Der Trend geht zur Ablehnung von Straßenumbenennungen

ID 104981
 
Die Stadt Neumünster hat 2018 eine Kommission berufen, die einheitliche Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Neumünster entwickeln und gegebenenfalls Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte. Dem voraus ging ein Antrag des Ratsherrn Jonny Griese von der Partei DIE LINKE im Februar 2017, der die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße in Neumünster-Brachenfeld forderte, nachdem Proteste der Antifaschistischen Aktion auf den unrühmlichen Straßennamen hinwiesen. Vorgestern traf sich die Kommission das letzte Mal und verabschiedete – so ein Kommissionsmitglied - nach langer Diskussion eine gemeinsame Position. Wir dokumentieren und kommentieren diese.
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Upload vom 25.10.2020 / 11:30

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Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Infomagazin Freies Radio Neumünster
Entstehung

AutorInnen: Ingo
Radio: Freies Radio NMS, Neumünster im www
Produktionsdatum: 25.10.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Frage nach dem Umgang mit Verkehrsflächen, die nach Personen mit einer möglichen NS-Belastung benannt sind, ist nicht nur eine historische, sondern auch eine politisch-moralische.

Auch das Freie Radio hat sich in den vergangenen Jahren mit Einzelfällen aus Neumünster beschäftigt, z.B. mit der völkischen Dichterin Agnes Miegel oder dem Heerespfarrer der Legion Condor, Karl Keding.

Die Stadt Neumünster hat 2018 eine Kommission berufen, die einheitliche Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Neumünster entwickeln und gegebenenfalls Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte. Dem voraus ging ein Antrag des Ratsherrn Jonny Griese von der Partei DIE LINKE im Februar 2017, der die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße in Neumünster-Brachenfeld forderte, nachdem Proteste der Antifaschistischen Aktion auf den unrühmlichen Straßennamen hinwiesen.

Am 20. Oktober 2020 traf sich die Kommission das letzte Mal und verabschiedete – so ein Kommissionsmitglied - nach langer Diskussion eine gemeinsame Position. Die Teilnehmer*innen seien dem Vorschlag von dem durch Ratsbeschluss eingesetzten Historiker Prof. Uwe Danker aus Flensburg gefolgt. Der lautet: Statt einer Umbenennung solle die Stadt ein Zusatzschild mit einem Hinweis auf das Wirken der Personen in der Nazizeit anbringen. Der ergänzende Satz solle inhaltlich so wirken, dass aus heutiger Sicht die Stadt Neumünster diese Straße nicht so nennen würde. Der abschließende Wortlaut würde derzeit noch vom Vorsitzenden der Kommission erarbeitet.

Die endgültige Entscheidung trifft die Ratsversammlung im Februar 2021.

Laut dem Ratsherr der Linken, Jonny Griese habe es bereits jetzt eine Absprache der Fraktionen gegeben. Da in der Kommission der Fraktionsvorsitzende der CDU, die mit 15 Ratsmitgliedern die größte Fraktion in Neumünster stellen, und auch die SPD als zweitgrößte Fraktion mit 12 Ratsmitgliedern vertreten waren, würde diese Entscheidung mit großer Mehrheit durchgehen.

Zwei Jahre hat die Kommission jetzt mit Unterbrechungen gearbeitet. Vorgelegt wurde eine Liste der Straßen im Stadtgebiet von Neumünster, die nach Persönlichkeiten benannt sind, die aufgrund ihres Verhaltens oder ihrer öffentlichen Wirkung hinsichtlich einer möglichen negativen Vorbildwirkung kritisch zu hinterfragen sind. Die Kommission hatte Professor Danker beauftragt, bezogen auf vorausgewählte fünf Personen, für die eventuell eine Umbenennung erwogen werden sollte, notwendige Recherchen vorzunehmen, diese zu dokumentieren und kurze Sachverhaltsdarstellungen vorzunehmen. Diese sollten Grundlagen für die Entscheidungsträger in der Stadt darstellen.

Diese fünf Personen sind Agnes Miegel, Karl Keding, Emil Nolde, Julius Brecht, Carl Bosch. Bereits früh hat Professor Danker darauf hingewiesen, dass für Agnes Miegel hinreichende, von der Kommission bereits erörterte, einschlägig entstandene wissenschaftliche Literatur vorhanden sei, die eindeutig eine Umbenennung empfiehlt. So ist dies auch in Hannover 2015 beschlossen worden. In Münster hat sich die Bezirksvertretung im Jahr 2012 gegen eine Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße ausgesprochen, obwohl die dortige Kommission einstimmig die Umbenennung empfohlen hatte.

