nie gearbeitet. Sie hatten nie Hammer oder Sichel in der Hand, obwohl sie das gerne vor sich hertragen. Diese rassistische Linke also hat sich am 1. Mai gegen den Putsch ausgesprochen, ihn aber dahingehend gerechtfertigt, daß sie die Schuld der MaS (Sozialistischen Regierung) gab. Das finden wir empörend.

Meike: gibt es vielelicht positive perspektiven? Es soll ja neuwahlen geben, die wiede rund wieder verschoben werden.. was ist deiner meinung nach jetzt nötig in dieser situation?

Adriana: Es gibt viele Visionen, wir wir aus diesem Unrechtsstaat und dieser de-facto-Regierung herauskommen. Wir als Bewegung gemeinschaftlicher antipatriarchaler Feminismus glauben nicht an den demokratischen Weg als Haupfaktor. Denn die Geschichte zeigt, daß kein Diktator sich von Wahlen hat beeindrucken lassen. Das ist eine Falle und manipuliert, das haben wir von Anfang an gesagt. Die bolivianische Oligarchie, die konservativen Großgrundbesitzer*innen, Großunternehmer*innen, Viehzüchter*innen, Sojabauern und -bäuerinnen unterstützen den Putsch alle, auch wirtschaftlich. Sie werden diese Macht nicht hergeben.
Aber gut, ein Gleis sind die Neuwahlen, sie sollten am 3. Mai stattfinden und wurden dann auf ungewisse Zeit und mit dem Vorwand des Virus wieder aufgeschoben. Letzte Woche gab es tagte der Kongreß und legten fest, daß die Wahlkommission bis Juli das Datum definieren und dazu aufrufen solle. Also rechnen wir jetzt theoretisch ab September mit Neuwahlen. Theoretisch, weil ich es anzweifele. Wie wissen nicht, wann die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zurückgefahren oder beendet werden. Das heißt ein Jahr de-facto-Regierung. Eine Regierung, die nicht nur unterdrückt, verfolgt und inhaftiert, sondern parallel auch Verkaufsverträge zu Lithium abschließt – das ist ja auch der Hintergrund für diesen Putsch – staatliche Unternehmen privatisiert, gentechnisch veränderte Lebensmittel per Dekret einführt, Verträge mit dem Chemiekonzernen abschließt um Pestizide im großen Stil einsetzen zu dürfen. Es geht also auch um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Deswegen ist unser Weg auf die Straße gehen und den Putsch vertreiben, wie wir das 2003 mit Gonzalo Sánchez gemacht haben.

Meike: vielen dank adriana! hast du abschließende worte?

Adriana: Ich wollte Euch als soziale Organisationen, als Radios in anderen Teilen der Welt, als linke Parteien und Bewegungen zur Solidarität aufrufen. Klagt den Putsch, den wir hier in Bolivien haben, weiterhin an! Brecht den medialen Kreis, der weltweit nur von dem Virus spricht! Von dieser Seite der Welt kommen die transnationalen Unternehmen, das Kapital, mit dem dann die Gebiete der ursprünglichen Bevölkerung ausgebeutet werden! Wenn wir uns als Bevölkerung nicht organisieren und solidarisieren, wir die Geschichte sich wiederholen!