Für Karl Keding war laut Danker eine umfänglichere biografische Recherche nötig. Genau wie wir hat der Professor Publikationen aus Kedings Feder betrachtet und drei umfängliche Personalakten für seine Zeiten bei der Reichswehr, der Wehrmacht und als Lehrkraft in der Bundesrepublik auswerten können. Sein publiziertes ‚Tagebuch‘ der Tätigkeit als Militärpfarrer der „Legion Condor“ rechtfertige und verherrliche einen völkerrechtswidrigen deutschen Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg, so Danker. Als fliegender Frontsoldat galt er seinen Vorgesetzten als überzeugter Nationalsozialist.

Professor Danker weist darauf hin, dass Keding für außergewöhnliches Engagement nach 1945 gewürdigt wurde, ohne dass man in Neumünster nach seiner biografischen Vergangenheit gefragt hätte. Das ist ein Vorgang, der sicherlich für Dutzende von NS-belasteten Personen nach 1945 die Regel war. Und in der Tat schreibt Danker, dass Keding kein untypischer Repräsentant der evangelischen Kirchen war. Nach 1945 engagierte sich Keding nahtlos weiter in seiner Kirchengemeinde in Neumünster für Vertriebene und aus dieser Gruppe heraus wurde dann die Ehrung mit einem Straßennamen angeregt.

Die Kommission zur Straßenumbenennung hatte sich auch Kriterien gegeben, die dann im April 2019 von der Ratsversammlung verabschiedet wurden. Danach würden Straßen umbenannt, wenn die Person überzeitliche und transkulturelle Menschenrechte im Sinne der UNO-Charta abgelehnt oder gebrochen hat und wenn die Person aktiv an nationalistischen, rassistischen, völkischen oder antisemitischen Aktivitäten teilgenommen oder diese befördert hat. Professor Danker sagt, das Keding diese Menschenrechte durch seine Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg gebrochen hat, nicht über seine verbrecherische Mitwirkung reflektiert hat und es nach 1945 keine Hinweise auf eine Umkehr gegeben habe. In einer Vorlage für die Sitzung der Kommission empfiehlt er die Umbenennung.

Dasselbe empfiehlt der Gutachter auch für die Emil-Nolde-Straße. Für die Carl-Bosch-Straße wird eine erklärende Ergänzung empfohlen. Und für die Julius-Brecht-Straße, mit Julius Brecht als Namensgeber, der laut Kommission zur Überprüfung der Straßennamen in Freiburg als leitender Funktionär die systematische Entrechtung und Vertreibung von Jüd*innen aus ihren Wohnungen und Häusern vorangetrieben hat, ist Dankers Urteil etwas uneindeutig. Er wünscht sich eine Erörterung der Umbenennung, die ja eigentlich von der Kommission zu erledigen wäre.

Fassen wir zusammen: Der Vorsitzende der Kommission zur Überprüfung der Straßennamen in Neumünster schlägt vor, drei Straßennamen in Neumünster, die NS-geschichtlich belastet sind, umbenennen zu lassen.

Die Straße nach der völkischen Heimatdichterin Agnes Miegel, die vielfach in den Nationalsozialismus verstrickt war, sich selbst auch als glühende Nationalsozialistin verstand und nach 1945 auch nicht über ihr Wirken reflektieren wollte. Die Straße nach dem Heerespfarrer Karl Keding, der Mitglied der verbrecherischen Wehrmacht in Spanien beim Einsatz der Legion Condor war. Und auch die Straße nach dem Künstler Emil Nolde, der bekennender Anhänger des nationalsozialistischen Gedankengutes war.

Natürlich hat Professor Danker früh darauf hingewiesen, dass im konkreten Einzelfall zu bewerten wäre, ob die Umbenennung alternativlos erscheint, oder ob historisch einordnende Hinweistafeln als der geeignetere Weg erscheinen. Und natürlich sind die Personen in gewisser Weise auch Teil der Geschichtskultur Neumünsters.

Trotzdem müsste die Empfehlung nicht zu einer Entscheidung für Hinweistafeln führen, sondern zu einer Entscheidung für die Umbenennung.

Fritz Ewert, der Kreissprecher der LINKEN in Neumünster und Mitglied des Landesvorstands, äußerte sich unglücklich über die Entscheidung der Kommission, die „Namen von Nazis nicht abzuhängen“. Anders dazu verlautbarte der Fraktionsvorsitzende Jonny Griese, seine Fraktion sei „mit der Entscheidung zufrieden, auch in Anbetracht [der Tatsache], dass sie die Umbenennung bei den Mehrheitsverhältnissen nicht durch bekommen hätten“.

Lob für Grieses Entscheidung kommt vom Kreisverband der Linkspartei in Plön.

Ein Spatz in der Hand sei besser als die Taube auf dem Dach, soll das wohl heißen. Aber macht es sich die LINKE da nicht etwas einfach? Stimmt sie zukünftig überall dort, wo sie keine Mehrheiten aktivieren kann, für die Vorhaben der politischen Gegner? Wenn die Linkspartei nicht mehr für die Umbenennung von Straßen von Antisemiten, Nazis und Rassisten stimmt, was sind dann überhaupt noch gültige politische Weisheiten? Fragen über Fragen…